Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. nicht ganz übersehen. Abel jedoch, der seinen königlichen Herrn genaukannte, mußte wissen, daß eine so unehrerbietige, fast drohende Sprache den Selbstherrscher nur reizen konnte. Er wollte brechen und, wie Canitz sarkastisch bemerkte, den unvermeidlichen Rückzug mit allen kriegerischen Ehren antreten. Das Memorandum konnte ebenso wenig geheim bleiben wie vordem Schön's Büchlein Woher und Wohin; nach wenigen Tagen war es auch schon in Jedermann's Händen, obgleich alle vier Minister heilig ihre Unschuld betheuerten, und wirkte nunmehr verderblicher als jemals eine demagogische Brandschrift. Auch mancher Unbefangene ließ sich durch den Biedermannston der hochpathetischen Tugendpredigt ge- winnen; ihre ganze Fassung war offenbar von Haus aus auf das große Publicum berechnet. Am Münchener Hofe aber blieb den Clericalen dieser Beweis monarchischer Gesinnung unvergessen; keiner der wittelsbachischen Herrscher seitdem, wie weit auch sonst ihre Neigungen aus einander gingen, hat der ultramontanen Partei je wieder volles Vertrauen gezeigt. Am 16. Febr. wurden die Minister sämmtlich entlassen; mit ihnen zugleich mußte auch Hörmann ausscheiden, der Regierungspräsident von Ober- baiern, der sich schon vor Jahren in der Mainzer schwarzen Commission und nachher wieder in München als unerbittlicher Demagogenverfolger ausgezeichnet hatte. Erst seit Abel's Memorandum gewann Lola wirkliche politische Macht; war doch nunmehr Alles bestätigt was sie ihrem er- lauchten Gönner über die Herrschsucht der Ultramontanen gesagt. In ihrem thörichten Uebermuthe schrieb sie sogar an die Times: obgleich sie selber bei dem Ministerwechsel nicht mitgewirkt hätte, so glaube sie doch, daß der König durch gerechte Gründe dazu bestimmt worden sei! Mit Ingrimm wendete sich Ludwig von der Partei hinweg, die ihn so lange beherrscht hatte, und sagte in einem alsbald veröffentlichten Sonette: Ihr die Ihr knechten mich gewollt, erzittert! Ich preis' es, das entscheidende Ereigniß, Das Eure Macht auf ewig hat zernichtet. Sein Zorn ward ganz unbändig, als jetzt auch die ultramontanen V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. nicht ganz überſehen. Abel jedoch, der ſeinen königlichen Herrn genaukannte, mußte wiſſen, daß eine ſo unehrerbietige, faſt drohende Sprache den Selbſtherrſcher nur reizen konnte. Er wollte brechen und, wie Canitz ſarkaſtiſch bemerkte, den unvermeidlichen Rückzug mit allen kriegeriſchen Ehren antreten. Das Memorandum konnte ebenſo wenig geheim bleiben wie vordem Schön’s Büchlein Woher und Wohin; nach wenigen Tagen war es auch ſchon in Jedermann’s Händen, obgleich alle vier Miniſter heilig ihre Unſchuld betheuerten, und wirkte nunmehr verderblicher als jemals eine demagogiſche Brandſchrift. Auch mancher Unbefangene ließ ſich durch den Biedermannston der hochpathetiſchen Tugendpredigt ge- winnen; ihre ganze Faſſung war offenbar von Haus aus auf das große Publicum berechnet. Am Münchener Hofe aber blieb den Clericalen dieſer Beweis monarchiſcher Geſinnung unvergeſſen; keiner der wittelsbachiſchen Herrſcher ſeitdem, wie weit auch ſonſt ihre Neigungen aus einander gingen, hat der ultramontanen Partei je wieder volles Vertrauen gezeigt. Am 16. Febr. wurden die Miniſter ſämmtlich entlaſſen; mit ihnen zugleich mußte auch Hörmann ausſcheiden, der Regierungspräſident von Ober- baiern, der ſich ſchon vor Jahren in der Mainzer ſchwarzen Commiſſion und nachher wieder in München als unerbittlicher Demagogenverfolger ausgezeichnet hatte. Erſt ſeit Abel’s Memorandum gewann Lola wirkliche politiſche Macht; war doch nunmehr Alles beſtätigt was ſie ihrem er- lauchten Gönner über die Herrſchſucht der Ultramontanen geſagt. In ihrem thörichten Uebermuthe ſchrieb ſie ſogar an die Times: obgleich ſie ſelber bei dem Miniſterwechſel nicht mitgewirkt hätte, ſo glaube ſie doch, daß der König durch gerechte Gründe dazu beſtimmt worden ſei! Mit Ingrimm wendete ſich Ludwig von der Partei hinweg, die ihn ſo lange beherrſcht hatte, und ſagte in einem alsbald veröffentlichten Sonette: Ihr die Ihr knechten mich gewollt, erzittert! Ich preiſ’ es, das entſcheidende Ereigniß, Das Eure Macht auf ewig hat zernichtet. Sein Zorn ward ganz unbändig, als jetzt auch die ultramontanen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0668" n="654"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.</fw><lb/> nicht ganz überſehen. Abel jedoch, der ſeinen königlichen Herrn genau<lb/> kannte, mußte wiſſen, daß eine ſo unehrerbietige, faſt drohende Sprache<lb/> den Selbſtherrſcher nur reizen konnte. Er wollte brechen und, wie Canitz<lb/> ſarkaſtiſch bemerkte, den unvermeidlichen Rückzug mit allen kriegeriſchen<lb/> Ehren antreten. Das Memorandum konnte ebenſo wenig geheim bleiben<lb/> wie vordem Schön’s Büchlein Woher und Wohin; nach wenigen Tagen<lb/> war es auch ſchon in Jedermann’s Händen, obgleich alle vier Miniſter<lb/> heilig ihre Unſchuld betheuerten, und wirkte nunmehr verderblicher als<lb/> jemals eine demagogiſche Brandſchrift. Auch mancher Unbefangene ließ<lb/> ſich durch den Biedermannston der hochpathetiſchen Tugendpredigt ge-<lb/> winnen; ihre ganze Faſſung war offenbar von Haus aus auf das große<lb/> Publicum berechnet. Am Münchener Hofe aber blieb den Clericalen dieſer<lb/> Beweis monarchiſcher Geſinnung unvergeſſen; keiner der wittelsbachiſchen<lb/> Herrſcher ſeitdem, wie weit auch ſonſt ihre Neigungen aus einander gingen,<lb/> hat der ultramontanen Partei je wieder volles Vertrauen gezeigt. Am<lb/> 16. Febr. wurden die Miniſter ſämmtlich entlaſſen; mit ihnen zugleich<lb/> mußte auch Hörmann ausſcheiden, der Regierungspräſident von Ober-<lb/> baiern, der ſich ſchon vor Jahren in der Mainzer ſchwarzen Commiſſion<lb/> und nachher wieder in München als unerbittlicher Demagogenverfolger<lb/> ausgezeichnet hatte. Erſt ſeit Abel’s Memorandum gewann Lola wirkliche<lb/> politiſche Macht; war doch nunmehr Alles beſtätigt was ſie ihrem er-<lb/> lauchten Gönner über die Herrſchſucht der Ultramontanen geſagt. In<lb/> ihrem thörichten Uebermuthe ſchrieb ſie ſogar an die Times: obgleich ſie<lb/> ſelber bei dem Miniſterwechſel nicht mitgewirkt hätte, ſo glaube ſie doch,<lb/> daß der König durch gerechte Gründe dazu beſtimmt worden ſei! Mit<lb/> Ingrimm wendete ſich Ludwig von der Partei hinweg, die ihn ſo lange<lb/> beherrſcht hatte, und ſagte in einem alsbald veröffentlichten Sonette:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Ihr die Ihr knechten mich gewollt, erzittert!</l><lb/> <l>Ich preiſ’ es, das entſcheidende Ereigniß,</l><lb/> <l>Das Eure Macht auf ewig hat zernichtet.</l> </lg><lb/> <p>Sein Zorn ward ganz unbändig, als jetzt auch die ultramontanen<lb/> Gelehrten ihm entgegentraten. Einer ihrer Heißſporne, der ehrenhafte,<lb/> tapfere, freimüthige Laſaulx beantragte im Senate, die Univerſität möge<lb/> den Miniſtern, die für die Sittlichkeit eingetreten wären, Dank und An-<lb/> erkennung ausſprechen, denn ſie ſei „die erſte ſittliche Corporation des<lb/> Staates“ — ein Ehrenname, der nach katholiſcher Anſchauung ſicherlich<lb/> allein der Kirche gebührte. Der Antrag war offenbar ungehörig, da die<lb/> Univerſität mit dem politiſchen Streite nichts zu ſchaffen hatte, auch dem<lb/> harten Bureaukraten Abel durchaus keinen Dank ſchuldete. Einige der Pro-<lb/> feſſoren ſtimmten zu, andere ſuchten zu vermitteln; ein Beſchluß war noch<lb/> nicht gefaßt, da wurden die Abſtimmungen ſchon durch den unterthänigen<lb/> Rector Weißbrod dem Hofe mitgetheilt, und nun ließ ſich der König ſogar<lb/> durch Lola’s Fürbitten nicht mehr halten. Sofort am 1. März wurde<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [654/0668]
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
nicht ganz überſehen. Abel jedoch, der ſeinen königlichen Herrn genau
kannte, mußte wiſſen, daß eine ſo unehrerbietige, faſt drohende Sprache
den Selbſtherrſcher nur reizen konnte. Er wollte brechen und, wie Canitz
ſarkaſtiſch bemerkte, den unvermeidlichen Rückzug mit allen kriegeriſchen
Ehren antreten. Das Memorandum konnte ebenſo wenig geheim bleiben
wie vordem Schön’s Büchlein Woher und Wohin; nach wenigen Tagen
war es auch ſchon in Jedermann’s Händen, obgleich alle vier Miniſter
heilig ihre Unſchuld betheuerten, und wirkte nunmehr verderblicher als
jemals eine demagogiſche Brandſchrift. Auch mancher Unbefangene ließ
ſich durch den Biedermannston der hochpathetiſchen Tugendpredigt ge-
winnen; ihre ganze Faſſung war offenbar von Haus aus auf das große
Publicum berechnet. Am Münchener Hofe aber blieb den Clericalen dieſer
Beweis monarchiſcher Geſinnung unvergeſſen; keiner der wittelsbachiſchen
Herrſcher ſeitdem, wie weit auch ſonſt ihre Neigungen aus einander gingen,
hat der ultramontanen Partei je wieder volles Vertrauen gezeigt. Am
16. Febr. wurden die Miniſter ſämmtlich entlaſſen; mit ihnen zugleich
mußte auch Hörmann ausſcheiden, der Regierungspräſident von Ober-
baiern, der ſich ſchon vor Jahren in der Mainzer ſchwarzen Commiſſion
und nachher wieder in München als unerbittlicher Demagogenverfolger
ausgezeichnet hatte. Erſt ſeit Abel’s Memorandum gewann Lola wirkliche
politiſche Macht; war doch nunmehr Alles beſtätigt was ſie ihrem er-
lauchten Gönner über die Herrſchſucht der Ultramontanen geſagt. In
ihrem thörichten Uebermuthe ſchrieb ſie ſogar an die Times: obgleich ſie
ſelber bei dem Miniſterwechſel nicht mitgewirkt hätte, ſo glaube ſie doch,
daß der König durch gerechte Gründe dazu beſtimmt worden ſei! Mit
Ingrimm wendete ſich Ludwig von der Partei hinweg, die ihn ſo lange
beherrſcht hatte, und ſagte in einem alsbald veröffentlichten Sonette:
Ihr die Ihr knechten mich gewollt, erzittert!
Ich preiſ’ es, das entſcheidende Ereigniß,
Das Eure Macht auf ewig hat zernichtet.
Sein Zorn ward ganz unbändig, als jetzt auch die ultramontanen
Gelehrten ihm entgegentraten. Einer ihrer Heißſporne, der ehrenhafte,
tapfere, freimüthige Laſaulx beantragte im Senate, die Univerſität möge
den Miniſtern, die für die Sittlichkeit eingetreten wären, Dank und An-
erkennung ausſprechen, denn ſie ſei „die erſte ſittliche Corporation des
Staates“ — ein Ehrenname, der nach katholiſcher Anſchauung ſicherlich
allein der Kirche gebührte. Der Antrag war offenbar ungehörig, da die
Univerſität mit dem politiſchen Streite nichts zu ſchaffen hatte, auch dem
harten Bureaukraten Abel durchaus keinen Dank ſchuldete. Einige der Pro-
feſſoren ſtimmten zu, andere ſuchten zu vermitteln; ein Beſchluß war noch
nicht gefaßt, da wurden die Abſtimmungen ſchon durch den unterthänigen
Rector Weißbrod dem Hofe mitgetheilt, und nun ließ ſich der König ſogar
durch Lola’s Fürbitten nicht mehr halten. Sofort am 1. März wurde
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |