seiner ersten Rede eine stark einschränkende Auslegung zu geben. Aber die Schleußen waren geöffnet. Heftige Ausfälle gegen den Deutschen Bund, leidenschaftliche Klagen über die Zerrissenheit des Vaterlandes ließen sich nicht mehr verbieten. Eine Petition um Wahrung des deutschen Rechts in Schleswigholstein wurde sogar förmlich an eine Commission verwiesen. Deren Bericht kam erst spät zu Stande, erst in dem Augenblicke, da der Landtag geschlossen werden sollte. Da erhob sich plötzlich Graf Schwerin und verlas eigenmächtig vor dem gesammten Landtage den Com- missionsbericht, der sich sehr warm für die Rechte Nordalbingiens aus- sprach. Die Versammlung stimmte mit brausendem Zurufe bei, und obwohl der Landtagsmarschall das ungesetzliche Verfahren nachträglich rügte, so vermochte er doch an der geschehenen Kundgebung nichts mehr zu ändern.
Niemand konnte es hindern, alle die lange verhaltenen Wünsche der ungeduldigen Zeit wurden im Landtage laut. Die Stände verlangten Oeffentlichkeit der Berathungen der Stadtverordneten, und die Krone konnte nicht umhin, durch eine Cabinetsordre vom 23. Juli 1847 der Forderung zu entsprechen. Sie beschlossen einstimmig, auf Auerswald's Antrag, eine Bitte um Preßfreiheit; eine Debatte hielten sie für über- flüssig, denn über die Unmöglichkeit der Censur waren schon alle Par- teien einig. Thadden-Trieglaff veröffentlichte bei dieser Gelegenheit eine ungehaltene Rede, die in dem Satze gipfelte: "die Preßfreiheit, aber der Galgen daneben!" Die Rede enthielt in paradoxer Form manche gesunde Gedanken und fand den Beifall des Prinzen von Preußen. Der frei- müthige Sonderling sah die Zeit kommen, da die Menschen nicht mehr an Gott, wohl aber an ihre Zeitung glauben würden; er erkannte die allen demokratischen Epochen gemeinsame Gefahr der moralischen Feigheit, die sich in der Scheu vor jeder persönlichen Verantwortlichkeit, in dem Verlangen nach geheimen Wahlen und Anonymität der Presse bekundet. Darum forderte er Aufhebung der Censur, strenge Bestrafung der Preß- vergehen, Unterzeichnung aller Artikel. Aber die Anonymität der Zei- tungen war längst mit allen modernen Lebensgewohnheiten verwachsen; die Rede wurde nur verhöhnt und erlangte schon wegen ihres heraus- fordernden Hauptsatzes ganz unverdientermaßen einen sprichwörtlichen Ruf als Probstück reactionärer Narrheit. Auf diese Forderung der Preßfrei- heit wußten die Vertreter der Krone nichts zu antworten, als daß der Bundestag zunächst sein Preßgesetz ändern würde.
Sichtlich in Verlegenheit geriethen sie auch, als Hansemann mit komi- schem Pathos von der Rednerbühne herab dem Landtage erst das dünne Heft der preußischen Staatshaushalts-Uebersicht, dann die dicken Bände des belgischen, des französischen, des dänischen Budgets vorzeigte. Wohl erwiderte Bodelschwingh der Wahrheit gemäß: wir haben nichts zu ver- bergen; die geheimen Fonds beziffern sich bei uns nicht, wie im constitu-
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ſeiner erſten Rede eine ſtark einſchränkende Auslegung zu geben. Aber die Schleußen waren geöffnet. Heftige Ausfälle gegen den Deutſchen Bund, leidenſchaftliche Klagen über die Zerriſſenheit des Vaterlandes ließen ſich nicht mehr verbieten. Eine Petition um Wahrung des deutſchen Rechts in Schleswigholſtein wurde ſogar förmlich an eine Commiſſion verwieſen. Deren Bericht kam erſt ſpät zu Stande, erſt in dem Augenblicke, da der Landtag geſchloſſen werden ſollte. Da erhob ſich plötzlich Graf Schwerin und verlas eigenmächtig vor dem geſammten Landtage den Com- miſſionsbericht, der ſich ſehr warm für die Rechte Nordalbingiens aus- ſprach. Die Verſammlung ſtimmte mit brauſendem Zurufe bei, und obwohl der Landtagsmarſchall das ungeſetzliche Verfahren nachträglich rügte, ſo vermochte er doch an der geſchehenen Kundgebung nichts mehr zu ändern.
Niemand konnte es hindern, alle die lange verhaltenen Wünſche der ungeduldigen Zeit wurden im Landtage laut. Die Stände verlangten Oeffentlichkeit der Berathungen der Stadtverordneten, und die Krone konnte nicht umhin, durch eine Cabinetsordre vom 23. Juli 1847 der Forderung zu entſprechen. Sie beſchloſſen einſtimmig, auf Auerswald’s Antrag, eine Bitte um Preßfreiheit; eine Debatte hielten ſie für über- flüſſig, denn über die Unmöglichkeit der Cenſur waren ſchon alle Par- teien einig. Thadden-Trieglaff veröffentlichte bei dieſer Gelegenheit eine ungehaltene Rede, die in dem Satze gipfelte: „die Preßfreiheit, aber der Galgen daneben!“ Die Rede enthielt in paradoxer Form manche geſunde Gedanken und fand den Beifall des Prinzen von Preußen. Der frei- müthige Sonderling ſah die Zeit kommen, da die Menſchen nicht mehr an Gott, wohl aber an ihre Zeitung glauben würden; er erkannte die allen demokratiſchen Epochen gemeinſame Gefahr der moraliſchen Feigheit, die ſich in der Scheu vor jeder perſönlichen Verantwortlichkeit, in dem Verlangen nach geheimen Wahlen und Anonymität der Preſſe bekundet. Darum forderte er Aufhebung der Cenſur, ſtrenge Beſtrafung der Preß- vergehen, Unterzeichnung aller Artikel. Aber die Anonymität der Zei- tungen war längſt mit allen modernen Lebensgewohnheiten verwachſen; die Rede wurde nur verhöhnt und erlangte ſchon wegen ihres heraus- fordernden Hauptſatzes ganz unverdientermaßen einen ſprichwörtlichen Ruf als Probſtück reactionärer Narrheit. Auf dieſe Forderung der Preßfrei- heit wußten die Vertreter der Krone nichts zu antworten, als daß der Bundestag zunächſt ſein Preßgeſetz ändern würde.
Sichtlich in Verlegenheit geriethen ſie auch, als Hanſemann mit komi- ſchem Pathos von der Rednerbühne herab dem Landtage erſt das dünne Heft der preußiſchen Staatshaushalts-Ueberſicht, dann die dicken Bände des belgiſchen, des franzöſiſchen, des däniſchen Budgets vorzeigte. Wohl erwiderte Bodelſchwingh der Wahrheit gemäß: wir haben nichts zu ver- bergen; die geheimen Fonds beziffern ſich bei uns nicht, wie im conſtitu-
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ſeiner erſten Rede eine ſtark einſchränkende Auslegung zu geben. Aber
die Schleußen waren geöffnet. Heftige Ausfälle gegen den Deutſchen
Bund, leidenſchaftliche Klagen über die Zerriſſenheit des Vaterlandes ließen
ſich nicht mehr verbieten. Eine Petition um Wahrung des deutſchen
Rechts in Schleswigholſtein wurde ſogar förmlich an eine Commiſſion
verwieſen. Deren Bericht kam erſt ſpät zu Stande, erſt in dem Augenblicke,
da der Landtag geſchloſſen werden ſollte. Da erhob ſich plötzlich Graf
Schwerin und verlas eigenmächtig vor dem geſammten Landtage den Com-
miſſionsbericht, der ſich ſehr warm für die Rechte Nordalbingiens aus-
ſprach. Die Verſammlung ſtimmte mit brauſendem Zurufe bei, und
obwohl der Landtagsmarſchall das ungeſetzliche Verfahren nachträglich
rügte, ſo vermochte er doch an der geſchehenen Kundgebung nichts mehr zu
ändern.
Niemand konnte es hindern, alle die lange verhaltenen Wünſche der
ungeduldigen Zeit wurden im Landtage laut. Die Stände verlangten
Oeffentlichkeit der Berathungen der Stadtverordneten, und die Krone
konnte nicht umhin, durch eine Cabinetsordre vom 23. Juli 1847 der
Forderung zu entſprechen. Sie beſchloſſen einſtimmig, auf Auerswald’s
Antrag, eine Bitte um Preßfreiheit; eine Debatte hielten ſie für über-
flüſſig, denn über die Unmöglichkeit der Cenſur waren ſchon alle Par-
teien einig. Thadden-Trieglaff veröffentlichte bei dieſer Gelegenheit eine
ungehaltene Rede, die in dem Satze gipfelte: „die Preßfreiheit, aber der
Galgen daneben!“ Die Rede enthielt in paradoxer Form manche geſunde
Gedanken und fand den Beifall des Prinzen von Preußen. Der frei-
müthige Sonderling ſah die Zeit kommen, da die Menſchen nicht mehr
an Gott, wohl aber an ihre Zeitung glauben würden; er erkannte die
allen demokratiſchen Epochen gemeinſame Gefahr der moraliſchen Feigheit,
die ſich in der Scheu vor jeder perſönlichen Verantwortlichkeit, in dem
Verlangen nach geheimen Wahlen und Anonymität der Preſſe bekundet.
Darum forderte er Aufhebung der Cenſur, ſtrenge Beſtrafung der Preß-
vergehen, Unterzeichnung aller Artikel. Aber die Anonymität der Zei-
tungen war längſt mit allen modernen Lebensgewohnheiten verwachſen;
die Rede wurde nur verhöhnt und erlangte ſchon wegen ihres heraus-
fordernden Hauptſatzes ganz unverdientermaßen einen ſprichwörtlichen Ruf
als Probſtück reactionärer Narrheit. Auf dieſe Forderung der Preßfrei-
heit wußten die Vertreter der Krone nichts zu antworten, als daß der
Bundestag zunächſt ſein Preßgeſetz ändern würde.
Sichtlich in Verlegenheit geriethen ſie auch, als Hanſemann mit komi-
ſchem Pathos von der Rednerbühne herab dem Landtage erſt das dünne
Heft der preußiſchen Staatshaushalts-Ueberſicht, dann die dicken Bände
des belgiſchen, des franzöſiſchen, des däniſchen Budgets vorzeigte. Wohl
erwiderte Bodelſchwingh der Wahrheit gemäß: wir haben nichts zu ver-
bergen; die geheimen Fonds beziffern ſich bei uns nicht, wie im conſtitu-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/652>, abgerufen am 22.11.2024.
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