Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Schlußverhandlungen über das Patent. tionellen Frankreich auf Millionen, sondern auf 17,000 Thlr. Aber dieseim Ganzen so sparsame, so peinlich rechtschaffene Finanzverwaltung hatte doch auf Befehl des alten Königs 473,000 Thlr. an Don Carlos gezahlt, und was hinderte, daß Aehnliches oder Schlimmeres wieder geschah? Eine gründliche und genaue Prüfung des Staatshaushalts ließ sich den Ständen gar nicht mehr vorenthalten; das war ihr gutes Recht, wenn sie Steuern und Anleihen bewilligen sollten. Während also Wünsche, Beschwerden, Anträge jeder Art auf den Landtag einstürmten, verstand die Opposition doch sehr klug, Alles zu vermeiden, was sie selber zerspalten konnte. Ueber die Dissidenten wurde sehr heftig geredet, jedoch über das Verhältniß des Staates zur römischen Kirche sprach Niemand, weil die Liberalen aus dem Osten ihre rheinischen Genossen nicht reizen wollten. Das Elend der schlesischen Weber kam zur Sprache, der Prinz von Preußen, Fürst Lichnowsky und andere Mitglieder der Herrencurie verwendeten sich lebhaft für die Erhöhung der Garnzölle; aber eine grundsätzliche Erörterung der Zollpolitik wurde behutsam vermieden, weil die schlesischen und die rhei- nischen Liberalen zum Theil Schutzzöllner waren, ihre Freunde aus den Küstenlanden allesammt Freihändler. Während der letzten Wochen der Tagung bewegten sich die Verhand- Schlußverhandlungen über das Patent. tionellen Frankreich auf Millionen, ſondern auf 17,000 Thlr. Aber dieſeim Ganzen ſo ſparſame, ſo peinlich rechtſchaffene Finanzverwaltung hatte doch auf Befehl des alten Königs 473,000 Thlr. an Don Carlos gezahlt, und was hinderte, daß Aehnliches oder Schlimmeres wieder geſchah? Eine gründliche und genaue Prüfung des Staatshaushalts ließ ſich den Ständen gar nicht mehr vorenthalten; das war ihr gutes Recht, wenn ſie Steuern und Anleihen bewilligen ſollten. Während alſo Wünſche, Beſchwerden, Anträge jeder Art auf den Landtag einſtürmten, verſtand die Oppoſition doch ſehr klug, Alles zu vermeiden, was ſie ſelber zerſpalten konnte. Ueber die Diſſidenten wurde ſehr heftig geredet, jedoch über das Verhältniß des Staates zur römiſchen Kirche ſprach Niemand, weil die Liberalen aus dem Oſten ihre rheiniſchen Genoſſen nicht reizen wollten. Das Elend der ſchleſiſchen Weber kam zur Sprache, der Prinz von Preußen, Fürſt Lichnowsky und andere Mitglieder der Herrencurie verwendeten ſich lebhaft für die Erhöhung der Garnzölle; aber eine grundſätzliche Erörterung der Zollpolitik wurde behutſam vermieden, weil die ſchleſiſchen und die rhei- niſchen Liberalen zum Theil Schutzzöllner waren, ihre Freunde aus den Küſtenlanden alleſammt Freihändler. Während der letzten Wochen der Tagung bewegten ſich die Verhand- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0653" n="639"/><fw place="top" type="header">Schlußverhandlungen über das Patent.</fw><lb/> tionellen Frankreich auf Millionen, ſondern auf 17,000 Thlr. Aber dieſe<lb/> im Ganzen ſo ſparſame, ſo peinlich rechtſchaffene Finanzverwaltung hatte<lb/> doch auf Befehl des alten Königs 473,000 Thlr. an Don Carlos gezahlt,<lb/> und was hinderte, daß Aehnliches oder Schlimmeres wieder geſchah? Eine<lb/> gründliche und genaue Prüfung des Staatshaushalts ließ ſich den Ständen<lb/> gar nicht mehr vorenthalten; das war ihr gutes Recht, wenn ſie Steuern<lb/> und Anleihen bewilligen ſollten. Während alſo Wünſche, Beſchwerden,<lb/> Anträge jeder Art auf den Landtag einſtürmten, verſtand die Oppoſition<lb/> doch ſehr klug, Alles zu vermeiden, was ſie ſelber zerſpalten konnte. 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Möge die unparteiiſche Geſchichte ſagen: der erſte Land-<lb/> tag der Krone Preußen, insbeſondere die Mitglieder der Curie der Ritter-<lb/> ſchaft, der Städte und der Landgemeinden, ſie wurden als treue und<lb/> fleißige Ackerer erfunden auf dem Boden des Rechts, ſie ſind von dieſem<lb/> Boden nicht um einen Fuß breit abgewichen; nicht um eines Nagels Dicke<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [639/0653]
Schlußverhandlungen über das Patent.
tionellen Frankreich auf Millionen, ſondern auf 17,000 Thlr. Aber dieſe
im Ganzen ſo ſparſame, ſo peinlich rechtſchaffene Finanzverwaltung hatte
doch auf Befehl des alten Königs 473,000 Thlr. an Don Carlos gezahlt,
und was hinderte, daß Aehnliches oder Schlimmeres wieder geſchah? Eine
gründliche und genaue Prüfung des Staatshaushalts ließ ſich den Ständen
gar nicht mehr vorenthalten; das war ihr gutes Recht, wenn ſie Steuern
und Anleihen bewilligen ſollten. Während alſo Wünſche, Beſchwerden,
Anträge jeder Art auf den Landtag einſtürmten, verſtand die Oppoſition
doch ſehr klug, Alles zu vermeiden, was ſie ſelber zerſpalten konnte. Ueber
die Diſſidenten wurde ſehr heftig geredet, jedoch über das Verhältniß des
Staates zur römiſchen Kirche ſprach Niemand, weil die Liberalen aus
dem Oſten ihre rheiniſchen Genoſſen nicht reizen wollten. Das Elend
der ſchleſiſchen Weber kam zur Sprache, der Prinz von Preußen, Fürſt
Lichnowsky und andere Mitglieder der Herrencurie verwendeten ſich lebhaft
für die Erhöhung der Garnzölle; aber eine grundſätzliche Erörterung der
Zollpolitik wurde behutſam vermieden, weil die ſchleſiſchen und die rhei-
niſchen Liberalen zum Theil Schutzzöllner waren, ihre Freunde aus den
Küſtenlanden alleſammt Freihändler.
Während der letzten Wochen der Tagung bewegten ſich die Verhand-
lungen weſentlich um die längſt vorbereiteten Anträge auf Abänderung
der Geſetze vom 3. Februar. In dieſer Erweiterung der ſtändiſchen Rechte
ſahen viele Liberale die eigentliche Aufgabe des Landtags; die Unterzeichner
der verunglückten Erklärung der Rechte ſuchten jetzt ihr Ziel auf einem
anderen Wege zu erreichen. Die Stellung der Regierung war wieder ſehr
ſchwierig, ihr fehlte der ſichere Rechtsboden. Savigny ſelbſt mußte die Er-
fahrung machen, daß der große akademiſche Redner parlamentariſcher Er-
folge nicht ſicher iſt; er überzeugte Niemand, als er zu beweiſen ſuchte,
die früheren Geſetze verpflichteten den König nicht zur regelmäßigen Be-
rufung der Reichsſtände. Als die Miniſter dann gar behaupteten, die
Krone hätte keine Garantie für die preußiſche Bank übernommen, da ver-
wickelten ſie ſich in beſchämende Widerſprüche; auf der Banknote, die ein
Abgeordneter entrüſtet vorwies, ſtand doch deutlich zu leſen, daß ſie von
allen Behörden ſtatt baaren Geldes angenommen werden mußte, und der
König ſelbſt ſah ſich genöthigt, dies zur Beruhigung ſeiner getreuen Stände
nochmals zu beſtätigen. Jedoch auch die Oppoſition bewegte ſich im Kreiſe,
wenn ſie immer wieder die unklaren Verheißungen der Hardenbergiſchen
Geſetze für unzweifelhaftes Recht erklärte. „So hoch der Himmel über
der Erde“ — ſagte Vincke — „ſo hoch ſteht das Recht über den Nütz-
lichkeitsgründen. Möge die unparteiiſche Geſchichte ſagen: der erſte Land-
tag der Krone Preußen, insbeſondere die Mitglieder der Curie der Ritter-
ſchaft, der Städte und der Landgemeinden, ſie wurden als treue und
fleißige Ackerer erfunden auf dem Boden des Rechts, ſie ſind von dieſem
Boden nicht um einen Fuß breit abgewichen; nicht um eines Nagels Dicke
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