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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
erlegt, der seine Krone der Revolution, dem Willen des britischen Volkes
verdankte, während die Preußen einem legitimen, absoluten Könige gegen-
überstanden, der sich soeben erst freiwillig großer Machtbefugnisse entäußert
hatte. Die Briten vertheidigten uralte, oft ausgeübte, durch Bürgerkrieg
und schweren parlamentarischen Kampf immer wieder errungene Rechte;
Vincke vermochte sich nur auf die dürftigen, unzusammenhängenden, noch
niemals ausgeführten Verheißungen der leichtfertigen Hardenbergischen Ge-
setzgebung zu berufen. Darum war die englische Erklärung der Rechte eine
weltgeschichtliche That, der Versuch sie in Preußen nachzubilden fiel platt
zur Erde. Wer unparteiisch draußen stand, konnte sich für diesen zweifel-
haften Rechtsboden nicht leicht begeistern. Sogar Stüve, der zähe Ver-
theidiger des strengen Rechts, fand in den Reden und Schriften der un-
bedingten preußischen Opposition viel "Wortklauberei und Advocaten-
Hocuspocus", er spottete über "die eminenten Rechte, die man zu besitzen
sich einbilde".*) Im Landtage verweigerten selbst Beckerath und Schwerin
ihre Unterschrift zu dem seltsamen Aktenstücke, das in langer Reihe ab-
gerissene Stellen der älteren Gesetze aufzählte. Nur 138 Abgeordnete
unterzeichneten, fast drei Viertel davon waren Rheinländer oder Ostpreußen.
Der Einmuth also, der solchen Gewissensverwahrungen doch allein Nach-
druck giebt, fehlte gänzlich; und als die Herrencurie sich weigerte in die
Berathung einzutreten, da mußte die Erklärung der Rechte stillschweigend
zurückgezogen werden. Vincke hatte zum ersten male bewiesen, wie wenig
er eine Partei zu leiten verstand.

Sobald der Landtag nunmehr in die Geschäfte eintrat, fühlte er sich
auf jedem Schritt durch juristische Bedenken gehemmt, da er nicht wußte,
ob er sich selbst als die verheißene Landesrepräsentation ansehen sollte,
und der offene Kampf brach aus, als die Regierung den Ständen zwei-
mal die Uebernahme finanzieller Verpflichtungen zumuthete. Sie ver-
langte zunächst die ständische Garantie für die neuen Landrentenbanken,
welche die Ablösung der grundherrlichen Lasten erleichtern sollten. Sach-
liche Bedenken gegen dies verständige Gesetz hegte nur ein kleiner Kreis
conservativer Grundbesitzer, der die Berechtigten durch die Ablösung zu
schädigen fürchtete; den Finanzen drohte auch keine Gefahr, da die Land-
rentenbriefe ja der Sicherheit erster Hypotheken genossen. Unlösbar aber
schien wieder die Rechtsfrage. Vincke eiferte: wie dürfen wir das Land
mit neuen Verpflichtungen belasten, so lange der Vereinigte Landtag nicht
regelmäßig die Lage des Staatshaushalts prüft, und die Regierung ohne
unser Wissen Schulden aufnehmen kann? Zum Unglück wagte Bodel-
schwingh, der fast allein, kaum unterstützt von den schweigsamen anderen
Ministern, mit bewunderungswürdiger Geduld die Sache der Krone ver-
trat, jetzt die unhaltbare Behauptung aufzustellen: eine Bürgschaft dürfe

*) Nach der früher erwähnten handschriftlichen Biographie Stüve's.

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
erlegt, der ſeine Krone der Revolution, dem Willen des britiſchen Volkes
verdankte, während die Preußen einem legitimen, abſoluten Könige gegen-
überſtanden, der ſich ſoeben erſt freiwillig großer Machtbefugniſſe entäußert
hatte. Die Briten vertheidigten uralte, oft ausgeübte, durch Bürgerkrieg
und ſchweren parlamentariſchen Kampf immer wieder errungene Rechte;
Vincke vermochte ſich nur auf die dürftigen, unzuſammenhängenden, noch
niemals ausgeführten Verheißungen der leichtfertigen Hardenbergiſchen Ge-
ſetzgebung zu berufen. Darum war die engliſche Erklärung der Rechte eine
weltgeſchichtliche That, der Verſuch ſie in Preußen nachzubilden fiel platt
zur Erde. Wer unparteiiſch draußen ſtand, konnte ſich für dieſen zweifel-
haften Rechtsboden nicht leicht begeiſtern. Sogar Stüve, der zähe Ver-
theidiger des ſtrengen Rechts, fand in den Reden und Schriften der un-
bedingten preußiſchen Oppoſition viel „Wortklauberei und Advocaten-
Hocuspocus“, er ſpottete über „die eminenten Rechte, die man zu beſitzen
ſich einbilde“.*) Im Landtage verweigerten ſelbſt Beckerath und Schwerin
ihre Unterſchrift zu dem ſeltſamen Aktenſtücke, das in langer Reihe ab-
geriſſene Stellen der älteren Geſetze aufzählte. Nur 138 Abgeordnete
unterzeichneten, faſt drei Viertel davon waren Rheinländer oder Oſtpreußen.
Der Einmuth alſo, der ſolchen Gewiſſensverwahrungen doch allein Nach-
druck giebt, fehlte gänzlich; und als die Herrencurie ſich weigerte in die
Berathung einzutreten, da mußte die Erklärung der Rechte ſtillſchweigend
zurückgezogen werden. Vincke hatte zum erſten male bewieſen, wie wenig
er eine Partei zu leiten verſtand.

Sobald der Landtag nunmehr in die Geſchäfte eintrat, fühlte er ſich
auf jedem Schritt durch juriſtiſche Bedenken gehemmt, da er nicht wußte,
ob er ſich ſelbſt als die verheißene Landesrepräſentation anſehen ſollte,
und der offene Kampf brach aus, als die Regierung den Ständen zwei-
mal die Uebernahme finanzieller Verpflichtungen zumuthete. Sie ver-
langte zunächſt die ſtändiſche Garantie für die neuen Landrentenbanken,
welche die Ablöſung der grundherrlichen Laſten erleichtern ſollten. Sach-
liche Bedenken gegen dies verſtändige Geſetz hegte nur ein kleiner Kreis
conſervativer Grundbeſitzer, der die Berechtigten durch die Ablöſung zu
ſchädigen fürchtete; den Finanzen drohte auch keine Gefahr, da die Land-
rentenbriefe ja der Sicherheit erſter Hypotheken genoſſen. Unlösbar aber
ſchien wieder die Rechtsfrage. Vincke eiferte: wie dürfen wir das Land
mit neuen Verpflichtungen belaſten, ſo lange der Vereinigte Landtag nicht
regelmäßig die Lage des Staatshaushalts prüft, und die Regierung ohne
unſer Wiſſen Schulden aufnehmen kann? Zum Unglück wagte Bodel-
ſchwingh, der faſt allein, kaum unterſtützt von den ſchweigſamen anderen
Miniſtern, mit bewunderungswürdiger Geduld die Sache der Krone ver-
trat, jetzt die unhaltbare Behauptung aufzuſtellen: eine Bürgſchaft dürfe

*) Nach der früher erwähnten handſchriftlichen Biographie Stüve’s.
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[624/0638] V. 8. Der Vereinigte Landtag. erlegt, der ſeine Krone der Revolution, dem Willen des britiſchen Volkes verdankte, während die Preußen einem legitimen, abſoluten Könige gegen- überſtanden, der ſich ſoeben erſt freiwillig großer Machtbefugniſſe entäußert hatte. Die Briten vertheidigten uralte, oft ausgeübte, durch Bürgerkrieg und ſchweren parlamentariſchen Kampf immer wieder errungene Rechte; Vincke vermochte ſich nur auf die dürftigen, unzuſammenhängenden, noch niemals ausgeführten Verheißungen der leichtfertigen Hardenbergiſchen Ge- ſetzgebung zu berufen. Darum war die engliſche Erklärung der Rechte eine weltgeſchichtliche That, der Verſuch ſie in Preußen nachzubilden fiel platt zur Erde. Wer unparteiiſch draußen ſtand, konnte ſich für dieſen zweifel- haften Rechtsboden nicht leicht begeiſtern. Sogar Stüve, der zähe Ver- theidiger des ſtrengen Rechts, fand in den Reden und Schriften der un- bedingten preußiſchen Oppoſition viel „Wortklauberei und Advocaten- Hocuspocus“, er ſpottete über „die eminenten Rechte, die man zu beſitzen ſich einbilde“. *) Im Landtage verweigerten ſelbſt Beckerath und Schwerin ihre Unterſchrift zu dem ſeltſamen Aktenſtücke, das in langer Reihe ab- geriſſene Stellen der älteren Geſetze aufzählte. Nur 138 Abgeordnete unterzeichneten, faſt drei Viertel davon waren Rheinländer oder Oſtpreußen. Der Einmuth alſo, der ſolchen Gewiſſensverwahrungen doch allein Nach- druck giebt, fehlte gänzlich; und als die Herrencurie ſich weigerte in die Berathung einzutreten, da mußte die Erklärung der Rechte ſtillſchweigend zurückgezogen werden. Vincke hatte zum erſten male bewieſen, wie wenig er eine Partei zu leiten verſtand. Sobald der Landtag nunmehr in die Geſchäfte eintrat, fühlte er ſich auf jedem Schritt durch juriſtiſche Bedenken gehemmt, da er nicht wußte, ob er ſich ſelbſt als die verheißene Landesrepräſentation anſehen ſollte, und der offene Kampf brach aus, als die Regierung den Ständen zwei- mal die Uebernahme finanzieller Verpflichtungen zumuthete. Sie ver- langte zunächſt die ſtändiſche Garantie für die neuen Landrentenbanken, welche die Ablöſung der grundherrlichen Laſten erleichtern ſollten. Sach- liche Bedenken gegen dies verſtändige Geſetz hegte nur ein kleiner Kreis conſervativer Grundbeſitzer, der die Berechtigten durch die Ablöſung zu ſchädigen fürchtete; den Finanzen drohte auch keine Gefahr, da die Land- rentenbriefe ja der Sicherheit erſter Hypotheken genoſſen. Unlösbar aber ſchien wieder die Rechtsfrage. Vincke eiferte: wie dürfen wir das Land mit neuen Verpflichtungen belaſten, ſo lange der Vereinigte Landtag nicht regelmäßig die Lage des Staatshaushalts prüft, und die Regierung ohne unſer Wiſſen Schulden aufnehmen kann? Zum Unglück wagte Bodel- ſchwingh, der faſt allein, kaum unterſtützt von den ſchweigſamen anderen Miniſtern, mit bewunderungswürdiger Geduld die Sache der Krone ver- trat, jetzt die unhaltbare Behauptung aufzuſtellen: eine Bürgſchaft dürfe *) Nach der früher erwähnten handſchriftlichen Biographie Stüve’s.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/638>, abgerufen am 27.11.2024.