Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Landrentenbanken. Ostbahn.
man doch nicht wie eine Schuld ansehen. Dasselbe hatte er schon vor
vier Jahren den Vereinigten Ausschüssen gesagt, damals noch ohne leb-
haften Widerspruch.*) Seitdem aber waren die staatsrechtlichen Fragen
mannichfach erwogen und durchdacht worden; man erkannte allgemein, das
Anleihebewilligungsrecht der Stände verliere jeden Werth, wenn es nicht
ganz unzweideutig anerkannt würde. Der Minister sah sich also heftig
angegriffen, manche der Abgeordneten geriethen in eine Aufregung, als ob
die Krone sie böslich betrügen wollte, und der Gesetzentwurf ward ver-
worfen.

Aehnliche Kämpfe, aber ungleich heftiger und bedeutsamer, erneuerten
sich, als die Regierung den soeben erst vollendeten Gesetzentwurf über die
Ostbahn nach Königsberg vorlegte. Da das Privatcapital sich versagt
hatte, so wollte die Krone selbst den gewaltigen Bau in die Hand nehmen**)
und verlangte darum die ständische Bürgschaft für eine Anleihe von
22--251/2 Mill. Thlr. Die Nothwendigkeit des großen Unternehmens
konnte Niemand bezweifeln. Es war für die Volkswirthschaft des be-
drängten alten Ordenslandes, für die politische Einigung und die mili-
tärische Sicherheit der Monarchie geradezu eine Lebensfrage, daß der wilde
Weichselstrom, der bisher nur bei Thorn eine elende, dem Verfalle nahe
Pfahlbrücke trug, endlich bezwungen wurde und Ostpreußen zu jeder Jahres-
zeit eine gesicherte Verbindung mit der Hauptmasse des Staates erhielt.
Die Vorarbeiten waren längst im Gange; ein genialer Ingenieur, Bau-
rath Lentze hatte schon seit Jahren die Pläne entworfen für die Ueber-
brückung der Weichsel und der Nogat bei Dirschau und Marienburg.
Brücken von so riesiger Spannweite kannte man in Europa, selbst in
England noch nicht; die Bahn mußte auf weiter Strecke durch die Werder
acht Fuß unter dem Wasserspiegel der beiden Ströme geführt werden, und
schon waren an 8000 Arbeiter thätig um die ungeheueren Deichbauten
auszuführen. Und dies großartige, dem preußischen Staate zu hohem
Ruhme gereichende Werk konnte vollendet werden ohne die Steuerzahler
irgend zu belasten; die 2 Mill. Thlr., die bereits als jährlicher Staats-
zuschuß für den Eisenbahnbau angewiesen waren, genügten allein schon,
um die Anleihe zu verzinsen und zu tilgen. Trotzdem schien die Bewilli-
gung, wegen der leidigen Verfassungsfrage, den Ständen ganz unmöglich.

Die große Mehrheit der Ostpreußen setzte ihren Stolz darein, dem
Lande zu beweisen, daß sie nicht um ihres Vortheils willen die ständischen
Rechte preisgeben wollten. Einer ihrer angesehensten Edelleute, Saucken-
Tarputschen, ein alter Kämpfer aus den Befreiungskriegen, dessen unver-
brüchliche Treue der König selbst wohl kannte, erklärte feierlich: "Wenn
ich auch alle Hütten meines Landes durch die Bewilligung des Anlehens

*) S. o. V. 185.
**) S. o. V. 497.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 40

Landrentenbanken. Oſtbahn.
man doch nicht wie eine Schuld anſehen. Daſſelbe hatte er ſchon vor
vier Jahren den Vereinigten Ausſchüſſen geſagt, damals noch ohne leb-
haften Widerſpruch.*) Seitdem aber waren die ſtaatsrechtlichen Fragen
mannichfach erwogen und durchdacht worden; man erkannte allgemein, das
Anleihebewilligungsrecht der Stände verliere jeden Werth, wenn es nicht
ganz unzweideutig anerkannt würde. Der Miniſter ſah ſich alſo heftig
angegriffen, manche der Abgeordneten geriethen in eine Aufregung, als ob
die Krone ſie böslich betrügen wollte, und der Geſetzentwurf ward ver-
worfen.

Aehnliche Kämpfe, aber ungleich heftiger und bedeutſamer, erneuerten
ſich, als die Regierung den ſoeben erſt vollendeten Geſetzentwurf über die
Oſtbahn nach Königsberg vorlegte. Da das Privatcapital ſich verſagt
hatte, ſo wollte die Krone ſelbſt den gewaltigen Bau in die Hand nehmen**)
und verlangte darum die ſtändiſche Bürgſchaft für eine Anleihe von
22—25½ Mill. Thlr. Die Nothwendigkeit des großen Unternehmens
konnte Niemand bezweifeln. Es war für die Volkswirthſchaft des be-
drängten alten Ordenslandes, für die politiſche Einigung und die mili-
täriſche Sicherheit der Monarchie geradezu eine Lebensfrage, daß der wilde
Weichſelſtrom, der bisher nur bei Thorn eine elende, dem Verfalle nahe
Pfahlbrücke trug, endlich bezwungen wurde und Oſtpreußen zu jeder Jahres-
zeit eine geſicherte Verbindung mit der Hauptmaſſe des Staates erhielt.
Die Vorarbeiten waren längſt im Gange; ein genialer Ingenieur, Bau-
rath Lentze hatte ſchon ſeit Jahren die Pläne entworfen für die Ueber-
brückung der Weichſel und der Nogat bei Dirſchau und Marienburg.
Brücken von ſo rieſiger Spannweite kannte man in Europa, ſelbſt in
England noch nicht; die Bahn mußte auf weiter Strecke durch die Werder
acht Fuß unter dem Waſſerſpiegel der beiden Ströme geführt werden, und
ſchon waren an 8000 Arbeiter thätig um die ungeheueren Deichbauten
auszuführen. Und dies großartige, dem preußiſchen Staate zu hohem
Ruhme gereichende Werk konnte vollendet werden ohne die Steuerzahler
irgend zu belaſten; die 2 Mill. Thlr., die bereits als jährlicher Staats-
zuſchuß für den Eiſenbahnbau angewieſen waren, genügten allein ſchon,
um die Anleihe zu verzinſen und zu tilgen. Trotzdem ſchien die Bewilli-
gung, wegen der leidigen Verfaſſungsfrage, den Ständen ganz unmöglich.

Die große Mehrheit der Oſtpreußen ſetzte ihren Stolz darein, dem
Lande zu beweiſen, daß ſie nicht um ihres Vortheils willen die ſtändiſchen
Rechte preisgeben wollten. Einer ihrer angeſehenſten Edelleute, Saucken-
Tarputſchen, ein alter Kämpfer aus den Befreiungskriegen, deſſen unver-
brüchliche Treue der König ſelbſt wohl kannte, erklärte feierlich: „Wenn
ich auch alle Hütten meines Landes durch die Bewilligung des Anlehens

*) S. o. V. 185.
**) S. o. V. 497.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 40
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0639" n="625"/><fw place="top" type="header">Landrentenbanken. O&#x017F;tbahn.</fw><lb/>
man doch nicht wie eine Schuld an&#x017F;ehen. Da&#x017F;&#x017F;elbe hatte er &#x017F;chon vor<lb/>
vier Jahren den Vereinigten Aus&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;agt, damals noch ohne leb-<lb/>
haften Wider&#x017F;pruch.<note place="foot" n="*)">S. o. <hi rendition="#aq">V.</hi> 185.</note> Seitdem aber waren die &#x017F;taatsrechtlichen Fragen<lb/>
mannichfach erwogen und durchdacht worden; man erkannte allgemein, das<lb/>
Anleihebewilligungsrecht der Stände verliere jeden Werth, wenn es nicht<lb/>
ganz unzweideutig anerkannt würde. Der Mini&#x017F;ter &#x017F;ah &#x017F;ich al&#x017F;o heftig<lb/>
angegriffen, manche der Abgeordneten geriethen in eine Aufregung, als ob<lb/>
die Krone &#x017F;ie böslich betrügen wollte, und der Ge&#x017F;etzentwurf ward ver-<lb/>
worfen.</p><lb/>
          <p>Aehnliche Kämpfe, aber ungleich heftiger und bedeut&#x017F;amer, erneuerten<lb/>
&#x017F;ich, als die Regierung den &#x017F;oeben er&#x017F;t vollendeten Ge&#x017F;etzentwurf über die<lb/>
O&#x017F;tbahn nach Königsberg vorlegte. Da das Privatcapital &#x017F;ich ver&#x017F;agt<lb/>
hatte, &#x017F;o wollte die Krone &#x017F;elb&#x017F;t den gewaltigen Bau in die Hand nehmen<note place="foot" n="**)">S. o. <hi rendition="#aq">V.</hi> 497.</note><lb/>
und verlangte darum die &#x017F;tändi&#x017F;che Bürg&#x017F;chaft für eine Anleihe von<lb/>
22&#x2014;25½ Mill. Thlr. Die Nothwendigkeit des großen Unternehmens<lb/>
konnte Niemand bezweifeln. Es war für die Volkswirth&#x017F;chaft des be-<lb/>
drängten alten Ordenslandes, für die politi&#x017F;che Einigung und die mili-<lb/>
täri&#x017F;che Sicherheit der Monarchie geradezu eine Lebensfrage, daß der wilde<lb/>
Weich&#x017F;el&#x017F;trom, der bisher nur bei Thorn eine elende, dem Verfalle nahe<lb/>
Pfahlbrücke trug, endlich bezwungen wurde und O&#x017F;tpreußen zu jeder Jahres-<lb/>
zeit eine ge&#x017F;icherte Verbindung mit der Hauptma&#x017F;&#x017F;e des Staates erhielt.<lb/>
Die Vorarbeiten waren läng&#x017F;t im Gange; ein genialer Ingenieur, Bau-<lb/>
rath Lentze hatte &#x017F;chon &#x017F;eit Jahren die Pläne entworfen für die Ueber-<lb/>
brückung der Weich&#x017F;el und der Nogat bei Dir&#x017F;chau und Marienburg.<lb/>
Brücken von &#x017F;o rie&#x017F;iger Spannweite kannte man in Europa, &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
England noch nicht; die Bahn mußte auf weiter Strecke durch die Werder<lb/>
acht Fuß unter dem Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;piegel der beiden Ströme geführt werden, und<lb/>
&#x017F;chon waren an 8000 Arbeiter thätig um die ungeheueren Deichbauten<lb/>
auszuführen. Und dies großartige, dem preußi&#x017F;chen Staate zu hohem<lb/>
Ruhme gereichende Werk konnte vollendet werden ohne die Steuerzahler<lb/>
irgend zu bela&#x017F;ten; die 2 Mill. Thlr., die bereits als jährlicher Staats-<lb/>
zu&#x017F;chuß für den Ei&#x017F;enbahnbau angewie&#x017F;en waren, genügten allein &#x017F;chon,<lb/>
um die Anleihe zu verzin&#x017F;en und zu tilgen. Trotzdem &#x017F;chien die Bewilli-<lb/>
gung, wegen der leidigen Verfa&#x017F;&#x017F;ungsfrage, den Ständen ganz unmöglich.</p><lb/>
          <p>Die große Mehrheit der O&#x017F;tpreußen &#x017F;etzte ihren Stolz darein, dem<lb/>
Lande zu bewei&#x017F;en, daß &#x017F;ie nicht um ihres Vortheils willen die &#x017F;tändi&#x017F;chen<lb/>
Rechte preisgeben wollten. Einer ihrer ange&#x017F;ehen&#x017F;ten Edelleute, Saucken-<lb/>
Tarput&#x017F;chen, ein alter Kämpfer aus den Befreiungskriegen, de&#x017F;&#x017F;en unver-<lb/>
brüchliche Treue der König &#x017F;elb&#x017F;t wohl kannte, erklärte feierlich: &#x201E;Wenn<lb/>
ich auch alle Hütten meines Landes durch die Bewilligung des Anlehens<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">v. <hi rendition="#g">Treit&#x017F;chke</hi>, Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. <hi rendition="#aq">V.</hi> 40</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[625/0639] Landrentenbanken. Oſtbahn. man doch nicht wie eine Schuld anſehen. Daſſelbe hatte er ſchon vor vier Jahren den Vereinigten Ausſchüſſen geſagt, damals noch ohne leb- haften Widerſpruch. *) Seitdem aber waren die ſtaatsrechtlichen Fragen mannichfach erwogen und durchdacht worden; man erkannte allgemein, das Anleihebewilligungsrecht der Stände verliere jeden Werth, wenn es nicht ganz unzweideutig anerkannt würde. Der Miniſter ſah ſich alſo heftig angegriffen, manche der Abgeordneten geriethen in eine Aufregung, als ob die Krone ſie böslich betrügen wollte, und der Geſetzentwurf ward ver- worfen. Aehnliche Kämpfe, aber ungleich heftiger und bedeutſamer, erneuerten ſich, als die Regierung den ſoeben erſt vollendeten Geſetzentwurf über die Oſtbahn nach Königsberg vorlegte. Da das Privatcapital ſich verſagt hatte, ſo wollte die Krone ſelbſt den gewaltigen Bau in die Hand nehmen **) und verlangte darum die ſtändiſche Bürgſchaft für eine Anleihe von 22—25½ Mill. Thlr. Die Nothwendigkeit des großen Unternehmens konnte Niemand bezweifeln. Es war für die Volkswirthſchaft des be- drängten alten Ordenslandes, für die politiſche Einigung und die mili- täriſche Sicherheit der Monarchie geradezu eine Lebensfrage, daß der wilde Weichſelſtrom, der bisher nur bei Thorn eine elende, dem Verfalle nahe Pfahlbrücke trug, endlich bezwungen wurde und Oſtpreußen zu jeder Jahres- zeit eine geſicherte Verbindung mit der Hauptmaſſe des Staates erhielt. Die Vorarbeiten waren längſt im Gange; ein genialer Ingenieur, Bau- rath Lentze hatte ſchon ſeit Jahren die Pläne entworfen für die Ueber- brückung der Weichſel und der Nogat bei Dirſchau und Marienburg. Brücken von ſo rieſiger Spannweite kannte man in Europa, ſelbſt in England noch nicht; die Bahn mußte auf weiter Strecke durch die Werder acht Fuß unter dem Waſſerſpiegel der beiden Ströme geführt werden, und ſchon waren an 8000 Arbeiter thätig um die ungeheueren Deichbauten auszuführen. Und dies großartige, dem preußiſchen Staate zu hohem Ruhme gereichende Werk konnte vollendet werden ohne die Steuerzahler irgend zu belaſten; die 2 Mill. Thlr., die bereits als jährlicher Staats- zuſchuß für den Eiſenbahnbau angewieſen waren, genügten allein ſchon, um die Anleihe zu verzinſen und zu tilgen. Trotzdem ſchien die Bewilli- gung, wegen der leidigen Verfaſſungsfrage, den Ständen ganz unmöglich. Die große Mehrheit der Oſtpreußen ſetzte ihren Stolz darein, dem Lande zu beweiſen, daß ſie nicht um ihres Vortheils willen die ſtändiſchen Rechte preisgeben wollten. Einer ihrer angeſehenſten Edelleute, Saucken- Tarputſchen, ein alter Kämpfer aus den Befreiungskriegen, deſſen unver- brüchliche Treue der König ſelbſt wohl kannte, erklärte feierlich: „Wenn ich auch alle Hütten meines Landes durch die Bewilligung des Anlehens *) S. o. V. 185. **) S. o. V. 497. v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 40

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/639
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/639>, abgerufen am 23.11.2024.