Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Letzte Berathungen der Verfassungscommission. als Reichsstände auseinander gehen werden." Vor einigen Diplomatenäußerte er zwar mit gewohnter Ruhmredigkeit: ich habe den preußischen Verfassungsplan getödet. In Wahrheit fühlte er sich beklommen. Die Nachrichten von den Leipziger Unruhen, die grade während der Festlichkeiten auf Stolzenfels einliefen, bekümmerten ihn schwer; er sah darin "ein Vorpostengefecht" der Revolution, eine neue Bestätigung seiner alten Be- hauptung, "daß das Feuer brennt und das Scheidewasser ätzt," und im November schrieb er warnend an Canitz: "Bei Ihnen ist schrecklich viel auf einmal in Angriff genommen, und wo dies stattfindet besteht Gefahr. Die Dinge wachsen dem kräftigsten Menschen leicht über den Kopf. Ich weiß nun, daß man mir hierauf antworten wird: das preußische Volk ist ein anhängliches, überlegendes, nicht leicht verführbares; und dies eben ist es was ich weder für das preußische noch für kein Volk der Erde -- die Beduinenstämme etwa ausgenommen -- als vollkommen richtig an- nehme, denn nur die Wüste und das freie Leben in ihr kann keinen Er- satz finden." Ich bin, so fuhr er fort, in meinem langen Leben "nie stehen geblieben, ich bin stets mit der Zeit gegangen", aber noch niemals habe ich schwerere Gefahren erlebt, denn "heute steht die Revolution ent- körpert und durch die Zeit geglättet vor einer Generation wieder da, welche sie in der Periode der lebendigen Kämpfe nicht gekannt hat."*) Die Verfassungscommission hielt unterdessen, im Juli, dann nochmals *) Metternich an Canitz, 25. Aug., 6. Nov. 1845. **) Rochow-Stülpe, Denkschrift an den König, 13. Juli 1845. ***) Bericht der Immediatcommission an den König, 13. Oct.; Rother an Thile,
6. Nov. 1845. Letzte Berathungen der Verfaſſungscommiſſion. als Reichsſtände auseinander gehen werden.“ Vor einigen Diplomatenäußerte er zwar mit gewohnter Ruhmredigkeit: ich habe den preußiſchen Verfaſſungsplan getödet. In Wahrheit fühlte er ſich beklommen. Die Nachrichten von den Leipziger Unruhen, die grade während der Feſtlichkeiten auf Stolzenfels einliefen, bekümmerten ihn ſchwer; er ſah darin „ein Vorpoſtengefecht“ der Revolution, eine neue Beſtätigung ſeiner alten Be- hauptung, „daß das Feuer brennt und das Scheidewaſſer ätzt,“ und im November ſchrieb er warnend an Canitz: „Bei Ihnen iſt ſchrecklich viel auf einmal in Angriff genommen, und wo dies ſtattfindet beſteht Gefahr. Die Dinge wachſen dem kräftigſten Menſchen leicht über den Kopf. Ich weiß nun, daß man mir hierauf antworten wird: das preußiſche Volk iſt ein anhängliches, überlegendes, nicht leicht verführbares; und dies eben iſt es was ich weder für das preußiſche noch für kein Volk der Erde — die Beduinenſtämme etwa ausgenommen — als vollkommen richtig an- nehme, denn nur die Wüſte und das freie Leben in ihr kann keinen Er- ſatz finden.“ Ich bin, ſo fuhr er fort, in meinem langen Leben „nie ſtehen geblieben, ich bin ſtets mit der Zeit gegangen“, aber noch niemals habe ich ſchwerere Gefahren erlebt, denn „heute ſteht die Revolution ent- körpert und durch die Zeit geglättet vor einer Generation wieder da, welche ſie in der Periode der lebendigen Kämpfe nicht gekannt hat.“*) Die Verfaſſungscommiſſion hielt unterdeſſen, im Juli, dann nochmals *) Metternich an Canitz, 25. Aug., 6. Nov. 1845. **) Rochow-Stülpe, Denkſchrift an den König, 13. Juli 1845. ***) Bericht der Immediatcommiſſion an den König, 13. Oct.; Rother an Thile,
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Letzte Berathungen der Verfaſſungscommiſſion.
als Reichsſtände auseinander gehen werden.“ Vor einigen Diplomaten
äußerte er zwar mit gewohnter Ruhmredigkeit: ich habe den preußiſchen
Verfaſſungsplan getödet. In Wahrheit fühlte er ſich beklommen. Die
Nachrichten von den Leipziger Unruhen, die grade während der Feſtlichkeiten
auf Stolzenfels einliefen, bekümmerten ihn ſchwer; er ſah darin „ein
Vorpoſtengefecht“ der Revolution, eine neue Beſtätigung ſeiner alten Be-
hauptung, „daß das Feuer brennt und das Scheidewaſſer ätzt,“ und im
November ſchrieb er warnend an Canitz: „Bei Ihnen iſt ſchrecklich viel
auf einmal in Angriff genommen, und wo dies ſtattfindet beſteht Gefahr.
Die Dinge wachſen dem kräftigſten Menſchen leicht über den Kopf. Ich
weiß nun, daß man mir hierauf antworten wird: das preußiſche Volk
iſt ein anhängliches, überlegendes, nicht leicht verführbares; und dies eben
iſt es was ich weder für das preußiſche noch für kein Volk der Erde —
die Beduinenſtämme etwa ausgenommen — als vollkommen richtig an-
nehme, denn nur die Wüſte und das freie Leben in ihr kann keinen Er-
ſatz finden.“ Ich bin, ſo fuhr er fort, in meinem langen Leben „nie
ſtehen geblieben, ich bin ſtets mit der Zeit gegangen“, aber noch niemals
habe ich ſchwerere Gefahren erlebt, denn „heute ſteht die Revolution ent-
körpert und durch die Zeit geglättet vor einer Generation wieder da, welche
ſie in der Periode der lebendigen Kämpfe nicht gekannt hat.“ *)
Die Verfaſſungscommiſſion hielt unterdeſſen, im Juli, dann nochmals
ſeit Ende Septembers, langwierige Berathungen. Fünf Miniſter, der
Fürſt v. Solms-Lich und der hochconſervative brandenburgiſche Land-
tagsmarſchall Rochow-Stülpe gehörten ihr an. Sie alle erklärten, Rochow
allein ausgenommen, **) allgemeine Landſtände für nothwendig; ſie wünſchten
aber, der König möge ſtatt einen unförmlichen Vereinigten Landtag zu
berufen vielmehr die ſchon vorhandenen Vereinigten Ausſchüſſe verſtärken
und mit reichsſtändiſchen Rechten ausſtatten; ſo hätte ſich Alles weit ein-
facher geſtaltet. Beſonders lebhaft warnte der alte Rother, „ſelbſt bei zu
beſorgender Ungnade“. Einſtimmig verwahrte ſich die Commiſſion gegen die
Bildung eines geſonderten Herrenſtandes, die der bisherigen Verfaſſung
widerſpreche. ***) Doch was vermochten Commiſſionsbedenken gegen Friedrich
Wilhelm’s ſelbſtherrlichen Willen? Er hielt alle ſeine Pläne ſtandhaft
feſt: den Vereinigten Landtag mitſammt der Herrencurie, deren förmliche
Einrichtung er ſich für die Zukunft vorbehielt, ſodann die ſtändiſche Ge-
nehmigung aller Anleihen in Friedenszeiten, endlich das Recht der Be-
willigung neuer Steuern. Dies alte Recht deutſcher Landſtände ſchien ihm
ganz ungefährlich, denn an eine Erhöhung der directen Steuern war, ſo
meinte er, in einer abſehbaren Zukunft niemals zu denken, die Zölle aber
*) Metternich an Canitz, 25. Aug., 6. Nov. 1845.
**) Rochow-Stülpe, Denkſchrift an den König, 13. Juli 1845.
***) Bericht der Immediatcommiſſion an den König, 13. Oct.; Rother an Thile,
6. Nov. 1845.
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