überall. Es ward hohe Zeit, dem erwachenden Bürgerthum eine Bühne verantwortlicher politischer Thätigkeit zu eröffnen. --
König Friedrich Wilhelm fühlte dies selbst, die Grundgedanken seines Verfassungsplans standen auch schon seit Langem fest, und gleichwohl ver- mochte er es noch immer nicht über sich, endlich einmal abzuschließen. Nachdem er im Sommer 1845 den widersprechenden Grafen Arnim ent- lassen und eine neue Verfassungscommission gebildet hatte, wollte er doch noch einmal Metternich's Meinung hören. Sehr ungern folgte der Oester- reicher dieser Einladung; er wußte jetzt längst, wie wenig die Rathschläge Dritter über den König vermochten, und sah richtig voraus, daß die öffent- liche Meinung gleichwohl ihn selbst als Preußens bösen Genius verlästern würde. Im August trafen sich die Beiden am Rhein, wo der König den Gegenbesuch der Königin Victoria empfing und seine Freude durch ein un- erhörtes Gepränge bekundete. Der große Zapfenstreich im Brühler Schloß- hofe, das prächtige Feuerwerk in Köln, die Enthüllung des Beethoven- Denkmals in Bonn und die tausend Salutschüsse, die von den Wällen des Ehrenbreitsteins und den Coblenzer Bergfesten herabdröhnten, erregten auch bei den verwöhnten britischen Gästen Verwunderung, und bis zu Thränen fühlte sich die Königin gerührt, als der erlauchte Schloßherr zu Brühl in einem begeisterten Trinkspruche das Wort feierte, das in bri- tischen und deutschen Herzen hell erklinge, wie einst auf dem Siegesfelde von Waterloo, so jetzt unter den Segnungen des Friedens am schönen Gestade des Rheins: Victoria! Den Deutschen, natürlich mit Ausnahme des coburg-gothaischen Volkes, gefiel die also Verherrlichte wenig; die Rhein- länder fanden sie "sehr englisch", und dies war im Volksmunde keines- wegs, wie am Berliner Hofe, ein Lobspruch. Auch Friedrich Wilhelm selber fühlte sich nachher etwas enttäuscht; er wünschte so sehnlich, sein geliebtes England fest mit den conservativen Ostmächten zu verbinden, und nun mußte er erleben, daß Victoria, nachdem sie noch die thü- ringische Heimath ihres Albert gesehen, auf der Heimreise plötzlich vom Wege abbog, um den Bürgerkönig zum zweiten male in Eu zu besuchen.
Während der rheinischen Feste hatte er mit Metternich, ja sogar mit Aberdeen mehrmals über seine Verfassungspläne geredet. Sein Herz drängte ihn, er mußte sich aussprechen; einen Rath konnte er von dem wohlmeinenden, geistlosen, aller deutschen Dinge unkundigen Lord doch unmöglich erwarten. Der Engländer gestand auch aufrichtig: ich bin aus den Worten des preußischen Monarchen nicht klug geworden. Metternich aber erkannte wieder was er schon längst wußte, daß der König von dem Plane seines Vereinigten Landtags nicht mehr abzubringen war; er sah das alte Preußen schon vernichtet, das neue noch nicht gegründet; ihm war zu Muthe als erblickte er den Holbein'schen Todtentanz, und zum Abschied weissagte er, was sich bald erfüllen sollte: "daß Ew. Majestät Ihre sechs- hundert Provinzialabgeordneten als solche einberufen und daß dieselben
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
überall. Es ward hohe Zeit, dem erwachenden Bürgerthum eine Bühne verantwortlicher politiſcher Thätigkeit zu eröffnen. —
König Friedrich Wilhelm fühlte dies ſelbſt, die Grundgedanken ſeines Verfaſſungsplans ſtanden auch ſchon ſeit Langem feſt, und gleichwohl ver- mochte er es noch immer nicht über ſich, endlich einmal abzuſchließen. Nachdem er im Sommer 1845 den widerſprechenden Grafen Arnim ent- laſſen und eine neue Verfaſſungscommiſſion gebildet hatte, wollte er doch noch einmal Metternich’s Meinung hören. Sehr ungern folgte der Oeſter- reicher dieſer Einladung; er wußte jetzt längſt, wie wenig die Rathſchläge Dritter über den König vermochten, und ſah richtig voraus, daß die öffent- liche Meinung gleichwohl ihn ſelbſt als Preußens böſen Genius verläſtern würde. Im Auguſt trafen ſich die Beiden am Rhein, wo der König den Gegenbeſuch der Königin Victoria empfing und ſeine Freude durch ein un- erhörtes Gepränge bekundete. Der große Zapfenſtreich im Brühler Schloß- hofe, das prächtige Feuerwerk in Köln, die Enthüllung des Beethoven- Denkmals in Bonn und die tauſend Salutſchüſſe, die von den Wällen des Ehrenbreitſteins und den Coblenzer Bergfeſten herabdröhnten, erregten auch bei den verwöhnten britiſchen Gäſten Verwunderung, und bis zu Thränen fühlte ſich die Königin gerührt, als der erlauchte Schloßherr zu Brühl in einem begeiſterten Trinkſpruche das Wort feierte, das in bri- tiſchen und deutſchen Herzen hell erklinge, wie einſt auf dem Siegesfelde von Waterloo, ſo jetzt unter den Segnungen des Friedens am ſchönen Geſtade des Rheins: Victoria! Den Deutſchen, natürlich mit Ausnahme des coburg-gothaiſchen Volkes, gefiel die alſo Verherrlichte wenig; die Rhein- länder fanden ſie „ſehr engliſch“, und dies war im Volksmunde keines- wegs, wie am Berliner Hofe, ein Lobſpruch. Auch Friedrich Wilhelm ſelber fühlte ſich nachher etwas enttäuſcht; er wünſchte ſo ſehnlich, ſein geliebtes England feſt mit den conſervativen Oſtmächten zu verbinden, und nun mußte er erleben, daß Victoria, nachdem ſie noch die thü- ringiſche Heimath ihres Albert geſehen, auf der Heimreiſe plötzlich vom Wege abbog, um den Bürgerkönig zum zweiten male in Eu zu beſuchen.
Während der rheiniſchen Feſte hatte er mit Metternich, ja ſogar mit Aberdeen mehrmals über ſeine Verfaſſungspläne geredet. Sein Herz drängte ihn, er mußte ſich ausſprechen; einen Rath konnte er von dem wohlmeinenden, geiſtloſen, aller deutſchen Dinge unkundigen Lord doch unmöglich erwarten. Der Engländer geſtand auch aufrichtig: ich bin aus den Worten des preußiſchen Monarchen nicht klug geworden. Metternich aber erkannte wieder was er ſchon längſt wußte, daß der König von dem Plane ſeines Vereinigten Landtags nicht mehr abzubringen war; er ſah das alte Preußen ſchon vernichtet, das neue noch nicht gegründet; ihm war zu Muthe als erblickte er den Holbein’ſchen Todtentanz, und zum Abſchied weiſſagte er, was ſich bald erfüllen ſollte: „daß Ew. Majeſtät Ihre ſechs- hundert Provinzialabgeordneten als ſolche einberufen und daß dieſelben
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überall. Es ward hohe Zeit, dem erwachenden Bürgerthum eine Bühne
verantwortlicher politiſcher Thätigkeit zu eröffnen. —
König Friedrich Wilhelm fühlte dies ſelbſt, die Grundgedanken ſeines
Verfaſſungsplans ſtanden auch ſchon ſeit Langem feſt, und gleichwohl ver-
mochte er es noch immer nicht über ſich, endlich einmal abzuſchließen.
Nachdem er im Sommer 1845 den widerſprechenden Grafen Arnim ent-
laſſen und eine neue Verfaſſungscommiſſion gebildet hatte, wollte er doch
noch einmal Metternich’s Meinung hören. Sehr ungern folgte der Oeſter-
reicher dieſer Einladung; er wußte jetzt längſt, wie wenig die Rathſchläge
Dritter über den König vermochten, und ſah richtig voraus, daß die öffent-
liche Meinung gleichwohl ihn ſelbſt als Preußens böſen Genius verläſtern
würde. Im Auguſt trafen ſich die Beiden am Rhein, wo der König den
Gegenbeſuch der Königin Victoria empfing und ſeine Freude durch ein un-
erhörtes Gepränge bekundete. Der große Zapfenſtreich im Brühler Schloß-
hofe, das prächtige Feuerwerk in Köln, die Enthüllung des Beethoven-
Denkmals in Bonn und die tauſend Salutſchüſſe, die von den Wällen
des Ehrenbreitſteins und den Coblenzer Bergfeſten herabdröhnten, erregten
auch bei den verwöhnten britiſchen Gäſten Verwunderung, und bis zu
Thränen fühlte ſich die Königin gerührt, als der erlauchte Schloßherr zu
Brühl in einem begeiſterten Trinkſpruche das Wort feierte, das in bri-
tiſchen und deutſchen Herzen hell erklinge, wie einſt auf dem Siegesfelde
von Waterloo, ſo jetzt unter den Segnungen des Friedens am ſchönen
Geſtade des Rheins: Victoria! Den Deutſchen, natürlich mit Ausnahme
des coburg-gothaiſchen Volkes, gefiel die alſo Verherrlichte wenig; die Rhein-
länder fanden ſie „ſehr engliſch“, und dies war im Volksmunde keines-
wegs, wie am Berliner Hofe, ein Lobſpruch. Auch Friedrich Wilhelm
ſelber fühlte ſich nachher etwas enttäuſcht; er wünſchte ſo ſehnlich, ſein
geliebtes England feſt mit den conſervativen Oſtmächten zu verbinden,
und nun mußte er erleben, daß Victoria, nachdem ſie noch die thü-
ringiſche Heimath ihres Albert geſehen, auf der Heimreiſe plötzlich vom
Wege abbog, um den Bürgerkönig zum zweiten male in Eu zu beſuchen.
Während der rheiniſchen Feſte hatte er mit Metternich, ja ſogar mit
Aberdeen mehrmals über ſeine Verfaſſungspläne geredet. Sein Herz
drängte ihn, er mußte ſich ausſprechen; einen Rath konnte er von dem
wohlmeinenden, geiſtloſen, aller deutſchen Dinge unkundigen Lord doch
unmöglich erwarten. Der Engländer geſtand auch aufrichtig: ich bin aus
den Worten des preußiſchen Monarchen nicht klug geworden. Metternich
aber erkannte wieder was er ſchon längſt wußte, daß der König von dem
Plane ſeines Vereinigten Landtags nicht mehr abzubringen war; er ſah das
alte Preußen ſchon vernichtet, das neue noch nicht gegründet; ihm war
zu Muthe als erblickte er den Holbein’ſchen Todtentanz, und zum Abſchied
weiſſagte er, was ſich bald erfüllen ſollte: „daß Ew. Majeſtät Ihre ſechs-
hundert Provinzialabgeordneten als ſolche einberufen und daß dieſelben
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/618>, abgerufen am 27.11.2024.
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