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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
und die meisten indirecten Steuern waren durch die Zollvereinsverträge
festgelegt. Nur in einem einzigen Punkte gab er seinen Räthen nach:
die Berufung der Reichsstände nach Brandenburg ließ er fallen; sie hätte
Furcht verrathen und zudem die Geschäfte unleidlich erschwert.

Da erhob der Prinz von Preußen zum zweiten male Einspruch. Der
Thronfolger war den Berathungen der letzten Monate fern gehalten worden
aber genugsam darüber unterrichtet und fühlte sich nun durch sein Ge-
wissen gedrängt, dem Könige in einem brüderlichen Briefe zu gestehen,
"daß er sich seinen Plänen nicht anschließen könne" (20. Nov.). Unerschütter-
lich in den Grundsätzen übertraf er den Bruder bei Weitem durch eine
geistige Beweglichkeit, die immer mit den Thatsachen zu rechnen wußte.
Da er einsah, der Monarch würde die Dreiheit des Gesammtlandtags,
der Vereinigten Ausschüsse und der Provinziallandtage doch nicht aufgeben,
so stellte er sich entschlossen auf diesen neuen Boden und faßte nur noch
die Frage in's Auge: wie das Eine was ihm das Wesen des preußischen
Staates war, die lebendige Macht der Krone neben dieser ungefügen drei-
fachen Gliederung ständischer Körperschaften noch bestehen solle? Seine
beigelegte Denkschrift ging aus von der schwierigen Weltstellung, welche
der Staat als Großmacht und als deutsches Bundesglied behaupten müsse;
"alle Institutionen, die den constitutionellen sich nähern oder in diese über-
zugehen drohen, sind daher für Preußen unannehmbar." Um solcher Ge-
fahr vorzubeugen, schlug er vor: der aus etwa 150 Abgeordneten der
Provinziallandtage gebildete Allgemeine Landtag solle ausschließlich über
den Staatshaushalt berathen, die Vereinigten Ausschüsse ebenso aus-
schließlich über Gesetzentwürfe; dann könne die Berathung des Staats-
haushalts nicht zur Erzwingung neuer Gesetze mißbraucht werden oder
umgekehrt. Die doctrinäre Angst vor ständischer Verbürgung der Kriegs-
anleihen fand er ganz unbegreiflich, weil er die Treue seiner Preußen kannte.
Er sagte einfach: für den Beginn eines Krieges besitzt der Staat ge-
nügende Mittel; "wird aber im Laufe des Krieges eine Anleihe noth-
wendig, so hat es nicht das geringste Bedenken, die Reichsstände zu be-
rufen." Unverbrüchlich hielt er an den Gedanken seines Vaters fest, der
jederzeit nur berathende Stände gewollt hatte. "Alle Berathungen aller
drei ständischen Versammlungen" -- so schloß er -- "sind durchaus
consultativ
, von einem Bewilligungsrecht irgend einer Art darf nie
die Rede sein."*) Dem Wunsche des Bruders willfahrend ließ der König
diese Denkschrift durch die Commission prüfen und ihm dann deren ab-
lehnendes Gutachten zugehen.**)

Also sah sich der Thronfolger abermals zurückgewiesen. Gleichwohl
kam das Verfassungswerk, das im Geiste des Königs schon so lange fest-

*) Prinz v. Preußen an den König, 20. Nov. 1845, nebst Denkschrift.
**) Bericht der Immediatcommission an den König, 8. Dec. 1845.

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
und die meiſten indirecten Steuern waren durch die Zollvereinsverträge
feſtgelegt. Nur in einem einzigen Punkte gab er ſeinen Räthen nach:
die Berufung der Reichsſtände nach Brandenburg ließ er fallen; ſie hätte
Furcht verrathen und zudem die Geſchäfte unleidlich erſchwert.

Da erhob der Prinz von Preußen zum zweiten male Einſpruch. Der
Thronfolger war den Berathungen der letzten Monate fern gehalten worden
aber genugſam darüber unterrichtet und fühlte ſich nun durch ſein Ge-
wiſſen gedrängt, dem Könige in einem brüderlichen Briefe zu geſtehen,
„daß er ſich ſeinen Plänen nicht anſchließen könne“ (20. Nov.). Unerſchütter-
lich in den Grundſätzen übertraf er den Bruder bei Weitem durch eine
geiſtige Beweglichkeit, die immer mit den Thatſachen zu rechnen wußte.
Da er einſah, der Monarch würde die Dreiheit des Geſammtlandtags,
der Vereinigten Ausſchüſſe und der Provinziallandtage doch nicht aufgeben,
ſo ſtellte er ſich entſchloſſen auf dieſen neuen Boden und faßte nur noch
die Frage in’s Auge: wie das Eine was ihm das Weſen des preußiſchen
Staates war, die lebendige Macht der Krone neben dieſer ungefügen drei-
fachen Gliederung ſtändiſcher Körperſchaften noch beſtehen ſolle? Seine
beigelegte Denkſchrift ging aus von der ſchwierigen Weltſtellung, welche
der Staat als Großmacht und als deutſches Bundesglied behaupten müſſe;
„alle Inſtitutionen, die den conſtitutionellen ſich nähern oder in dieſe über-
zugehen drohen, ſind daher für Preußen unannehmbar.“ Um ſolcher Ge-
fahr vorzubeugen, ſchlug er vor: der aus etwa 150 Abgeordneten der
Provinziallandtage gebildete Allgemeine Landtag ſolle ausſchließlich über
den Staatshaushalt berathen, die Vereinigten Ausſchüſſe ebenſo aus-
ſchließlich über Geſetzentwürfe; dann könne die Berathung des Staats-
haushalts nicht zur Erzwingung neuer Geſetze mißbraucht werden oder
umgekehrt. Die doctrinäre Angſt vor ſtändiſcher Verbürgung der Kriegs-
anleihen fand er ganz unbegreiflich, weil er die Treue ſeiner Preußen kannte.
Er ſagte einfach: für den Beginn eines Krieges beſitzt der Staat ge-
nügende Mittel; „wird aber im Laufe des Krieges eine Anleihe noth-
wendig, ſo hat es nicht das geringſte Bedenken, die Reichsſtände zu be-
rufen.“ Unverbrüchlich hielt er an den Gedanken ſeines Vaters feſt, der
jederzeit nur berathende Stände gewollt hatte. „Alle Berathungen aller
drei ſtändiſchen Verſammlungen“ — ſo ſchloß er — „ſind durchaus
conſultativ
, von einem Bewilligungsrecht irgend einer Art darf nie
die Rede ſein.“*) Dem Wunſche des Bruders willfahrend ließ der König
dieſe Denkſchrift durch die Commiſſion prüfen und ihm dann deren ab-
lehnendes Gutachten zugehen.**)

Alſo ſah ſich der Thronfolger abermals zurückgewieſen. Gleichwohl
kam das Verfaſſungswerk, das im Geiſte des Königs ſchon ſo lange feſt-

*) Prinz v. Preußen an den König, 20. Nov. 1845, nebſt Denkſchrift.
**) Bericht der Immediatcommiſſion an den König, 8. Dec. 1845.
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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/620>, abgerufen am 23.11.2024.