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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 7. Polen und Schleswigholstein.
um sofortige Aenderung der Verfassung zu verlangen. König Friedrich
ließ die Abgesandten nicht vor, aber zugleich berief er seinen Freund
Bardenfleth, einen fanatischen Dänen, in das Ministerium. Die Eider-
dänen witterten Morgenluft; sie verlangten stürmisch, die erfahrenen Männer
müßten nach der Kopfzahl erwählt werden, also je fünf Dänen auf drei
Deutsche. Die Schleswigholsteiner hingegen bemühten sich bis zum letzten
Augenblicke in den Schranken der Mäßigung zu verbleiben; sie wollten
die dargebotene Hand des neuen König-Herzogs nicht von sich stoßen. Auf
einer Zusammenkunft in Kiel, wo sich die Landtagsabgeordneten beider
Herzogthümer vollzählig einfanden, sprachen Reventlow und Beseler sehr
besonnen; man beschloß (17. Febr.), die Wahl der erfahrenen Männer
vorzunehmen. Aber jedem der Gewählten wurde anheimgegeben, das deut-
sche Recht nach Gewissenspflicht zu verwahren. An eine friedliche Ver-
ständigung glaubten nur noch Wenige; Reventlow und Beseler hatten
bereits im letzten Herbst die Möglichkeit eines offenen Kampfes zusammen
erwogen. Schon die Einberufung dieser Versammlung selber, die doch
nichts anderes war als ein Vereinigter Landtag Schleswigholsteins, zeigte
deutlich, wie der alte Gesammtstaat aus den Fugen ging. Die Augusten-
burger begannen alsbald die Brücken hinter sich abzubrechen. Bei Christian's
pomphaftem Begräbniß war keiner aus ihrer Linie zugegen; und als ihnen
der neue Herrscher, allerdings gegen den Hausbrauch der letzten Jahr-
zehnte, die Erneuerung ihres Huldigungseides zumuthete, da weigerte sich
der Herzog sowohl wie der Prinz von Noer. König Friedrich sah in Alle-
dem berechnete Auflehnung.*)

So gespannt war die Lage. Jeden Augenblick konnte die nationale
Leidenschaft hüben oder drüben losbrechen und das blutige Spiel um
Deutschlands Nordmark beginnen. Der König von Preußen bemerkte
dies wohl. Er sendete bald nach dem Thronwechsel seinen vertrauten
General Gerlach nach Kopenhagen, angeblich um sein Beileid auszusprechen,
in Wahrheit um zu beobachten und nöthigenfalls zu rathen. Canitz ließ den
General durch den gescheidten Legationsrath Grafen Hans v. Bülow über die
dänischen Verhältnisse genau unterrichten und ertheilte ihm selbst (4. Febr.)
ausführliche Weisungen, die nur von Neuem bewiesen, wie harmlos ehr-
lich die preußische Regierung verfuhr, aber auch, wie wenig sie den Ernst
der Zeit und die Macht der nationalen Gegensätze verstand. Noch immer
betrachtete Canitz den Streit zwischen Dänen und Deutschen als baare
Thorheit; er hielt Dänemark für Deutschlands natürlichen Verbündeten,
da seine Flotte ja bei uns keinen Nebenbuhler zu fürchten hätte. Diesen
Verbündeten wollte er nicht schwächen; darum verwarf er sowohl die Politik
der Eiderdänen, die in blindem Deutschenhaß ihren eigenen Vortheil ver-
kännten, wie den Plan Schleswig für Deutschland zu erobern, einen Plan,

*) Schoultz v. Ascheraden's Berichte, 19. 28. Febr. 1848.

V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
um ſofortige Aenderung der Verfaſſung zu verlangen. König Friedrich
ließ die Abgeſandten nicht vor, aber zugleich berief er ſeinen Freund
Bardenfleth, einen fanatiſchen Dänen, in das Miniſterium. Die Eider-
dänen witterten Morgenluft; ſie verlangten ſtürmiſch, die erfahrenen Männer
müßten nach der Kopfzahl erwählt werden, alſo je fünf Dänen auf drei
Deutſche. Die Schleswigholſteiner hingegen bemühten ſich bis zum letzten
Augenblicke in den Schranken der Mäßigung zu verbleiben; ſie wollten
die dargebotene Hand des neuen König-Herzogs nicht von ſich ſtoßen. Auf
einer Zuſammenkunft in Kiel, wo ſich die Landtagsabgeordneten beider
Herzogthümer vollzählig einfanden, ſprachen Reventlow und Beſeler ſehr
beſonnen; man beſchloß (17. Febr.), die Wahl der erfahrenen Männer
vorzunehmen. Aber jedem der Gewählten wurde anheimgegeben, das deut-
ſche Recht nach Gewiſſenspflicht zu verwahren. An eine friedliche Ver-
ſtändigung glaubten nur noch Wenige; Reventlow und Beſeler hatten
bereits im letzten Herbſt die Möglichkeit eines offenen Kampfes zuſammen
erwogen. Schon die Einberufung dieſer Verſammlung ſelber, die doch
nichts anderes war als ein Vereinigter Landtag Schleswigholſteins, zeigte
deutlich, wie der alte Geſammtſtaat aus den Fugen ging. Die Auguſten-
burger begannen alsbald die Brücken hinter ſich abzubrechen. Bei Chriſtian’s
pomphaftem Begräbniß war keiner aus ihrer Linie zugegen; und als ihnen
der neue Herrſcher, allerdings gegen den Hausbrauch der letzten Jahr-
zehnte, die Erneuerung ihres Huldigungseides zumuthete, da weigerte ſich
der Herzog ſowohl wie der Prinz von Noer. König Friedrich ſah in Alle-
dem berechnete Auflehnung.*)

So geſpannt war die Lage. Jeden Augenblick konnte die nationale
Leidenſchaft hüben oder drüben losbrechen und das blutige Spiel um
Deutſchlands Nordmark beginnen. Der König von Preußen bemerkte
dies wohl. Er ſendete bald nach dem Thronwechſel ſeinen vertrauten
General Gerlach nach Kopenhagen, angeblich um ſein Beileid auszuſprechen,
in Wahrheit um zu beobachten und nöthigenfalls zu rathen. Canitz ließ den
General durch den geſcheidten Legationsrath Grafen Hans v. Bülow über die
däniſchen Verhältniſſe genau unterrichten und ertheilte ihm ſelbſt (4. Febr.)
ausführliche Weiſungen, die nur von Neuem bewieſen, wie harmlos ehr-
lich die preußiſche Regierung verfuhr, aber auch, wie wenig ſie den Ernſt
der Zeit und die Macht der nationalen Gegenſätze verſtand. Noch immer
betrachtete Canitz den Streit zwiſchen Dänen und Deutſchen als baare
Thorheit; er hielt Dänemark für Deutſchlands natürlichen Verbündeten,
da ſeine Flotte ja bei uns keinen Nebenbuhler zu fürchten hätte. Dieſen
Verbündeten wollte er nicht ſchwächen; darum verwarf er ſowohl die Politik
der Eiderdänen, die in blindem Deutſchenhaß ihren eigenen Vortheil ver-
kännten, wie den Plan Schleswig für Deutſchland zu erobern, einen Plan,

*) Schoultz v. Aſcheraden’s Berichte, 19. 28. Febr. 1848.
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[588/0602] V. 7. Polen und Schleswigholſtein. um ſofortige Aenderung der Verfaſſung zu verlangen. König Friedrich ließ die Abgeſandten nicht vor, aber zugleich berief er ſeinen Freund Bardenfleth, einen fanatiſchen Dänen, in das Miniſterium. Die Eider- dänen witterten Morgenluft; ſie verlangten ſtürmiſch, die erfahrenen Männer müßten nach der Kopfzahl erwählt werden, alſo je fünf Dänen auf drei Deutſche. Die Schleswigholſteiner hingegen bemühten ſich bis zum letzten Augenblicke in den Schranken der Mäßigung zu verbleiben; ſie wollten die dargebotene Hand des neuen König-Herzogs nicht von ſich ſtoßen. Auf einer Zuſammenkunft in Kiel, wo ſich die Landtagsabgeordneten beider Herzogthümer vollzählig einfanden, ſprachen Reventlow und Beſeler ſehr beſonnen; man beſchloß (17. Febr.), die Wahl der erfahrenen Männer vorzunehmen. Aber jedem der Gewählten wurde anheimgegeben, das deut- ſche Recht nach Gewiſſenspflicht zu verwahren. An eine friedliche Ver- ſtändigung glaubten nur noch Wenige; Reventlow und Beſeler hatten bereits im letzten Herbſt die Möglichkeit eines offenen Kampfes zuſammen erwogen. Schon die Einberufung dieſer Verſammlung ſelber, die doch nichts anderes war als ein Vereinigter Landtag Schleswigholſteins, zeigte deutlich, wie der alte Geſammtſtaat aus den Fugen ging. Die Auguſten- burger begannen alsbald die Brücken hinter ſich abzubrechen. Bei Chriſtian’s pomphaftem Begräbniß war keiner aus ihrer Linie zugegen; und als ihnen der neue Herrſcher, allerdings gegen den Hausbrauch der letzten Jahr- zehnte, die Erneuerung ihres Huldigungseides zumuthete, da weigerte ſich der Herzog ſowohl wie der Prinz von Noer. König Friedrich ſah in Alle- dem berechnete Auflehnung. *) So geſpannt war die Lage. Jeden Augenblick konnte die nationale Leidenſchaft hüben oder drüben losbrechen und das blutige Spiel um Deutſchlands Nordmark beginnen. Der König von Preußen bemerkte dies wohl. Er ſendete bald nach dem Thronwechſel ſeinen vertrauten General Gerlach nach Kopenhagen, angeblich um ſein Beileid auszuſprechen, in Wahrheit um zu beobachten und nöthigenfalls zu rathen. Canitz ließ den General durch den geſcheidten Legationsrath Grafen Hans v. Bülow über die däniſchen Verhältniſſe genau unterrichten und ertheilte ihm ſelbſt (4. Febr.) ausführliche Weiſungen, die nur von Neuem bewieſen, wie harmlos ehr- lich die preußiſche Regierung verfuhr, aber auch, wie wenig ſie den Ernſt der Zeit und die Macht der nationalen Gegenſätze verſtand. Noch immer betrachtete Canitz den Streit zwiſchen Dänen und Deutſchen als baare Thorheit; er hielt Dänemark für Deutſchlands natürlichen Verbündeten, da ſeine Flotte ja bei uns keinen Nebenbuhler zu fürchten hätte. Dieſen Verbündeten wollte er nicht ſchwächen; darum verwarf er ſowohl die Politik der Eiderdänen, die in blindem Deutſchenhaß ihren eigenen Vortheil ver- kännten, wie den Plan Schleswig für Deutſchland zu erobern, einen Plan, *) Schoultz v. Aſcheraden’s Berichte, 19. 28. Febr. 1848.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/602>, abgerufen am 22.11.2024.