der "aus einer unrichtigen, wenigstens unklaren Auffassung des Begriffes der Nationalität entspringe". Er wünschte nach wie vor die Integrität der dänischen Monarchie, womöglich unter dem augustenburgischen Herr- scherhause. Aber an den althistorischen Rechten der Herzogthümer hielt er fest: "wir müssen vorangehen; es ist eine von den seltenen Sachen, wo wir auf die Zustimmung der deutschen Bundesregierungen rechnen können."*)
Durch Unwetter aufgehalten konnte Gerlach erst am 15. Febr. in der dänischen Hauptstadt eintreffen. Unterwegs hatte er Falck, Reventlow sowie andere deutsche Patrioten gesprochen und fühlte sich angenehm über- rascht, in diesen Schleswigholsteinern, die doch mit allen deutschen "Wüh- lern" verbündet waren, so conservative Männer kennen zu lernen. Diese unschuldigen Gespräche, bei denen er streng die Rolle des vorsichtigen Be- obachters einhielt, wurden ihm freilich von den Dänen als verrätherische Umtriebe angerechnet. In Kopenhagen bemerkte er sogleich, wie Alles aus Rand und Band ging. Er durchschaute die vollendete Nichtigkeit Fried- rich's VII. und die Zwietracht seiner Räthe, die Schwäche des einzigen deutsch- gesinnten Ministers Heinrich Reventlow; er begriff, daß die Verfassung un- möglich gelingen konnte so lange die Erbfolgefrage in der Schwebe blieb; er erkannte sogar, daß weder die Dänen noch die Deutschen mehr an die Inte- grität des alten Gesammtstaats glaubten. Aber wie scharfsinnig er auch im Einzelnen urtheilte, eine kühne nationale Politik hielt er für eine Träumerei der "Germanomanen"; an die Möglichkeit einer Machterweiterung Preußens dachte er niemals. Sein letzter Rath ging dahin: Preußen sollte sich zu- nächst mit Rußland und Oesterreich verständigen, damit nachher die dä- nische Thronfolge, wie einst die badische, durch eine europäische Entscheidung friedlich geregelt würde. Als Graf Reventlow-Preetz ihn bestimmt fragte: wird der Deutsche Bund uns Holsten schützen falls Dänemark uns eine Verfassung aufzuzwingen oder Schleswig von uns loszureißen wagt? -- da anwortete der General ausweichend, Schleswig gehöre ja nicht zum Bunde, und rechtfertigte sich vor seinem Monarchen also: "Ich glaube nicht, da der Fall mir wenigstens nicht klar ist, durch die Autorität des Abgesandten Ew. Maj. die Opposition der Herzogthümer verstärken zu dürfen."**) Wahrlich, Preußen durfte wie der Sohn des Laios sagen: so, gar nichts ahnend kam ich nun wohin ich kam! Währenddem tobte die gesammte Presse Westeuropas wider la politique envahissante de l'Allemagne; und über König Friedrich Wilhelm, den man aus seinen Reden doch endlich kennen mußte, urtheilte Lamartine: das sei ein fürchter- licher Kraftmensch, "fähig Alles zu verstehen, Alles zu versuchen, Alles zu wagen!"
*) Canitz, Weisung an Gerlach, 4. Febr. 1848.
**) Gerlach's Berichte an den König, 16. 19. 28. Febr., 1. März, an Canitz, 24. Febr. 1848.
Erfahrene Männer. Gerlach in Kopenhagen.
der „aus einer unrichtigen, wenigſtens unklaren Auffaſſung des Begriffes der Nationalität entſpringe“. Er wünſchte nach wie vor die Integrität der däniſchen Monarchie, womöglich unter dem auguſtenburgiſchen Herr- ſcherhauſe. Aber an den althiſtoriſchen Rechten der Herzogthümer hielt er feſt: „wir müſſen vorangehen; es iſt eine von den ſeltenen Sachen, wo wir auf die Zuſtimmung der deutſchen Bundesregierungen rechnen können.“*)
Durch Unwetter aufgehalten konnte Gerlach erſt am 15. Febr. in der däniſchen Hauptſtadt eintreffen. Unterwegs hatte er Falck, Reventlow ſowie andere deutſche Patrioten geſprochen und fühlte ſich angenehm über- raſcht, in dieſen Schleswigholſteinern, die doch mit allen deutſchen „Wüh- lern“ verbündet waren, ſo conſervative Männer kennen zu lernen. Dieſe unſchuldigen Geſpräche, bei denen er ſtreng die Rolle des vorſichtigen Be- obachters einhielt, wurden ihm freilich von den Dänen als verrätheriſche Umtriebe angerechnet. In Kopenhagen bemerkte er ſogleich, wie Alles aus Rand und Band ging. Er durchſchaute die vollendete Nichtigkeit Fried- rich’s VII. und die Zwietracht ſeiner Räthe, die Schwäche des einzigen deutſch- geſinnten Miniſters Heinrich Reventlow; er begriff, daß die Verfaſſung un- möglich gelingen konnte ſo lange die Erbfolgefrage in der Schwebe blieb; er erkannte ſogar, daß weder die Dänen noch die Deutſchen mehr an die Inte- grität des alten Geſammtſtaats glaubten. Aber wie ſcharfſinnig er auch im Einzelnen urtheilte, eine kühne nationale Politik hielt er für eine Träumerei der „Germanomanen“; an die Möglichkeit einer Machterweiterung Preußens dachte er niemals. Sein letzter Rath ging dahin: Preußen ſollte ſich zu- nächſt mit Rußland und Oeſterreich verſtändigen, damit nachher die dä- niſche Thronfolge, wie einſt die badiſche, durch eine europäiſche Entſcheidung friedlich geregelt würde. Als Graf Reventlow-Preetz ihn beſtimmt fragte: wird der Deutſche Bund uns Holſten ſchützen falls Dänemark uns eine Verfaſſung aufzuzwingen oder Schleswig von uns loszureißen wagt? — da anwortete der General ausweichend, Schleswig gehöre ja nicht zum Bunde, und rechtfertigte ſich vor ſeinem Monarchen alſo: „Ich glaube nicht, da der Fall mir wenigſtens nicht klar iſt, durch die Autorität des Abgeſandten Ew. Maj. die Oppoſition der Herzogthümer verſtärken zu dürfen.“**) Wahrlich, Preußen durfte wie der Sohn des Laios ſagen: ſo, gar nichts ahnend kam ich nun wohin ich kam! Währenddem tobte die geſammte Preſſe Weſteuropas wider la politique envahissante de l’Allemagne; und über König Friedrich Wilhelm, den man aus ſeinen Reden doch endlich kennen mußte, urtheilte Lamartine: das ſei ein fürchter- licher Kraftmenſch, „fähig Alles zu verſtehen, Alles zu verſuchen, Alles zu wagen!“
*) Canitz, Weiſung an Gerlach, 4. Febr. 1848.
**) Gerlach’s Berichte an den König, 16. 19. 28. Febr., 1. März, an Canitz, 24. Febr. 1848.
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Erfahrene Männer. Gerlach in Kopenhagen.
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der Nationalität entſpringe“. Er wünſchte nach wie vor die Integrität
der däniſchen Monarchie, womöglich unter dem auguſtenburgiſchen Herr-
ſcherhauſe. Aber an den althiſtoriſchen Rechten der Herzogthümer hielt
er feſt: „wir müſſen vorangehen; es iſt eine von den ſeltenen Sachen,
wo wir auf die Zuſtimmung der deutſchen Bundesregierungen rechnen
können.“ *)
Durch Unwetter aufgehalten konnte Gerlach erſt am 15. Febr. in
der däniſchen Hauptſtadt eintreffen. Unterwegs hatte er Falck, Reventlow
ſowie andere deutſche Patrioten geſprochen und fühlte ſich angenehm über-
raſcht, in dieſen Schleswigholſteinern, die doch mit allen deutſchen „Wüh-
lern“ verbündet waren, ſo conſervative Männer kennen zu lernen. Dieſe
unſchuldigen Geſpräche, bei denen er ſtreng die Rolle des vorſichtigen Be-
obachters einhielt, wurden ihm freilich von den Dänen als verrätheriſche
Umtriebe angerechnet. In Kopenhagen bemerkte er ſogleich, wie Alles aus
Rand und Band ging. Er durchſchaute die vollendete Nichtigkeit Fried-
rich’s VII. und die Zwietracht ſeiner Räthe, die Schwäche des einzigen deutſch-
geſinnten Miniſters Heinrich Reventlow; er begriff, daß die Verfaſſung un-
möglich gelingen konnte ſo lange die Erbfolgefrage in der Schwebe blieb; er
erkannte ſogar, daß weder die Dänen noch die Deutſchen mehr an die Inte-
grität des alten Geſammtſtaats glaubten. Aber wie ſcharfſinnig er auch im
Einzelnen urtheilte, eine kühne nationale Politik hielt er für eine Träumerei
der „Germanomanen“; an die Möglichkeit einer Machterweiterung Preußens
dachte er niemals. Sein letzter Rath ging dahin: Preußen ſollte ſich zu-
nächſt mit Rußland und Oeſterreich verſtändigen, damit nachher die dä-
niſche Thronfolge, wie einſt die badiſche, durch eine europäiſche Entſcheidung
friedlich geregelt würde. Als Graf Reventlow-Preetz ihn beſtimmt fragte:
wird der Deutſche Bund uns Holſten ſchützen falls Dänemark uns eine
Verfaſſung aufzuzwingen oder Schleswig von uns loszureißen wagt? —
da anwortete der General ausweichend, Schleswig gehöre ja nicht zum
Bunde, und rechtfertigte ſich vor ſeinem Monarchen alſo: „Ich glaube
nicht, da der Fall mir wenigſtens nicht klar iſt, durch die Autorität des
Abgeſandten Ew. Maj. die Oppoſition der Herzogthümer verſtärken zu
dürfen.“ **) Wahrlich, Preußen durfte wie der Sohn des Laios ſagen:
ſo, gar nichts ahnend kam ich nun wohin ich kam! Währenddem tobte
die geſammte Preſſe Weſteuropas wider la politique envahissante de
l’Allemagne; und über König Friedrich Wilhelm, den man aus ſeinen
Reden doch endlich kennen mußte, urtheilte Lamartine: das ſei ein fürchter-
licher Kraftmenſch, „fähig Alles zu verſtehen, Alles zu verſuchen, Alles
zu wagen!“
*) Canitz, Weiſung an Gerlach, 4. Febr. 1848.
**) Gerlach’s Berichte an den König, 16. 19. 28. Febr., 1. März, an Canitz, 24. Febr.
1848.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/603>, abgerufen am 23.11.2024.
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