Herrscher "eine der wichtigsten und theuersten Pflichten des königlichen Berufes".
Die Bitte des Landtags war also abgeschlagen, der König stellte nicht einmal für die Zukunft irgend etwas Bestimmtes in Aussicht, da es ihm gegen die Ehre ging, sich von vorwitzigen Unterthanen treiben zu lassen. Darum fühlte sich auch Czar Nikolaus sichtlich erleichtert; er dankte seinem Schwager, weil die dornige Verfassungsfrage jetzt "ein- für allemal" abgethan sei.*) Die Abweisung erfolgte jedoch in so gnädigem Tone, und Schön wußte seinen Landsleuten von den freisinnigen Ab- sichten des Monarchen so viel Herrliches zu erzählen, daß die Stände in der That glaubten, der Landtagsabschied enthalte, weil er doch von der Entwicklung des Bestehenden spreche, mindestens eine halbe Gewährung. Sie begrüßten die Verlesung des Aktenstückes mit freudigen Hochrufen. So ward der Grund gelegt für ein verhängnißvolles wechselseitiges Miß- verständniß. Wer hätte auch jetzt da der Jubel des beginnenden Hul- digungsfestes Alles übertäubte, noch die Stimmung gefunden zu ruhigem Nachdenken? Ohnehin konnte sich der Landtag keineswegs auf eine feste durchgebildete Volksüberzeugung stützen. Da Parteien noch nicht bestanden, so mochten sich manche der Landstände bei dem Beschlusse wenig gedacht haben, nur die Führer der Mehrheit waren sich ihres Zweckes bewußt. Aber auch die fünf Stimmen der Minderheit des Landtags besaßen in der Provinz einen starken Anhang. Siebenundzwanzig der zur Huldi- gung einberufenen adlichen Grundbesitzer traten noch am 8. Sept., ge- führt von dem Grafen Dohna-Schlobitten zusammen um gegen die Denk- schrift des Landtags Verwahrung einzulegen: sie seien, so versicherten sie dem Könige, mit den bestehenden Provinzialständen vollauf zufrieden und wünschten keine Neuerung.
Im Volke fragte noch Niemand nach diesen politischen Gegensätzen, Alles dachte nur an den königlichen Gast und wie man ihn verherrlichen sollte. Am Abend des 9. Sept. gab die Provinz dem Monarchen ein prachtvolles Fest; in lebenden Bildern traten die großen Gestalten der reichen Landesgeschichte auf; Männer aller Stände und aller Richtungen wirkten einträchtig zusammen; der liberale Theolog Cäsar v. Lengerke hatte die begleitenden Verse gedichtet, die der junge Jurist Eduard Simson mit klangvoller Stimme vortrug. Am folgenden Tage versammelten sich die Deputirten der Provinzen Preußen und Posen zur Huldigung; mehr denn zwanzigtausend Menschen standen in dem weiten Hofe und an den Fenstern des Schlosses zusammengedrängt; der königliche Thron prangte auf einem Altane, von dem eine mächtige Freitreppe in den Hof hinab- führte. Der Kanzler und der Landtagsmarschall des Königreichs Preu- ßen hielten ihre Ansprachen in der herkömmlichen Weise; nur der
*) Liebermann's Bericht, 29. Sept. 1840.
V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Herrſcher „eine der wichtigſten und theuerſten Pflichten des königlichen Berufes“.
Die Bitte des Landtags war alſo abgeſchlagen, der König ſtellte nicht einmal für die Zukunft irgend etwas Beſtimmtes in Ausſicht, da es ihm gegen die Ehre ging, ſich von vorwitzigen Unterthanen treiben zu laſſen. Darum fühlte ſich auch Czar Nikolaus ſichtlich erleichtert; er dankte ſeinem Schwager, weil die dornige Verfaſſungsfrage jetzt „ein- für allemal“ abgethan ſei.*) Die Abweiſung erfolgte jedoch in ſo gnädigem Tone, und Schön wußte ſeinen Landsleuten von den freiſinnigen Ab- ſichten des Monarchen ſo viel Herrliches zu erzählen, daß die Stände in der That glaubten, der Landtagsabſchied enthalte, weil er doch von der Entwicklung des Beſtehenden ſpreche, mindeſtens eine halbe Gewährung. Sie begrüßten die Verleſung des Aktenſtückes mit freudigen Hochrufen. So ward der Grund gelegt für ein verhängnißvolles wechſelſeitiges Miß- verſtändniß. Wer hätte auch jetzt da der Jubel des beginnenden Hul- digungsfeſtes Alles übertäubte, noch die Stimmung gefunden zu ruhigem Nachdenken? Ohnehin konnte ſich der Landtag keineswegs auf eine feſte durchgebildete Volksüberzeugung ſtützen. Da Parteien noch nicht beſtanden, ſo mochten ſich manche der Landſtände bei dem Beſchluſſe wenig gedacht haben, nur die Führer der Mehrheit waren ſich ihres Zweckes bewußt. Aber auch die fünf Stimmen der Minderheit des Landtags beſaßen in der Provinz einen ſtarken Anhang. Siebenundzwanzig der zur Huldi- gung einberufenen adlichen Grundbeſitzer traten noch am 8. Sept., ge- führt von dem Grafen Dohna-Schlobitten zuſammen um gegen die Denk- ſchrift des Landtags Verwahrung einzulegen: ſie ſeien, ſo verſicherten ſie dem Könige, mit den beſtehenden Provinzialſtänden vollauf zufrieden und wünſchten keine Neuerung.
Im Volke fragte noch Niemand nach dieſen politiſchen Gegenſätzen, Alles dachte nur an den königlichen Gaſt und wie man ihn verherrlichen ſollte. Am Abend des 9. Sept. gab die Provinz dem Monarchen ein prachtvolles Feſt; in lebenden Bildern traten die großen Geſtalten der reichen Landesgeſchichte auf; Männer aller Stände und aller Richtungen wirkten einträchtig zuſammen; der liberale Theolog Cäſar v. Lengerke hatte die begleitenden Verſe gedichtet, die der junge Juriſt Eduard Simſon mit klangvoller Stimme vortrug. Am folgenden Tage verſammelten ſich die Deputirten der Provinzen Preußen und Poſen zur Huldigung; mehr denn zwanzigtauſend Menſchen ſtanden in dem weiten Hofe und an den Fenſtern des Schloſſes zuſammengedrängt; der königliche Thron prangte auf einem Altane, von dem eine mächtige Freitreppe in den Hof hinab- führte. Der Kanzler und der Landtagsmarſchall des Königreichs Preu- ßen hielten ihre Anſprachen in der herkömmlichen Weiſe; nur der
*) Liebermann’s Bericht, 29. Sept. 1840.
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Herrſcher „eine der wichtigſten und theuerſten Pflichten des königlichen
Berufes“.
Die Bitte des Landtags war alſo abgeſchlagen, der König ſtellte
nicht einmal für die Zukunft irgend etwas Beſtimmtes in Ausſicht, da
es ihm gegen die Ehre ging, ſich von vorwitzigen Unterthanen treiben
zu laſſen. Darum fühlte ſich auch Czar Nikolaus ſichtlich erleichtert;
er dankte ſeinem Schwager, weil die dornige Verfaſſungsfrage jetzt „ein- für
allemal“ abgethan ſei. *) Die Abweiſung erfolgte jedoch in ſo gnädigem
Tone, und Schön wußte ſeinen Landsleuten von den freiſinnigen Ab-
ſichten des Monarchen ſo viel Herrliches zu erzählen, daß die Stände
in der That glaubten, der Landtagsabſchied enthalte, weil er doch von der
Entwicklung des Beſtehenden ſpreche, mindeſtens eine halbe Gewährung.
Sie begrüßten die Verleſung des Aktenſtückes mit freudigen Hochrufen.
So ward der Grund gelegt für ein verhängnißvolles wechſelſeitiges Miß-
verſtändniß. Wer hätte auch jetzt da der Jubel des beginnenden Hul-
digungsfeſtes Alles übertäubte, noch die Stimmung gefunden zu ruhigem
Nachdenken? Ohnehin konnte ſich der Landtag keineswegs auf eine feſte
durchgebildete Volksüberzeugung ſtützen. Da Parteien noch nicht beſtanden,
ſo mochten ſich manche der Landſtände bei dem Beſchluſſe wenig gedacht
haben, nur die Führer der Mehrheit waren ſich ihres Zweckes bewußt.
Aber auch die fünf Stimmen der Minderheit des Landtags beſaßen in
der Provinz einen ſtarken Anhang. Siebenundzwanzig der zur Huldi-
gung einberufenen adlichen Grundbeſitzer traten noch am 8. Sept., ge-
führt von dem Grafen Dohna-Schlobitten zuſammen um gegen die Denk-
ſchrift des Landtags Verwahrung einzulegen: ſie ſeien, ſo verſicherten ſie
dem Könige, mit den beſtehenden Provinzialſtänden vollauf zufrieden und
wünſchten keine Neuerung.
Im Volke fragte noch Niemand nach dieſen politiſchen Gegenſätzen,
Alles dachte nur an den königlichen Gaſt und wie man ihn verherrlichen
ſollte. Am Abend des 9. Sept. gab die Provinz dem Monarchen ein
prachtvolles Feſt; in lebenden Bildern traten die großen Geſtalten der
reichen Landesgeſchichte auf; Männer aller Stände und aller Richtungen
wirkten einträchtig zuſammen; der liberale Theolog Cäſar v. Lengerke
hatte die begleitenden Verſe gedichtet, die der junge Juriſt Eduard Simſon
mit klangvoller Stimme vortrug. Am folgenden Tage verſammelten ſich
die Deputirten der Provinzen Preußen und Poſen zur Huldigung; mehr
denn zwanzigtauſend Menſchen ſtanden in dem weiten Hofe und an den
Fenſtern des Schloſſes zuſammengedrängt; der königliche Thron prangte
auf einem Altane, von dem eine mächtige Freitreppe in den Hof hinab-
führte. Der Kanzler und der Landtagsmarſchall des Königreichs Preu-
ßen hielten ihre Anſprachen in der herkömmlichen Weiſe; nur der
*) Liebermann’s Bericht, 29. Sept. 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/60>, abgerufen am 23.11.2024.
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