Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Huldigung in Königsberg. Posener Landtagsmarschall Graf Poninski versagte sichs nicht sehr deutlich zuerinnern an "die erhabenen, väterlichen Worte des großen Königs", der seinen polnischen Unterthanen verheißen habe ihnen Volksthümlichkeit und Sprache zu wahren. Als darauf die Eidesformel verlesen wurde, klang plötzlich durch die feierliche Stille grell und schneidend, wohl zehnmal wiederholt, der Warnungsruf eines wahnsinnigen Weibes: Schwört nicht, schwört nicht! Der unheimliche Eindruck der Störung ward aber sogleich vergessen, als der König vom Throne aufstand und, die Rechte feierlich erhoben, vor allem Volke gelobte, ein gerechter Richter, ein treuer, sorg- fältiger, barmherziger Fürst, ein christlicher König zu sein. Dann pries er in hochbegeisterten Worten dies Preußen, seine Wehrhaftigkeit ohne gleichen und die Einheit von Fürst und Volk: "So wolle Gott unser preußisches Vaterland sich selbst, Deutschland und der Welt erhalten! Mannichfach und doch eines. Wie das edle Erz, das aus vielen Metallen zusammengeschmolzen, nur ein einziges edelstes ist, keinem anderen Roste unterworfen als dem verschönernden der Jahrhunderte." Unbeschreiblich war die Wirkung dieses rhetorischen Meisterwerkes, das wie alle Werke geborener Redner den Hörenden noch viel herrlicher erschien als später- hin den Lesenden; fast Niemand fragte nüchtern, ob denn alle diese schwungvollen Betheuerungen, alle diese prächtigen Bilder irgend einen greifbaren politischen Inhalt hätten. Einer der neuen politischen Lyriker, der Student Rudolf Gottschall sang: Das Volk Steht wie Danae in heißem Wollustsehnen, Gluthverlangen, Seiner Worte goldnen Regen in dem Schooße zu empfangen! Alles schwamm in Freuden, und noch einige Tage hindurch währte der Währenddem zeigte sich aber schon wieder die mühsam verhaltene poli- *) Denkschriften von Grolman und Flottwell, 6. Oct., von Thile, 23. 29. Dec. 1840.
Huldigung in Königsberg. Poſener Landtagsmarſchall Graf Poninski verſagte ſichs nicht ſehr deutlich zuerinnern an „die erhabenen, väterlichen Worte des großen Königs“, der ſeinen polniſchen Unterthanen verheißen habe ihnen Volksthümlichkeit und Sprache zu wahren. Als darauf die Eidesformel verleſen wurde, klang plötzlich durch die feierliche Stille grell und ſchneidend, wohl zehnmal wiederholt, der Warnungsruf eines wahnſinnigen Weibes: Schwört nicht, ſchwört nicht! Der unheimliche Eindruck der Störung ward aber ſogleich vergeſſen, als der König vom Throne aufſtand und, die Rechte feierlich erhoben, vor allem Volke gelobte, ein gerechter Richter, ein treuer, ſorg- fältiger, barmherziger Fürſt, ein chriſtlicher König zu ſein. Dann pries er in hochbegeiſterten Worten dies Preußen, ſeine Wehrhaftigkeit ohne gleichen und die Einheit von Fürſt und Volk: „So wolle Gott unſer preußiſches Vaterland ſich ſelbſt, Deutſchland und der Welt erhalten! Mannichfach und doch eines. Wie das edle Erz, das aus vielen Metallen zuſammengeſchmolzen, nur ein einziges edelſtes iſt, keinem anderen Roſte unterworfen als dem verſchönernden der Jahrhunderte.“ Unbeſchreiblich war die Wirkung dieſes rhetoriſchen Meiſterwerkes, das wie alle Werke geborener Redner den Hörenden noch viel herrlicher erſchien als ſpäter- hin den Leſenden; faſt Niemand fragte nüchtern, ob denn alle dieſe ſchwungvollen Betheuerungen, alle dieſe prächtigen Bilder irgend einen greifbaren politiſchen Inhalt hätten. Einer der neuen politiſchen Lyriker, der Student Rudolf Gottſchall ſang: Das Volk Steht wie Danae in heißem Wolluſtſehnen, Gluthverlangen, Seiner Worte goldnen Regen in dem Schooße zu empfangen! Alles ſchwamm in Freuden, und noch einige Tage hindurch währte der Währenddem zeigte ſich aber ſchon wieder die mühſam verhaltene poli- *) Denkſchriften von Grolman und Flottwell, 6. Oct., von Thile, 23. 29. Dec. 1840.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0061" n="47"/><fw place="top" type="header">Huldigung in Königsberg.</fw><lb/> Poſener Landtagsmarſchall Graf Poninski verſagte ſichs nicht ſehr deutlich zu<lb/> erinnern an „die erhabenen, väterlichen Worte des großen Königs“, der<lb/> ſeinen polniſchen Unterthanen verheißen habe ihnen Volksthümlichkeit und<lb/> Sprache zu wahren. Als darauf die Eidesformel verleſen wurde, klang<lb/> plötzlich durch die feierliche Stille grell und ſchneidend, wohl zehnmal<lb/> wiederholt, der Warnungsruf eines wahnſinnigen Weibes: Schwört nicht,<lb/> ſchwört nicht! Der unheimliche Eindruck der Störung ward aber ſogleich<lb/> vergeſſen, als der König vom Throne aufſtand und, die Rechte feierlich<lb/> erhoben, vor allem Volke gelobte, ein gerechter Richter, ein treuer, ſorg-<lb/> fältiger, barmherziger Fürſt, ein chriſtlicher König zu ſein. Dann pries<lb/> er in hochbegeiſterten Worten dies Preußen, ſeine Wehrhaftigkeit ohne<lb/> gleichen und die Einheit von Fürſt und Volk: „So wolle Gott unſer<lb/> preußiſches Vaterland ſich ſelbſt, Deutſchland und der Welt erhalten!<lb/> Mannichfach und doch eines. Wie das edle Erz, das aus vielen Metallen<lb/> zuſammengeſchmolzen, nur ein einziges edelſtes iſt, keinem anderen Roſte<lb/> unterworfen als dem verſchönernden der Jahrhunderte.“ Unbeſchreiblich<lb/> war die Wirkung dieſes rhetoriſchen Meiſterwerkes, das wie alle Werke<lb/> geborener Redner den Hörenden noch viel herrlicher erſchien als ſpäter-<lb/> hin den Leſenden; faſt Niemand fragte nüchtern, ob denn alle dieſe<lb/> ſchwungvollen Betheuerungen, alle dieſe prächtigen Bilder irgend einen<lb/> greifbaren politiſchen Inhalt hätten. Einer der neuen politiſchen Lyriker,<lb/> der Student Rudolf Gottſchall ſang:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Das Volk</l><lb/> <l>Steht wie Danae in heißem Wolluſtſehnen, Gluthverlangen,</l><lb/> <l>Seiner Worte goldnen Regen in dem Schooße zu empfangen!</l> </lg><lb/> <p>Alles ſchwamm in Freuden, und noch einige Tage hindurch währte der<lb/> bacchantiſche Taumel.</p><lb/> <p>Währenddem zeigte ſich aber ſchon wieder die mühſam verhaltene poli-<lb/> tiſche Feindſeligkeit. Umſonſt hatte Graf Poninski ſeine rührſamen Be-<lb/> merkungen über die treuen Polen nicht ausgeſprochen. Die polniſchen Abge-<lb/> ordneten beriethen unter einander über eine Adreſſe an den König, und da<lb/> ſie, wie gewöhnlich, nicht einig wurden, ſo erbat ſich Graf Eduard Raczynski<lb/> als alter Freund Friedrich Wilhelm’s eine Audienz. Mit ſarmatiſcher Fein-<lb/> heit wußte er die weiche Stimmung des Königs, der jetzt ganz in Thränen<lb/> der Rührung zerfloß, zu benutzen und hielt ihm noch einmal alle die ſchon<lb/> ſo oft auf den Provinziallandtagen beſprochenen Klagen der Polen vor: der<lb/> weiße Adler und der Name eines Großherzogthums würden der Provinz<lb/> verſagt, das Deutſchthum bevorzugt, die polniſche Sprache in den Schulen<lb/> wie bei den Behörden zurückgeſetzt, von polniſchen Beamten nur eine kleine<lb/> Zahl angeſtellt. Es war, trotz der ehrerbietigen Form, eine ſcharfe An-<lb/> klage gegen das Regiment des tapferen Flottwell.<note place="foot" n="*)">Denkſchriften von Grolman und Flottwell, 6. Oct., von Thile, 23. 29. Dec. 1840.</note> Der König verlangte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0061]
Huldigung in Königsberg.
Poſener Landtagsmarſchall Graf Poninski verſagte ſichs nicht ſehr deutlich zu
erinnern an „die erhabenen, väterlichen Worte des großen Königs“, der
ſeinen polniſchen Unterthanen verheißen habe ihnen Volksthümlichkeit und
Sprache zu wahren. Als darauf die Eidesformel verleſen wurde, klang
plötzlich durch die feierliche Stille grell und ſchneidend, wohl zehnmal
wiederholt, der Warnungsruf eines wahnſinnigen Weibes: Schwört nicht,
ſchwört nicht! Der unheimliche Eindruck der Störung ward aber ſogleich
vergeſſen, als der König vom Throne aufſtand und, die Rechte feierlich
erhoben, vor allem Volke gelobte, ein gerechter Richter, ein treuer, ſorg-
fältiger, barmherziger Fürſt, ein chriſtlicher König zu ſein. Dann pries
er in hochbegeiſterten Worten dies Preußen, ſeine Wehrhaftigkeit ohne
gleichen und die Einheit von Fürſt und Volk: „So wolle Gott unſer
preußiſches Vaterland ſich ſelbſt, Deutſchland und der Welt erhalten!
Mannichfach und doch eines. Wie das edle Erz, das aus vielen Metallen
zuſammengeſchmolzen, nur ein einziges edelſtes iſt, keinem anderen Roſte
unterworfen als dem verſchönernden der Jahrhunderte.“ Unbeſchreiblich
war die Wirkung dieſes rhetoriſchen Meiſterwerkes, das wie alle Werke
geborener Redner den Hörenden noch viel herrlicher erſchien als ſpäter-
hin den Leſenden; faſt Niemand fragte nüchtern, ob denn alle dieſe
ſchwungvollen Betheuerungen, alle dieſe prächtigen Bilder irgend einen
greifbaren politiſchen Inhalt hätten. Einer der neuen politiſchen Lyriker,
der Student Rudolf Gottſchall ſang:
Das Volk
Steht wie Danae in heißem Wolluſtſehnen, Gluthverlangen,
Seiner Worte goldnen Regen in dem Schooße zu empfangen!
Alles ſchwamm in Freuden, und noch einige Tage hindurch währte der
bacchantiſche Taumel.
Währenddem zeigte ſich aber ſchon wieder die mühſam verhaltene poli-
tiſche Feindſeligkeit. Umſonſt hatte Graf Poninski ſeine rührſamen Be-
merkungen über die treuen Polen nicht ausgeſprochen. Die polniſchen Abge-
ordneten beriethen unter einander über eine Adreſſe an den König, und da
ſie, wie gewöhnlich, nicht einig wurden, ſo erbat ſich Graf Eduard Raczynski
als alter Freund Friedrich Wilhelm’s eine Audienz. Mit ſarmatiſcher Fein-
heit wußte er die weiche Stimmung des Königs, der jetzt ganz in Thränen
der Rührung zerfloß, zu benutzen und hielt ihm noch einmal alle die ſchon
ſo oft auf den Provinziallandtagen beſprochenen Klagen der Polen vor: der
weiße Adler und der Name eines Großherzogthums würden der Provinz
verſagt, das Deutſchthum bevorzugt, die polniſche Sprache in den Schulen
wie bei den Behörden zurückgeſetzt, von polniſchen Beamten nur eine kleine
Zahl angeſtellt. Es war, trotz der ehrerbietigen Form, eine ſcharfe An-
klage gegen das Regiment des tapferen Flottwell. *) Der König verlangte
*) Denkſchriften von Grolman und Flottwell, 6. Oct., von Thile, 23. 29. Dec. 1840.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |