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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 7. Polen und Schleswigholstein.
er auf Grund des Commissionsbedenkens das Erbrecht seiner königlichen
Thronnachfolger in Schleswig aufrecht halten werde; in einzelnen Theilen
Holsteins sei dies Erbrecht zweifelhaft, er hoffe jedoch die Hindernisse zu
beseitigen und "die vollständige Anerkennung der Integrität des dänischen
Gesammtstaates zu Wege zu bringen"; im Uebrigen sollten die Rechte der
Herzogthümer unangetastet bleiben. Das Commissionsbedenken selbst wurde
niemals vollständig veröffentlicht, weil es noch unbestimmter lautete als
der Offene Brief selbst. Was davon bekannt ward ließ sich leicht wider-
legen. Die Commission berief sich vornehmlich auf die Thatsache, daß
die Ritter und Beamten des gottorpischen Antheils von Schleswig, als
dieser 1721 mit dem königlichen vereinigt wurde, dem Könige Friedrich IV.
geschworen hatten, "ihm und seinen Erbsuccessoren in der Regierung
secundum tenorem legis regiae treu, hold und gewärtig zu sein";
es lag aber auf der Hand, daß dieser schon nach seinem Wortlaute viel-
deutige "gewöhnliche Erbhuldigungseid", der noch dazu nur einmal im
gottorpischen, niemals im königlichen Schleswig geleistet wurde, ohne die
Zustimmung der Agnaten und der Landstände an dem Thronfolgerechte
des Landes gar nichts hatte ändern können.*)

Der Offene Brief entsprach dem Charakter König Christian's. Er
war das Werk einer überfeinen Berechnung und eben deshalb eine un-
kluge Halbheit; er sollte die Schleswigholsteiner freundlich zum Vertrauen
auf die landesväterlichen Absichten ihres König-Herzogs ermahnen, aber
er vergewaltigte das Recht Schleswigs, er drohte auch das Recht Hol-
steins zu vergewaltigen und wirkte darum ebenso aufregend wie ein vollen-
deter Staatsstreich. Bei den Dänen, die den geistreichen Epikuräer bis-
her wenig geliebt hatten, errang sich der König jetzt mit einem male die
allgemeine Volksgunst. Seinen Rotschilder Landständen dankte er für ihre
patriotische Gesinnung und fügte nur einen sanften Tadel hinzu wegen
der offenbaren Ueberschreitung ihrer Befugnisse. Unter den Deutschen da-
gegen war die Entrüstung allgemein. Der Statthalter Prinz v. Noer
legte sein Amt nieder, desgleichen der Präsident der Deutschen Canzlei
Graf Joseph Reventlow, der Gesandte Reventlow-Altenhof und mehrere
andere hohe Beamte; auch der Herzog von Glücksburg verzichtete auf seine
Offiziersstelle. An die Spitze der Deutschen Canzlei wurde nunmehr Graf
Carl Moltke gestellt, ein gescheidter, strenger Absolutist, der sich grundsätzlich
verpflichtet hielt den Willen des Monarchen auszuführen. Der Statt-
halterposten blieb unbesetzt, und ganz ohne Einrede schaltete also fortan der
neue Präsident der schleswigholsteinischen Landesregierung v. Scheel, ein
gemeiner Ehrgeiziger von niederer Abkunft, der sich zu Allem hergab und
überdies durch seine gallige Unfreundlichkeit die Deutschen abstieß. Den
holsteinischen Ständen wurde sofort, noch im Juli, eröffnet, daß der

*) S. o. III. 591.

V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
er auf Grund des Commiſſionsbedenkens das Erbrecht ſeiner königlichen
Thronnachfolger in Schleswig aufrecht halten werde; in einzelnen Theilen
Holſteins ſei dies Erbrecht zweifelhaft, er hoffe jedoch die Hinderniſſe zu
beſeitigen und „die vollſtändige Anerkennung der Integrität des däniſchen
Geſammtſtaates zu Wege zu bringen“; im Uebrigen ſollten die Rechte der
Herzogthümer unangetaſtet bleiben. Das Commiſſionsbedenken ſelbſt wurde
niemals vollſtändig veröffentlicht, weil es noch unbeſtimmter lautete als
der Offene Brief ſelbſt. Was davon bekannt ward ließ ſich leicht wider-
legen. Die Commiſſion berief ſich vornehmlich auf die Thatſache, daß
die Ritter und Beamten des gottorpiſchen Antheils von Schleswig, als
dieſer 1721 mit dem königlichen vereinigt wurde, dem Könige Friedrich IV.
geſchworen hatten, „ihm und ſeinen Erbſucceſſoren in der Regierung
secundum tenorem legis regiae treu, hold und gewärtig zu ſein“;
es lag aber auf der Hand, daß dieſer ſchon nach ſeinem Wortlaute viel-
deutige „gewöhnliche Erbhuldigungseid“, der noch dazu nur einmal im
gottorpiſchen, niemals im königlichen Schleswig geleiſtet wurde, ohne die
Zuſtimmung der Agnaten und der Landſtände an dem Thronfolgerechte
des Landes gar nichts hatte ändern können.*)

Der Offene Brief entſprach dem Charakter König Chriſtian’s. Er
war das Werk einer überfeinen Berechnung und eben deshalb eine un-
kluge Halbheit; er ſollte die Schleswigholſteiner freundlich zum Vertrauen
auf die landesväterlichen Abſichten ihres König-Herzogs ermahnen, aber
er vergewaltigte das Recht Schleswigs, er drohte auch das Recht Hol-
ſteins zu vergewaltigen und wirkte darum ebenſo aufregend wie ein vollen-
deter Staatsſtreich. Bei den Dänen, die den geiſtreichen Epikuräer bis-
her wenig geliebt hatten, errang ſich der König jetzt mit einem male die
allgemeine Volksgunſt. Seinen Rotſchilder Landſtänden dankte er für ihre
patriotiſche Geſinnung und fügte nur einen ſanften Tadel hinzu wegen
der offenbaren Ueberſchreitung ihrer Befugniſſe. Unter den Deutſchen da-
gegen war die Entrüſtung allgemein. Der Statthalter Prinz v. Noer
legte ſein Amt nieder, desgleichen der Präſident der Deutſchen Canzlei
Graf Joſeph Reventlow, der Geſandte Reventlow-Altenhof und mehrere
andere hohe Beamte; auch der Herzog von Glücksburg verzichtete auf ſeine
Offiziersſtelle. An die Spitze der Deutſchen Canzlei wurde nunmehr Graf
Carl Moltke geſtellt, ein geſcheidter, ſtrenger Abſolutiſt, der ſich grundſätzlich
verpflichtet hielt den Willen des Monarchen auszuführen. Der Statt-
halterpoſten blieb unbeſetzt, und ganz ohne Einrede ſchaltete alſo fortan der
neue Präſident der ſchleswigholſteiniſchen Landesregierung v. Scheel, ein
gemeiner Ehrgeiziger von niederer Abkunft, der ſich zu Allem hergab und
überdies durch ſeine gallige Unfreundlichkeit die Deutſchen abſtieß. Den
holſteiniſchen Ständen wurde ſofort, noch im Juli, eröffnet, daß der

*) S. o. III. 591.
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[576/0590] V. 7. Polen und Schleswigholſtein. er auf Grund des Commiſſionsbedenkens das Erbrecht ſeiner königlichen Thronnachfolger in Schleswig aufrecht halten werde; in einzelnen Theilen Holſteins ſei dies Erbrecht zweifelhaft, er hoffe jedoch die Hinderniſſe zu beſeitigen und „die vollſtändige Anerkennung der Integrität des däniſchen Geſammtſtaates zu Wege zu bringen“; im Uebrigen ſollten die Rechte der Herzogthümer unangetaſtet bleiben. Das Commiſſionsbedenken ſelbſt wurde niemals vollſtändig veröffentlicht, weil es noch unbeſtimmter lautete als der Offene Brief ſelbſt. Was davon bekannt ward ließ ſich leicht wider- legen. Die Commiſſion berief ſich vornehmlich auf die Thatſache, daß die Ritter und Beamten des gottorpiſchen Antheils von Schleswig, als dieſer 1721 mit dem königlichen vereinigt wurde, dem Könige Friedrich IV. geſchworen hatten, „ihm und ſeinen Erbſucceſſoren in der Regierung secundum tenorem legis regiae treu, hold und gewärtig zu ſein“; es lag aber auf der Hand, daß dieſer ſchon nach ſeinem Wortlaute viel- deutige „gewöhnliche Erbhuldigungseid“, der noch dazu nur einmal im gottorpiſchen, niemals im königlichen Schleswig geleiſtet wurde, ohne die Zuſtimmung der Agnaten und der Landſtände an dem Thronfolgerechte des Landes gar nichts hatte ändern können. *) Der Offene Brief entſprach dem Charakter König Chriſtian’s. Er war das Werk einer überfeinen Berechnung und eben deshalb eine un- kluge Halbheit; er ſollte die Schleswigholſteiner freundlich zum Vertrauen auf die landesväterlichen Abſichten ihres König-Herzogs ermahnen, aber er vergewaltigte das Recht Schleswigs, er drohte auch das Recht Hol- ſteins zu vergewaltigen und wirkte darum ebenſo aufregend wie ein vollen- deter Staatsſtreich. Bei den Dänen, die den geiſtreichen Epikuräer bis- her wenig geliebt hatten, errang ſich der König jetzt mit einem male die allgemeine Volksgunſt. Seinen Rotſchilder Landſtänden dankte er für ihre patriotiſche Geſinnung und fügte nur einen ſanften Tadel hinzu wegen der offenbaren Ueberſchreitung ihrer Befugniſſe. Unter den Deutſchen da- gegen war die Entrüſtung allgemein. Der Statthalter Prinz v. Noer legte ſein Amt nieder, desgleichen der Präſident der Deutſchen Canzlei Graf Joſeph Reventlow, der Geſandte Reventlow-Altenhof und mehrere andere hohe Beamte; auch der Herzog von Glücksburg verzichtete auf ſeine Offiziersſtelle. An die Spitze der Deutſchen Canzlei wurde nunmehr Graf Carl Moltke geſtellt, ein geſcheidter, ſtrenger Abſolutiſt, der ſich grundſätzlich verpflichtet hielt den Willen des Monarchen auszuführen. Der Statt- halterpoſten blieb unbeſetzt, und ganz ohne Einrede ſchaltete alſo fortan der neue Präſident der ſchleswigholſteiniſchen Landesregierung v. Scheel, ein gemeiner Ehrgeiziger von niederer Abkunft, der ſich zu Allem hergab und überdies durch ſeine gallige Unfreundlichkeit die Deutſchen abſtieß. Den holſteiniſchen Ständen wurde ſofort, noch im Juli, eröffnet, daß der *) S. o. III. 591.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/590>, abgerufen am 22.11.2024.