den alljährlichen Belle-Alliance-Festen auf dem Galtgarbenberge verherr- lichten Dickert, Falkson und andere jugendliche Redner die künftige preußi- sche Verfassung. Als nun die Kunde von dem Thronwechsel kam, da fanden die verhaltenen Wünsche den Athem wieder; die Provinz hoffte, Alles werde jetzt anders und besser werden, die Einen erwarteten ein unbestimmtes politisches Glück, Andere eine Erleichterung des Druckes der russischen Grenzsperre, fast Alle aber sahen in Schön den Staatsmann der Zukunft.
Und mochte er es auch ableugnen, unmöglich konnte er selbst solchen Hoffnungen fremd bleiben. Wie oft hatte er, alle diese Jahre über, ein Cabinet "das vor dem Volke stehe" gefordert. Die bisherigen Minister schienen ihm allesammt verächtlich, am verächtlichsten Rochow, der sein unglückliches Wort vom beschränkten Unterthanenverstande der altpreu- ßischen Stadt Elbing zugeschleudert und also den reizbaren Provinzialstolz tödtlich beleidigt hatte. Diesen Abscheu erwiderten die Beamten der Berliner Centralstellen, ohne Unterschied der Partei, aus Herzensgrunde; sie alle hatten unter Schön's schroffer Tadelsucht viel gelitten und oft beklagt, daß der alte König ihm Alles nachsah. Der liberale Kühne, der mit dem erklärten Gegner des Zollvereins in beständiger Fehde lebte, sagte in seinen Erinnerungsblättern geradezu: "Nie hat, so weit meine Bekannt- schaft reicht, das Princip der Lüge und Falschheit eine vollständigere Ver- körperung erlangt als in diesem Manne." War es nicht natürlich, daß Schön diese seine geschworenen Feinde durch Männer seines Vertrauens zu verdrängen hoffte? Mit dem neuen Könige verband ihn eine lang- jährige Freundschaft, die allerdings, wie vormals Friedrich Wilhelm's Ver- hältniß zu Niebuhr, nicht auf wirklicher Gesinnungsgemeinschaft ruhte, also ernste Prüfungen schwerlich aushalten konnte. In seinen sittlichen Grundan- schauungen hatte der rationalistische Kantianer, der Gegner der historischen Schule mit dem christlich germanischen Monarchen wenig gemein. Seit seinen Kämpfen mit den Muckern war Schön in seinem Aufklärungs- Eifer immer fanatischer geworden und behauptete jetzt geradezu: "das rohe Gefühlsleben in den Formen der positiven Kirche schließt die Intelli- genz aus"; stolz stellte er der Heuchelei der Jesuiten, Herrnhuter und Pietisten, die ihm alle gleich galten, sein eigenes "einfaches Christenthum" entgegen, obwohl er in seiner Selbstüberhebung die christlichen Tugenden der Liebe, der Demuth, der Wahrhaftigkeit mehr und mehr verlernte. Aber Beide waren mit Niebuhr befreundet gewesen und erwärmten sich gern an den großen Erinnerungen des Befreiungskrieges, Beide schwärmten für England, Beide liebten leidenschaftlich das tapfere Volk des Ordenslandes und haßten die Bureaukratie der Hauptstadt; auch hatten sie schon oft zu- sammengearbeitet, bei dem Wiederaufbau der Marienburg und nachher in den ständischen Angelegenheiten. Dem Kronprinzen war es immer eine Freude, wenn er, gestützt auf das Fürwort des Oberpräsidenten, die An-
Schön und die Altpreußen.
den alljährlichen Belle-Alliance-Feſten auf dem Galtgarbenberge verherr- lichten Dickert, Falkſon und andere jugendliche Redner die künftige preußi- ſche Verfaſſung. Als nun die Kunde von dem Thronwechſel kam, da fanden die verhaltenen Wünſche den Athem wieder; die Provinz hoffte, Alles werde jetzt anders und beſſer werden, die Einen erwarteten ein unbeſtimmtes politiſches Glück, Andere eine Erleichterung des Druckes der ruſſiſchen Grenzſperre, faſt Alle aber ſahen in Schön den Staatsmann der Zukunft.
Und mochte er es auch ableugnen, unmöglich konnte er ſelbſt ſolchen Hoffnungen fremd bleiben. Wie oft hatte er, alle dieſe Jahre über, ein Cabinet „das vor dem Volke ſtehe“ gefordert. Die bisherigen Miniſter ſchienen ihm alleſammt verächtlich, am verächtlichſten Rochow, der ſein unglückliches Wort vom beſchränkten Unterthanenverſtande der altpreu- ßiſchen Stadt Elbing zugeſchleudert und alſo den reizbaren Provinzialſtolz tödtlich beleidigt hatte. Dieſen Abſcheu erwiderten die Beamten der Berliner Centralſtellen, ohne Unterſchied der Partei, aus Herzensgrunde; ſie alle hatten unter Schön’s ſchroffer Tadelſucht viel gelitten und oft beklagt, daß der alte König ihm Alles nachſah. Der liberale Kühne, der mit dem erklärten Gegner des Zollvereins in beſtändiger Fehde lebte, ſagte in ſeinen Erinnerungsblättern geradezu: „Nie hat, ſo weit meine Bekannt- ſchaft reicht, das Princip der Lüge und Falſchheit eine vollſtändigere Ver- körperung erlangt als in dieſem Manne.“ War es nicht natürlich, daß Schön dieſe ſeine geſchworenen Feinde durch Männer ſeines Vertrauens zu verdrängen hoffte? Mit dem neuen Könige verband ihn eine lang- jährige Freundſchaft, die allerdings, wie vormals Friedrich Wilhelm’s Ver- hältniß zu Niebuhr, nicht auf wirklicher Geſinnungsgemeinſchaft ruhte, alſo ernſte Prüfungen ſchwerlich aushalten konnte. In ſeinen ſittlichen Grundan- ſchauungen hatte der rationaliſtiſche Kantianer, der Gegner der hiſtoriſchen Schule mit dem chriſtlich germaniſchen Monarchen wenig gemein. Seit ſeinen Kämpfen mit den Muckern war Schön in ſeinem Aufklärungs- Eifer immer fanatiſcher geworden und behauptete jetzt geradezu: „das rohe Gefühlsleben in den Formen der poſitiven Kirche ſchließt die Intelli- genz aus“; ſtolz ſtellte er der Heuchelei der Jeſuiten, Herrnhuter und Pietiſten, die ihm alle gleich galten, ſein eigenes „einfaches Chriſtenthum“ entgegen, obwohl er in ſeiner Selbſtüberhebung die chriſtlichen Tugenden der Liebe, der Demuth, der Wahrhaftigkeit mehr und mehr verlernte. Aber Beide waren mit Niebuhr befreundet geweſen und erwärmten ſich gern an den großen Erinnerungen des Befreiungskrieges, Beide ſchwärmten für England, Beide liebten leidenſchaftlich das tapfere Volk des Ordenslandes und haßten die Bureaukratie der Hauptſtadt; auch hatten ſie ſchon oft zu- ſammengearbeitet, bei dem Wiederaufbau der Marienburg und nachher in den ſtändiſchen Angelegenheiten. Dem Kronprinzen war es immer eine Freude, wenn er, geſtützt auf das Fürwort des Oberpräſidenten, die An-
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Schön und die Altpreußen.
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fanden die verhaltenen Wünſche den Athem wieder; die Provinz hoffte,
Alles werde jetzt anders und beſſer werden, die Einen erwarteten ein
unbeſtimmtes politiſches Glück, Andere eine Erleichterung des Druckes der
ruſſiſchen Grenzſperre, faſt Alle aber ſahen in Schön den Staatsmann
der Zukunft.
Und mochte er es auch ableugnen, unmöglich konnte er ſelbſt ſolchen
Hoffnungen fremd bleiben. Wie oft hatte er, alle dieſe Jahre über, ein
Cabinet „das vor dem Volke ſtehe“ gefordert. Die bisherigen Miniſter
ſchienen ihm alleſammt verächtlich, am verächtlichſten Rochow, der ſein
unglückliches Wort vom beſchränkten Unterthanenverſtande der altpreu-
ßiſchen Stadt Elbing zugeſchleudert und alſo den reizbaren Provinzialſtolz
tödtlich beleidigt hatte. Dieſen Abſcheu erwiderten die Beamten der Berliner
Centralſtellen, ohne Unterſchied der Partei, aus Herzensgrunde; ſie alle
hatten unter Schön’s ſchroffer Tadelſucht viel gelitten und oft beklagt, daß
der alte König ihm Alles nachſah. Der liberale Kühne, der mit dem
erklärten Gegner des Zollvereins in beſtändiger Fehde lebte, ſagte in
ſeinen Erinnerungsblättern geradezu: „Nie hat, ſo weit meine Bekannt-
ſchaft reicht, das Princip der Lüge und Falſchheit eine vollſtändigere Ver-
körperung erlangt als in dieſem Manne.“ War es nicht natürlich, daß
Schön dieſe ſeine geſchworenen Feinde durch Männer ſeines Vertrauens
zu verdrängen hoffte? Mit dem neuen Könige verband ihn eine lang-
jährige Freundſchaft, die allerdings, wie vormals Friedrich Wilhelm’s Ver-
hältniß zu Niebuhr, nicht auf wirklicher Geſinnungsgemeinſchaft ruhte, alſo
ernſte Prüfungen ſchwerlich aushalten konnte. In ſeinen ſittlichen Grundan-
ſchauungen hatte der rationaliſtiſche Kantianer, der Gegner der hiſtoriſchen
Schule mit dem chriſtlich germaniſchen Monarchen wenig gemein. Seit
ſeinen Kämpfen mit den Muckern war Schön in ſeinem Aufklärungs-
Eifer immer fanatiſcher geworden und behauptete jetzt geradezu: „das
rohe Gefühlsleben in den Formen der poſitiven Kirche ſchließt die Intelli-
genz aus“; ſtolz ſtellte er der Heuchelei der Jeſuiten, Herrnhuter und
Pietiſten, die ihm alle gleich galten, ſein eigenes „einfaches Chriſtenthum“
entgegen, obwohl er in ſeiner Selbſtüberhebung die chriſtlichen Tugenden
der Liebe, der Demuth, der Wahrhaftigkeit mehr und mehr verlernte. Aber
Beide waren mit Niebuhr befreundet geweſen und erwärmten ſich gern
an den großen Erinnerungen des Befreiungskrieges, Beide ſchwärmten für
England, Beide liebten leidenſchaftlich das tapfere Volk des Ordenslandes
und haßten die Bureaukratie der Hauptſtadt; auch hatten ſie ſchon oft zu-
ſammengearbeitet, bei dem Wiederaufbau der Marienburg und nachher in
den ſtändiſchen Angelegenheiten. Dem Kronprinzen war es immer eine
Freude, wenn er, geſtützt auf das Fürwort des Oberpräſidenten, die An-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/55>, abgerufen am 23.11.2024.
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