träge des preußischen Landtags im Staatsministerium vertheidigen konnte; in den letzten Jahren glaubte er mit Schön ganz eines Sinnes zu sein, da sie Beide, freilich aus sehr verschiedenen Gründen, die Kirchenpolitik der Krone entschieden mißbilligten. Er freute sich an den immer beleben- den Gesprächen des geistreichen, vielerfahrenen Staatsmannes und entwarf sich von ihm nach seiner Künstlerweise ein ideales Bild, ohne zu bemerken, wie dicht Freimuth und Verschlagenheit, dynastische Treue und parteiische Willkür, Vaterlandsliebe und Eitelkeit in diesem seltsamen Geiste bei einander lagen. Schön's Reformpläne gingen so weit nicht, wie die liberale Presse der kleinen Nachbarstaaten wähnte, die ihn jetzt beharrlich als Volksmann und antiken Charakter verherrlichte; ein preußischer Reichstag von etwa hun- dert Köpfen schien ihm genügend, bei der großen politischen Unerfahrenheit des Volks. Nur eine rasche Entscheidung hielt er mit Recht für nothwendig. Zauderte die Krone, dann mußte sie durch den preußischen Landtag ehrer- bietig an die alten Verheißungen erinnert werden. Von seinem geliebten Königsberg war einst die Befreiung des Landvolks und die Erhebung gegen Napoleon ausgegangen; warum sollte sich nicht nochmals aus diesem eigent- lichen Königreiche Preußen ein Strom des Lichtes über Seiner Majestät übrige Länder ergießen?
Am 29. August hielt das Königspaar seinen Einzug in der alten Krönungsstadt. Die Schlächter ritten voran, nach dem Vorrechte, das sie sich hier, wie in Berlin, vor Alters durch rühmliche Kriegsthaten erkämpft hatten. Die anderen Innungen bildeten Spalier in den reichverzierten hochgiebligen Gassen, die Schiffe auf dem Pregel prangten im Flaggen- schmuck. Der König kam zu Roß neben dem Wagen seiner Gemahlin daher und beantwortete die Anrede des Bürgermeisters mit wohlgewählten herzlichen Worten. Stürmisch, endlos erklangen die Jubelrufe aus den Massen; die Kinder ließen sich nicht halten und drängten sich an den Herrscher heran, der gütig lächelnd die kleinen Krausköpfe streichelte; es schien als könnte nie mehr ein Mißklang das patriarchalische Verhältniß zwischen Fürst und Volk stören. Die nächsten Tage verbrachte der König bei den Uebungen der Truppen, auf Ausflügen in das schöne Samland und bei mannichfachen Festlichkeiten. Mittlerweile versammelten sich am 5. Septbr. die preußischen Landstände. Sie waren durch eine Cabinets- ordre v. 15. Juli einberufen und beauftragt, vor der Huldigung die bei- den Fragen zu beantworten: ob eine Bestätigung ständischer Privilegien zu beantragen und ob eine besondere Vertretung des Herrenstandes bei der Huldigung zu erwählen sei? Die erste dieser Fragen mußte, obwohl sie sich nur an althergebrachte Formeln anschloß, unter den gegenwärtigen Umständen den Eindruck machen, als wollte der König selbst die Stände zu einer Aeußerung über die Verfassungsfrage auffordern; Friedrich Wil- helm bemerkte die Gefahr nicht, weil er damals noch beabsichtigte den Ständen selber die Berufung eines allgemeinen Landtags, nach den Plä-
V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
träge des preußiſchen Landtags im Staatsminiſterium vertheidigen konnte; in den letzten Jahren glaubte er mit Schön ganz eines Sinnes zu ſein, da ſie Beide, freilich aus ſehr verſchiedenen Gründen, die Kirchenpolitik der Krone entſchieden mißbilligten. Er freute ſich an den immer beleben- den Geſprächen des geiſtreichen, vielerfahrenen Staatsmannes und entwarf ſich von ihm nach ſeiner Künſtlerweiſe ein ideales Bild, ohne zu bemerken, wie dicht Freimuth und Verſchlagenheit, dynaſtiſche Treue und parteiiſche Willkür, Vaterlandsliebe und Eitelkeit in dieſem ſeltſamen Geiſte bei einander lagen. Schön’s Reformpläne gingen ſo weit nicht, wie die liberale Preſſe der kleinen Nachbarſtaaten wähnte, die ihn jetzt beharrlich als Volksmann und antiken Charakter verherrlichte; ein preußiſcher Reichstag von etwa hun- dert Köpfen ſchien ihm genügend, bei der großen politiſchen Unerfahrenheit des Volks. Nur eine raſche Entſcheidung hielt er mit Recht für nothwendig. Zauderte die Krone, dann mußte ſie durch den preußiſchen Landtag ehrer- bietig an die alten Verheißungen erinnert werden. Von ſeinem geliebten Königsberg war einſt die Befreiung des Landvolks und die Erhebung gegen Napoleon ausgegangen; warum ſollte ſich nicht nochmals aus dieſem eigent- lichen Königreiche Preußen ein Strom des Lichtes über Seiner Majeſtät übrige Länder ergießen?
Am 29. Auguſt hielt das Königspaar ſeinen Einzug in der alten Krönungsſtadt. Die Schlächter ritten voran, nach dem Vorrechte, das ſie ſich hier, wie in Berlin, vor Alters durch rühmliche Kriegsthaten erkämpft hatten. Die anderen Innungen bildeten Spalier in den reichverzierten hochgiebligen Gaſſen, die Schiffe auf dem Pregel prangten im Flaggen- ſchmuck. Der König kam zu Roß neben dem Wagen ſeiner Gemahlin daher und beantwortete die Anrede des Bürgermeiſters mit wohlgewählten herzlichen Worten. Stürmiſch, endlos erklangen die Jubelrufe aus den Maſſen; die Kinder ließen ſich nicht halten und drängten ſich an den Herrſcher heran, der gütig lächelnd die kleinen Krausköpfe ſtreichelte; es ſchien als könnte nie mehr ein Mißklang das patriarchaliſche Verhältniß zwiſchen Fürſt und Volk ſtören. Die nächſten Tage verbrachte der König bei den Uebungen der Truppen, auf Ausflügen in das ſchöne Samland und bei mannichfachen Feſtlichkeiten. Mittlerweile verſammelten ſich am 5. Septbr. die preußiſchen Landſtände. Sie waren durch eine Cabinets- ordre v. 15. Juli einberufen und beauftragt, vor der Huldigung die bei- den Fragen zu beantworten: ob eine Beſtätigung ſtändiſcher Privilegien zu beantragen und ob eine beſondere Vertretung des Herrenſtandes bei der Huldigung zu erwählen ſei? Die erſte dieſer Fragen mußte, obwohl ſie ſich nur an althergebrachte Formeln anſchloß, unter den gegenwärtigen Umſtänden den Eindruck machen, als wollte der König ſelbſt die Stände zu einer Aeußerung über die Verfaſſungsfrage auffordern; Friedrich Wil- helm bemerkte die Gefahr nicht, weil er damals noch beabſichtigte den Ständen ſelber die Berufung eines allgemeinen Landtags, nach den Plä-
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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
träge des preußiſchen Landtags im Staatsminiſterium vertheidigen konnte;
in den letzten Jahren glaubte er mit Schön ganz eines Sinnes zu ſein,
da ſie Beide, freilich aus ſehr verſchiedenen Gründen, die Kirchenpolitik
der Krone entſchieden mißbilligten. Er freute ſich an den immer beleben-
den Geſprächen des geiſtreichen, vielerfahrenen Staatsmannes und entwarf
ſich von ihm nach ſeiner Künſtlerweiſe ein ideales Bild, ohne zu bemerken,
wie dicht Freimuth und Verſchlagenheit, dynaſtiſche Treue und parteiiſche
Willkür, Vaterlandsliebe und Eitelkeit in dieſem ſeltſamen Geiſte bei einander
lagen. Schön’s Reformpläne gingen ſo weit nicht, wie die liberale Preſſe
der kleinen Nachbarſtaaten wähnte, die ihn jetzt beharrlich als Volksmann
und antiken Charakter verherrlichte; ein preußiſcher Reichstag von etwa hun-
dert Köpfen ſchien ihm genügend, bei der großen politiſchen Unerfahrenheit
des Volks. Nur eine raſche Entſcheidung hielt er mit Recht für nothwendig.
Zauderte die Krone, dann mußte ſie durch den preußiſchen Landtag ehrer-
bietig an die alten Verheißungen erinnert werden. Von ſeinem geliebten
Königsberg war einſt die Befreiung des Landvolks und die Erhebung gegen
Napoleon ausgegangen; warum ſollte ſich nicht nochmals aus dieſem eigent-
lichen Königreiche Preußen ein Strom des Lichtes über Seiner Majeſtät
übrige Länder ergießen?
Am 29. Auguſt hielt das Königspaar ſeinen Einzug in der alten
Krönungsſtadt. Die Schlächter ritten voran, nach dem Vorrechte, das ſie
ſich hier, wie in Berlin, vor Alters durch rühmliche Kriegsthaten erkämpft
hatten. Die anderen Innungen bildeten Spalier in den reichverzierten
hochgiebligen Gaſſen, die Schiffe auf dem Pregel prangten im Flaggen-
ſchmuck. Der König kam zu Roß neben dem Wagen ſeiner Gemahlin
daher und beantwortete die Anrede des Bürgermeiſters mit wohlgewählten
herzlichen Worten. Stürmiſch, endlos erklangen die Jubelrufe aus den
Maſſen; die Kinder ließen ſich nicht halten und drängten ſich an den
Herrſcher heran, der gütig lächelnd die kleinen Krausköpfe ſtreichelte; es
ſchien als könnte nie mehr ein Mißklang das patriarchaliſche Verhältniß
zwiſchen Fürſt und Volk ſtören. Die nächſten Tage verbrachte der König
bei den Uebungen der Truppen, auf Ausflügen in das ſchöne Samland
und bei mannichfachen Feſtlichkeiten. Mittlerweile verſammelten ſich am
5. Septbr. die preußiſchen Landſtände. Sie waren durch eine Cabinets-
ordre v. 15. Juli einberufen und beauftragt, vor der Huldigung die bei-
den Fragen zu beantworten: ob eine Beſtätigung ſtändiſcher Privilegien
zu beantragen und ob eine beſondere Vertretung des Herrenſtandes bei
der Huldigung zu erwählen ſei? Die erſte dieſer Fragen mußte, obwohl
ſie ſich nur an althergebrachte Formeln anſchloß, unter den gegenwärtigen
Umſtänden den Eindruck machen, als wollte der König ſelbſt die Stände
zu einer Aeußerung über die Verfaſſungsfrage auffordern; Friedrich Wil-
helm bemerkte die Gefahr nicht, weil er damals noch beabſichtigte den
Ständen ſelber die Berufung eines allgemeinen Landtags, nach den Plä-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/56>, abgerufen am 23.07.2024.
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