der Türkei sei wie die Theilung eines Diamantrings; es frage sich allein, wer den Diamanten Stambul erhalten solle. Ebenso dachten die bri- tischen Staatsmänner. Ein Versprechen für die Zukunft wollten sie schlechterdings nicht geben, was der Czar bei besserer Kenntniß der eng- lischen Politik wohl hätte voraussehen müssen. Seine Reise verfehlte ihren Zweck, und wenn ein russisches Rundschreiben nachher von dem glücklich erzielten Einvernehmen sprach, so sollten die vieldeutigen Worte nur die erlittene Niederlage verhüllen.
Und nicht blos in den orientalischen Verhandlungen verrieth sich der Gegensatz, der beide Höfe trennte. Ganz so schroff wie vormals redete Nikolaus allerdings nicht mehr über das Recht der Legitimität; Don Car- los und Heinrich V. waren ihm ja Beide widerwärtig wegen ihrer per- sönlichen Nichtigkeit und ihrer clericalen Gesinnung. Doch trotz der deut- lichen Winke der Königin Victoria wollte er sich auch jetzt noch nicht ent- schließen, mit ihrem belgischen Oheim einen regelmäßigen diplomatischen Verkehr anzuknüpfen; denn König Leopold hatte ihn erst kürzlich wieder scharf gereizt durch die Aufnahme polnischer Offiziere in das belgische Heer. Nach der Heimkehr versicherte Nesselrode den fremden Gesandten stolz: nunmehr sei die entente cordiale für immer ein leeres Wort.*) In Wahrheit wurde die längst schon unsichere Freundschaft der Westmächte durch die Reise des Czaren weder erschüttert noch gestärkt. Ludwig Philipp witterte gleichwohl Unrath und nach seiner plebejischen Weise beeilte er sich ebenfalls zu "seiner Victoria" hinüberzufahren. Nachdem mittlerweile der Prinz von Preußen dem englischen Hofe einen anspruchslos freund- schaftlichen, ganz unpolitischen Besuch abgestattet hatte, erschien im October auch der Bürgerkönig. Auch er wurde hoch geehrt, sogar mit dem Hosen- band-Orden geschmückt; der Lordmayor und die Aldermen von London erfreuten sich seiner biderben Ansprachen und seiner kräftigen Handschütte- lungen. Dem stolzen Adel aber gefiel er weniger als der Czar, dessen Reise doch schon durch ihre soldatische Keckheit Bewunderung erregt hatte. Die parlamentarischen Staatsmänner überlief es kalt, wenn der redselige Orleans ihnen selbstgefällig erzählte, wie viele Minister er nun schon er- hoben und wieder zu Falle gebracht hätte. Robert Peel meinte: er ist ein sehr schlauer und gewandter König, sein System mag gut sein für Frankreich, nicht für England.**)
Nach Frauenart fühlte sich Königin Victoria durch alle diese Hul- digungsreisen lebhaft geschmeichelt; sie meinte gerührt, so viele Freunde verdanke sie ihrem geliebten Gatten und dem guten Rufe ihrer glücklichen Ehe. Wie wenig indeß die Höflichkeit der Fürsten für die Politik bedeutete, das lehrte der rastlose diplomatische Kampf im Osten, auf den alten
*) Liebermann's Bericht, 26. Oct. 1844.
**) Bunsen's Bericht, 16. Oct. 1844.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 34
Fürſtenbeſuche in England.
der Türkei ſei wie die Theilung eines Diamantrings; es frage ſich allein, wer den Diamanten Stambul erhalten ſolle. Ebenſo dachten die bri- tiſchen Staatsmänner. Ein Verſprechen für die Zukunft wollten ſie ſchlechterdings nicht geben, was der Czar bei beſſerer Kenntniß der eng- liſchen Politik wohl hätte vorausſehen müſſen. Seine Reiſe verfehlte ihren Zweck, und wenn ein ruſſiſches Rundſchreiben nachher von dem glücklich erzielten Einvernehmen ſprach, ſo ſollten die vieldeutigen Worte nur die erlittene Niederlage verhüllen.
Und nicht blos in den orientaliſchen Verhandlungen verrieth ſich der Gegenſatz, der beide Höfe trennte. Ganz ſo ſchroff wie vormals redete Nikolaus allerdings nicht mehr über das Recht der Legitimität; Don Car- los und Heinrich V. waren ihm ja Beide widerwärtig wegen ihrer per- ſönlichen Nichtigkeit und ihrer clericalen Geſinnung. Doch trotz der deut- lichen Winke der Königin Victoria wollte er ſich auch jetzt noch nicht ent- ſchließen, mit ihrem belgiſchen Oheim einen regelmäßigen diplomatiſchen Verkehr anzuknüpfen; denn König Leopold hatte ihn erſt kürzlich wieder ſcharf gereizt durch die Aufnahme polniſcher Offiziere in das belgiſche Heer. Nach der Heimkehr verſicherte Neſſelrode den fremden Geſandten ſtolz: nunmehr ſei die entente cordiale für immer ein leeres Wort.*) In Wahrheit wurde die längſt ſchon unſichere Freundſchaft der Weſtmächte durch die Reiſe des Czaren weder erſchüttert noch geſtärkt. Ludwig Philipp witterte gleichwohl Unrath und nach ſeiner plebejiſchen Weiſe beeilte er ſich ebenfalls zu „ſeiner Victoria“ hinüberzufahren. Nachdem mittlerweile der Prinz von Preußen dem engliſchen Hofe einen anſpruchslos freund- ſchaftlichen, ganz unpolitiſchen Beſuch abgeſtattet hatte, erſchien im October auch der Bürgerkönig. Auch er wurde hoch geehrt, ſogar mit dem Hoſen- band-Orden geſchmückt; der Lordmayor und die Aldermen von London erfreuten ſich ſeiner biderben Anſprachen und ſeiner kräftigen Handſchütte- lungen. Dem ſtolzen Adel aber gefiel er weniger als der Czar, deſſen Reiſe doch ſchon durch ihre ſoldatiſche Keckheit Bewunderung erregt hatte. Die parlamentariſchen Staatsmänner überlief es kalt, wenn der redſelige Orleans ihnen ſelbſtgefällig erzählte, wie viele Miniſter er nun ſchon er- hoben und wieder zu Falle gebracht hätte. Robert Peel meinte: er iſt ein ſehr ſchlauer und gewandter König, ſein Syſtem mag gut ſein für Frankreich, nicht für England.**)
Nach Frauenart fühlte ſich Königin Victoria durch alle dieſe Hul- digungsreiſen lebhaft geſchmeichelt; ſie meinte gerührt, ſo viele Freunde verdanke ſie ihrem geliebten Gatten und dem guten Rufe ihrer glücklichen Ehe. Wie wenig indeß die Höflichkeit der Fürſten für die Politik bedeutete, das lehrte der raſtloſe diplomatiſche Kampf im Oſten, auf den alten
*) Liebermann’s Bericht, 26. Oct. 1844.
**) Bunſen’s Bericht, 16. Oct. 1844.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 34
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0543"n="529"/><fwplace="top"type="header">Fürſtenbeſuche in England.</fw><lb/>
der Türkei ſei wie die Theilung eines Diamantrings; es frage ſich allein,<lb/>
wer den Diamanten Stambul erhalten ſolle. Ebenſo dachten die bri-<lb/>
tiſchen Staatsmänner. Ein Verſprechen für die Zukunft wollten ſie<lb/>ſchlechterdings nicht geben, was der Czar bei beſſerer Kenntniß der eng-<lb/>
liſchen Politik wohl hätte vorausſehen müſſen. Seine Reiſe verfehlte<lb/>
ihren Zweck, und wenn ein ruſſiſches Rundſchreiben nachher von dem<lb/>
glücklich erzielten Einvernehmen ſprach, ſo ſollten die vieldeutigen Worte<lb/>
nur die erlittene Niederlage verhüllen.</p><lb/><p>Und nicht blos in den orientaliſchen Verhandlungen verrieth ſich der<lb/>
Gegenſatz, der beide Höfe trennte. Ganz ſo ſchroff wie vormals redete<lb/>
Nikolaus allerdings nicht mehr über das Recht der Legitimität; Don Car-<lb/>
los und Heinrich <hirendition="#aq">V.</hi> waren ihm ja Beide widerwärtig wegen ihrer per-<lb/>ſönlichen Nichtigkeit und ihrer clericalen Geſinnung. Doch trotz der deut-<lb/>
lichen Winke der Königin Victoria wollte er ſich auch jetzt noch nicht ent-<lb/>ſchließen, mit ihrem belgiſchen Oheim einen regelmäßigen diplomatiſchen<lb/>
Verkehr anzuknüpfen; denn König Leopold hatte ihn erſt kürzlich wieder<lb/>ſcharf gereizt durch die Aufnahme polniſcher Offiziere in das belgiſche<lb/>
Heer. Nach der Heimkehr verſicherte Neſſelrode den fremden Geſandten<lb/>ſtolz: nunmehr ſei die <hirendition="#aq">entente cordiale</hi> für immer ein leeres Wort.<noteplace="foot"n="*)">Liebermann’s Bericht, 26. Oct. 1844.</note><lb/>
In Wahrheit wurde die längſt ſchon unſichere Freundſchaft der Weſtmächte<lb/>
durch die Reiſe des Czaren weder erſchüttert noch geſtärkt. Ludwig Philipp<lb/>
witterte gleichwohl Unrath und nach ſeiner plebejiſchen Weiſe beeilte er<lb/>ſich ebenfalls zu „ſeiner Victoria“ hinüberzufahren. Nachdem mittlerweile<lb/>
der Prinz von Preußen dem engliſchen Hofe einen anſpruchslos freund-<lb/>ſchaftlichen, ganz unpolitiſchen Beſuch abgeſtattet hatte, erſchien im October<lb/>
auch der Bürgerkönig. Auch er wurde hoch geehrt, ſogar mit dem Hoſen-<lb/>
band-Orden geſchmückt; der Lordmayor und die Aldermen von London<lb/>
erfreuten ſich ſeiner biderben Anſprachen und ſeiner kräftigen Handſchütte-<lb/>
lungen. Dem ſtolzen Adel aber gefiel er weniger als der Czar, deſſen<lb/>
Reiſe doch ſchon durch ihre ſoldatiſche Keckheit Bewunderung erregt hatte.<lb/>
Die parlamentariſchen Staatsmänner überlief es kalt, wenn der redſelige<lb/>
Orleans ihnen ſelbſtgefällig erzählte, wie viele Miniſter er nun ſchon er-<lb/>
hoben und wieder zu Falle gebracht hätte. Robert Peel meinte: er iſt<lb/>
ein ſehr ſchlauer und gewandter König, ſein Syſtem mag gut ſein für<lb/>
Frankreich, nicht für England.<noteplace="foot"n="**)">Bunſen’s Bericht, 16. Oct. 1844.</note></p><lb/><p>Nach Frauenart fühlte ſich Königin Victoria durch alle dieſe Hul-<lb/>
digungsreiſen lebhaft geſchmeichelt; ſie meinte gerührt, ſo viele Freunde<lb/>
verdanke ſie ihrem geliebten Gatten und dem guten Rufe ihrer glücklichen<lb/>
Ehe. Wie wenig indeß die Höflichkeit der Fürſten für die Politik bedeutete,<lb/>
das lehrte der raſtloſe diplomatiſche Kampf im Oſten, auf den alten<lb/><fwplace="bottom"type="sig">v. <hirendition="#g">Treitſchke</hi>, Deutſche Geſchichte. <hirendition="#aq">V.</hi> 34</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[529/0543]
Fürſtenbeſuche in England.
der Türkei ſei wie die Theilung eines Diamantrings; es frage ſich allein,
wer den Diamanten Stambul erhalten ſolle. Ebenſo dachten die bri-
tiſchen Staatsmänner. Ein Verſprechen für die Zukunft wollten ſie
ſchlechterdings nicht geben, was der Czar bei beſſerer Kenntniß der eng-
liſchen Politik wohl hätte vorausſehen müſſen. Seine Reiſe verfehlte
ihren Zweck, und wenn ein ruſſiſches Rundſchreiben nachher von dem
glücklich erzielten Einvernehmen ſprach, ſo ſollten die vieldeutigen Worte
nur die erlittene Niederlage verhüllen.
Und nicht blos in den orientaliſchen Verhandlungen verrieth ſich der
Gegenſatz, der beide Höfe trennte. Ganz ſo ſchroff wie vormals redete
Nikolaus allerdings nicht mehr über das Recht der Legitimität; Don Car-
los und Heinrich V. waren ihm ja Beide widerwärtig wegen ihrer per-
ſönlichen Nichtigkeit und ihrer clericalen Geſinnung. Doch trotz der deut-
lichen Winke der Königin Victoria wollte er ſich auch jetzt noch nicht ent-
ſchließen, mit ihrem belgiſchen Oheim einen regelmäßigen diplomatiſchen
Verkehr anzuknüpfen; denn König Leopold hatte ihn erſt kürzlich wieder
ſcharf gereizt durch die Aufnahme polniſcher Offiziere in das belgiſche
Heer. Nach der Heimkehr verſicherte Neſſelrode den fremden Geſandten
ſtolz: nunmehr ſei die entente cordiale für immer ein leeres Wort. *)
In Wahrheit wurde die längſt ſchon unſichere Freundſchaft der Weſtmächte
durch die Reiſe des Czaren weder erſchüttert noch geſtärkt. Ludwig Philipp
witterte gleichwohl Unrath und nach ſeiner plebejiſchen Weiſe beeilte er
ſich ebenfalls zu „ſeiner Victoria“ hinüberzufahren. Nachdem mittlerweile
der Prinz von Preußen dem engliſchen Hofe einen anſpruchslos freund-
ſchaftlichen, ganz unpolitiſchen Beſuch abgeſtattet hatte, erſchien im October
auch der Bürgerkönig. Auch er wurde hoch geehrt, ſogar mit dem Hoſen-
band-Orden geſchmückt; der Lordmayor und die Aldermen von London
erfreuten ſich ſeiner biderben Anſprachen und ſeiner kräftigen Handſchütte-
lungen. Dem ſtolzen Adel aber gefiel er weniger als der Czar, deſſen
Reiſe doch ſchon durch ihre ſoldatiſche Keckheit Bewunderung erregt hatte.
Die parlamentariſchen Staatsmänner überlief es kalt, wenn der redſelige
Orleans ihnen ſelbſtgefällig erzählte, wie viele Miniſter er nun ſchon er-
hoben und wieder zu Falle gebracht hätte. Robert Peel meinte: er iſt
ein ſehr ſchlauer und gewandter König, ſein Syſtem mag gut ſein für
Frankreich, nicht für England. **)
Nach Frauenart fühlte ſich Königin Victoria durch alle dieſe Hul-
digungsreiſen lebhaft geſchmeichelt; ſie meinte gerührt, ſo viele Freunde
verdanke ſie ihrem geliebten Gatten und dem guten Rufe ihrer glücklichen
Ehe. Wie wenig indeß die Höflichkeit der Fürſten für die Politik bedeutete,
das lehrte der raſtloſe diplomatiſche Kampf im Oſten, auf den alten
*) Liebermann’s Bericht, 26. Oct. 1844.
**) Bunſen’s Bericht, 16. Oct. 1844.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 34
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/543>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.