Tummelplätzen des internationalen Ränkespiels. Was mußte das unglück- liche Griechenland leiden unter dem ewigen Gezänk der drei Mächte, die sich wie zum Hohne die puissances creatrices, die Erzeuger des jungen Königreichs nannten. Dem Czaren war die Selbständigkeit des Rebellen- staates und seines katholischen Herrscherhauses von vornherein widerwärtig. Den König Otto hatte er selbst durch die Zusendung eines kaiserlichen Generaladjutanten, die doch sonst überall im Oriente als unfehlbares Ueberredungsmittel wirkte, nicht für die orthodoxe Kirche zu gewinnen vermocht; und seit der Kronprinz von Baiern gar die Hand seiner Tochter Olga verschmäht hatte*), hegte er einen tiefen Groll gegen alle Wittels- bacher.
Auch wußte die wohl erfahrene russische Diplomatie genau, daß ein großer nationaler Staat auf der Balkanhalbinsel, wenn er überhaupt möglich war, nur durch das hellenische Volksthum geschaffen werden konnte. Welche Lebenskraft bewährte doch immer noch, trotz der starken Blutver- mischung und trotz der politischen Ohnmacht dies unverwüstliche Hellenen- thum, das einst sogar gegen die weltherrschende Roma seine Cultur im Ost- becken des Mittelmeeres behauptet hatte. Die meisten der großen Kaufleute in den Hafenplätzen des Osmanenreiches waren Griechen; sie arbeiteten, wagten und sparten, derweil die Türken in Trägheit verkamen; sie bildeten eine große stille Verschwörung mit den Landsleuten im kleinen Mutterlande, die beständig eine Erweiterung ihrer unerträglich engen Grenzen verlangten. Selbst die zäheste Nationalität des Abendlandes, die italienische, widerstand ihnen nicht, alle die alten venetianischen Geschlechter auf den ionischen und den kykladischen Inseln wurden nach und nach zu Byzantinern. Da der Czar sich selber als den rechtmäßigen Erben des Doppeladlers von Byzanz betrachtete, so sah er sich demnach gezwungen zu einer arglistigen Politik, welche, sobald sie durchschaut war, die Hellenen mit unauslösch- lichem Groll erfüllen mußte. Er ließ einerseits, um die Türkei zu schwächen, die ohnmächtige Ländergier der Griechen insgeheim aufstacheln und suchte andererseits die Macht des jungen Königthums zu untergraben. Dies Doppelspiel betrieb mit unheimlicher Gewandtheit der russische Gesandte Katakazi, ein Grieche, der sich der besonderen Gunst Nesselrode's erfreute.**) Katakazi unterhielt geheimen Verkehr mit der orthodoxen Partei der Nap- pisten, die ihre begehrlichen Blicke zunächst auf Thessalien warf; seine Berichte sprachen mit äußerster Geringschätzung von König Otto, von dessen Umgebung, von dem gesammten griechischen Staatswesen.***)
Ebenso feindselig zeigte sich England, freilich aus ganz verschiedenen Gründen. Sämmtliche Parteien des Inselreichs, vor allen die Whigs, glaubten jetzt wieder an die Unantastbarkeit der Osmanenherrschaft; die
*) S. o. IV. 536.
**) Liebermann's Bericht, 21. Nov. 1843.
***) Katakazi's Berichte, 26. April, 27. Mai 1842 ff.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
Tummelplätzen des internationalen Ränkeſpiels. Was mußte das unglück- liche Griechenland leiden unter dem ewigen Gezänk der drei Mächte, die ſich wie zum Hohne die puissances créatrices, die Erzeuger des jungen Königreichs nannten. Dem Czaren war die Selbſtändigkeit des Rebellen- ſtaates und ſeines katholiſchen Herrſcherhauſes von vornherein widerwärtig. Den König Otto hatte er ſelbſt durch die Zuſendung eines kaiſerlichen Generaladjutanten, die doch ſonſt überall im Oriente als unfehlbares Ueberredungsmittel wirkte, nicht für die orthodoxe Kirche zu gewinnen vermocht; und ſeit der Kronprinz von Baiern gar die Hand ſeiner Tochter Olga verſchmäht hatte*), hegte er einen tiefen Groll gegen alle Wittels- bacher.
Auch wußte die wohl erfahrene ruſſiſche Diplomatie genau, daß ein großer nationaler Staat auf der Balkanhalbinſel, wenn er überhaupt möglich war, nur durch das helleniſche Volksthum geſchaffen werden konnte. Welche Lebenskraft bewährte doch immer noch, trotz der ſtarken Blutver- miſchung und trotz der politiſchen Ohnmacht dies unverwüſtliche Hellenen- thum, das einſt ſogar gegen die weltherrſchende Roma ſeine Cultur im Oſt- becken des Mittelmeeres behauptet hatte. Die meiſten der großen Kaufleute in den Hafenplätzen des Osmanenreiches waren Griechen; ſie arbeiteten, wagten und ſparten, derweil die Türken in Trägheit verkamen; ſie bildeten eine große ſtille Verſchwörung mit den Landsleuten im kleinen Mutterlande, die beſtändig eine Erweiterung ihrer unerträglich engen Grenzen verlangten. Selbſt die zäheſte Nationalität des Abendlandes, die italieniſche, widerſtand ihnen nicht, alle die alten venetianiſchen Geſchlechter auf den ioniſchen und den kykladiſchen Inſeln wurden nach und nach zu Byzantinern. Da der Czar ſich ſelber als den rechtmäßigen Erben des Doppeladlers von Byzanz betrachtete, ſo ſah er ſich demnach gezwungen zu einer argliſtigen Politik, welche, ſobald ſie durchſchaut war, die Hellenen mit unauslöſch- lichem Groll erfüllen mußte. Er ließ einerſeits, um die Türkei zu ſchwächen, die ohnmächtige Ländergier der Griechen insgeheim aufſtacheln und ſuchte andererſeits die Macht des jungen Königthums zu untergraben. Dies Doppelſpiel betrieb mit unheimlicher Gewandtheit der ruſſiſche Geſandte Katakazi, ein Grieche, der ſich der beſonderen Gunſt Neſſelrode’s erfreute.**) Katakazi unterhielt geheimen Verkehr mit der orthodoxen Partei der Nap- piſten, die ihre begehrlichen Blicke zunächſt auf Theſſalien warf; ſeine Berichte ſprachen mit äußerſter Geringſchätzung von König Otto, von deſſen Umgebung, von dem geſammten griechiſchen Staatsweſen.***)
Ebenſo feindſelig zeigte ſich England, freilich aus ganz verſchiedenen Gründen. Sämmtliche Parteien des Inſelreichs, vor allen die Whigs, glaubten jetzt wieder an die Unantaſtbarkeit der Osmanenherrſchaft; die
*) S. o. IV. 536.
**) Liebermann’s Bericht, 21. Nov. 1843.
***) Katakazi’s Berichte, 26. April, 27. Mai 1842 ff.
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
Tummelplätzen des internationalen Ränkeſpiels. Was mußte das unglück-
liche Griechenland leiden unter dem ewigen Gezänk der drei Mächte, die
ſich wie zum Hohne die puissances créatrices, die Erzeuger des jungen
Königreichs nannten. Dem Czaren war die Selbſtändigkeit des Rebellen-
ſtaates und ſeines katholiſchen Herrſcherhauſes von vornherein widerwärtig.
Den König Otto hatte er ſelbſt durch die Zuſendung eines kaiſerlichen
Generaladjutanten, die doch ſonſt überall im Oriente als unfehlbares
Ueberredungsmittel wirkte, nicht für die orthodoxe Kirche zu gewinnen
vermocht; und ſeit der Kronprinz von Baiern gar die Hand ſeiner Tochter
Olga verſchmäht hatte *), hegte er einen tiefen Groll gegen alle Wittels-
bacher.
Auch wußte die wohl erfahrene ruſſiſche Diplomatie genau, daß ein
großer nationaler Staat auf der Balkanhalbinſel, wenn er überhaupt
möglich war, nur durch das helleniſche Volksthum geſchaffen werden konnte.
Welche Lebenskraft bewährte doch immer noch, trotz der ſtarken Blutver-
miſchung und trotz der politiſchen Ohnmacht dies unverwüſtliche Hellenen-
thum, das einſt ſogar gegen die weltherrſchende Roma ſeine Cultur im Oſt-
becken des Mittelmeeres behauptet hatte. Die meiſten der großen Kaufleute
in den Hafenplätzen des Osmanenreiches waren Griechen; ſie arbeiteten,
wagten und ſparten, derweil die Türken in Trägheit verkamen; ſie bildeten
eine große ſtille Verſchwörung mit den Landsleuten im kleinen Mutterlande,
die beſtändig eine Erweiterung ihrer unerträglich engen Grenzen verlangten.
Selbſt die zäheſte Nationalität des Abendlandes, die italieniſche, widerſtand
ihnen nicht, alle die alten venetianiſchen Geſchlechter auf den ioniſchen
und den kykladiſchen Inſeln wurden nach und nach zu Byzantinern. Da
der Czar ſich ſelber als den rechtmäßigen Erben des Doppeladlers von
Byzanz betrachtete, ſo ſah er ſich demnach gezwungen zu einer argliſtigen
Politik, welche, ſobald ſie durchſchaut war, die Hellenen mit unauslöſch-
lichem Groll erfüllen mußte. Er ließ einerſeits, um die Türkei zu ſchwächen,
die ohnmächtige Ländergier der Griechen insgeheim aufſtacheln und ſuchte
andererſeits die Macht des jungen Königthums zu untergraben. Dies
Doppelſpiel betrieb mit unheimlicher Gewandtheit der ruſſiſche Geſandte
Katakazi, ein Grieche, der ſich der beſonderen Gunſt Neſſelrode’s erfreute. **)
Katakazi unterhielt geheimen Verkehr mit der orthodoxen Partei der Nap-
piſten, die ihre begehrlichen Blicke zunächſt auf Theſſalien warf; ſeine
Berichte ſprachen mit äußerſter Geringſchätzung von König Otto, von
deſſen Umgebung, von dem geſammten griechiſchen Staatsweſen. ***)
Ebenſo feindſelig zeigte ſich England, freilich aus ganz verſchiedenen
Gründen. Sämmtliche Parteien des Inſelreichs, vor allen die Whigs,
glaubten jetzt wieder an die Unantaſtbarkeit der Osmanenherrſchaft; die
*) S. o. IV. 536.
**) Liebermann’s Bericht, 21. Nov. 1843.
***) Katakazi’s Berichte, 26. April, 27. Mai 1842 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/544>, abgerufen am 22.11.2024.
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