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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Begnadigung Dunin's.
Am nächsten Tage erklangen in allen Kirchen des Erzbisthums wieder die
Glocken und die Orgeln, die wegen der Gefangenschaft des Oberhirten bis-
her geschwiegen hatten. Die Stadt Posen veranstaltete eine große Erleuch-
tung zur Feier der Amnestie für die politischen Verbrecher, und wochenlang
strömten Tag für Tag Hunderte von Andächtigen zu dem befreiten Märtyrer.
Dunin versäumte auch nicht in Gnesen einzuziehen, wo ihm die Bauern die
Pferde vom Wagen spannten; einer Pilgerschaar, die zu der schwarzen Mutter
Gottes von Czenstochau, der Regina Regni Poloniae wallfahrtete, ertheilte
er feierlich seinen Segen. So verhöhnte der Begnadigte die deutsche Staats-
gewalt ins Angesicht; der so lange durch Flottwell's Strenge niedergehaltene
Deutschenhaß regte sich wieder, während dieser Saturnalien polnischer Sieges-
trunkenheit wurde der erste Keim gelegt für die Aufstände der nächsten Jahre.
Unterdessen ließ der versöhnliche Hirtenbrief, welchen Dunin dem Monar-
chen versprochen hatte, noch immer auf sich warten. Erst nach langen
peinlichen Verhandlungen mit der Regierung*) kam ein geschraubtes und
gewundenes Rundschreiben zu Stande (27. Aug.): den Geistlichen wurde
zwar untersagt das förmliche Versprechen katholischer Kindererziehung zu
fordern, anderseits aber völlig frei gestellt, ihre Mitwirkung bei der Ab-
schließung gemischter Ehen zu verweigern. Die Entscheidung über die
gemischten Ehen lag also fortan ausschließlich in der Hand des römischen
Clerus; in Posen wie vorher schon am Rhein hatte der Staat völlig
nachgegeben.**)

Damit die Posener Verhältnisse wieder in ruhigen Gang kämen, ver-
langte der König, daß die beiden alten Gegner, Dunin und der Oberpräsi-
dent Flottwell sich versöhnen sollten. Flottwell erklärte sich auch bereit
die ihm anempfohlene Selbstverleugnung zu üben; der treue Mann ahnte
schon, die Zeit des festen und gerechten deutschen Regimentes werde unter
dem neuen Könige nicht mehr lange währen. Dunin dagegen weigerte sich
den ersten Schritt zu thun, was ihm, dem Verurheilten, doch unzweifelhaft
zukam. Der Oberpräsident, so versicherte er dem Könige, hätte ihn
gar zu schlecht behandelt: "Die dadurch hervorgerufenen Gefühle aus-
zutilgen vermag ich nicht, denn wenngleich Priester bin ich doch ein Mensch,
und ein Wurm krümmt sich wenn er getreten wird." Zugleich fragte er
ganz verwundert, warum man ihn noch immer nicht zum Krönungsfeste
nach Königsberg eingeladen habe.***) Vergeblich suchte ihn Oberst Willisen,
ein dem Könige nahestehender, mit dem polnischen Adel eng befreundeter
Offizier, mindestens zur Wahrung des äußeren Anstandes zu bewegen;
vergeblich erinnerte ihn Minister Rochow, im Auftrage des Monarchen,
an die Christenpflicht der Versöhnlichkeit. Dunin blieb bei seinem Trotze;

*) Ladenberg an Dunin, 25. Aug. 1840.
**) S. o. IV. 700.
***) Dunin an den König, 24. Aug.; an Ladenberg, 22. Aug. 1840

Begnadigung Dunin’s.
Am nächſten Tage erklangen in allen Kirchen des Erzbisthums wieder die
Glocken und die Orgeln, die wegen der Gefangenſchaft des Oberhirten bis-
her geſchwiegen hatten. Die Stadt Poſen veranſtaltete eine große Erleuch-
tung zur Feier der Amneſtie für die politiſchen Verbrecher, und wochenlang
ſtrömten Tag für Tag Hunderte von Andächtigen zu dem befreiten Märtyrer.
Dunin verſäumte auch nicht in Gneſen einzuziehen, wo ihm die Bauern die
Pferde vom Wagen ſpannten; einer Pilgerſchaar, die zu der ſchwarzen Mutter
Gottes von Czenſtochau, der Regina Regni Poloniae wallfahrtete, ertheilte
er feierlich ſeinen Segen. So verhöhnte der Begnadigte die deutſche Staats-
gewalt ins Angeſicht; der ſo lange durch Flottwell’s Strenge niedergehaltene
Deutſchenhaß regte ſich wieder, während dieſer Saturnalien polniſcher Sieges-
trunkenheit wurde der erſte Keim gelegt für die Aufſtände der nächſten Jahre.
Unterdeſſen ließ der verſöhnliche Hirtenbrief, welchen Dunin dem Monar-
chen verſprochen hatte, noch immer auf ſich warten. Erſt nach langen
peinlichen Verhandlungen mit der Regierung*) kam ein geſchraubtes und
gewundenes Rundſchreiben zu Stande (27. Aug.): den Geiſtlichen wurde
zwar unterſagt das förmliche Verſprechen katholiſcher Kindererziehung zu
fordern, anderſeits aber völlig frei geſtellt, ihre Mitwirkung bei der Ab-
ſchließung gemiſchter Ehen zu verweigern. Die Entſcheidung über die
gemiſchten Ehen lag alſo fortan ausſchließlich in der Hand des römiſchen
Clerus; in Poſen wie vorher ſchon am Rhein hatte der Staat völlig
nachgegeben.**)

Damit die Poſener Verhältniſſe wieder in ruhigen Gang kämen, ver-
langte der König, daß die beiden alten Gegner, Dunin und der Oberpräſi-
dent Flottwell ſich verſöhnen ſollten. Flottwell erklärte ſich auch bereit
die ihm anempfohlene Selbſtverleugnung zu üben; der treue Mann ahnte
ſchon, die Zeit des feſten und gerechten deutſchen Regimentes werde unter
dem neuen Könige nicht mehr lange währen. Dunin dagegen weigerte ſich
den erſten Schritt zu thun, was ihm, dem Verurheilten, doch unzweifelhaft
zukam. Der Oberpräſident, ſo verſicherte er dem Könige, hätte ihn
gar zu ſchlecht behandelt: „Die dadurch hervorgerufenen Gefühle aus-
zutilgen vermag ich nicht, denn wenngleich Prieſter bin ich doch ein Menſch,
und ein Wurm krümmt ſich wenn er getreten wird.“ Zugleich fragte er
ganz verwundert, warum man ihn noch immer nicht zum Krönungsfeſte
nach Königsberg eingeladen habe.***) Vergeblich ſuchte ihn Oberſt Williſen,
ein dem Könige naheſtehender, mit dem polniſchen Adel eng befreundeter
Offizier, mindeſtens zur Wahrung des äußeren Anſtandes zu bewegen;
vergeblich erinnerte ihn Miniſter Rochow, im Auftrage des Monarchen,
an die Chriſtenpflicht der Verſöhnlichkeit. Dunin blieb bei ſeinem Trotze;

*) Ladenberg an Dunin, 25. Aug. 1840.
**) S. o. IV. 700.
***) Dunin an den König, 24. Aug.; an Ladenberg, 22. Aug. 1840
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[39/0053] Begnadigung Dunin’s. Am nächſten Tage erklangen in allen Kirchen des Erzbisthums wieder die Glocken und die Orgeln, die wegen der Gefangenſchaft des Oberhirten bis- her geſchwiegen hatten. Die Stadt Poſen veranſtaltete eine große Erleuch- tung zur Feier der Amneſtie für die politiſchen Verbrecher, und wochenlang ſtrömten Tag für Tag Hunderte von Andächtigen zu dem befreiten Märtyrer. Dunin verſäumte auch nicht in Gneſen einzuziehen, wo ihm die Bauern die Pferde vom Wagen ſpannten; einer Pilgerſchaar, die zu der ſchwarzen Mutter Gottes von Czenſtochau, der Regina Regni Poloniae wallfahrtete, ertheilte er feierlich ſeinen Segen. So verhöhnte der Begnadigte die deutſche Staats- gewalt ins Angeſicht; der ſo lange durch Flottwell’s Strenge niedergehaltene Deutſchenhaß regte ſich wieder, während dieſer Saturnalien polniſcher Sieges- trunkenheit wurde der erſte Keim gelegt für die Aufſtände der nächſten Jahre. Unterdeſſen ließ der verſöhnliche Hirtenbrief, welchen Dunin dem Monar- chen verſprochen hatte, noch immer auf ſich warten. Erſt nach langen peinlichen Verhandlungen mit der Regierung *) kam ein geſchraubtes und gewundenes Rundſchreiben zu Stande (27. Aug.): den Geiſtlichen wurde zwar unterſagt das förmliche Verſprechen katholiſcher Kindererziehung zu fordern, anderſeits aber völlig frei geſtellt, ihre Mitwirkung bei der Ab- ſchließung gemiſchter Ehen zu verweigern. Die Entſcheidung über die gemiſchten Ehen lag alſo fortan ausſchließlich in der Hand des römiſchen Clerus; in Poſen wie vorher ſchon am Rhein hatte der Staat völlig nachgegeben. **) Damit die Poſener Verhältniſſe wieder in ruhigen Gang kämen, ver- langte der König, daß die beiden alten Gegner, Dunin und der Oberpräſi- dent Flottwell ſich verſöhnen ſollten. Flottwell erklärte ſich auch bereit die ihm anempfohlene Selbſtverleugnung zu üben; der treue Mann ahnte ſchon, die Zeit des feſten und gerechten deutſchen Regimentes werde unter dem neuen Könige nicht mehr lange währen. Dunin dagegen weigerte ſich den erſten Schritt zu thun, was ihm, dem Verurheilten, doch unzweifelhaft zukam. Der Oberpräſident, ſo verſicherte er dem Könige, hätte ihn gar zu ſchlecht behandelt: „Die dadurch hervorgerufenen Gefühle aus- zutilgen vermag ich nicht, denn wenngleich Prieſter bin ich doch ein Menſch, und ein Wurm krümmt ſich wenn er getreten wird.“ Zugleich fragte er ganz verwundert, warum man ihn noch immer nicht zum Krönungsfeſte nach Königsberg eingeladen habe. ***) Vergeblich ſuchte ihn Oberſt Williſen, ein dem Könige naheſtehender, mit dem polniſchen Adel eng befreundeter Offizier, mindeſtens zur Wahrung des äußeren Anſtandes zu bewegen; vergeblich erinnerte ihn Miniſter Rochow, im Auftrage des Monarchen, an die Chriſtenpflicht der Verſöhnlichkeit. Dunin blieb bei ſeinem Trotze; *) Ladenberg an Dunin, 25. Aug. 1840. **) S. o. IV. 700. ***) Dunin an den König, 24. Aug.; an Ladenberg, 22. Aug. 1840

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/53>, abgerufen am 23.11.2024.