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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Rother's Bankreform.
daß sein trocken geschäftliches Wesen den geistreichen Monarchen lang-
weilte, und fragte sogar einmal ehrlich an, ob er das Vertrauen Sr. Maje-
stät noch besitze. Darauf antwortete der König sofort sehr gnädig -- denn
er wußte wohl, daß er keinen treueren Diener besaß --: "schlagen Sie
Sich die Grillen aus dem Kopf und freuen Sie Sich vielmehr des großen
Vertrauens Ihres herzlich wohlgeneigten F. W." Zugleich schrieb er, so-
eben aus dem Theater heimgekehrt, an Thile: "Hier, theuerster Thile, ein
Brieflein des alten Rother, welcher raset. Beruhigen Sie ihn einstweilen
und beweisen Sie ihm, daß er, chose incroyable, mit seiner Ein-
bildungskraft
durchgeht. Ich komme ganz durchbebt von classisch-
hellenischem Weh, von des alten schuldlosen Frevlers Oedipus Laios Sohnes
donnerumhallt geheimnißvollem Ende."*) Trotzdem fühlte sich der Mi-
nister bedroht. Als im December 1845 der Handelsrath versammelt
wurde, um unter dem Vorsitze des Monarchen die Vorschläge Bülow-
Cummerow's zu vernehmen und alsdann zu entscheiden: ob Staatsbank
oder Nationalbank? -- da sagte Rother zu seinen Freunden bitter: ich
werde nur mitberufen, weil ich ein alter Esel bin.**) Er sollte sehr angenehm
enttäuscht werden. Es war doch ein gar zu ungeheuerlicher Gedanke, daß
man diese Preußische Bank, die sich zum Ruhme der Monarchie aus hoff-
nungsloser Zerrüttung so ehrenhaft wieder emporgearbeitet hatte, mit-
sammt ihren erprobten Beamten und ihren alten Geschäftsbeziehungen
jetzt plötzlich aufgeben wollte, um eine ganz neue Schöpfung zu wagen.
Und welche Sicherheit bot das neue Unternehmen? Bülow selbst, der
reiche, unabhängige Grundherr, hegte unzweifelhaft die besten Absichten,
obgleich ihn die Berliner Geheimen Räthe als einen gefährlichen Streber
verleumdeten; er lebte nach dem guten Wahlspruche des zahlreichsten deutschen
Adelsgeschlechts: "alle Bülows ehrlich." Aber die von ihm gegründete
Ritterschaftliche Privatbank in Stettin, welcher die Anfänge des pommerschen
Chausseebaus zu danken waren, stand niemals ganz fest; ihre Geschäfts-
führung zeichnete sich weder durch Klugheit noch durch Ordnung aus.

Solche Erwägungen machten auf Friedrich Wilhelm tiefen Eindruck.
An seinen übrigen Herrschergaben begann er jetzt schon oft zu zweifeln, doch
als ein getreuer Haushalter wollte er immer erfunden werden; seine
Pflichten gegen die Staatsfinanzen nahm er sehr ernst, und in diesen
Geschäften ging auch sein Urtheil selten fehl. Bülow-Cummerow's Vor-
schläge wurden also verworfen, der Bankpräsident schlug den Finanz-
minister. Die peinliche Frage, ob die 10 Mill. Banknoten nicht eine un-
gesetzliche Vermehrung der Staatsschuld bedeuteten, blieb vorerst uner-
ledigt. Sie ließ sich jetzt, da der Staat ja nicht alleiniger Eigenthümer der
Bank bleiben sollte, fast mit gleich guten Gründen bejahen oder verneinen;

*) Rother an den König, 31. Oct.; König Friedrich Wilhelm an Rother 1. Nov.,
an Thile 1. Nov. 1845.
**) Nach Kühne's Aufzeichnungen.

Rother’s Bankreform.
daß ſein trocken geſchäftliches Weſen den geiſtreichen Monarchen lang-
weilte, und fragte ſogar einmal ehrlich an, ob er das Vertrauen Sr. Maje-
ſtät noch beſitze. Darauf antwortete der König ſofort ſehr gnädig — denn
er wußte wohl, daß er keinen treueren Diener beſaß —: „ſchlagen Sie
Sich die Grillen aus dem Kopf und freuen Sie Sich vielmehr des großen
Vertrauens Ihres herzlich wohlgeneigten F. W.“ Zugleich ſchrieb er, ſo-
eben aus dem Theater heimgekehrt, an Thile: „Hier, theuerſter Thile, ein
Brieflein des alten Rother, welcher raſet. Beruhigen Sie ihn einſtweilen
und beweiſen Sie ihm, daß er, chose incroyable, mit ſeiner Ein-
bildungskraft
durchgeht. Ich komme ganz durchbebt von claſſiſch-
helleniſchem Weh, von des alten ſchuldloſen Frevlers Oedipus Laios Sohnes
donnerumhallt geheimnißvollem Ende.“*) Trotzdem fühlte ſich der Mi-
niſter bedroht. Als im December 1845 der Handelsrath verſammelt
wurde, um unter dem Vorſitze des Monarchen die Vorſchläge Bülow-
Cummerow’s zu vernehmen und alsdann zu entſcheiden: ob Staatsbank
oder Nationalbank? — da ſagte Rother zu ſeinen Freunden bitter: ich
werde nur mitberufen, weil ich ein alter Eſel bin.**) Er ſollte ſehr angenehm
enttäuſcht werden. Es war doch ein gar zu ungeheuerlicher Gedanke, daß
man dieſe Preußiſche Bank, die ſich zum Ruhme der Monarchie aus hoff-
nungsloſer Zerrüttung ſo ehrenhaft wieder emporgearbeitet hatte, mit-
ſammt ihren erprobten Beamten und ihren alten Geſchäftsbeziehungen
jetzt plötzlich aufgeben wollte, um eine ganz neue Schöpfung zu wagen.
Und welche Sicherheit bot das neue Unternehmen? Bülow ſelbſt, der
reiche, unabhängige Grundherr, hegte unzweifelhaft die beſten Abſichten,
obgleich ihn die Berliner Geheimen Räthe als einen gefährlichen Streber
verleumdeten; er lebte nach dem guten Wahlſpruche des zahlreichſten deutſchen
Adelsgeſchlechts: „alle Bülows ehrlich.“ Aber die von ihm gegründete
Ritterſchaftliche Privatbank in Stettin, welcher die Anfänge des pommerſchen
Chauſſeebaus zu danken waren, ſtand niemals ganz feſt; ihre Geſchäfts-
führung zeichnete ſich weder durch Klugheit noch durch Ordnung aus.

Solche Erwägungen machten auf Friedrich Wilhelm tiefen Eindruck.
An ſeinen übrigen Herrſchergaben begann er jetzt ſchon oft zu zweifeln, doch
als ein getreuer Haushalter wollte er immer erfunden werden; ſeine
Pflichten gegen die Staatsfinanzen nahm er ſehr ernſt, und in dieſen
Geſchäften ging auch ſein Urtheil ſelten fehl. Bülow-Cummerow’s Vor-
ſchläge wurden alſo verworfen, der Bankpräſident ſchlug den Finanz-
miniſter. Die peinliche Frage, ob die 10 Mill. Banknoten nicht eine un-
geſetzliche Vermehrung der Staatsſchuld bedeuteten, blieb vorerſt uner-
ledigt. Sie ließ ſich jetzt, da der Staat ja nicht alleiniger Eigenthümer der
Bank bleiben ſollte, faſt mit gleich guten Gründen bejahen oder verneinen;

*) Rother an den König, 31. Oct.; König Friedrich Wilhelm an Rother 1. Nov.,
an Thile 1. Nov. 1845.
**) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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[503/0517] Rother’s Bankreform. daß ſein trocken geſchäftliches Weſen den geiſtreichen Monarchen lang- weilte, und fragte ſogar einmal ehrlich an, ob er das Vertrauen Sr. Maje- ſtät noch beſitze. Darauf antwortete der König ſofort ſehr gnädig — denn er wußte wohl, daß er keinen treueren Diener beſaß —: „ſchlagen Sie Sich die Grillen aus dem Kopf und freuen Sie Sich vielmehr des großen Vertrauens Ihres herzlich wohlgeneigten F. W.“ Zugleich ſchrieb er, ſo- eben aus dem Theater heimgekehrt, an Thile: „Hier, theuerſter Thile, ein Brieflein des alten Rother, welcher raſet. Beruhigen Sie ihn einſtweilen und beweiſen Sie ihm, daß er, chose incroyable, mit ſeiner Ein- bildungskraft durchgeht. Ich komme ganz durchbebt von claſſiſch- helleniſchem Weh, von des alten ſchuldloſen Frevlers Oedipus Laios Sohnes donnerumhallt geheimnißvollem Ende.“ *) Trotzdem fühlte ſich der Mi- niſter bedroht. Als im December 1845 der Handelsrath verſammelt wurde, um unter dem Vorſitze des Monarchen die Vorſchläge Bülow- Cummerow’s zu vernehmen und alsdann zu entſcheiden: ob Staatsbank oder Nationalbank? — da ſagte Rother zu ſeinen Freunden bitter: ich werde nur mitberufen, weil ich ein alter Eſel bin. **) Er ſollte ſehr angenehm enttäuſcht werden. Es war doch ein gar zu ungeheuerlicher Gedanke, daß man dieſe Preußiſche Bank, die ſich zum Ruhme der Monarchie aus hoff- nungsloſer Zerrüttung ſo ehrenhaft wieder emporgearbeitet hatte, mit- ſammt ihren erprobten Beamten und ihren alten Geſchäftsbeziehungen jetzt plötzlich aufgeben wollte, um eine ganz neue Schöpfung zu wagen. Und welche Sicherheit bot das neue Unternehmen? Bülow ſelbſt, der reiche, unabhängige Grundherr, hegte unzweifelhaft die beſten Abſichten, obgleich ihn die Berliner Geheimen Räthe als einen gefährlichen Streber verleumdeten; er lebte nach dem guten Wahlſpruche des zahlreichſten deutſchen Adelsgeſchlechts: „alle Bülows ehrlich.“ Aber die von ihm gegründete Ritterſchaftliche Privatbank in Stettin, welcher die Anfänge des pommerſchen Chauſſeebaus zu danken waren, ſtand niemals ganz feſt; ihre Geſchäfts- führung zeichnete ſich weder durch Klugheit noch durch Ordnung aus. Solche Erwägungen machten auf Friedrich Wilhelm tiefen Eindruck. An ſeinen übrigen Herrſchergaben begann er jetzt ſchon oft zu zweifeln, doch als ein getreuer Haushalter wollte er immer erfunden werden; ſeine Pflichten gegen die Staatsfinanzen nahm er ſehr ernſt, und in dieſen Geſchäften ging auch ſein Urtheil ſelten fehl. Bülow-Cummerow’s Vor- ſchläge wurden alſo verworfen, der Bankpräſident ſchlug den Finanz- miniſter. Die peinliche Frage, ob die 10 Mill. Banknoten nicht eine un- geſetzliche Vermehrung der Staatsſchuld bedeuteten, blieb vorerſt uner- ledigt. Sie ließ ſich jetzt, da der Staat ja nicht alleiniger Eigenthümer der Bank bleiben ſollte, faſt mit gleich guten Gründen bejahen oder verneinen; *) Rother an den König, 31. Oct.; König Friedrich Wilhelm an Rother 1. Nov., an Thile 1. Nov. 1845. **) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/517>, abgerufen am 22.11.2024.