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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
der Wirrwarr des Verfassungsrechts -- Jedermann erfuhr es auf Schritt
und Tritt -- bedurfte endlich einer unzweideutigen Regelung. Am 11. April
1846 befahl eine Cabinetsordre die Neugestaltung der Preußischen Bank,
im Wesentlichen nach Rother's Vorschlägen; am 5. Oct. erschien dem-
gemäß die neue Bankordnung. Rother erlebte noch die Freude, daß seine
Noten, die er mit der äußersten Vorsicht bankmäßig gedeckt hatte, überall,
auch im Auslande, unbedenklich wie baares Geld angenommen wurden und
selbst in den Stürmen des Jahres 1848 ruhig ihre Geltung behaupteten.

Nach einer solchen Niederlage konnte Flottwell sich nicht mehr im
Amte halten. Wie grausam wurde doch diesem ausgezeichneten Beamten
durch die Wechselfälle der neuen Regierung mitgespielt. Der König hatte
ihn erst, zum Dank für seine musterhafte Verwaltung, von Posen hinweg
nach Magdeburg versetzt; er hatte ihn sodann zum Finanzminister ernannt,
obgleich Flottwell sich selbst als Nicht-Fachmann bekannte, und nachher
noch den Zweifelnden oftmals seines ungeschwächten Vertrauens versichert.*)
Nun zeigte sich doch, wie berechtigt Flottwell's eigner Zweifel gewesen.
Er glaubte trotzdem sich durch einen kühnen Schritt retten zu können.
In einer langen Denkschrift (Juni 1846) schlug er dem Monarchen eine
Umgestaltung des Ministeriums vor, dergestalt, daß die Bank sowie
alle Geldinstitute des Staates dem Finanzminister untergeordnet, Handel
und Gewerbe, Bergwerke und Posten hingegen einem neuen Handels-
ministerium überwiesen würden; denn in seiner gegenwärtigen Stellung
sei der Finanzminister "vernichtet". Dies war eine offene Kriegserklärung
gegen Rother, dessen Pläne der König soeben erst angenommen hatte.
Friedrich Wilhelm brauste auf; er sah in dem Vorgehen des Ministers
strafbaren Ungehorsam. Im Juli wurde Flottwell ungnädig entlassen und
mußte noch froh sein, als er nachher die Stelle des Oberpräsidenten in
Westphalen erhielt.**)

Also war die Stelle des Finanzministers, zum dritten male seit dem
Thronwechsel, erledigt; und da der Einzige, der vielleicht als Vierter er-
folgreich eintreten konnte, Kühne, dem Monarchen mißfiel, so wurde nach
langen Erwägungen der erst vor'm Jahre entlassene Graf Arnim-Boitzen-
burg zur Uebernahme des Amtes aufgefordert. Der Graf erwiderte,
wie vormals Flottwell: vom Finanzwesen verstehe er nichts. Nachdem er
dies Bedenken, auf das Zureden des Königs, endlich aufgegeben hatte,
erklärte er freimüthig: seinen Widerspruch gegen die königlichen Verfassungs-
pläne könne er nicht fallen lassen und sie darum auch nicht vor dem be-
vorstehenden Landtage vertheidigen.***) Seitdem war er unmöglich. Nun

*) Bodelschwingh an Flottwell, 26. Jan. 1845.
**) Flottwell an Thile, 6. Juli; Thile, Bericht an den König 6. Juli, Denkschrift
über das Promemoria des Finanzministers 22. Juli 1846.
***) Graf Arnim an Thile, 14. 25. 30. Juli; an den König, 30. Juli, 8. Aug.;
Cabinetsordre an Arnim, 3. Aug. 1846.

V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
der Wirrwarr des Verfaſſungsrechts — Jedermann erfuhr es auf Schritt
und Tritt — bedurfte endlich einer unzweideutigen Regelung. Am 11. April
1846 befahl eine Cabinetsordre die Neugeſtaltung der Preußiſchen Bank,
im Weſentlichen nach Rother’s Vorſchlägen; am 5. Oct. erſchien dem-
gemäß die neue Bankordnung. Rother erlebte noch die Freude, daß ſeine
Noten, die er mit der äußerſten Vorſicht bankmäßig gedeckt hatte, überall,
auch im Auslande, unbedenklich wie baares Geld angenommen wurden und
ſelbſt in den Stürmen des Jahres 1848 ruhig ihre Geltung behaupteten.

Nach einer ſolchen Niederlage konnte Flottwell ſich nicht mehr im
Amte halten. Wie grauſam wurde doch dieſem ausgezeichneten Beamten
durch die Wechſelfälle der neuen Regierung mitgeſpielt. Der König hatte
ihn erſt, zum Dank für ſeine muſterhafte Verwaltung, von Poſen hinweg
nach Magdeburg verſetzt; er hatte ihn ſodann zum Finanzminiſter ernannt,
obgleich Flottwell ſich ſelbſt als Nicht-Fachmann bekannte, und nachher
noch den Zweifelnden oftmals ſeines ungeſchwächten Vertrauens verſichert.*)
Nun zeigte ſich doch, wie berechtigt Flottwell’s eigner Zweifel geweſen.
Er glaubte trotzdem ſich durch einen kühnen Schritt retten zu können.
In einer langen Denkſchrift (Juni 1846) ſchlug er dem Monarchen eine
Umgeſtaltung des Miniſteriums vor, dergeſtalt, daß die Bank ſowie
alle Geldinſtitute des Staates dem Finanzminiſter untergeordnet, Handel
und Gewerbe, Bergwerke und Poſten hingegen einem neuen Handels-
miniſterium überwieſen würden; denn in ſeiner gegenwärtigen Stellung
ſei der Finanzminiſter „vernichtet“. Dies war eine offene Kriegserklärung
gegen Rother, deſſen Pläne der König ſoeben erſt angenommen hatte.
Friedrich Wilhelm brauſte auf; er ſah in dem Vorgehen des Miniſters
ſtrafbaren Ungehorſam. Im Juli wurde Flottwell ungnädig entlaſſen und
mußte noch froh ſein, als er nachher die Stelle des Oberpräſidenten in
Weſtphalen erhielt.**)

Alſo war die Stelle des Finanzminiſters, zum dritten male ſeit dem
Thronwechſel, erledigt; und da der Einzige, der vielleicht als Vierter er-
folgreich eintreten konnte, Kühne, dem Monarchen mißfiel, ſo wurde nach
langen Erwägungen der erſt vor’m Jahre entlaſſene Graf Arnim-Boitzen-
burg zur Uebernahme des Amtes aufgefordert. Der Graf erwiderte,
wie vormals Flottwell: vom Finanzweſen verſtehe er nichts. Nachdem er
dies Bedenken, auf das Zureden des Königs, endlich aufgegeben hatte,
erklärte er freimüthig: ſeinen Widerſpruch gegen die königlichen Verfaſſungs-
pläne könne er nicht fallen laſſen und ſie darum auch nicht vor dem be-
vorſtehenden Landtage vertheidigen.***) Seitdem war er unmöglich. Nun

*) Bodelſchwingh an Flottwell, 26. Jan. 1845.
**) Flottwell an Thile, 6. Juli; Thile, Bericht an den König 6. Juli, Denkſchrift
über das Promemoria des Finanzminiſters 22. Juli 1846.
***) Graf Arnim an Thile, 14. 25. 30. Juli; an den König, 30. Juli, 8. Aug.;
Cabinetsordre an Arnim, 3. Aug. 1846.
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[504/0518] V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft. der Wirrwarr des Verfaſſungsrechts — Jedermann erfuhr es auf Schritt und Tritt — bedurfte endlich einer unzweideutigen Regelung. Am 11. April 1846 befahl eine Cabinetsordre die Neugeſtaltung der Preußiſchen Bank, im Weſentlichen nach Rother’s Vorſchlägen; am 5. Oct. erſchien dem- gemäß die neue Bankordnung. Rother erlebte noch die Freude, daß ſeine Noten, die er mit der äußerſten Vorſicht bankmäßig gedeckt hatte, überall, auch im Auslande, unbedenklich wie baares Geld angenommen wurden und ſelbſt in den Stürmen des Jahres 1848 ruhig ihre Geltung behaupteten. Nach einer ſolchen Niederlage konnte Flottwell ſich nicht mehr im Amte halten. Wie grauſam wurde doch dieſem ausgezeichneten Beamten durch die Wechſelfälle der neuen Regierung mitgeſpielt. Der König hatte ihn erſt, zum Dank für ſeine muſterhafte Verwaltung, von Poſen hinweg nach Magdeburg verſetzt; er hatte ihn ſodann zum Finanzminiſter ernannt, obgleich Flottwell ſich ſelbſt als Nicht-Fachmann bekannte, und nachher noch den Zweifelnden oftmals ſeines ungeſchwächten Vertrauens verſichert. *) Nun zeigte ſich doch, wie berechtigt Flottwell’s eigner Zweifel geweſen. Er glaubte trotzdem ſich durch einen kühnen Schritt retten zu können. In einer langen Denkſchrift (Juni 1846) ſchlug er dem Monarchen eine Umgeſtaltung des Miniſteriums vor, dergeſtalt, daß die Bank ſowie alle Geldinſtitute des Staates dem Finanzminiſter untergeordnet, Handel und Gewerbe, Bergwerke und Poſten hingegen einem neuen Handels- miniſterium überwieſen würden; denn in ſeiner gegenwärtigen Stellung ſei der Finanzminiſter „vernichtet“. Dies war eine offene Kriegserklärung gegen Rother, deſſen Pläne der König ſoeben erſt angenommen hatte. Friedrich Wilhelm brauſte auf; er ſah in dem Vorgehen des Miniſters ſtrafbaren Ungehorſam. Im Juli wurde Flottwell ungnädig entlaſſen und mußte noch froh ſein, als er nachher die Stelle des Oberpräſidenten in Weſtphalen erhielt. **) Alſo war die Stelle des Finanzminiſters, zum dritten male ſeit dem Thronwechſel, erledigt; und da der Einzige, der vielleicht als Vierter er- folgreich eintreten konnte, Kühne, dem Monarchen mißfiel, ſo wurde nach langen Erwägungen der erſt vor’m Jahre entlaſſene Graf Arnim-Boitzen- burg zur Uebernahme des Amtes aufgefordert. Der Graf erwiderte, wie vormals Flottwell: vom Finanzweſen verſtehe er nichts. Nachdem er dies Bedenken, auf das Zureden des Königs, endlich aufgegeben hatte, erklärte er freimüthig: ſeinen Widerſpruch gegen die königlichen Verfaſſungs- pläne könne er nicht fallen laſſen und ſie darum auch nicht vor dem be- vorſtehenden Landtage vertheidigen. ***) Seitdem war er unmöglich. Nun *) Bodelſchwingh an Flottwell, 26. Jan. 1845. **) Flottwell an Thile, 6. Juli; Thile, Bericht an den König 6. Juli, Denkſchrift über das Promemoria des Finanzminiſters 22. Juli 1846. ***) Graf Arnim an Thile, 14. 25. 30. Juli; an den König, 30. Juli, 8. Aug.; Cabinetsordre an Arnim, 3. Aug. 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/518>, abgerufen am 22.11.2024.