V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
er dem Beamtenthum stets mißtraute, schon als Kronprinz oft beklagt, "daß die Masse der Erfahrung, die in dem Handel und Gewerbe treiben- den Publicum vorhanden ist, in den obersten Behörden gar keine Ver- tretung fand".*) Darum gründete er, nach den Plänen seines Vaters, am 16. Jan. 1842 das Landes-Oekonomiecollegium, eine berathende tech- nische Behörde, die mit den landwirthschaftlichen Vereinen in Verbindung trat, in allen Provinzen namhafte Grundbesitzer als außerordentliche Mit- glieder anstellte und also wohlunterrichtet über die Lage des Landbaues ihre Gutachten abgab. Von ganzem Herzen erfreute er sich an der ersten, durch Beuth veranstalteten großen Gewerbeausstellung, die im Berliner Zeughause 1844 eröffnet wurde; zum Andenken ließ er eine schöne Schau- münze prägen mit dem Bilde der Germania und der Inschrift: Seid einig! Die wiederholten Bitten der Provinziallandtage um Wiederein- setzung eines Handelsministeriums hatten ihm längst gezeigt, daß er die Gewerbs- und Handelssachen nicht mehr allein dem Finanzminister und der oft rein fiscalischen Gesinnung seiner Räthe überlassen durfte.
Als ihm nun der aus London heimgekehrte Minister Bülow vor- schlug, ein Handelsamt nach dem Vorbilde des englischen Board of Trade zu gründen, da ging der König freudig auf den Gedanken ein. Den rechten Mann für die Leitung des neuen Amts glaubte er schon gefunden zu haben in dem Ministerresidenten zu Washington, dem Holsten Ludwig von Rönne, der schon seit längerer Zeit auf Urlaub in Berlin weilte und hier, von Savigny, Bunsen und dem allezeit still thätigen Senfft v. Pil- sach warm empfohlen, dem Monarchen bald näher trat. Rönne hatte in seinen diplomatischen Berichten die volkswirthschaftlichen Verhältnisse immer ausführlich besprochen und sich auch viele deutsche Fabrikanten durch werth- volle Geschäfts-Mittheilungen zu Dank verpflichtet; die Amerikaner be- hielten die stattliche Erscheinung des liebenswürdigen preußischen Residenten noch lange in gutem Andenken. Er schwärmte für den neuen König, aber auch für das freie Polen und für die Vereinigten Staaten, deren Bundes- verfassung er in Deutschland nachzubilden wünschte; und zu verwundern war es nicht, daß der leicht erregbare Enthusiast sich späterhin in die Irrwege einer unfruchtbaren liberalen Opposition verlor. Den Schutzzoll-Theorien List's stimmte er begeistert zu, und mit dem wahlverwandten Bunsen ver- handelte er gern über deutsche Kolonien und gesammtdeutsche Schifffahrt -- hochsinnige Pläne, denen nur leider für jetzt jeder Boden fehlte. Geist- reich und vielseitig unterrichtet durfte er sich mit Kühne's reicher Erfah- rung und Geschäftskenntniß doch nicht von fern vergleichen.
Da dem Könige das Einfache stets am fernsten lag, so konnte er sich nicht entschließen, nach den Wünschen der Provinziallandtage, das unter- gegangene Handelsministerium wieder in's Leben zu rufen; er fürchtete,
*) So erzählt er selbst in einer Notiz für das Staatsministerium, März 1846.
V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
er dem Beamtenthum ſtets mißtraute, ſchon als Kronprinz oft beklagt, „daß die Maſſe der Erfahrung, die in dem Handel und Gewerbe treiben- den Publicum vorhanden iſt, in den oberſten Behörden gar keine Ver- tretung fand“.*) Darum gründete er, nach den Plänen ſeines Vaters, am 16. Jan. 1842 das Landes-Oekonomiecollegium, eine berathende tech- niſche Behörde, die mit den landwirthſchaftlichen Vereinen in Verbindung trat, in allen Provinzen namhafte Grundbeſitzer als außerordentliche Mit- glieder anſtellte und alſo wohlunterrichtet über die Lage des Landbaues ihre Gutachten abgab. Von ganzem Herzen erfreute er ſich an der erſten, durch Beuth veranſtalteten großen Gewerbeausſtellung, die im Berliner Zeughauſe 1844 eröffnet wurde; zum Andenken ließ er eine ſchöne Schau- münze prägen mit dem Bilde der Germania und der Inſchrift: Seid einig! Die wiederholten Bitten der Provinziallandtage um Wiederein- ſetzung eines Handelsminiſteriums hatten ihm längſt gezeigt, daß er die Gewerbs- und Handelsſachen nicht mehr allein dem Finanzminiſter und der oft rein fiscaliſchen Geſinnung ſeiner Räthe überlaſſen durfte.
Als ihm nun der aus London heimgekehrte Miniſter Bülow vor- ſchlug, ein Handelsamt nach dem Vorbilde des engliſchen Board of Trade zu gründen, da ging der König freudig auf den Gedanken ein. Den rechten Mann für die Leitung des neuen Amts glaubte er ſchon gefunden zu haben in dem Miniſterreſidenten zu Waſhington, dem Holſten Ludwig von Rönne, der ſchon ſeit längerer Zeit auf Urlaub in Berlin weilte und hier, von Savigny, Bunſen und dem allezeit ſtill thätigen Senfft v. Pil- ſach warm empfohlen, dem Monarchen bald näher trat. Rönne hatte in ſeinen diplomatiſchen Berichten die volkswirthſchaftlichen Verhältniſſe immer ausführlich beſprochen und ſich auch viele deutſche Fabrikanten durch werth- volle Geſchäfts-Mittheilungen zu Dank verpflichtet; die Amerikaner be- hielten die ſtattliche Erſcheinung des liebenswürdigen preußiſchen Reſidenten noch lange in gutem Andenken. Er ſchwärmte für den neuen König, aber auch für das freie Polen und für die Vereinigten Staaten, deren Bundes- verfaſſung er in Deutſchland nachzubilden wünſchte; und zu verwundern war es nicht, daß der leicht erregbare Enthuſiaſt ſich ſpäterhin in die Irrwege einer unfruchtbaren liberalen Oppoſition verlor. Den Schutzzoll-Theorien Liſt’s ſtimmte er begeiſtert zu, und mit dem wahlverwandten Bunſen ver- handelte er gern über deutſche Kolonien und geſammtdeutſche Schifffahrt — hochſinnige Pläne, denen nur leider für jetzt jeder Boden fehlte. Geiſt- reich und vielſeitig unterrichtet durfte er ſich mit Kühne’s reicher Erfah- rung und Geſchäftskenntniß doch nicht von fern vergleichen.
Da dem Könige das Einfache ſtets am fernſten lag, ſo konnte er ſich nicht entſchließen, nach den Wünſchen der Provinziallandtage, das unter- gegangene Handelsminiſterium wieder in’s Leben zu rufen; er fürchtete,
*) So erzählt er ſelbſt in einer Notiz für das Staatsminiſterium, März 1846.
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er dem Beamtenthum ſtets mißtraute, ſchon als Kronprinz oft beklagt,
„daß die Maſſe der Erfahrung, die in dem Handel und Gewerbe treiben-
den Publicum vorhanden iſt, in den oberſten Behörden gar keine Ver-
tretung fand“. *) Darum gründete er, nach den Plänen ſeines Vaters,
am 16. Jan. 1842 das Landes-Oekonomiecollegium, eine berathende tech-
niſche Behörde, die mit den landwirthſchaftlichen Vereinen in Verbindung
trat, in allen Provinzen namhafte Grundbeſitzer als außerordentliche Mit-
glieder anſtellte und alſo wohlunterrichtet über die Lage des Landbaues
ihre Gutachten abgab. Von ganzem Herzen erfreute er ſich an der erſten,
durch Beuth veranſtalteten großen Gewerbeausſtellung, die im Berliner
Zeughauſe 1844 eröffnet wurde; zum Andenken ließ er eine ſchöne Schau-
münze prägen mit dem Bilde der Germania und der Inſchrift: Seid
einig! Die wiederholten Bitten der Provinziallandtage um Wiederein-
ſetzung eines Handelsminiſteriums hatten ihm längſt gezeigt, daß er die
Gewerbs- und Handelsſachen nicht mehr allein dem Finanzminiſter und
der oft rein fiscaliſchen Geſinnung ſeiner Räthe überlaſſen durfte.
Als ihm nun der aus London heimgekehrte Miniſter Bülow vor-
ſchlug, ein Handelsamt nach dem Vorbilde des engliſchen Board of Trade
zu gründen, da ging der König freudig auf den Gedanken ein. Den
rechten Mann für die Leitung des neuen Amts glaubte er ſchon gefunden
zu haben in dem Miniſterreſidenten zu Waſhington, dem Holſten Ludwig
von Rönne, der ſchon ſeit längerer Zeit auf Urlaub in Berlin weilte und
hier, von Savigny, Bunſen und dem allezeit ſtill thätigen Senfft v. Pil-
ſach warm empfohlen, dem Monarchen bald näher trat. Rönne hatte in
ſeinen diplomatiſchen Berichten die volkswirthſchaftlichen Verhältniſſe immer
ausführlich beſprochen und ſich auch viele deutſche Fabrikanten durch werth-
volle Geſchäfts-Mittheilungen zu Dank verpflichtet; die Amerikaner be-
hielten die ſtattliche Erſcheinung des liebenswürdigen preußiſchen Reſidenten
noch lange in gutem Andenken. Er ſchwärmte für den neuen König, aber
auch für das freie Polen und für die Vereinigten Staaten, deren Bundes-
verfaſſung er in Deutſchland nachzubilden wünſchte; und zu verwundern war
es nicht, daß der leicht erregbare Enthuſiaſt ſich ſpäterhin in die Irrwege
einer unfruchtbaren liberalen Oppoſition verlor. Den Schutzzoll-Theorien
Liſt’s ſtimmte er begeiſtert zu, und mit dem wahlverwandten Bunſen ver-
handelte er gern über deutſche Kolonien und geſammtdeutſche Schifffahrt
— hochſinnige Pläne, denen nur leider für jetzt jeder Boden fehlte. Geiſt-
reich und vielſeitig unterrichtet durfte er ſich mit Kühne’s reicher Erfah-
rung und Geſchäftskenntniß doch nicht von fern vergleichen.
Da dem Könige das Einfache ſtets am fernſten lag, ſo konnte er ſich
nicht entſchließen, nach den Wünſchen der Provinziallandtage, das unter-
gegangene Handelsminiſterium wieder in’s Leben zu rufen; er fürchtete,
*) So erzählt er ſelbſt in einer Notiz für das Staatsminiſterium, März 1846.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/470>, abgerufen am 23.07.2024.
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