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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Norddeutsche Freihändler. Prince Smith.

Nach deutscher Weise wurde die Lehre der freien Concurrenz bald
zu einem geschlossenen Systeme ausgestaltet, und es bildete sich eine
Schule radicaler Freihändler, die mit Richard Cobden und den Manchester-
männern in Verbindung trat. An ihrer Spitze stand John Prince Smith,
ein vornehmer Engländer, der von lange her in Preußen eingebürgert,
zu Elbing mit dem handfesten Liberalen van Riesen Freundschaft geschlossen
hatte und trotzdem alle rein politischen Fragen mit großer Gleichgiltigkeit
betrachtete. Er wollte nichts sein als Freihändler und hielt sich zu den
Liberalen nur, weil er durch sie seine wirthschaftlichen Ideale zu er-
reichen hoffte. Beschränkt und sicher, ein echter Brite, sah er auf der
weiten Welt nichts Andres als Handel und Wandel; technische Entwürfe
und Verbesserungen beschäftigten ihn unablässig; der Staat war ihm nicht
mehr als der Producent der wirthschaftlichen Sicherheit, und als solchen
hatte er sein Preußen aufrichtig schätzen gelernt. Die allgemeine Handels-
freiheit mußte -- daran blieb ihm kein Zweifel -- die Glückseligkeit aller
Nationen und zuletzt den dauernden Völkerfrieden begründen; denn waren
nur erst überall die Maschinen im Gange, dann konnte ja, wegen der
Gefahr einer großen Handelskrisis, kein Staat mehr einen Krieg zu führen
wagen. Solche Gedanken verbreitete er -- in der persönlichen Polemik
immer maßvoll, in seinen Lehrsätzen ganz unfehlbar -- durch zahlreiche
Flugschriften. Als er sodann nach Berlin übersiedelte, stiftete er einen
freihändlerischen Verein, dem sich manche begeisterte junge Männer an-
schlossen.

In dieser Schwärmerei des trockenen Geschäftsverstandes lag ein
eigenthümlicher Reiz, der grade deutsche Idealisten leicht bestricken konnte.
Die Lehre von der ungehemmten Entfaltung aller wirthschaftlichen Kräfte
berührte sich, freilich nur scheinbar, mit dem ästhetischen Idealismus
Wilhelm Humboldt's, der einst in seiner Jugendschrift das Recht der
freien Persönlichkeit so warm gegen die zwingende Staatsgewalt vertheidigt
hatte; und wie verführerisch klang doch für edle Naturen der erhabene
Satz, daß der gerechte Staat sich niemals durch die Klasseninteressen
selbstsüchtiger Fabrikanten beirren lassen dürfe. Nur zu bald sollte sich
zeigen, wie stark die Klasseninteressen der Kaufmannschaft und der Börse
bei den Lehren der Freihändler selbst mitwirkten. Das abstrakte, vater-
landslose Weltbürgerthum ward in dem Vereine immer mächtiger; das
radicale Gerede der Berliner Nichts-als-Freihändler bestätigte nachträglich
Alles, was List einst stark übertreibend "der Schule" Adam Smith's
vorgeworfen hatte.

Der feste, sichere Wille, der allein so scharfe Parteigegensätze nieder-
halten konnte, fehlte in Berlin leider gänzlich. Der König empfand dunkel,
daß die Hilferufe der Schutzzöllner aus dem Süden doch nicht ganz un-
berechtigt waren. Er hatte von jeher, zum Erstaunen seiner romantischen
Freunde, viel Verständniß für volkswirthschaftliche Fragen gezeigt und, da

Norddeutſche Freihändler. Prince Smith.

Nach deutſcher Weiſe wurde die Lehre der freien Concurrenz bald
zu einem geſchloſſenen Syſteme ausgeſtaltet, und es bildete ſich eine
Schule radicaler Freihändler, die mit Richard Cobden und den Mancheſter-
männern in Verbindung trat. An ihrer Spitze ſtand John Prince Smith,
ein vornehmer Engländer, der von lange her in Preußen eingebürgert,
zu Elbing mit dem handfeſten Liberalen van Rieſen Freundſchaft geſchloſſen
hatte und trotzdem alle rein politiſchen Fragen mit großer Gleichgiltigkeit
betrachtete. Er wollte nichts ſein als Freihändler und hielt ſich zu den
Liberalen nur, weil er durch ſie ſeine wirthſchaftlichen Ideale zu er-
reichen hoffte. Beſchränkt und ſicher, ein echter Brite, ſah er auf der
weiten Welt nichts Andres als Handel und Wandel; techniſche Entwürfe
und Verbeſſerungen beſchäftigten ihn unabläſſig; der Staat war ihm nicht
mehr als der Producent der wirthſchaftlichen Sicherheit, und als ſolchen
hatte er ſein Preußen aufrichtig ſchätzen gelernt. Die allgemeine Handels-
freiheit mußte — daran blieb ihm kein Zweifel — die Glückſeligkeit aller
Nationen und zuletzt den dauernden Völkerfrieden begründen; denn waren
nur erſt überall die Maſchinen im Gange, dann konnte ja, wegen der
Gefahr einer großen Handelskriſis, kein Staat mehr einen Krieg zu führen
wagen. Solche Gedanken verbreitete er — in der perſönlichen Polemik
immer maßvoll, in ſeinen Lehrſätzen ganz unfehlbar — durch zahlreiche
Flugſchriften. Als er ſodann nach Berlin überſiedelte, ſtiftete er einen
freihändleriſchen Verein, dem ſich manche begeiſterte junge Männer an-
ſchloſſen.

In dieſer Schwärmerei des trockenen Geſchäftsverſtandes lag ein
eigenthümlicher Reiz, der grade deutſche Idealiſten leicht beſtricken konnte.
Die Lehre von der ungehemmten Entfaltung aller wirthſchaftlichen Kräfte
berührte ſich, freilich nur ſcheinbar, mit dem äſthetiſchen Idealismus
Wilhelm Humboldt’s, der einſt in ſeiner Jugendſchrift das Recht der
freien Perſönlichkeit ſo warm gegen die zwingende Staatsgewalt vertheidigt
hatte; und wie verführeriſch klang doch für edle Naturen der erhabene
Satz, daß der gerechte Staat ſich niemals durch die Klaſſenintereſſen
ſelbſtſüchtiger Fabrikanten beirren laſſen dürfe. Nur zu bald ſollte ſich
zeigen, wie ſtark die Klaſſenintereſſen der Kaufmannſchaft und der Börſe
bei den Lehren der Freihändler ſelbſt mitwirkten. Das abſtrakte, vater-
landsloſe Weltbürgerthum ward in dem Vereine immer mächtiger; das
radicale Gerede der Berliner Nichts-als-Freihändler beſtätigte nachträglich
Alles, was Liſt einſt ſtark übertreibend „der Schule“ Adam Smith’s
vorgeworfen hatte.

Der feſte, ſichere Wille, der allein ſo ſcharfe Parteigegenſätze nieder-
halten konnte, fehlte in Berlin leider gänzlich. Der König empfand dunkel,
daß die Hilferufe der Schutzzöllner aus dem Süden doch nicht ganz un-
berechtigt waren. Er hatte von jeher, zum Erſtaunen ſeiner romantiſchen
Freunde, viel Verſtändniß für volkswirthſchaftliche Fragen gezeigt und, da

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[455/0469] Norddeutſche Freihändler. Prince Smith. Nach deutſcher Weiſe wurde die Lehre der freien Concurrenz bald zu einem geſchloſſenen Syſteme ausgeſtaltet, und es bildete ſich eine Schule radicaler Freihändler, die mit Richard Cobden und den Mancheſter- männern in Verbindung trat. An ihrer Spitze ſtand John Prince Smith, ein vornehmer Engländer, der von lange her in Preußen eingebürgert, zu Elbing mit dem handfeſten Liberalen van Rieſen Freundſchaft geſchloſſen hatte und trotzdem alle rein politiſchen Fragen mit großer Gleichgiltigkeit betrachtete. Er wollte nichts ſein als Freihändler und hielt ſich zu den Liberalen nur, weil er durch ſie ſeine wirthſchaftlichen Ideale zu er- reichen hoffte. Beſchränkt und ſicher, ein echter Brite, ſah er auf der weiten Welt nichts Andres als Handel und Wandel; techniſche Entwürfe und Verbeſſerungen beſchäftigten ihn unabläſſig; der Staat war ihm nicht mehr als der Producent der wirthſchaftlichen Sicherheit, und als ſolchen hatte er ſein Preußen aufrichtig ſchätzen gelernt. Die allgemeine Handels- freiheit mußte — daran blieb ihm kein Zweifel — die Glückſeligkeit aller Nationen und zuletzt den dauernden Völkerfrieden begründen; denn waren nur erſt überall die Maſchinen im Gange, dann konnte ja, wegen der Gefahr einer großen Handelskriſis, kein Staat mehr einen Krieg zu führen wagen. Solche Gedanken verbreitete er — in der perſönlichen Polemik immer maßvoll, in ſeinen Lehrſätzen ganz unfehlbar — durch zahlreiche Flugſchriften. Als er ſodann nach Berlin überſiedelte, ſtiftete er einen freihändleriſchen Verein, dem ſich manche begeiſterte junge Männer an- ſchloſſen. In dieſer Schwärmerei des trockenen Geſchäftsverſtandes lag ein eigenthümlicher Reiz, der grade deutſche Idealiſten leicht beſtricken konnte. Die Lehre von der ungehemmten Entfaltung aller wirthſchaftlichen Kräfte berührte ſich, freilich nur ſcheinbar, mit dem äſthetiſchen Idealismus Wilhelm Humboldt’s, der einſt in ſeiner Jugendſchrift das Recht der freien Perſönlichkeit ſo warm gegen die zwingende Staatsgewalt vertheidigt hatte; und wie verführeriſch klang doch für edle Naturen der erhabene Satz, daß der gerechte Staat ſich niemals durch die Klaſſenintereſſen ſelbſtſüchtiger Fabrikanten beirren laſſen dürfe. Nur zu bald ſollte ſich zeigen, wie ſtark die Klaſſenintereſſen der Kaufmannſchaft und der Börſe bei den Lehren der Freihändler ſelbſt mitwirkten. Das abſtrakte, vater- landsloſe Weltbürgerthum ward in dem Vereine immer mächtiger; das radicale Gerede der Berliner Nichts-als-Freihändler beſtätigte nachträglich Alles, was Liſt einſt ſtark übertreibend „der Schule“ Adam Smith’s vorgeworfen hatte. Der feſte, ſichere Wille, der allein ſo ſcharfe Parteigegenſätze nieder- halten konnte, fehlte in Berlin leider gänzlich. Der König empfand dunkel, daß die Hilferufe der Schutzzöllner aus dem Süden doch nicht ganz un- berechtigt waren. Er hatte von jeher, zum Erſtaunen ſeiner romantiſchen Freunde, viel Verſtändniß für volkswirthſchaftliche Fragen gezeigt und, da

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/469>, abgerufen am 22.11.2024.