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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Das Handelsamt. Rönne.
seltsam genug, dies würde "eine Erschwerung in den Gang der Staats-
verwaltung bringen".*) Angeregt durch eine Denkschrift Rönne's entschied
er sich für eine unglückliche Halbheit. Er wollte ein Handelsamt unter
Rönne's Vorsitz bilden, das gleich dem Landes-Oekonomiecollegium nur
technische Gutachten erstatten, sachverständige Kaufleute und Gewerbtrei-
bende zur Berathung zuziehen, auch mit den Handelskammern sich ver-
ständigen sollte. Ueber die also begutachteten handelspolitischen Fragen
entschied dann der Handelsrath, der aus fünf Ministern und dem Präsi-
denten des Handelsamts bestand und von Zeit zu Zeit unter dem Vor-
sitze des Monarchen selbst zusammentrat. Das hohe Beamtenthum er-
kannte sogleich, daß damit eine Annäherung an das Schutzzollsystem be-
zweckt wurde; auch fürchtete man, das Handelsamt könnte, wie vormals
die Generalcontrolle, den Ministerien über den Kopf wachsen.**) Bodel-
schwingh sah sogar in den wirthschaftlichen Notabeln den gefährlichen Keim
einer "constitutionellen Repräsentation". Alle Minister widersprachen dem
Plane lebhaft; nur Bülow trat für Rönne ein.***) Dem ungeachtet
wurden am 7. Juni 1844 Handelsrath und Handelsamt gesetzlich ein-
geführt. Die Schutzzollpartei begrüßte das neue Amt mit frohen Hoff-
nungen+); doch bald mußte sie erfahren, welch' einen Mißgriff der König
in bester Meinung gethan hatte. Da jetzt ein ernster sachlicher Gegen-
satz vorlag und das begutachtende Handelsamt zudem keine gesicherte
Stellung neben den entscheidenden Behörden einnahm, so brach die alte
Krankheit des preußischen Beamtenthums, der Krieg der Departements,
wieder heftig aus; die Feindschaft zwischen dem Finanzministerium und
dem Handelsamte wurde landkundig, Rönne scheute sich nicht sogar die
Zeitungen gegen Kühne aufzuwiegeln, und man spottete laut, Preußens
Handelspolitik sei zweiköpfig. --

Weil der erste Handelsvertrag des Zollvereins mit dem Auslande, der
niederländische, entschieden mißlungen und nach kurzer Zeit wieder auf-
gekündigt worden war++), so betrachteten die Süddeutschen fortan alle
handelspolitischen Verhandlungen Preußens mit begreiflichem Mißtrauen.
Ihr Argwohn stieg auf's Höchste, als Preußen am 2. März 1841 einen
Schifffahrtsvertrag mit England abgeschlossen hatte -- mit diesem Eng-
land, das in unserem Süden, wahrlich mit Recht, als der Todfeind der
deutschen Handelseinheit verwünscht wurde. Da hieß es überall: das sei
der erste Versuch, Deutschland ganz den Briten zu unterwerfen und unsere
Schutzzölle aufzuheben. Die Allgemeine Zeitung und fast alle Blätter des

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Aug. 1843.
**) Nach Kühne's Denkwürdigkeiten.
***) Thile's erster Plan, Aug. 1843. Thile's Bericht an den König, 19. Nov. 1843.
Bülow's Berichte an den König, 17. Mai 1844.
+) Rönne an König Friedrich Wilhelm, 16. Febr. 1850.
++) S. o. IV. 573.

Das Handelsamt. Rönne.
ſeltſam genug, dies würde „eine Erſchwerung in den Gang der Staats-
verwaltung bringen“.*) Angeregt durch eine Denkſchrift Rönne’s entſchied
er ſich für eine unglückliche Halbheit. Er wollte ein Handelsamt unter
Rönne’s Vorſitz bilden, das gleich dem Landes-Oekonomiecollegium nur
techniſche Gutachten erſtatten, ſachverſtändige Kaufleute und Gewerbtrei-
bende zur Berathung zuziehen, auch mit den Handelskammern ſich ver-
ſtändigen ſollte. Ueber die alſo begutachteten handelspolitiſchen Fragen
entſchied dann der Handelsrath, der aus fünf Miniſtern und dem Präſi-
denten des Handelsamts beſtand und von Zeit zu Zeit unter dem Vor-
ſitze des Monarchen ſelbſt zuſammentrat. Das hohe Beamtenthum er-
kannte ſogleich, daß damit eine Annäherung an das Schutzzollſyſtem be-
zweckt wurde; auch fürchtete man, das Handelsamt könnte, wie vormals
die Generalcontrolle, den Miniſterien über den Kopf wachſen.**) Bodel-
ſchwingh ſah ſogar in den wirthſchaftlichen Notabeln den gefährlichen Keim
einer „conſtitutionellen Repräſentation“. Alle Miniſter widerſprachen dem
Plane lebhaft; nur Bülow trat für Rönne ein.***) Dem ungeachtet
wurden am 7. Juni 1844 Handelsrath und Handelsamt geſetzlich ein-
geführt. Die Schutzzollpartei begrüßte das neue Amt mit frohen Hoff-
nungen†); doch bald mußte ſie erfahren, welch’ einen Mißgriff der König
in beſter Meinung gethan hatte. Da jetzt ein ernſter ſachlicher Gegen-
ſatz vorlag und das begutachtende Handelsamt zudem keine geſicherte
Stellung neben den entſcheidenden Behörden einnahm, ſo brach die alte
Krankheit des preußiſchen Beamtenthums, der Krieg der Departements,
wieder heftig aus; die Feindſchaft zwiſchen dem Finanzminiſterium und
dem Handelsamte wurde landkundig, Rönne ſcheute ſich nicht ſogar die
Zeitungen gegen Kühne aufzuwiegeln, und man ſpottete laut, Preußens
Handelspolitik ſei zweiköpfig. —

Weil der erſte Handelsvertrag des Zollvereins mit dem Auslande, der
niederländiſche, entſchieden mißlungen und nach kurzer Zeit wieder auf-
gekündigt worden war††), ſo betrachteten die Süddeutſchen fortan alle
handelspolitiſchen Verhandlungen Preußens mit begreiflichem Mißtrauen.
Ihr Argwohn ſtieg auf’s Höchſte, als Preußen am 2. März 1841 einen
Schifffahrtsvertrag mit England abgeſchloſſen hatte — mit dieſem Eng-
land, das in unſerem Süden, wahrlich mit Recht, als der Todfeind der
deutſchen Handelseinheit verwünſcht wurde. Da hieß es überall: das ſei
der erſte Verſuch, Deutſchland ganz den Briten zu unterwerfen und unſere
Schutzzölle aufzuheben. Die Allgemeine Zeitung und faſt alle Blätter des

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Aug. 1843.
**) Nach Kühne’s Denkwürdigkeiten.
***) Thile’s erſter Plan, Aug. 1843. Thile’s Bericht an den König, 19. Nov. 1843.
Bülow’s Berichte an den König, 17. Mai 1844.
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[457/0471] Das Handelsamt. Rönne. ſeltſam genug, dies würde „eine Erſchwerung in den Gang der Staats- verwaltung bringen“. *) Angeregt durch eine Denkſchrift Rönne’s entſchied er ſich für eine unglückliche Halbheit. Er wollte ein Handelsamt unter Rönne’s Vorſitz bilden, das gleich dem Landes-Oekonomiecollegium nur techniſche Gutachten erſtatten, ſachverſtändige Kaufleute und Gewerbtrei- bende zur Berathung zuziehen, auch mit den Handelskammern ſich ver- ſtändigen ſollte. Ueber die alſo begutachteten handelspolitiſchen Fragen entſchied dann der Handelsrath, der aus fünf Miniſtern und dem Präſi- denten des Handelsamts beſtand und von Zeit zu Zeit unter dem Vor- ſitze des Monarchen ſelbſt zuſammentrat. Das hohe Beamtenthum er- kannte ſogleich, daß damit eine Annäherung an das Schutzzollſyſtem be- zweckt wurde; auch fürchtete man, das Handelsamt könnte, wie vormals die Generalcontrolle, den Miniſterien über den Kopf wachſen. **) Bodel- ſchwingh ſah ſogar in den wirthſchaftlichen Notabeln den gefährlichen Keim einer „conſtitutionellen Repräſentation“. Alle Miniſter widerſprachen dem Plane lebhaft; nur Bülow trat für Rönne ein. ***) Dem ungeachtet wurden am 7. Juni 1844 Handelsrath und Handelsamt geſetzlich ein- geführt. Die Schutzzollpartei begrüßte das neue Amt mit frohen Hoff- nungen †); doch bald mußte ſie erfahren, welch’ einen Mißgriff der König in beſter Meinung gethan hatte. Da jetzt ein ernſter ſachlicher Gegen- ſatz vorlag und das begutachtende Handelsamt zudem keine geſicherte Stellung neben den entſcheidenden Behörden einnahm, ſo brach die alte Krankheit des preußiſchen Beamtenthums, der Krieg der Departements, wieder heftig aus; die Feindſchaft zwiſchen dem Finanzminiſterium und dem Handelsamte wurde landkundig, Rönne ſcheute ſich nicht ſogar die Zeitungen gegen Kühne aufzuwiegeln, und man ſpottete laut, Preußens Handelspolitik ſei zweiköpfig. — Weil der erſte Handelsvertrag des Zollvereins mit dem Auslande, der niederländiſche, entſchieden mißlungen und nach kurzer Zeit wieder auf- gekündigt worden war ††), ſo betrachteten die Süddeutſchen fortan alle handelspolitiſchen Verhandlungen Preußens mit begreiflichem Mißtrauen. Ihr Argwohn ſtieg auf’s Höchſte, als Preußen am 2. März 1841 einen Schifffahrtsvertrag mit England abgeſchloſſen hatte — mit dieſem Eng- land, das in unſerem Süden, wahrlich mit Recht, als der Todfeind der deutſchen Handelseinheit verwünſcht wurde. Da hieß es überall: das ſei der erſte Verſuch, Deutſchland ganz den Briten zu unterwerfen und unſere Schutzzölle aufzuheben. Die Allgemeine Zeitung und faſt alle Blätter des *) König Friedrich Wilhelm an Thile, 27. Aug. 1843. **) Nach Kühne’s Denkwürdigkeiten. ***) Thile’s erſter Plan, Aug. 1843. Thile’s Bericht an den König, 19. Nov. 1843. Bülow’s Berichte an den König, 17. Mai 1844. †) Rönne an König Friedrich Wilhelm, 16. Febr. 1850. ††) S. o. IV. 573.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/471>, abgerufen am 02.05.2024.