handel als ihre wichtigste Erwerbsquelle, sie hatten ihre Vaterstadt zu einem großen freien Markte für alle skandinavischen Völker erhoben, und wollten nicht sehen, daß ihnen jetzt eine noch reichere Zukunft offen stand, wenn sie mit der neuerdings so mächtig angewachsenen Industrie des Hinterlandes in freien Verkehr traten; ihr nordischer Zwischenhandel konnte ja daneben, in einem wohlgeordneten Freihafen, ungestört fort- dauern. Eigensinnig wie vormals die Kaufleute von Leipzig und Frank- furt sträubten sie sich wider ihr eigenes Glück, ganz wie jene rühmten sie die Trennung vom Vaterlande als Handelsfreiheit und verachteten das weiter blickende preußische Beamtenthum. Ihre Schriftsteller -- nicht blos die blinden Particularisten des Hamburger Correspondenten, sondern auch der gelehrte Patriot Wurm -- hatten für die Idee der praktischen deutschen Einheit nur leere Worte. Wenn sie zuweilen sehnsuchtsvoll von der Zolleinigung des Vaterlandes sprachen, dann fügten sie stets den un- möglichen Vorbehalt hinzu: erst müsse Oesterreich beitreten; und wenn sie Preußens Bemühungen um die Einheit der Münzen und Maße herablassend lobten, dann fiel es ihnen doch gar nicht ein, daß Hamburg mit gutem Bei- spiele vorangehen, sein lächerliches zweifaches Münzwesen mit der erprobten Thalerwährung vertauschen sollte. Es war nicht anders, die große Mehr- heit des Volks an der Nordseeküste wollte ihr Sonderleben nicht aufgeben. Klefeker in Hamburg, Berg in Oldenburg, v. d. Horst in Hannover und die wenigen anderen einsichtigen Publicisten, die zum Anschluß mahnten, richteten nichts aus gegen das allgemeine Vorurtheil.
König Friedrich Wilhelm hielt in diesen Jahren Hannover und Kur- hessen für die beiden nächsten Freunde Preußens im Deutschen Bunde, denn von Baiern her wurde seine Regierung heftig befehdet, und den übrigen Mittelstaaten traute er wenig Widerstandskraft gegen die Libe- ralen zu. Darum behandelte er seinen welfischen Oheim mit zarter Schonung und setzte sogar bei den widerstrebenden Braunschweigern durch, daß jener Harz- und Weserkreis, der das Welfenkönigreich durchschnitt, vorläufig noch zwei Jahre lang im Steuervereine verblieb, damit der hannöversche Hof Zeit gewönne sich auf den Zollanschluß vorzubereiten. Die Hannoveraner zeigten sich für solche Freundlichkeit wenig dankbar; sie ließen viele Monate verstreichen, bis sie nach wiederholten Mahnungen die zugesagten Verhandlungen endlich begannen, und dann stellten sie alsbald zwei gleich unannehmbare Bedingungen. Sie verlangten, daß der Zollverein seine Zölle auf mehrere der einträglichsten Kolonialwaaren be- trächtlich herabsetzte und außerdem noch dem Königreiche ein Präcipuum gewährte, einen erhöhten Antheil an den gemeinsamen Einnahmen, zur Entschädigung für die angeblich größere Consumtion im Welfenlande. Den 2 Millionen Deutschen des Steuervereins zu Lieb' sollten also die 28 Millionen des Zollvereins sich ihre ergiebigsten Finanzzölle verderben. Die zweite Forderung aber verstieß gegen den Grundgedanken des Zoll-
Hannover und die Hanſeſtädte.
handel als ihre wichtigſte Erwerbsquelle, ſie hatten ihre Vaterſtadt zu einem großen freien Markte für alle ſkandinaviſchen Völker erhoben, und wollten nicht ſehen, daß ihnen jetzt eine noch reichere Zukunft offen ſtand, wenn ſie mit der neuerdings ſo mächtig angewachſenen Induſtrie des Hinterlandes in freien Verkehr traten; ihr nordiſcher Zwiſchenhandel konnte ja daneben, in einem wohlgeordneten Freihafen, ungeſtört fort- dauern. Eigenſinnig wie vormals die Kaufleute von Leipzig und Frank- furt ſträubten ſie ſich wider ihr eigenes Glück, ganz wie jene rühmten ſie die Trennung vom Vaterlande als Handelsfreiheit und verachteten das weiter blickende preußiſche Beamtenthum. Ihre Schriftſteller — nicht blos die blinden Particulariſten des Hamburger Correſpondenten, ſondern auch der gelehrte Patriot Wurm — hatten für die Idee der praktiſchen deutſchen Einheit nur leere Worte. Wenn ſie zuweilen ſehnſuchtsvoll von der Zolleinigung des Vaterlandes ſprachen, dann fügten ſie ſtets den un- möglichen Vorbehalt hinzu: erſt müſſe Oeſterreich beitreten; und wenn ſie Preußens Bemühungen um die Einheit der Münzen und Maße herablaſſend lobten, dann fiel es ihnen doch gar nicht ein, daß Hamburg mit gutem Bei- ſpiele vorangehen, ſein lächerliches zweifaches Münzweſen mit der erprobten Thalerwährung vertauſchen ſollte. Es war nicht anders, die große Mehr- heit des Volks an der Nordſeeküſte wollte ihr Sonderleben nicht aufgeben. Klefeker in Hamburg, Berg in Oldenburg, v. d. Horſt in Hannover und die wenigen anderen einſichtigen Publiciſten, die zum Anſchluß mahnten, richteten nichts aus gegen das allgemeine Vorurtheil.
König Friedrich Wilhelm hielt in dieſen Jahren Hannover und Kur- heſſen für die beiden nächſten Freunde Preußens im Deutſchen Bunde, denn von Baiern her wurde ſeine Regierung heftig befehdet, und den übrigen Mittelſtaaten traute er wenig Widerſtandskraft gegen die Libe- ralen zu. Darum behandelte er ſeinen welfiſchen Oheim mit zarter Schonung und ſetzte ſogar bei den widerſtrebenden Braunſchweigern durch, daß jener Harz- und Weſerkreis, der das Welfenkönigreich durchſchnitt, vorläufig noch zwei Jahre lang im Steuervereine verblieb, damit der hannöverſche Hof Zeit gewönne ſich auf den Zollanſchluß vorzubereiten. Die Hannoveraner zeigten ſich für ſolche Freundlichkeit wenig dankbar; ſie ließen viele Monate verſtreichen, bis ſie nach wiederholten Mahnungen die zugeſagten Verhandlungen endlich begannen, und dann ſtellten ſie alsbald zwei gleich unannehmbare Bedingungen. Sie verlangten, daß der Zollverein ſeine Zölle auf mehrere der einträglichſten Kolonialwaaren be- trächtlich herabſetzte und außerdem noch dem Königreiche ein Präcipuum gewährte, einen erhöhten Antheil an den gemeinſamen Einnahmen, zur Entſchädigung für die angeblich größere Conſumtion im Welfenlande. Den 2 Millionen Deutſchen des Steuervereins zu Lieb’ ſollten alſo die 28 Millionen des Zollvereins ſich ihre ergiebigſten Finanzzölle verderben. Die zweite Forderung aber verſtieß gegen den Grundgedanken des Zoll-
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Hannover und die Hanſeſtädte.
handel als ihre wichtigſte Erwerbsquelle, ſie hatten ihre Vaterſtadt zu
einem großen freien Markte für alle ſkandinaviſchen Völker erhoben, und
wollten nicht ſehen, daß ihnen jetzt eine noch reichere Zukunft offen ſtand,
wenn ſie mit der neuerdings ſo mächtig angewachſenen Induſtrie des
Hinterlandes in freien Verkehr traten; ihr nordiſcher Zwiſchenhandel
konnte ja daneben, in einem wohlgeordneten Freihafen, ungeſtört fort-
dauern. Eigenſinnig wie vormals die Kaufleute von Leipzig und Frank-
furt ſträubten ſie ſich wider ihr eigenes Glück, ganz wie jene rühmten
ſie die Trennung vom Vaterlande als Handelsfreiheit und verachteten
das weiter blickende preußiſche Beamtenthum. Ihre Schriftſteller — nicht
blos die blinden Particulariſten des Hamburger Correſpondenten, ſondern
auch der gelehrte Patriot Wurm — hatten für die Idee der praktiſchen
deutſchen Einheit nur leere Worte. Wenn ſie zuweilen ſehnſuchtsvoll von
der Zolleinigung des Vaterlandes ſprachen, dann fügten ſie ſtets den un-
möglichen Vorbehalt hinzu: erſt müſſe Oeſterreich beitreten; und wenn ſie
Preußens Bemühungen um die Einheit der Münzen und Maße herablaſſend
lobten, dann fiel es ihnen doch gar nicht ein, daß Hamburg mit gutem Bei-
ſpiele vorangehen, ſein lächerliches zweifaches Münzweſen mit der erprobten
Thalerwährung vertauſchen ſollte. Es war nicht anders, die große Mehr-
heit des Volks an der Nordſeeküſte wollte ihr Sonderleben nicht aufgeben.
Klefeker in Hamburg, Berg in Oldenburg, v. d. Horſt in Hannover und
die wenigen anderen einſichtigen Publiciſten, die zum Anſchluß mahnten,
richteten nichts aus gegen das allgemeine Vorurtheil.
König Friedrich Wilhelm hielt in dieſen Jahren Hannover und Kur-
heſſen für die beiden nächſten Freunde Preußens im Deutſchen Bunde,
denn von Baiern her wurde ſeine Regierung heftig befehdet, und den
übrigen Mittelſtaaten traute er wenig Widerſtandskraft gegen die Libe-
ralen zu. Darum behandelte er ſeinen welfiſchen Oheim mit zarter
Schonung und ſetzte ſogar bei den widerſtrebenden Braunſchweigern durch,
daß jener Harz- und Weſerkreis, der das Welfenkönigreich durchſchnitt,
vorläufig noch zwei Jahre lang im Steuervereine verblieb, damit der
hannöverſche Hof Zeit gewönne ſich auf den Zollanſchluß vorzubereiten.
Die Hannoveraner zeigten ſich für ſolche Freundlichkeit wenig dankbar;
ſie ließen viele Monate verſtreichen, bis ſie nach wiederholten Mahnungen
die zugeſagten Verhandlungen endlich begannen, und dann ſtellten ſie
alsbald zwei gleich unannehmbare Bedingungen. Sie verlangten, daß der
Zollverein ſeine Zölle auf mehrere der einträglichſten Kolonialwaaren be-
trächtlich herabſetzte und außerdem noch dem Königreiche ein Präcipuum
gewährte, einen erhöhten Antheil an den gemeinſamen Einnahmen, zur
Entſchädigung für die angeblich größere Conſumtion im Welfenlande.
Den 2 Millionen Deutſchen des Steuervereins zu Lieb’ ſollten alſo die
28 Millionen des Zollvereins ſich ihre ergiebigſten Finanzzölle verderben.
Die zweite Forderung aber verſtieß gegen den Grundgedanken des Zoll-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/459>, abgerufen am 23.07.2024.
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