bilder darbietet, und nachher noch auf neuen Reisen eine unvergleichliche Erfahrung sammelte, da reifte der Gedanke seiner Jugend langsam aus. In seinen ersten Berliner Vorlesungen zeichnete er schon die Umrisse für den Entwurf einer physischen Weltbeschreibung.*) Dann verging wieder eine lange Zeit in umsichtiger Vorbereitung, und als endlich (1844), nach zehnjähriger Drucker-Arbeit, der erste Band des Kosmos erschien, da begrüßte ihn der König mit den Goethischen Versen: so halt' ich's endlich denn in meinen Händen und nenn' es in gewissem Sinne mein.
Diesmal sprach Friedrich Wilhelm allen Deutschen aus der Seele, denn alle fühlten, daß nur ein Deutscher sich zu einer solchen Universalität des Wissens und des Denkens aufschwingen konnte. Humboldt sagte selbst von seinem Werke: "es muß eine Epoche der geistigen Entwicklung der Menschheit, in ihrem Wissen von der Natur darstellen." Er gab zuerst einen Ueber- blick über das Ganze der geschaffenen Welt, von den Himmelsräumen und ihren Nebelsternen an bis herab zu der Geographie der Felsenmoose. In dem zweiten, noch reicheren Bande entwarf er sodann, was noch Nie- mand gewagt hatte, eine Geschichte der Weltanschauung. Er zeigte, wie das Bild der Welt die Jahrhunderte entlang sich im Verstande und im Gemüthe der Menschheit wiedergespiegelt, wie Himmel und Erde sich nach und nach der Wissenschaft, dem Unternehmungsgeiste, dem künstlerischen Gefühle aufgeschlossen hatten. Da der Fortschritt des Menschengeschlechts sich allein im Bereiche der expansiven Civilisation unzweifelhaft erweisen läßt, so behauptete hier der hoffnungsvolle Optimismus des alten Jahr- hunderts, dem Humboldt's eigene Bildung entstammte, sein gutes Recht. Er schilderte mit wohlthuender Wärme, wie es auf Erden, trotz "dem lästi- gen Kampfe des Wissens und des Glaubens" doch immer heller geworden war, wie der Gesichtskreis der Menschheit sich beständig erweitert hatte und darum auch noch der Tag kommen müsse, da sie in vollem Ernst das kühne Seherwort der Renaissancezeit wiederholen dürfte: il mondo e poco.
Als er dann im dritten Bande sein Weltenbild im Einzelnen auszu- malen begann, da schwoll ihm der Stoff unter den Händen an, weil das junge Geschlecht rastlos von Entdeckung zu Entdeckung aufstieg, und er sollte den Abschluß des Werkes nicht mehr erleben. Der Kosmos bezeichnete in der That eine Epoche unseres geistigen Lebens -- in anderem Sinne aller- dings, als Humboldt selbst glaubte -- er stand vor- und rückschauend auf der Grenze zweier Zeitalter. Er war, noch ganz im Geiste unserer classi- schen Dichtungszeiten, als ein großes Kunstwerk gedacht, das durch die Pracht seiner reichen Schilderungen den Geist anregen, das ästhetische Gefühl befriedigen, "das Gemüth ergötzen sollte"; er war erfüllt von dem
*) S. o. III. 432.
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
bilder darbietet, und nachher noch auf neuen Reiſen eine unvergleichliche Erfahrung ſammelte, da reifte der Gedanke ſeiner Jugend langſam aus. In ſeinen erſten Berliner Vorleſungen zeichnete er ſchon die Umriſſe für den Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung.*) Dann verging wieder eine lange Zeit in umſichtiger Vorbereitung, und als endlich (1844), nach zehnjähriger Drucker-Arbeit, der erſte Band des Kosmos erſchien, da begrüßte ihn der König mit den Goethiſchen Verſen: ſo halt’ ich’s endlich denn in meinen Händen und nenn’ es in gewiſſem Sinne mein.
Diesmal ſprach Friedrich Wilhelm allen Deutſchen aus der Seele, denn alle fühlten, daß nur ein Deutſcher ſich zu einer ſolchen Univerſalität des Wiſſens und des Denkens aufſchwingen konnte. Humboldt ſagte ſelbſt von ſeinem Werke: „es muß eine Epoche der geiſtigen Entwicklung der Menſchheit, in ihrem Wiſſen von der Natur darſtellen.“ Er gab zuerſt einen Ueber- blick über das Ganze der geſchaffenen Welt, von den Himmelsräumen und ihren Nebelſternen an bis herab zu der Geographie der Felſenmooſe. In dem zweiten, noch reicheren Bande entwarf er ſodann, was noch Nie- mand gewagt hatte, eine Geſchichte der Weltanſchauung. Er zeigte, wie das Bild der Welt die Jahrhunderte entlang ſich im Verſtande und im Gemüthe der Menſchheit wiedergeſpiegelt, wie Himmel und Erde ſich nach und nach der Wiſſenſchaft, dem Unternehmungsgeiſte, dem künſtleriſchen Gefühle aufgeſchloſſen hatten. Da der Fortſchritt des Menſchengeſchlechts ſich allein im Bereiche der expanſiven Civiliſation unzweifelhaft erweiſen läßt, ſo behauptete hier der hoffnungsvolle Optimismus des alten Jahr- hunderts, dem Humboldt’s eigene Bildung entſtammte, ſein gutes Recht. Er ſchilderte mit wohlthuender Wärme, wie es auf Erden, trotz „dem läſti- gen Kampfe des Wiſſens und des Glaubens“ doch immer heller geworden war, wie der Geſichtskreis der Menſchheit ſich beſtändig erweitert hatte und darum auch noch der Tag kommen müſſe, da ſie in vollem Ernſt das kühne Seherwort der Renaiſſancezeit wiederholen dürfte: il mondo è poco.
Als er dann im dritten Bande ſein Weltenbild im Einzelnen auszu- malen begann, da ſchwoll ihm der Stoff unter den Händen an, weil das junge Geſchlecht raſtlos von Entdeckung zu Entdeckung aufſtieg, und er ſollte den Abſchluß des Werkes nicht mehr erleben. Der Kosmos bezeichnete in der That eine Epoche unſeres geiſtigen Lebens — in anderem Sinne aller- dings, als Humboldt ſelbſt glaubte — er ſtand vor- und rückſchauend auf der Grenze zweier Zeitalter. Er war, noch ganz im Geiſte unſerer claſſi- ſchen Dichtungszeiten, als ein großes Kunſtwerk gedacht, das durch die Pracht ſeiner reichen Schilderungen den Geiſt anregen, das äſthetiſche Gefühl befriedigen, „das Gemüth ergötzen ſollte“; er war erfüllt von dem
*) S. o. III. 432.
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V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
bilder darbietet, und nachher noch auf neuen Reiſen eine unvergleichliche
Erfahrung ſammelte, da reifte der Gedanke ſeiner Jugend langſam aus.
In ſeinen erſten Berliner Vorleſungen zeichnete er ſchon die Umriſſe
für den Entwurf einer phyſiſchen Weltbeſchreibung. *) Dann verging
wieder eine lange Zeit in umſichtiger Vorbereitung, und als endlich
(1844), nach zehnjähriger Drucker-Arbeit, der erſte Band des Kosmos
erſchien, da begrüßte ihn der König mit den Goethiſchen Verſen: ſo
halt’ ich’s endlich denn in meinen Händen und nenn’ es in gewiſſem
Sinne mein.
Diesmal ſprach Friedrich Wilhelm allen Deutſchen aus der Seele, denn
alle fühlten, daß nur ein Deutſcher ſich zu einer ſolchen Univerſalität des
Wiſſens und des Denkens aufſchwingen konnte. Humboldt ſagte ſelbſt von
ſeinem Werke: „es muß eine Epoche der geiſtigen Entwicklung der Menſchheit,
in ihrem Wiſſen von der Natur darſtellen.“ Er gab zuerſt einen Ueber-
blick über das Ganze der geſchaffenen Welt, von den Himmelsräumen
und ihren Nebelſternen an bis herab zu der Geographie der Felſenmooſe.
In dem zweiten, noch reicheren Bande entwarf er ſodann, was noch Nie-
mand gewagt hatte, eine Geſchichte der Weltanſchauung. Er zeigte, wie
das Bild der Welt die Jahrhunderte entlang ſich im Verſtande und im
Gemüthe der Menſchheit wiedergeſpiegelt, wie Himmel und Erde ſich nach
und nach der Wiſſenſchaft, dem Unternehmungsgeiſte, dem künſtleriſchen
Gefühle aufgeſchloſſen hatten. Da der Fortſchritt des Menſchengeſchlechts
ſich allein im Bereiche der expanſiven Civiliſation unzweifelhaft erweiſen
läßt, ſo behauptete hier der hoffnungsvolle Optimismus des alten Jahr-
hunderts, dem Humboldt’s eigene Bildung entſtammte, ſein gutes Recht.
Er ſchilderte mit wohlthuender Wärme, wie es auf Erden, trotz „dem läſti-
gen Kampfe des Wiſſens und des Glaubens“ doch immer heller geworden
war, wie der Geſichtskreis der Menſchheit ſich beſtändig erweitert hatte
und darum auch noch der Tag kommen müſſe, da ſie in vollem Ernſt
das kühne Seherwort der Renaiſſancezeit wiederholen dürfte: il mondo
è poco.
Als er dann im dritten Bande ſein Weltenbild im Einzelnen auszu-
malen begann, da ſchwoll ihm der Stoff unter den Händen an, weil das junge
Geſchlecht raſtlos von Entdeckung zu Entdeckung aufſtieg, und er ſollte den
Abſchluß des Werkes nicht mehr erleben. Der Kosmos bezeichnete in der
That eine Epoche unſeres geiſtigen Lebens — in anderem Sinne aller-
dings, als Humboldt ſelbſt glaubte — er ſtand vor- und rückſchauend auf
der Grenze zweier Zeitalter. Er war, noch ganz im Geiſte unſerer claſſi-
ſchen Dichtungszeiten, als ein großes Kunſtwerk gedacht, das durch die
Pracht ſeiner reichen Schilderungen den Geiſt anregen, das äſthetiſche
Gefühl befriedigen, „das Gemüth ergötzen ſollte“; er war erfüllt von dem
*) S. o. III. 432.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/442>, abgerufen am 25.11.2024.
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