Verstande lag die feine Pointe des Lustspiels näher als das tragische Pathos. Im Urbild des Tartuffe schilderte er geistreich, mit allem Auf- wande bühnengerechter heiterer Ueberraschungen, das Loos des komischen Dichters, den Alle loben so lange sie sich nicht selbst von den Pfeilen seines Witzes getroffen fühlen; in Zopf und Schwert ebenso lebendig, mit dick aufgetragenen Farben, den Gegensatz altpreußischer Soldatenderbheit und feiner moderner Weltbildung. In diesem vaterländischen Drama klang sogar zuweilen ein gemüthlicher Ton warmer Berlinischer Heimathliebe durch; die grob gezeichnete Gestalt Friedrich Wilhelm's I. war doch lebendig genug um in preußischen Herzen ein Gefühl launigen Behagens zu er- wecken, und selbst die ängstliche Berliner Theatercensur mußte endlich ein- sehen, daß die alte engherzige Vorschrift, welche die Personen des Fürsten- hauses von den Brettern ausschloß, nur der Sache des Königthums selber schadete: wenn die großen Hohenzollern auf der Bühne erschienen, so wurden sie dem Volke doch ungleich verständlicher als durch Denkmäler oder Gemälde.
Gutzkow's Trauerspiele dagegen verriethen überall, daß der nervöse, friedlose, unruhig grübelnde Dichter zur inneren Freiheit noch nicht ge- langt war. Im Richard Savage wurde ein tiefsinniger Stoff, der Wider- spruch zwischen dem natürlichen Gefühle und der gesellschaftlichen Heu- chelei, unter allerhand geistreichen Einfällen und gezierten Gesprächen so leichthin abgethan, daß der sittliche Gehalt der Fabel ganz verloren ging; im Patkul mußte die abstrakte Freiheitsrhetorik, im Wullenweber gar das Zeitungsschlagwort die tragische Leidenschaft ersetzen. In seinem hastigen Schaffen ließ er sich nicht Zeit zu der umständlichen Ausführung der Charaktere, die er doch selbst an Schiller bewunderte, und vermochte darum auch nicht so fest an seine Menschen zu glauben wie Schiller an den Max oder den Tell. Fast noch unsicherer sprach sein sittliches Gefühl im Uriel Acosta, der vielbewunderten Tragödie der freien Forschung: der Held war kein Denker, sondern ein Zweifler, kein Bekenner, sondern ein Schwächling, der nur durch die Verkettung der Umstände, nicht durch freien Entschluß vor schimpflichem Widerrufe bewahrt wurde. Aber in diesen Tagen der freien Gemeinden und des Deutschkatholicismus klang der Vers "die Ueberzeugung ist des Mannes Ehre" ganz unwiderstehlich. Die Hörer vergaßen willig die Erbärmlichkeit des Helden, da das Stück doch in sehr wirksamen Scenen den Kampf des freien Gedankens wider das verknöcherte Dogma vorführte; und obschon die mächtige Judenschaft dem Dichter grollte, weil er nicht die landesüblichen christlichen Priester, sondern Rabbiner als Vorkämpfer des Gewissenszwanges auftreten ließ, so blieb das Stück gleichwohl ein Liebling der aufgeklärten Freigeister, und noch viele Jahre später pflegte die kirchliche Reaktion überall wo sie siegte mit Verboten gegen den Uriel einzuschreiten.
Wie viel Verfehltes auch mit unterlief, das deutsche Theater besann
Laube’s und Gutzkow’s Dramen.
Verſtande lag die feine Pointe des Luſtſpiels näher als das tragiſche Pathos. Im Urbild des Tartuffe ſchilderte er geiſtreich, mit allem Auf- wande bühnengerechter heiterer Ueberraſchungen, das Loos des komiſchen Dichters, den Alle loben ſo lange ſie ſich nicht ſelbſt von den Pfeilen ſeines Witzes getroffen fühlen; in Zopf und Schwert ebenſo lebendig, mit dick aufgetragenen Farben, den Gegenſatz altpreußiſcher Soldatenderbheit und feiner moderner Weltbildung. In dieſem vaterländiſchen Drama klang ſogar zuweilen ein gemüthlicher Ton warmer Berliniſcher Heimathliebe durch; die grob gezeichnete Geſtalt Friedrich Wilhelm’s I. war doch lebendig genug um in preußiſchen Herzen ein Gefühl launigen Behagens zu er- wecken, und ſelbſt die ängſtliche Berliner Theatercenſur mußte endlich ein- ſehen, daß die alte engherzige Vorſchrift, welche die Perſonen des Fürſten- hauſes von den Brettern ausſchloß, nur der Sache des Königthums ſelber ſchadete: wenn die großen Hohenzollern auf der Bühne erſchienen, ſo wurden ſie dem Volke doch ungleich verſtändlicher als durch Denkmäler oder Gemälde.
Gutzkow’s Trauerſpiele dagegen verriethen überall, daß der nervöſe, friedloſe, unruhig grübelnde Dichter zur inneren Freiheit noch nicht ge- langt war. Im Richard Savage wurde ein tiefſinniger Stoff, der Wider- ſpruch zwiſchen dem natürlichen Gefühle und der geſellſchaftlichen Heu- chelei, unter allerhand geiſtreichen Einfällen und gezierten Geſprächen ſo leichthin abgethan, daß der ſittliche Gehalt der Fabel ganz verloren ging; im Patkul mußte die abſtrakte Freiheitsrhetorik, im Wullenweber gar das Zeitungsſchlagwort die tragiſche Leidenſchaft erſetzen. In ſeinem haſtigen Schaffen ließ er ſich nicht Zeit zu der umſtändlichen Ausführung der Charaktere, die er doch ſelbſt an Schiller bewunderte, und vermochte darum auch nicht ſo feſt an ſeine Menſchen zu glauben wie Schiller an den Max oder den Tell. Faſt noch unſicherer ſprach ſein ſittliches Gefühl im Uriel Acoſta, der vielbewunderten Tragödie der freien Forſchung: der Held war kein Denker, ſondern ein Zweifler, kein Bekenner, ſondern ein Schwächling, der nur durch die Verkettung der Umſtände, nicht durch freien Entſchluß vor ſchimpflichem Widerrufe bewahrt wurde. Aber in dieſen Tagen der freien Gemeinden und des Deutſchkatholicismus klang der Vers „die Ueberzeugung iſt des Mannes Ehre“ ganz unwiderſtehlich. Die Hörer vergaßen willig die Erbärmlichkeit des Helden, da das Stück doch in ſehr wirkſamen Scenen den Kampf des freien Gedankens wider das verknöcherte Dogma vorführte; und obſchon die mächtige Judenſchaft dem Dichter grollte, weil er nicht die landesüblichen chriſtlichen Prieſter, ſondern Rabbiner als Vorkämpfer des Gewiſſenszwanges auftreten ließ, ſo blieb das Stück gleichwohl ein Liebling der aufgeklärten Freigeiſter, und noch viele Jahre ſpäter pflegte die kirchliche Reaktion überall wo ſie ſiegte mit Verboten gegen den Uriel einzuſchreiten.
Wie viel Verfehltes auch mit unterlief, das deutſche Theater beſann
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Laube’s und Gutzkow’s Dramen.
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Pathos. Im Urbild des Tartuffe ſchilderte er geiſtreich, mit allem Auf-
wande bühnengerechter heiterer Ueberraſchungen, das Loos des komiſchen
Dichters, den Alle loben ſo lange ſie ſich nicht ſelbſt von den Pfeilen ſeines
Witzes getroffen fühlen; in Zopf und Schwert ebenſo lebendig, mit dick
aufgetragenen Farben, den Gegenſatz altpreußiſcher Soldatenderbheit und
feiner moderner Weltbildung. In dieſem vaterländiſchen Drama klang
ſogar zuweilen ein gemüthlicher Ton warmer Berliniſcher Heimathliebe
durch; die grob gezeichnete Geſtalt Friedrich Wilhelm’s I. war doch lebendig
genug um in preußiſchen Herzen ein Gefühl launigen Behagens zu er-
wecken, und ſelbſt die ängſtliche Berliner Theatercenſur mußte endlich ein-
ſehen, daß die alte engherzige Vorſchrift, welche die Perſonen des Fürſten-
hauſes von den Brettern ausſchloß, nur der Sache des Königthums ſelber
ſchadete: wenn die großen Hohenzollern auf der Bühne erſchienen, ſo
wurden ſie dem Volke doch ungleich verſtändlicher als durch Denkmäler
oder Gemälde.
Gutzkow’s Trauerſpiele dagegen verriethen überall, daß der nervöſe,
friedloſe, unruhig grübelnde Dichter zur inneren Freiheit noch nicht ge-
langt war. Im Richard Savage wurde ein tiefſinniger Stoff, der Wider-
ſpruch zwiſchen dem natürlichen Gefühle und der geſellſchaftlichen Heu-
chelei, unter allerhand geiſtreichen Einfällen und gezierten Geſprächen
ſo leichthin abgethan, daß der ſittliche Gehalt der Fabel ganz verloren
ging; im Patkul mußte die abſtrakte Freiheitsrhetorik, im Wullenweber
gar das Zeitungsſchlagwort die tragiſche Leidenſchaft erſetzen. In ſeinem
haſtigen Schaffen ließ er ſich nicht Zeit zu der umſtändlichen Ausführung
der Charaktere, die er doch ſelbſt an Schiller bewunderte, und vermochte
darum auch nicht ſo feſt an ſeine Menſchen zu glauben wie Schiller an
den Max oder den Tell. Faſt noch unſicherer ſprach ſein ſittliches Gefühl
im Uriel Acoſta, der vielbewunderten Tragödie der freien Forſchung: der
Held war kein Denker, ſondern ein Zweifler, kein Bekenner, ſondern ein
Schwächling, der nur durch die Verkettung der Umſtände, nicht durch
freien Entſchluß vor ſchimpflichem Widerrufe bewahrt wurde. Aber in
dieſen Tagen der freien Gemeinden und des Deutſchkatholicismus klang
der Vers „die Ueberzeugung iſt des Mannes Ehre“ ganz unwiderſtehlich.
Die Hörer vergaßen willig die Erbärmlichkeit des Helden, da das Stück
doch in ſehr wirkſamen Scenen den Kampf des freien Gedankens wider
das verknöcherte Dogma vorführte; und obſchon die mächtige Judenſchaft
dem Dichter grollte, weil er nicht die landesüblichen chriſtlichen Prieſter,
ſondern Rabbiner als Vorkämpfer des Gewiſſenszwanges auftreten ließ,
ſo blieb das Stück gleichwohl ein Liebling der aufgeklärten Freigeiſter, und
noch viele Jahre ſpäter pflegte die kirchliche Reaktion überall wo ſie ſiegte
mit Verboten gegen den Uriel einzuſchreiten.
Wie viel Verfehltes auch mit unterlief, das deutſche Theater beſann
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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