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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Heine im Exil.
wohlgemuth seine Pension von König Ludwig Philipp, und da er sich von
Frankreich bezahlen ließ, so bewarb er sich, ganz folgerichtig, auch um das
französische Staatsbürgerrecht. Der ängstliche Guizot erschrak; denn nach
den herzbrechenden Klagen des Dichters mußte er annehmen, daß Heine
in Deutschland als ein fürchterlicher Hochverräther verfolgt würde. Um
den Berliner Hof nicht zu beleidigen ließ er zunächst durch den Ge-
sandten Bresson vorsichtig anfragen: wie Heine zur preußischen Regierung
stehe? und was man thun wolle, wenn er französischer Unterthan würde?
Darauf erfolgte (17. Febr. 1843) die kühle Antwort: unsere Behörden
wissen gar nicht, ob Heine noch preußischer Unterthan ist; sie haben vor
Jahren seine Schriften verboten, aber gegen seine Person niemals irgend
eine polizeiliche Maßregel angeordnet; will er sich in Frankreich natu-
ralisiren lassen, so finden wir nichts dawider einzuwenden, dann hat er
gegen uns die Rechte eines Franzosen.*) Das war der Unglückliche,
dessen gräßliches Martyrium den deutschen Zeitungsschreibern so viele
blutige Thränen erpreßte! Da mithin Guizot's einziges Bedenken auf's
Gründlichste beseitigt war, so läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit an-
nehmen, daß Heine nunmehr wirklich ein Franzose wurde, obgleich er dies
späterhin ableugnete; das Bürgerrecht des so unsäglich verabscheuten preu-
ßischen Staates aufzugeben, konnte ihn doch keine Ueberwindung kosten, nach-
dem er längst schon französischen Sold empfing. Als Guizot kaum zwei
Jahre darauf (Jan. 1845) sich entschloß, die sämmtlichen Mitarbeiter der
radicalen deutschen Zeitschrift Vorwärts auszuweisen, da wurde Heine, der
auch zu den Mitarbeitern gehörte, ausdrücklich ausgenommen, weil er als
naturalisirter Franzose nicht ausgewiesen werden konnte; und wer mag
glauben, daß die französische Regierung, nach Allem was geschehen, die
Staatsangehörigkeit eines ihr so nahe stehenden Mannes nicht gekannt
haben sollte?

Auf die Dauer konnte das leere Geplauder des Feuilletons dem
Künstlersinne Heine's doch nicht genügen; er sammelte sich wieder zu poetischer
Arbeit, und manche seiner neuen Gedichte standen den älteren gleich. Selbst
in dem Liederstrauße, den er unbefangen neun Pariser Straßendirnen
zugleich darbot, dufteten einzelne frische Blüthen. So dreist, so lebendig
hatte er sein Evangelium von der Verklärung des Fleisches noch nie ver-
kündigt, wie jetzt in den Versen:

Vernichtet ist das Zweierlei,
Das uns so lang bethöret.
Die dumme Leiberquälerei
Hat endlich aufgehöret.

Die Gesinnungstüchtigkeit der neuen politischen Lyrik, die ihn so wider-
wärtig an die verhaßten teutonischen Gesänge des Befreiungskrieges er-

*) Schreiben des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten an Graf Bresson,
Berlin 17. Febr. 1843. Vgl. Beilage 30.

Heine im Exil.
wohlgemuth ſeine Penſion von König Ludwig Philipp, und da er ſich von
Frankreich bezahlen ließ, ſo bewarb er ſich, ganz folgerichtig, auch um das
franzöſiſche Staatsbürgerrecht. Der ängſtliche Guizot erſchrak; denn nach
den herzbrechenden Klagen des Dichters mußte er annehmen, daß Heine
in Deutſchland als ein fürchterlicher Hochverräther verfolgt würde. Um
den Berliner Hof nicht zu beleidigen ließ er zunächſt durch den Ge-
ſandten Breſſon vorſichtig anfragen: wie Heine zur preußiſchen Regierung
ſtehe? und was man thun wolle, wenn er franzöſiſcher Unterthan würde?
Darauf erfolgte (17. Febr. 1843) die kühle Antwort: unſere Behörden
wiſſen gar nicht, ob Heine noch preußiſcher Unterthan iſt; ſie haben vor
Jahren ſeine Schriften verboten, aber gegen ſeine Perſon niemals irgend
eine polizeiliche Maßregel angeordnet; will er ſich in Frankreich natu-
raliſiren laſſen, ſo finden wir nichts dawider einzuwenden, dann hat er
gegen uns die Rechte eines Franzoſen.*) Das war der Unglückliche,
deſſen gräßliches Martyrium den deutſchen Zeitungsſchreibern ſo viele
blutige Thränen erpreßte! Da mithin Guizot’s einziges Bedenken auf’s
Gründlichſte beſeitigt war, ſo läßt ſich mit großer Wahrſcheinlichkeit an-
nehmen, daß Heine nunmehr wirklich ein Franzoſe wurde, obgleich er dies
ſpäterhin ableugnete; das Bürgerrecht des ſo unſäglich verabſcheuten preu-
ßiſchen Staates aufzugeben, konnte ihn doch keine Ueberwindung koſten, nach-
dem er längſt ſchon franzöſiſchen Sold empfing. Als Guizot kaum zwei
Jahre darauf (Jan. 1845) ſich entſchloß, die ſämmtlichen Mitarbeiter der
radicalen deutſchen Zeitſchrift Vorwärts auszuweiſen, da wurde Heine, der
auch zu den Mitarbeitern gehörte, ausdrücklich ausgenommen, weil er als
naturaliſirter Franzoſe nicht ausgewieſen werden konnte; und wer mag
glauben, daß die franzöſiſche Regierung, nach Allem was geſchehen, die
Staatsangehörigkeit eines ihr ſo nahe ſtehenden Mannes nicht gekannt
haben ſollte?

Auf die Dauer konnte das leere Geplauder des Feuilletons dem
Künſtlerſinne Heine’s doch nicht genügen; er ſammelte ſich wieder zu poetiſcher
Arbeit, und manche ſeiner neuen Gedichte ſtanden den älteren gleich. Selbſt
in dem Liederſtrauße, den er unbefangen neun Pariſer Straßendirnen
zugleich darbot, dufteten einzelne friſche Blüthen. So dreiſt, ſo lebendig
hatte er ſein Evangelium von der Verklärung des Fleiſches noch nie ver-
kündigt, wie jetzt in den Verſen:

Vernichtet iſt das Zweierlei,
Das uns ſo lang bethöret.
Die dumme Leiberquälerei
Hat endlich aufgehöret.

Die Geſinnungstüchtigkeit der neuen politiſchen Lyrik, die ihn ſo wider-
wärtig an die verhaßten teutoniſchen Geſänge des Befreiungskrieges er-

*) Schreiben des Miniſteriums der auswärtigen Angelegenheiten an Graf Breſſon,
Berlin 17. Febr. 1843. Vgl. Beilage 30.
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[379/0393] Heine im Exil. wohlgemuth ſeine Penſion von König Ludwig Philipp, und da er ſich von Frankreich bezahlen ließ, ſo bewarb er ſich, ganz folgerichtig, auch um das franzöſiſche Staatsbürgerrecht. Der ängſtliche Guizot erſchrak; denn nach den herzbrechenden Klagen des Dichters mußte er annehmen, daß Heine in Deutſchland als ein fürchterlicher Hochverräther verfolgt würde. Um den Berliner Hof nicht zu beleidigen ließ er zunächſt durch den Ge- ſandten Breſſon vorſichtig anfragen: wie Heine zur preußiſchen Regierung ſtehe? und was man thun wolle, wenn er franzöſiſcher Unterthan würde? Darauf erfolgte (17. Febr. 1843) die kühle Antwort: unſere Behörden wiſſen gar nicht, ob Heine noch preußiſcher Unterthan iſt; ſie haben vor Jahren ſeine Schriften verboten, aber gegen ſeine Perſon niemals irgend eine polizeiliche Maßregel angeordnet; will er ſich in Frankreich natu- raliſiren laſſen, ſo finden wir nichts dawider einzuwenden, dann hat er gegen uns die Rechte eines Franzoſen. *) Das war der Unglückliche, deſſen gräßliches Martyrium den deutſchen Zeitungsſchreibern ſo viele blutige Thränen erpreßte! Da mithin Guizot’s einziges Bedenken auf’s Gründlichſte beſeitigt war, ſo läßt ſich mit großer Wahrſcheinlichkeit an- nehmen, daß Heine nunmehr wirklich ein Franzoſe wurde, obgleich er dies ſpäterhin ableugnete; das Bürgerrecht des ſo unſäglich verabſcheuten preu- ßiſchen Staates aufzugeben, konnte ihn doch keine Ueberwindung koſten, nach- dem er längſt ſchon franzöſiſchen Sold empfing. Als Guizot kaum zwei Jahre darauf (Jan. 1845) ſich entſchloß, die ſämmtlichen Mitarbeiter der radicalen deutſchen Zeitſchrift Vorwärts auszuweiſen, da wurde Heine, der auch zu den Mitarbeitern gehörte, ausdrücklich ausgenommen, weil er als naturaliſirter Franzoſe nicht ausgewieſen werden konnte; und wer mag glauben, daß die franzöſiſche Regierung, nach Allem was geſchehen, die Staatsangehörigkeit eines ihr ſo nahe ſtehenden Mannes nicht gekannt haben ſollte? Auf die Dauer konnte das leere Geplauder des Feuilletons dem Künſtlerſinne Heine’s doch nicht genügen; er ſammelte ſich wieder zu poetiſcher Arbeit, und manche ſeiner neuen Gedichte ſtanden den älteren gleich. Selbſt in dem Liederſtrauße, den er unbefangen neun Pariſer Straßendirnen zugleich darbot, dufteten einzelne friſche Blüthen. So dreiſt, ſo lebendig hatte er ſein Evangelium von der Verklärung des Fleiſches noch nie ver- kündigt, wie jetzt in den Verſen: Vernichtet iſt das Zweierlei, Das uns ſo lang bethöret. Die dumme Leiberquälerei Hat endlich aufgehöret. Die Geſinnungstüchtigkeit der neuen politiſchen Lyrik, die ihn ſo wider- wärtig an die verhaßten teutoniſchen Geſänge des Befreiungskrieges er- *) Schreiben des Miniſteriums der auswärtigen Angelegenheiten an Graf Breſſon, Berlin 17. Febr. 1843. Vgl. Beilage 30.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/393>, abgerufen am 25.11.2024.