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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Freiligrath. Lenau.
auch den rohen Cynismus nicht verschmähte, trat er für diese Ideale ein;
in seinem wuchtigen "trotz alledem und alledem" hallten die Schlachtrufe
Ulrich's von Hutten: Perrumpendum tandem! Iacta est alea! ganz
anders nach als in Herwegh's zierlicheren Versen. Wenn er sich in seine
radicalen Träume verlor, dann spielte seine erhitzte Phantasie selbst
mit dem Bilde des Königsmords; er schilderte den "Proletarier-Ma-
schinisten", der den König von Preußen rheinauf zum Stolzenfels fährt
und sich schon überlegt, ob er nicht das Dampfschiff mitsammt seiner er-
lauchten Last in die Luft sprengen solle: "der Dampf rumort, er aber
sagt: heut, zornig Element, noch nicht!" Dabei blieb er doch allezeit ein
freundlicher frohmuthiger Gesell und dichtete mitten unter den revolu-
tionären Drohungen auch unschuldige Lieder vom Rhein und Wein und
das tief empfundene "O lieb' so lang du lieben kannst", so daß er nie-
mals blos für einen Tendenzdichter gelten konnte. Sein gutes Herz be-
wahrte ihn auch, trotz so manchem politischen Thorenstreiche, vor der Ver-
zweiflung am Vaterlande. "Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
wird einst vor allen dieses Deutschland sein", so sprach er ahnungsvoll
da er die Blüthen am Baume der Menschheit betrachtete; und wenn
er sein Deutschland einen Hamlet nannte -- eine Vergleichung, die nun-
mehr in Vers und Prosa unendlich oft wiederholt wurde -- so fügte er
doch bescheiden hinzu:

Bin ich ja selbst ein Stück von Dir,
Du ew'ger Zauderer und Säumer!

So konnte er leben mit den Lebendigen, und als nach Jahren alle seine
republikanischen Ideale zertrümmert am Boden lagen, der Traum seiner
Jugend durch monarchische Gewalten in Erfüllung ging, da jubelte er dank-
bar, ohne Kleinsinn, der neuen Größe Deutschlands zu, und sein heller
Dichtergruß antwortete der Trompete von Gravelotte.

Nicht eigentlich durch die politische Leidenschaft, sondern durch die
Sehnsucht nach geistiger Freiheit wurde auch der Deutsch-Ungar Nikolaus
Lenau in das Heerlager der lyrischen Streiter geführt. Dem edlen, wahr-
haftigen, liebevollen Träumer hing die Schwermuth nachtend über der
krausen Stirn und den feurigen dunklen Augen; er versenkte sich in
die Schauer der "ernsten, milden, träumerischen, unergründlich süßen
Nacht", er hörte das Schilf am See gespenstisch flüstern, er brütete finster
über der Nichtigkeit des Lebens "wie man's verraucht, verschläft, vergeigt
und es dreimal verachtet". Die Jugendgedichte, in denen er die öde schwei-
gende Haide, das unendliche Meer, das Leid der jungen Liebe, die süße
Todesmüdigkeit des Unglücks besang, waren zuweilen unklar und form-
los, aber immer belebt durch eine tief und wahr empfundene elegische
Stimmung; sie klangen als ob die Zigeuner seiner heimischen Pußten
auf ihren Geigen eine traurige Weise spielten. In jungen Jahren ging
er, die Freiheit suchend, nach Amerika, und als er dann schmerzlich ent-

Freiligrath. Lenau.
auch den rohen Cynismus nicht verſchmähte, trat er für dieſe Ideale ein;
in ſeinem wuchtigen „trotz alledem und alledem“ hallten die Schlachtrufe
Ulrich’s von Hutten: Perrumpendum tandem! Iacta est alea! ganz
anders nach als in Herwegh’s zierlicheren Verſen. Wenn er ſich in ſeine
radicalen Träume verlor, dann ſpielte ſeine erhitzte Phantaſie ſelbſt
mit dem Bilde des Königsmords; er ſchilderte den „Proletarier-Ma-
ſchiniſten“, der den König von Preußen rheinauf zum Stolzenfels fährt
und ſich ſchon überlegt, ob er nicht das Dampfſchiff mitſammt ſeiner er-
lauchten Laſt in die Luft ſprengen ſolle: „der Dampf rumort, er aber
ſagt: heut, zornig Element, noch nicht!“ Dabei blieb er doch allezeit ein
freundlicher frohmuthiger Geſell und dichtete mitten unter den revolu-
tionären Drohungen auch unſchuldige Lieder vom Rhein und Wein und
das tief empfundene „O lieb’ ſo lang du lieben kannſt“, ſo daß er nie-
mals blos für einen Tendenzdichter gelten konnte. Sein gutes Herz be-
wahrte ihn auch, trotz ſo manchem politiſchen Thorenſtreiche, vor der Ver-
zweiflung am Vaterlande. „Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
wird einſt vor allen dieſes Deutſchland ſein“, ſo ſprach er ahnungsvoll
da er die Blüthen am Baume der Menſchheit betrachtete; und wenn
er ſein Deutſchland einen Hamlet nannte — eine Vergleichung, die nun-
mehr in Vers und Proſa unendlich oft wiederholt wurde — ſo fügte er
doch beſcheiden hinzu:

Bin ich ja ſelbſt ein Stück von Dir,
Du ew’ger Zauderer und Säumer!

So konnte er leben mit den Lebendigen, und als nach Jahren alle ſeine
republikaniſchen Ideale zertrümmert am Boden lagen, der Traum ſeiner
Jugend durch monarchiſche Gewalten in Erfüllung ging, da jubelte er dank-
bar, ohne Kleinſinn, der neuen Größe Deutſchlands zu, und ſein heller
Dichtergruß antwortete der Trompete von Gravelotte.

Nicht eigentlich durch die politiſche Leidenſchaft, ſondern durch die
Sehnſucht nach geiſtiger Freiheit wurde auch der Deutſch-Ungar Nikolaus
Lenau in das Heerlager der lyriſchen Streiter geführt. Dem edlen, wahr-
haftigen, liebevollen Träumer hing die Schwermuth nachtend über der
krauſen Stirn und den feurigen dunklen Augen; er verſenkte ſich in
die Schauer der „ernſten, milden, träumeriſchen, unergründlich ſüßen
Nacht“, er hörte das Schilf am See geſpenſtiſch flüſtern, er brütete finſter
über der Nichtigkeit des Lebens „wie man’s verraucht, verſchläft, vergeigt
und es dreimal verachtet“. Die Jugendgedichte, in denen er die öde ſchwei-
gende Haide, das unendliche Meer, das Leid der jungen Liebe, die ſüße
Todesmüdigkeit des Unglücks beſang, waren zuweilen unklar und form-
los, aber immer belebt durch eine tief und wahr empfundene elegiſche
Stimmung; ſie klangen als ob die Zigeuner ſeiner heimiſchen Pußten
auf ihren Geigen eine traurige Weiſe ſpielten. In jungen Jahren ging
er, die Freiheit ſuchend, nach Amerika, und als er dann ſchmerzlich ent-

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[377/0391] Freiligrath. Lenau. auch den rohen Cynismus nicht verſchmähte, trat er für dieſe Ideale ein; in ſeinem wuchtigen „trotz alledem und alledem“ hallten die Schlachtrufe Ulrich’s von Hutten: Perrumpendum tandem! Iacta est alea! ganz anders nach als in Herwegh’s zierlicheren Verſen. Wenn er ſich in ſeine radicalen Träume verlor, dann ſpielte ſeine erhitzte Phantaſie ſelbſt mit dem Bilde des Königsmords; er ſchilderte den „Proletarier-Ma- ſchiniſten“, der den König von Preußen rheinauf zum Stolzenfels fährt und ſich ſchon überlegt, ob er nicht das Dampfſchiff mitſammt ſeiner er- lauchten Laſt in die Luft ſprengen ſolle: „der Dampf rumort, er aber ſagt: heut, zornig Element, noch nicht!“ Dabei blieb er doch allezeit ein freundlicher frohmuthiger Geſell und dichtete mitten unter den revolu- tionären Drohungen auch unſchuldige Lieder vom Rhein und Wein und das tief empfundene „O lieb’ ſo lang du lieben kannſt“, ſo daß er nie- mals blos für einen Tendenzdichter gelten konnte. Sein gutes Herz be- wahrte ihn auch, trotz ſo manchem politiſchen Thorenſtreiche, vor der Ver- zweiflung am Vaterlande. „Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume wird einſt vor allen dieſes Deutſchland ſein“, ſo ſprach er ahnungsvoll da er die Blüthen am Baume der Menſchheit betrachtete; und wenn er ſein Deutſchland einen Hamlet nannte — eine Vergleichung, die nun- mehr in Vers und Proſa unendlich oft wiederholt wurde — ſo fügte er doch beſcheiden hinzu: Bin ich ja ſelbſt ein Stück von Dir, Du ew’ger Zauderer und Säumer! So konnte er leben mit den Lebendigen, und als nach Jahren alle ſeine republikaniſchen Ideale zertrümmert am Boden lagen, der Traum ſeiner Jugend durch monarchiſche Gewalten in Erfüllung ging, da jubelte er dank- bar, ohne Kleinſinn, der neuen Größe Deutſchlands zu, und ſein heller Dichtergruß antwortete der Trompete von Gravelotte. Nicht eigentlich durch die politiſche Leidenſchaft, ſondern durch die Sehnſucht nach geiſtiger Freiheit wurde auch der Deutſch-Ungar Nikolaus Lenau in das Heerlager der lyriſchen Streiter geführt. Dem edlen, wahr- haftigen, liebevollen Träumer hing die Schwermuth nachtend über der krauſen Stirn und den feurigen dunklen Augen; er verſenkte ſich in die Schauer der „ernſten, milden, träumeriſchen, unergründlich ſüßen Nacht“, er hörte das Schilf am See geſpenſtiſch flüſtern, er brütete finſter über der Nichtigkeit des Lebens „wie man’s verraucht, verſchläft, vergeigt und es dreimal verachtet“. Die Jugendgedichte, in denen er die öde ſchwei- gende Haide, das unendliche Meer, das Leid der jungen Liebe, die ſüße Todesmüdigkeit des Unglücks beſang, waren zuweilen unklar und form- los, aber immer belebt durch eine tief und wahr empfundene elegiſche Stimmung; ſie klangen als ob die Zigeuner ſeiner heimiſchen Pußten auf ihren Geigen eine traurige Weiſe ſpielten. In jungen Jahren ging er, die Freiheit ſuchend, nach Amerika, und als er dann ſchmerzlich ent-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/391>, abgerufen am 27.11.2024.