aus der rasch anwachsenden Schaar unzufriedener Leutnants, die aus dem langweiligen Garnisonsdienste zur Schriftstellerei übergingen, der hoch- sinnige Enthusiast Friedrich v. Sallet, dem leider das Pathos statt der Schönheit galt, nahm der großen Mehrzahl der jungen Stürmer das Wort von den Lippen, als er, noch immer im barschen Tone des mili- tärischen Commandos, kurzab fragte:
Für Fürstenmacht? Für Volkesrecht? Für Geisteslicht? Für Pfaffendunkel? Republikaner oder Knecht? Ja oder nein! Nur kein Gemunkel! Entweder oder!
Ganz unwillkürlich ward auch Ferdinand Freiligrath in die Wirbel der Tendenzpoesie hineingerissen, ein westphälischer Seelenmensch mit treu- herzigen Kinderaugen, der zuerst durch die virtuose Behandlung fremd- ländischer Stoffe Aufsehen erregt hatte. Seine Jugendgedichte vom Ritt des Löwen auf der Giraffe, vom Mohrenfürsten, vom Banditenbegräbniß schilderten fast durchweg fertige Situationen ohne dramatische Bewegung, aber mit glühender Farbenpracht, in markiger, packender Sprache; und wie sonderbar sich auch der Baobab, das Gnu, die Karroo und all' der andere ausländische Flitter in den deutschen Versen ausnahmen, so fühlte der Hörer doch, daß Alles selbsterlebt war, erlebt von einem tiefen deut- schen Gemüthe. Wenn der junge Poet in seinem weltabgeschiedenen hei- mischen Städtchen hinter dem Ladentische stand oder nachher als Kauf- mannsdiener in Amsterdam die mächtigen Ostindienfahrer an der Buiten- kant landen sah, da ergriff ihn die Sehnsucht nach der Märchenwelt der weiten Ferne; die glänzenden Gemälde, die ihm dann im Augenblicke auf- stiegen, mußten auch augenblicklich von fröhlichen Freunden bestaunt werden, und er selbst freute sich so herzlich daran wie ein Knabe an den Wundern des Orbis pictus oder des Guckkastens. Das Ferne und Fremde trat ihm menschlich nahe, sobald es sich ihm zum Bilde gestaltete. Als ihm einmal in heller Sommernacht im Schlafzimmer ein Landsmann die alte Sage erzählte, daß westphälische Legionäre beim Kreuze Christi Wache ge- halten und um des Heilands Kleid gewürfelt hätten, da stand ihm mit einem male vor Augen, wie dort auf Golgatha die alte und die neue Welt- geschichte sich berührten; er sprang auf, schlug sich das Betttuch in male- rischen Falten um das Hemde und rief: "In Christi Mantel der Ger- mane!" -- den Schlußvers seines poetischen Gemäldes "die Kreuzigung".
Derselbe Drang nach dem Hohen, Großen, Wunderbaren führte ihn dann in die Reihen des allerwildesten Radicalismus, als die politische Begeisterung ihn ergriff; die wildschöne Siegerin mit rother Mütze und flatterndem Haar, die Revolution ward seine Göttin. Ehrlich im Hassen wie im Lieben, harmlos unerfahren in der Welt der Geschichte, konnte er nichts begreifen was ihm Halbheit schien. Mit starker Leidenschaft, die
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
aus der raſch anwachſenden Schaar unzufriedener Leutnants, die aus dem langweiligen Garniſonsdienſte zur Schriftſtellerei übergingen, der hoch- ſinnige Enthuſiaſt Friedrich v. Sallet, dem leider das Pathos ſtatt der Schönheit galt, nahm der großen Mehrzahl der jungen Stürmer das Wort von den Lippen, als er, noch immer im barſchen Tone des mili- täriſchen Commandos, kurzab fragte:
Für Fürſtenmacht? Für Volkesrecht? Für Geiſteslicht? Für Pfaffendunkel? Republikaner oder Knecht? Ja oder nein! Nur kein Gemunkel! Entweder oder!
Ganz unwillkürlich ward auch Ferdinand Freiligrath in die Wirbel der Tendenzpoeſie hineingeriſſen, ein weſtphäliſcher Seelenmenſch mit treu- herzigen Kinderaugen, der zuerſt durch die virtuoſe Behandlung fremd- ländiſcher Stoffe Aufſehen erregt hatte. Seine Jugendgedichte vom Ritt des Löwen auf der Giraffe, vom Mohrenfürſten, vom Banditenbegräbniß ſchilderten faſt durchweg fertige Situationen ohne dramatiſche Bewegung, aber mit glühender Farbenpracht, in markiger, packender Sprache; und wie ſonderbar ſich auch der Baobab, das Gnu, die Karroo und all’ der andere ausländiſche Flitter in den deutſchen Verſen ausnahmen, ſo fühlte der Hörer doch, daß Alles ſelbſterlebt war, erlebt von einem tiefen deut- ſchen Gemüthe. Wenn der junge Poet in ſeinem weltabgeſchiedenen hei- miſchen Städtchen hinter dem Ladentiſche ſtand oder nachher als Kauf- mannsdiener in Amſterdam die mächtigen Oſtindienfahrer an der Buiten- kant landen ſah, da ergriff ihn die Sehnſucht nach der Märchenwelt der weiten Ferne; die glänzenden Gemälde, die ihm dann im Augenblicke auf- ſtiegen, mußten auch augenblicklich von fröhlichen Freunden beſtaunt werden, und er ſelbſt freute ſich ſo herzlich daran wie ein Knabe an den Wundern des Orbis pictus oder des Guckkaſtens. Das Ferne und Fremde trat ihm menſchlich nahe, ſobald es ſich ihm zum Bilde geſtaltete. Als ihm einmal in heller Sommernacht im Schlafzimmer ein Landsmann die alte Sage erzählte, daß weſtphäliſche Legionäre beim Kreuze Chriſti Wache ge- halten und um des Heilands Kleid gewürfelt hätten, da ſtand ihm mit einem male vor Augen, wie dort auf Golgatha die alte und die neue Welt- geſchichte ſich berührten; er ſprang auf, ſchlug ſich das Betttuch in male- riſchen Falten um das Hemde und rief: „In Chriſti Mantel der Ger- mane!“ — den Schlußvers ſeines poetiſchen Gemäldes „die Kreuzigung“.
Derſelbe Drang nach dem Hohen, Großen, Wunderbaren führte ihn dann in die Reihen des allerwildeſten Radicalismus, als die politiſche Begeiſterung ihn ergriff; die wildſchöne Siegerin mit rother Mütze und flatterndem Haar, die Revolution ward ſeine Göttin. Ehrlich im Haſſen wie im Lieben, harmlos unerfahren in der Welt der Geſchichte, konnte er nichts begreifen was ihm Halbheit ſchien. Mit ſtarker Leidenſchaft, die
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aus der raſch anwachſenden Schaar unzufriedener Leutnants, die aus
dem langweiligen Garniſonsdienſte zur Schriftſtellerei übergingen, der hoch-
ſinnige Enthuſiaſt Friedrich v. Sallet, dem leider das Pathos ſtatt der
Schönheit galt, nahm der großen Mehrzahl der jungen Stürmer das
Wort von den Lippen, als er, noch immer im barſchen Tone des mili-
täriſchen Commandos, kurzab fragte:
Für Fürſtenmacht? Für Volkesrecht?
Für Geiſteslicht? Für Pfaffendunkel?
Republikaner oder Knecht?
Ja oder nein! Nur kein Gemunkel!
Entweder oder!
Ganz unwillkürlich ward auch Ferdinand Freiligrath in die Wirbel der
Tendenzpoeſie hineingeriſſen, ein weſtphäliſcher Seelenmenſch mit treu-
herzigen Kinderaugen, der zuerſt durch die virtuoſe Behandlung fremd-
ländiſcher Stoffe Aufſehen erregt hatte. Seine Jugendgedichte vom Ritt
des Löwen auf der Giraffe, vom Mohrenfürſten, vom Banditenbegräbniß
ſchilderten faſt durchweg fertige Situationen ohne dramatiſche Bewegung,
aber mit glühender Farbenpracht, in markiger, packender Sprache; und
wie ſonderbar ſich auch der Baobab, das Gnu, die Karroo und all’ der
andere ausländiſche Flitter in den deutſchen Verſen ausnahmen, ſo fühlte
der Hörer doch, daß Alles ſelbſterlebt war, erlebt von einem tiefen deut-
ſchen Gemüthe. Wenn der junge Poet in ſeinem weltabgeſchiedenen hei-
miſchen Städtchen hinter dem Ladentiſche ſtand oder nachher als Kauf-
mannsdiener in Amſterdam die mächtigen Oſtindienfahrer an der Buiten-
kant landen ſah, da ergriff ihn die Sehnſucht nach der Märchenwelt der
weiten Ferne; die glänzenden Gemälde, die ihm dann im Augenblicke auf-
ſtiegen, mußten auch augenblicklich von fröhlichen Freunden beſtaunt werden,
und er ſelbſt freute ſich ſo herzlich daran wie ein Knabe an den Wundern
des Orbis pictus oder des Guckkaſtens. Das Ferne und Fremde trat
ihm menſchlich nahe, ſobald es ſich ihm zum Bilde geſtaltete. Als ihm
einmal in heller Sommernacht im Schlafzimmer ein Landsmann die alte
Sage erzählte, daß weſtphäliſche Legionäre beim Kreuze Chriſti Wache ge-
halten und um des Heilands Kleid gewürfelt hätten, da ſtand ihm mit einem
male vor Augen, wie dort auf Golgatha die alte und die neue Welt-
geſchichte ſich berührten; er ſprang auf, ſchlug ſich das Betttuch in male-
riſchen Falten um das Hemde und rief: „In Chriſti Mantel der Ger-
mane!“ — den Schlußvers ſeines poetiſchen Gemäldes „die Kreuzigung“.
Derſelbe Drang nach dem Hohen, Großen, Wunderbaren führte ihn
dann in die Reihen des allerwildeſten Radicalismus, als die politiſche
Begeiſterung ihn ergriff; die wildſchöne Siegerin mit rother Mütze und
flatterndem Haar, die Revolution ward ſeine Göttin. Ehrlich im Haſſen
wie im Lieben, harmlos unerfahren in der Welt der Geſchichte, konnte er
nichts begreifen was ihm Halbheit ſchien. Mit ſtarker Leidenſchaft, die
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/390>, abgerufen am 25.11.2024.
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