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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
tief durchdachter, wohl ausführbarer Entwurf. Die Consistorien sollten
fortbestehen und über ihnen noch ein Oberconsistorium errichtet werden
als höchste Kirchenbehörde zur Wahrung der Disciplin und Berathung des
Landesherrn. In jeder Gemeinde ein Presbyterium, das von allen christlichen
Hausvätern, nach unmaßgeblichen Vorschlägen der Kirchenvorstände, frei
gewählt würde. Darüber Kreis- und Provinzialsynoden, dann endlich die
Generalsynode, sie alle aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern gemischt,
aber keineswegs nach den Grundsätzen des politischen Repräsentativsystems
eingerichtet, sondern also gebildet, daß der Regel nach nur sachkundige,
im Kirchendienst erprobte Männer ihnen angehören konnten. Dergestalt
suchte man den Gemeinden ihr gutes Recht zu geben und doch die völlig
Gleichgiltigen oder Unerfahrenen von den Synoden fern zu halten. Die
Grundgedanken dieser Reform erwiesen sich so dauerhaft, so lebenskräftig,
daß Emil Herrmann sie mit geringen Aenderungen wieder aufnahm, als
er ein Menschenalter später den Neubau der Kirchenverfassung endlich
zum Abschluß brachte.*)

Für jetzt stand freilich nichts zu hoffen. Drei Monate hindurch
waren die Synodalen fast Tag für Tag die hundert Stufen hinaufge-
klommen, um droben in der alten Schloßcapelle, unbekümmert um die
glühende Sommerhitze dieses gesegneten Weinjahres, ihre langen müh-
seligen Sitzungen zu halten; da wurde die Versammlung am 29. August
ohne einen Bescheid vertagt. Friedrich Wilhelm scherzte zuweilen selbst
über seine oberstbischöfliche Gewalt, die er so gern den "rechten Händen"
übergeben wollte. Als er, von Staatsgeschäften überhäuft, die Synode
mit jener unvorbereiteten Ansprache begrüßt hatte, die ihn selber nicht
befriedigte, da schrieb er spöttisch: "Ein neuer Beweis, daß unser sum-
mus episcopus
ein sehr bedenkliches Creatur ist !!!!!!!"**) Gleichwohl
hielt er sich verpflichtet diese Gewalt, so lange sie ihm noch zustand,
rücksichtslos auszuüben, und nach seiner Ueberzeugung gereichten die Be-
schlüsse der Generalsynode wahrlich nicht zum Heile der Kirche: die neue
Ordinationsformel schien ihm unchristlich, und darum betrachtete er auch
den Verfassungsentwurf mit Argwohn. Nur ungern erlaubte er einige
Monate später, auf Eichhorn's dringende Bitten, daß Nitzsch als Propst
nach Berlin berufen wurde; nach wie vor vermied er jede nähere Be-
rührung mit dem Manne, den er für den Führer der kirchlichen Oppo-
sition ansah, und niemals konnte Nitzsch in Berlin wieder eine so frucht-
bare Wirksamkeit erlangen wie einst am Rhein. Ganz vergeblich bemühte
sich der Minister um die Bestätigung der Synodalbeschlüsse. Inzwischen
fuhr Hengstenberg mit seinen Anklagen fort, und der ehrwürdige alte

*) Dies ergiebt sich von selbst aus einer Vergleichung und ist mir auch von meinem
verstorbenen Freunde E. Herrmann in manchen Gesprächen versichert worden.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Juni 1846.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
tief durchdachter, wohl ausführbarer Entwurf. Die Conſiſtorien ſollten
fortbeſtehen und über ihnen noch ein Oberconſiſtorium errichtet werden
als höchſte Kirchenbehörde zur Wahrung der Disciplin und Berathung des
Landesherrn. In jeder Gemeinde ein Presbyterium, das von allen chriſtlichen
Hausvätern, nach unmaßgeblichen Vorſchlägen der Kirchenvorſtände, frei
gewählt würde. Darüber Kreis- und Provinzialſynoden, dann endlich die
Generalſynode, ſie alle aus geiſtlichen und weltlichen Mitgliedern gemiſcht,
aber keineswegs nach den Grundſätzen des politiſchen Repräſentativſyſtems
eingerichtet, ſondern alſo gebildet, daß der Regel nach nur ſachkundige,
im Kirchendienſt erprobte Männer ihnen angehören konnten. Dergeſtalt
ſuchte man den Gemeinden ihr gutes Recht zu geben und doch die völlig
Gleichgiltigen oder Unerfahrenen von den Synoden fern zu halten. Die
Grundgedanken dieſer Reform erwieſen ſich ſo dauerhaft, ſo lebenskräftig,
daß Emil Herrmann ſie mit geringen Aenderungen wieder aufnahm, als
er ein Menſchenalter ſpäter den Neubau der Kirchenverfaſſung endlich
zum Abſchluß brachte.*)

Für jetzt ſtand freilich nichts zu hoffen. Drei Monate hindurch
waren die Synodalen faſt Tag für Tag die hundert Stufen hinaufge-
klommen, um droben in der alten Schloßcapelle, unbekümmert um die
glühende Sommerhitze dieſes geſegneten Weinjahres, ihre langen müh-
ſeligen Sitzungen zu halten; da wurde die Verſammlung am 29. Auguſt
ohne einen Beſcheid vertagt. Friedrich Wilhelm ſcherzte zuweilen ſelbſt
über ſeine oberſtbiſchöfliche Gewalt, die er ſo gern den „rechten Händen“
übergeben wollte. Als er, von Staatsgeſchäften überhäuft, die Synode
mit jener unvorbereiteten Anſprache begrüßt hatte, die ihn ſelber nicht
befriedigte, da ſchrieb er ſpöttiſch: „Ein neuer Beweis, daß unſer sum-
mus episcopus
ein ſehr bedenkliches Creatur iſt !!!!!!!“**) Gleichwohl
hielt er ſich verpflichtet dieſe Gewalt, ſo lange ſie ihm noch zuſtand,
rückſichtslos auszuüben, und nach ſeiner Ueberzeugung gereichten die Be-
ſchlüſſe der Generalſynode wahrlich nicht zum Heile der Kirche: die neue
Ordinationsformel ſchien ihm unchriſtlich, und darum betrachtete er auch
den Verfaſſungsentwurf mit Argwohn. Nur ungern erlaubte er einige
Monate ſpäter, auf Eichhorn’s dringende Bitten, daß Nitzſch als Propſt
nach Berlin berufen wurde; nach wie vor vermied er jede nähere Be-
rührung mit dem Manne, den er für den Führer der kirchlichen Oppo-
ſition anſah, und niemals konnte Nitzſch in Berlin wieder eine ſo frucht-
bare Wirkſamkeit erlangen wie einſt am Rhein. Ganz vergeblich bemühte
ſich der Miniſter um die Beſtätigung der Synodalbeſchlüſſe. Inzwiſchen
fuhr Hengſtenberg mit ſeinen Anklagen fort, und der ehrwürdige alte

*) Dies ergiebt ſich von ſelbſt aus einer Vergleichung und iſt mir auch von meinem
verſtorbenen Freunde E. Herrmann in manchen Geſprächen verſichert worden.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Juni 1846.
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[368/0382] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. tief durchdachter, wohl ausführbarer Entwurf. Die Conſiſtorien ſollten fortbeſtehen und über ihnen noch ein Oberconſiſtorium errichtet werden als höchſte Kirchenbehörde zur Wahrung der Disciplin und Berathung des Landesherrn. In jeder Gemeinde ein Presbyterium, das von allen chriſtlichen Hausvätern, nach unmaßgeblichen Vorſchlägen der Kirchenvorſtände, frei gewählt würde. Darüber Kreis- und Provinzialſynoden, dann endlich die Generalſynode, ſie alle aus geiſtlichen und weltlichen Mitgliedern gemiſcht, aber keineswegs nach den Grundſätzen des politiſchen Repräſentativſyſtems eingerichtet, ſondern alſo gebildet, daß der Regel nach nur ſachkundige, im Kirchendienſt erprobte Männer ihnen angehören konnten. Dergeſtalt ſuchte man den Gemeinden ihr gutes Recht zu geben und doch die völlig Gleichgiltigen oder Unerfahrenen von den Synoden fern zu halten. Die Grundgedanken dieſer Reform erwieſen ſich ſo dauerhaft, ſo lebenskräftig, daß Emil Herrmann ſie mit geringen Aenderungen wieder aufnahm, als er ein Menſchenalter ſpäter den Neubau der Kirchenverfaſſung endlich zum Abſchluß brachte. *) Für jetzt ſtand freilich nichts zu hoffen. Drei Monate hindurch waren die Synodalen faſt Tag für Tag die hundert Stufen hinaufge- klommen, um droben in der alten Schloßcapelle, unbekümmert um die glühende Sommerhitze dieſes geſegneten Weinjahres, ihre langen müh- ſeligen Sitzungen zu halten; da wurde die Verſammlung am 29. Auguſt ohne einen Beſcheid vertagt. Friedrich Wilhelm ſcherzte zuweilen ſelbſt über ſeine oberſtbiſchöfliche Gewalt, die er ſo gern den „rechten Händen“ übergeben wollte. Als er, von Staatsgeſchäften überhäuft, die Synode mit jener unvorbereiteten Anſprache begrüßt hatte, die ihn ſelber nicht befriedigte, da ſchrieb er ſpöttiſch: „Ein neuer Beweis, daß unſer sum- mus episcopus ein ſehr bedenkliches Creatur iſt !!!!!!!“ **) Gleichwohl hielt er ſich verpflichtet dieſe Gewalt, ſo lange ſie ihm noch zuſtand, rückſichtslos auszuüben, und nach ſeiner Ueberzeugung gereichten die Be- ſchlüſſe der Generalſynode wahrlich nicht zum Heile der Kirche: die neue Ordinationsformel ſchien ihm unchriſtlich, und darum betrachtete er auch den Verfaſſungsentwurf mit Argwohn. Nur ungern erlaubte er einige Monate ſpäter, auf Eichhorn’s dringende Bitten, daß Nitzſch als Propſt nach Berlin berufen wurde; nach wie vor vermied er jede nähere Be- rührung mit dem Manne, den er für den Führer der kirchlichen Oppo- ſition anſah, und niemals konnte Nitzſch in Berlin wieder eine ſo frucht- bare Wirkſamkeit erlangen wie einſt am Rhein. Ganz vergeblich bemühte ſich der Miniſter um die Beſtätigung der Synodalbeſchlüſſe. Inzwiſchen fuhr Hengſtenberg mit ſeinen Anklagen fort, und der ehrwürdige alte *) Dies ergiebt ſich von ſelbſt aus einer Vergleichung und iſt mir auch von meinem verſtorbenen Freunde E. Herrmann in manchen Geſprächen verſichert worden. **) König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Juni 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/382>, abgerufen am 29.03.2024.