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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verfassungsentwurf der Generalsynode.
Goßner jammerte: die neue Lehrverpflichtung reiße die Mauern der Kirche
nieder, so daß die Ungläubigen in Haufen eindringen könnten. Die li-
berale Presse andererseits zeigte sich gleichgiltig oder hämisch, und im
deutschen Auslande, wo die preußische Union längst in schlimmem Rufe
stand, war der Göttinger Lücke fast der einzige namhafte Theolog, der sich
warm für das Werk der Synode aussprach. Zuletzt blieb Alles liegen;
der König wollte die vertagte Generalsynode weder abermals einberufen
noch mit einem abweisenden Bescheide auflösen.

Von allen Institutionen des Verfassungsentwurfs trat nur eine einzige
ins Leben: das Oberconsistorium; denn dies sollte ja, nach den gehei-
men Absichten des Monarchen, das Seitenstück werden zu der geplanten
Conferenz der katholischen Bischöfe. So vereinzelt, so losgelöst von den
synodalen Institutionen, erschien die neue oberste Kirchenbehörde nur wie
eine Verstärkung des alten Consistorialsystems, von dem man sich doch
grade befreien wollte, und wurde daher selbst von den gemäßigten Parteien
sogleich als eine hierarchische Macht angefeindet. Im Februar 1848 trat
sie zusammen, und nachdem sie eine einzige Sitzung abgehalten, war sie
schon von den Wellen der Revolution hinweggespült. Also mißrieth dem
Könige Alles; auch die Ruhigen konnten sich der bangen Ahnung nicht mehr
erwehren, daß ein Gewitter die schwüle Luft dieser Tage reinigen müsse. --




v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 24

Verfaſſungsentwurf der Generalſynode.
Goßner jammerte: die neue Lehrverpflichtung reiße die Mauern der Kirche
nieder, ſo daß die Ungläubigen in Haufen eindringen könnten. Die li-
berale Preſſe andererſeits zeigte ſich gleichgiltig oder hämiſch, und im
deutſchen Auslande, wo die preußiſche Union längſt in ſchlimmem Rufe
ſtand, war der Göttinger Lücke faſt der einzige namhafte Theolog, der ſich
warm für das Werk der Synode ausſprach. Zuletzt blieb Alles liegen;
der König wollte die vertagte Generalſynode weder abermals einberufen
noch mit einem abweiſenden Beſcheide auflöſen.

Von allen Inſtitutionen des Verfaſſungsentwurfs trat nur eine einzige
ins Leben: das Oberconſiſtorium; denn dies ſollte ja, nach den gehei-
men Abſichten des Monarchen, das Seitenſtück werden zu der geplanten
Conferenz der katholiſchen Biſchöfe. So vereinzelt, ſo losgelöſt von den
ſynodalen Inſtitutionen, erſchien die neue oberſte Kirchenbehörde nur wie
eine Verſtärkung des alten Conſiſtorialſyſtems, von dem man ſich doch
grade befreien wollte, und wurde daher ſelbſt von den gemäßigten Parteien
ſogleich als eine hierarchiſche Macht angefeindet. Im Februar 1848 trat
ſie zuſammen, und nachdem ſie eine einzige Sitzung abgehalten, war ſie
ſchon von den Wellen der Revolution hinweggeſpült. Alſo mißrieth dem
Könige Alles; auch die Ruhigen konnten ſich der bangen Ahnung nicht mehr
erwehren, daß ein Gewitter die ſchwüle Luft dieſer Tage reinigen müſſe. —




v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 24
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[369/0383] Verfaſſungsentwurf der Generalſynode. Goßner jammerte: die neue Lehrverpflichtung reiße die Mauern der Kirche nieder, ſo daß die Ungläubigen in Haufen eindringen könnten. Die li- berale Preſſe andererſeits zeigte ſich gleichgiltig oder hämiſch, und im deutſchen Auslande, wo die preußiſche Union längſt in ſchlimmem Rufe ſtand, war der Göttinger Lücke faſt der einzige namhafte Theolog, der ſich warm für das Werk der Synode ausſprach. Zuletzt blieb Alles liegen; der König wollte die vertagte Generalſynode weder abermals einberufen noch mit einem abweiſenden Beſcheide auflöſen. Von allen Inſtitutionen des Verfaſſungsentwurfs trat nur eine einzige ins Leben: das Oberconſiſtorium; denn dies ſollte ja, nach den gehei- men Abſichten des Monarchen, das Seitenſtück werden zu der geplanten Conferenz der katholiſchen Biſchöfe. So vereinzelt, ſo losgelöſt von den ſynodalen Inſtitutionen, erſchien die neue oberſte Kirchenbehörde nur wie eine Verſtärkung des alten Conſiſtorialſyſtems, von dem man ſich doch grade befreien wollte, und wurde daher ſelbſt von den gemäßigten Parteien ſogleich als eine hierarchiſche Macht angefeindet. Im Februar 1848 trat ſie zuſammen, und nachdem ſie eine einzige Sitzung abgehalten, war ſie ſchon von den Wellen der Revolution hinweggeſpült. Alſo mißrieth dem Könige Alles; auch die Ruhigen konnten ſich der bangen Ahnung nicht mehr erwehren, daß ein Gewitter die ſchwüle Luft dieſer Tage reinigen müſſe. — v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 24

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/383>, abgerufen am 28.03.2024.