Der getreue Thile fürchtete schon, daß der Thronfolger durch die Kraft seines Charakters die Herrschaft im Ministerrathe erlangen könnte, und warnte: "Der Prinz hat in hohem Grade die Gabe der Ausdauer und Energie in dem, was er will und verfolgt, und jede Erfahrung, daß er auf dem Wege des beharrlichen Widerspruchs seinen Zweck erreicht, wird ihn darin nur bestärken."*)
Schließlich erlangte der Thronfolger doch so viel, daß, statt eines Ge- setzes, am 23. Juli 1845 nur eine "General-Concession" veröffentlicht wurde.**) Sie sicherte den Altlutheranern alle bürgerlichen Rechte zu, ge- stattete ihnen die Bildung von Kirchengemeinden unter einem gemeinsamen Vorstande, erklärte ihre Taufen und Trauungen für rechtsgiltig, sobald sie den Gerichten angezeigt würden; nur der Name Kirche sollte den Bet- häusern versagt bleiben. Welch' ein Widerspruch, daß also eine Kirche, die doch älter war als die unirte Landeskirche selbst, jetzt nachträglich eine bedingte Anerkennung erhielt! Immerhin ward den Bedrängten endlich eine Sühne alten Unrechts; sie bildeten, etwa 50,000 Köpfe stark, nunmehr eine Kirchengemeinschaft mit dem Mittelpunkte Breslau, die sich in ihrem frommen Stillleben sehr engherzig zeigte und sogar die "gemischten Ehen" von Lutheranern und unirten Evangelischen zwar nicht gradezu verbot, doch für seelengefährlich erklärte. Alles was einst Thomasius vor andert- halb Jahrhunderten über diese Ehefragen geschrieben, und der ganze große Wandel der Zeiten seitdem war für den confessionellen Starrsinn nicht vorhanden. Bald darauf erwachte der lutherische Sondergeist auch in der unirten Kirche selbst; Superintendent Otto und andere streng lutherische Geistliche von den Odermündungen unternahmen, innerhalb der Union eine geschlossene altpommersche Landeskirche zu bilden.
Weit gefährlicher erschienen dem Könige die radicalen Protestanten, die jetzt in der alten Heimath der Aufklärung, der Provinz Sachsen ihre Stimmen erhoben. Hier begann das kirchliche Zerwürfniß schon in den letzten Tagen des Ministeriums Altenstein. Bischof Dräseke, der gewaltige Kirchenredner, gerieth in einen heftigen Kanzelstreit mit dem Prediger Sintenis, der die Anbetung Christi feierlich verdammt hatte. Wie ein Mann traten die Berliner Orthodoxen für den Bischof ein, obgleich er keineswegs zu ihrer Partei gehörte. In der Provinz dagegen, mindestens unter den älteren Geistlichen und im Kleinbürgerthum, herrschte noch durch- aus die Schule der rationalistischen Hallenser Wegscheider und Gesenius; der vor Kurzem noch hochgefeierte Bischof sah sich plötzlich in Zeitungen und Flugschriften schonungslos angegriffen. Da suchte Eichhorn den Frieden herzustellen indem er beiden Gegnern Stillschweigen gebot. Eine solche Demüthigung wollte der stolze Prälat nicht ertragen; er fühlte, daß er
*) Thile's Bericht an den König, 17. März 1845.
**) Thile an Bodelschwingh, 14. Juli 1845.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Der getreue Thile fürchtete ſchon, daß der Thronfolger durch die Kraft ſeines Charakters die Herrſchaft im Miniſterrathe erlangen könnte, und warnte: „Der Prinz hat in hohem Grade die Gabe der Ausdauer und Energie in dem, was er will und verfolgt, und jede Erfahrung, daß er auf dem Wege des beharrlichen Widerſpruchs ſeinen Zweck erreicht, wird ihn darin nur beſtärken.“*)
Schließlich erlangte der Thronfolger doch ſo viel, daß, ſtatt eines Ge- ſetzes, am 23. Juli 1845 nur eine „General-Conceſſion“ veröffentlicht wurde.**) Sie ſicherte den Altlutheranern alle bürgerlichen Rechte zu, ge- ſtattete ihnen die Bildung von Kirchengemeinden unter einem gemeinſamen Vorſtande, erklärte ihre Taufen und Trauungen für rechtsgiltig, ſobald ſie den Gerichten angezeigt würden; nur der Name Kirche ſollte den Bet- häuſern verſagt bleiben. Welch’ ein Widerſpruch, daß alſo eine Kirche, die doch älter war als die unirte Landeskirche ſelbſt, jetzt nachträglich eine bedingte Anerkennung erhielt! Immerhin ward den Bedrängten endlich eine Sühne alten Unrechts; ſie bildeten, etwa 50,000 Köpfe ſtark, nunmehr eine Kirchengemeinſchaft mit dem Mittelpunkte Breslau, die ſich in ihrem frommen Stillleben ſehr engherzig zeigte und ſogar die „gemiſchten Ehen“ von Lutheranern und unirten Evangeliſchen zwar nicht gradezu verbot, doch für ſeelengefährlich erklärte. Alles was einſt Thomaſius vor andert- halb Jahrhunderten über dieſe Ehefragen geſchrieben, und der ganze große Wandel der Zeiten ſeitdem war für den confeſſionellen Starrſinn nicht vorhanden. Bald darauf erwachte der lutheriſche Sondergeiſt auch in der unirten Kirche ſelbſt; Superintendent Otto und andere ſtreng lutheriſche Geiſtliche von den Odermündungen unternahmen, innerhalb der Union eine geſchloſſene altpommerſche Landeskirche zu bilden.
Weit gefährlicher erſchienen dem Könige die radicalen Proteſtanten, die jetzt in der alten Heimath der Aufklärung, der Provinz Sachſen ihre Stimmen erhoben. Hier begann das kirchliche Zerwürfniß ſchon in den letzten Tagen des Miniſteriums Altenſtein. Biſchof Dräſeke, der gewaltige Kirchenredner, gerieth in einen heftigen Kanzelſtreit mit dem Prediger Sintenis, der die Anbetung Chriſti feierlich verdammt hatte. Wie ein Mann traten die Berliner Orthodoxen für den Biſchof ein, obgleich er keineswegs zu ihrer Partei gehörte. In der Provinz dagegen, mindeſtens unter den älteren Geiſtlichen und im Kleinbürgerthum, herrſchte noch durch- aus die Schule der rationaliſtiſchen Hallenſer Wegſcheider und Geſenius; der vor Kurzem noch hochgefeierte Biſchof ſah ſich plötzlich in Zeitungen und Flugſchriften ſchonungslos angegriffen. Da ſuchte Eichhorn den Frieden herzuſtellen indem er beiden Gegnern Stillſchweigen gebot. Eine ſolche Demüthigung wollte der ſtolze Prälat nicht ertragen; er fühlte, daß er
*) Thile’s Bericht an den König, 17. März 1845.
**) Thile an Bodelſchwingh, 14. Juli 1845.
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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Der getreue Thile fürchtete ſchon, daß der Thronfolger durch die Kraft
ſeines Charakters die Herrſchaft im Miniſterrathe erlangen könnte, und
warnte: „Der Prinz hat in hohem Grade die Gabe der Ausdauer und
Energie in dem, was er will und verfolgt, und jede Erfahrung, daß er auf
dem Wege des beharrlichen Widerſpruchs ſeinen Zweck erreicht, wird ihn
darin nur beſtärken.“ *)
Schließlich erlangte der Thronfolger doch ſo viel, daß, ſtatt eines Ge-
ſetzes, am 23. Juli 1845 nur eine „General-Conceſſion“ veröffentlicht
wurde. **) Sie ſicherte den Altlutheranern alle bürgerlichen Rechte zu, ge-
ſtattete ihnen die Bildung von Kirchengemeinden unter einem gemeinſamen
Vorſtande, erklärte ihre Taufen und Trauungen für rechtsgiltig, ſobald
ſie den Gerichten angezeigt würden; nur der Name Kirche ſollte den Bet-
häuſern verſagt bleiben. Welch’ ein Widerſpruch, daß alſo eine Kirche,
die doch älter war als die unirte Landeskirche ſelbſt, jetzt nachträglich eine
bedingte Anerkennung erhielt! Immerhin ward den Bedrängten endlich
eine Sühne alten Unrechts; ſie bildeten, etwa 50,000 Köpfe ſtark, nunmehr
eine Kirchengemeinſchaft mit dem Mittelpunkte Breslau, die ſich in ihrem
frommen Stillleben ſehr engherzig zeigte und ſogar die „gemiſchten Ehen“
von Lutheranern und unirten Evangeliſchen zwar nicht gradezu verbot,
doch für ſeelengefährlich erklärte. Alles was einſt Thomaſius vor andert-
halb Jahrhunderten über dieſe Ehefragen geſchrieben, und der ganze große
Wandel der Zeiten ſeitdem war für den confeſſionellen Starrſinn nicht
vorhanden. Bald darauf erwachte der lutheriſche Sondergeiſt auch in der
unirten Kirche ſelbſt; Superintendent Otto und andere ſtreng lutheriſche
Geiſtliche von den Odermündungen unternahmen, innerhalb der Union
eine geſchloſſene altpommerſche Landeskirche zu bilden.
Weit gefährlicher erſchienen dem Könige die radicalen Proteſtanten,
die jetzt in der alten Heimath der Aufklärung, der Provinz Sachſen ihre
Stimmen erhoben. Hier begann das kirchliche Zerwürfniß ſchon in den
letzten Tagen des Miniſteriums Altenſtein. Biſchof Dräſeke, der gewaltige
Kirchenredner, gerieth in einen heftigen Kanzelſtreit mit dem Prediger
Sintenis, der die Anbetung Chriſti feierlich verdammt hatte. Wie ein
Mann traten die Berliner Orthodoxen für den Biſchof ein, obgleich er
keineswegs zu ihrer Partei gehörte. In der Provinz dagegen, mindeſtens
unter den älteren Geiſtlichen und im Kleinbürgerthum, herrſchte noch durch-
aus die Schule der rationaliſtiſchen Hallenſer Wegſcheider und Geſenius;
der vor Kurzem noch hochgefeierte Biſchof ſah ſich plötzlich in Zeitungen
und Flugſchriften ſchonungslos angegriffen. Da ſuchte Eichhorn den Frieden
herzuſtellen indem er beiden Gegnern Stillſchweigen gebot. Eine ſolche
Demüthigung wollte der ſtolze Prälat nicht ertragen; er fühlte, daß er
*) Thile’s Bericht an den König, 17. März 1845.
**) Thile an Bodelſchwingh, 14. Juli 1845.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/364>, abgerufen am 22.11.2024.
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