Sehr unsicher verfuhr die Krone Preußen gegen die neue Sekte. Zu Anfang begrüßte der König den Abfall Ronge's gradezu mit Freude. Nach seiner Doctrin konnten ja beide Kirchen nur an innerer Kraft ge- winnen, wenn die Ungläubigen ausschieden. Ganz in seinem Sinne rieth General Thile, die kleine, von Rom ausgestoßene Schneidemühler Gemeinde Czerski's so günstig als möglich zu stellen; das würde hoffentlich auch die evangelischen Sektirer zum Austritt aus der Landeskirche er- muthigen, "und der Weg zu einer Reinigung unserer Kirche kann sich dadurch vielleicht mit anbahnen". Da die Schneidemühler sich ernst und ehrbar hielten, so war Friedrich Wilhelm sogar geneigt, sie als Augsburger Confessionsverwandte anzuerkennen und ihnen sein Wohlgefallen auszu- sprechen.*) Erst nach einem Gespräche mit dem Erzbischof Geissel auf Stolzenfels ward er mißtrauischer; er begann jetzt zu bemerken, wie der politische Radicalismus sich der Sekte bemächtigte, und als er gar erfuhr, daß Ronge in der evangelischen Kirche zu Jerschendorf erschienen war, um die Gemeinde zum Abfall zu verführen, da schrieb er zornig: "Heute hört man noch nichts von ernstlicher Untersuchung, viel weniger aber von Bestrafung des Frevels!!!!!!! Es ist mein ernster Wille, daß für die Zukunft unserer Kirche derselbe Rechtsschutz gegen die neukatholischen Ein- griffe geleistet werde, dessen sich die römische Kirche bei uns erfreut."**) Nach vielfachen Erwägungen beschloß er endlich, die rechtliche Stellung der Deutschkatholiken und der protestantischen Dissidenten zugleich durch ein umfassendes Toleranz-Edikt zu regeln. --
Dieser Entschluß rechtfertigte sich von selbst, denn auch die evangelische Kirche ward durch sektirerische Bewegungen erschüttert. Der ältesten und ehrwürdigsten dieser protestantischen Sekten, den Altlutheranern, suchte Friedrich Wilhelm von Haus aus durch milde Nachsicht gerecht zu werden, wie er ja schon als Kronprinz die harte Behandlung dieser Frommen stets verurtheilt hatte.***) Er gestattete ihnen stillschweigend ungestörten Gottesdienst und die Heimkehr der ausgewanderten Prediger. Die gesetz- liche Anerkennung der Sekte wagte er jedoch erst nach Jahren auszusprechen, weil der Prinz von Preußen ernst und beharrlich widerstand. Immer voll Pietät für den Vater, verlangte der Thronfolger, daß man die An- ordnungen der früheren Regierung nicht förmlich zurücknehmen, sondern die Behörden lediglich zur Duldung der Altlutheraner anweisen solle. So in Allem und Jedem zeigte sich der Gegensatz der beiden Brüder.
*) Thile's Denkschrift über Schneidemühl, 11. Jan.; Thile an Uhden und Eich- horn und Bericht an den König, 6. Sept. 1845.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 4. Juli 1846.
***) s. o. IV. 565 ff.
Preußen und die Deutſchkatholiken.
Sehr unſicher verfuhr die Krone Preußen gegen die neue Sekte. Zu Anfang begrüßte der König den Abfall Ronge’s gradezu mit Freude. Nach ſeiner Doctrin konnten ja beide Kirchen nur an innerer Kraft ge- winnen, wenn die Ungläubigen ausſchieden. Ganz in ſeinem Sinne rieth General Thile, die kleine, von Rom ausgeſtoßene Schneidemühler Gemeinde Czerski’s ſo günſtig als möglich zu ſtellen; das würde hoffentlich auch die evangeliſchen Sektirer zum Austritt aus der Landeskirche er- muthigen, „und der Weg zu einer Reinigung unſerer Kirche kann ſich dadurch vielleicht mit anbahnen“. Da die Schneidemühler ſich ernſt und ehrbar hielten, ſo war Friedrich Wilhelm ſogar geneigt, ſie als Augsburger Confeſſionsverwandte anzuerkennen und ihnen ſein Wohlgefallen auszu- ſprechen.*) Erſt nach einem Geſpräche mit dem Erzbiſchof Geiſſel auf Stolzenfels ward er mißtrauiſcher; er begann jetzt zu bemerken, wie der politiſche Radicalismus ſich der Sekte bemächtigte, und als er gar erfuhr, daß Ronge in der evangeliſchen Kirche zu Jerſchendorf erſchienen war, um die Gemeinde zum Abfall zu verführen, da ſchrieb er zornig: „Heute hört man noch nichts von ernſtlicher Unterſuchung, viel weniger aber von Beſtrafung des Frevels!!!!!!! Es iſt mein ernſter Wille, daß für die Zukunft unſerer Kirche derſelbe Rechtsſchutz gegen die neukatholiſchen Ein- griffe geleiſtet werde, deſſen ſich die römiſche Kirche bei uns erfreut.“**) Nach vielfachen Erwägungen beſchloß er endlich, die rechtliche Stellung der Deutſchkatholiken und der proteſtantiſchen Diſſidenten zugleich durch ein umfaſſendes Toleranz-Edikt zu regeln. —
Dieſer Entſchluß rechtfertigte ſich von ſelbſt, denn auch die evangeliſche Kirche ward durch ſektireriſche Bewegungen erſchüttert. Der älteſten und ehrwürdigſten dieſer proteſtantiſchen Sekten, den Altlutheranern, ſuchte Friedrich Wilhelm von Haus aus durch milde Nachſicht gerecht zu werden, wie er ja ſchon als Kronprinz die harte Behandlung dieſer Frommen ſtets verurtheilt hatte.***) Er geſtattete ihnen ſtillſchweigend ungeſtörten Gottesdienſt und die Heimkehr der ausgewanderten Prediger. Die geſetz- liche Anerkennung der Sekte wagte er jedoch erſt nach Jahren auszuſprechen, weil der Prinz von Preußen ernſt und beharrlich widerſtand. Immer voll Pietät für den Vater, verlangte der Thronfolger, daß man die An- ordnungen der früheren Regierung nicht förmlich zurücknehmen, ſondern die Behörden lediglich zur Duldung der Altlutheraner anweiſen ſolle. So in Allem und Jedem zeigte ſich der Gegenſatz der beiden Brüder.
*) Thile’s Denkſchrift über Schneidemühl, 11. Jan.; Thile an Uhden und Eich- horn und Bericht an den König, 6. Sept. 1845.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 4. Juli 1846.
***) ſ. o. IV. 565 ff.
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Preußen und die Deutſchkatholiken.
Sehr unſicher verfuhr die Krone Preußen gegen die neue Sekte.
Zu Anfang begrüßte der König den Abfall Ronge’s gradezu mit Freude.
Nach ſeiner Doctrin konnten ja beide Kirchen nur an innerer Kraft ge-
winnen, wenn die Ungläubigen ausſchieden. Ganz in ſeinem Sinne
rieth General Thile, die kleine, von Rom ausgeſtoßene Schneidemühler
Gemeinde Czerski’s ſo günſtig als möglich zu ſtellen; das würde hoffentlich
auch die evangeliſchen Sektirer zum Austritt aus der Landeskirche er-
muthigen, „und der Weg zu einer Reinigung unſerer Kirche kann ſich
dadurch vielleicht mit anbahnen“. Da die Schneidemühler ſich ernſt und
ehrbar hielten, ſo war Friedrich Wilhelm ſogar geneigt, ſie als Augsburger
Confeſſionsverwandte anzuerkennen und ihnen ſein Wohlgefallen auszu-
ſprechen. *) Erſt nach einem Geſpräche mit dem Erzbiſchof Geiſſel auf
Stolzenfels ward er mißtrauiſcher; er begann jetzt zu bemerken, wie der
politiſche Radicalismus ſich der Sekte bemächtigte, und als er gar erfuhr,
daß Ronge in der evangeliſchen Kirche zu Jerſchendorf erſchienen war, um
die Gemeinde zum Abfall zu verführen, da ſchrieb er zornig: „Heute
hört man noch nichts von ernſtlicher Unterſuchung, viel weniger aber von
Beſtrafung des Frevels!!!!!!! Es iſt mein ernſter Wille, daß für die
Zukunft unſerer Kirche derſelbe Rechtsſchutz gegen die neukatholiſchen Ein-
griffe geleiſtet werde, deſſen ſich die römiſche Kirche bei uns erfreut.“ **)
Nach vielfachen Erwägungen beſchloß er endlich, die rechtliche Stellung
der Deutſchkatholiken und der proteſtantiſchen Diſſidenten zugleich durch
ein umfaſſendes Toleranz-Edikt zu regeln. —
Dieſer Entſchluß rechtfertigte ſich von ſelbſt, denn auch die evangeliſche
Kirche ward durch ſektireriſche Bewegungen erſchüttert. Der älteſten und
ehrwürdigſten dieſer proteſtantiſchen Sekten, den Altlutheranern, ſuchte
Friedrich Wilhelm von Haus aus durch milde Nachſicht gerecht zu werden,
wie er ja ſchon als Kronprinz die harte Behandlung dieſer Frommen
ſtets verurtheilt hatte. ***) Er geſtattete ihnen ſtillſchweigend ungeſtörten
Gottesdienſt und die Heimkehr der ausgewanderten Prediger. Die geſetz-
liche Anerkennung der Sekte wagte er jedoch erſt nach Jahren auszuſprechen,
weil der Prinz von Preußen ernſt und beharrlich widerſtand. Immer
voll Pietät für den Vater, verlangte der Thronfolger, daß man die An-
ordnungen der früheren Regierung nicht förmlich zurücknehmen, ſondern
die Behörden lediglich zur Duldung der Altlutheraner anweiſen ſolle.
So in Allem und Jedem zeigte ſich der Gegenſatz der beiden Brüder.
*) Thile’s Denkſchrift über Schneidemühl, 11. Jan.; Thile an Uhden und Eich-
horn und Bericht an den König, 6. Sept. 1845.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 4. Juli 1846.
***) ſ. o. IV. 565 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/363>, abgerufen am 22.11.2024.
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