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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
oder auch ihre Gotteshäuser einzuräumen. Im März 1845 trat zu Leipzig
ein Concil zusammen um Bekenntniß und Verfassung der neuen Sekte fest-
zustellen, und hier zeigte sich alsbald die religiöse Schwäche der Bewegung.
Der Deutschkatholicismus krankte nicht nur an einem logischen Wider-
spruche, da er zugleich allgemeines und nationales Christenthum sein wollte,
sondern auch an einer schweren sittlichen Unwahrheit, denn er gab vor,
zwischen den Katholiken und Protestanten mitteninne zu stehen, während
er in Wirklichkeit weit über den evangelischen Glauben hinausging und
nur den extremen Sekten der Protestanten verwandt war. Erschienen doch
in Königsberg zur Eröffnung des deutschkatholischen Gottesdienstes, freund-
lich eingeladen, sogar die Führer der liberalen Judenschaft, Jacoby, Falk-
son, Korsch. Auf dem Leipziger Concile errang Ronge mit seinem radicalen
Anhange den Sieg. Das Dogma wurde im Geiste des platten Rationalis-
mus dermaßen vereinfacht, daß von christlichem Inhalt wenig übrig blieb;
die Gemeinden erhielten eine fast unbeschränkte Selbständigkeit, ihrer viele
gewährten, allem kirchlichen Brauche zuwider, sogar den Frauen das Stimm-
recht. So weit wollte der immerhin etwas ernster gestimmte Czerski doch
nicht gehen, den Glauben an die Göttlichkeit Christi gab er nicht auf; auch
der wackere Pater Theiner zog sich bald zurück, entsetzt über Ronge's windige
Phrasen; und es ließ sich jetzt schon vorhersehen, daß diese gedankenlose
Sektirerei an der gewaltigen Consequenz der katholischen Kirche nothwendig
zerschellen mußte.

Aber die fieberische politische Freiheitssehnsucht des Zeitalters klammerte
sich an jeden Strohhalm; Alles hieß sie willkommen, was den alten Ge-
walten in Staat und Kirche irgend widerstrebte. Ulrich von Hutten war
den Liberalen dieser Tage die Lieblingsgestalt der deutschen Geschichte;
in seinem kühnen Freimuth, seinem rhetorischen Pathos, seiner ungebundenen
Lebensweise, seinen gestaltlosen vaterländischen Träumen meinten sie sich
selber wiederzuerkennen. Und wie er einst von der Reformation die Auf-
erstehung deutscher Macht und Herrlichkeit erhofft hatte, so wähnten jetzt
Unzählige, dieser schlesische Caplan würde der nahenden politischen Revo-
lution eine Gasse brechen. Der philosophische Radicalismus trat für einige
Zeit ganz in den Hintergrund, da sich mit einem male die Aussicht auf
große praktische Erfolge der geistigen Freiheit zu eröffnen schien. Viele
liberale Zeitungen verherrlichten den Führer der Deutschkatholiken mit
einer Inbrunst, die sich neben der Nichtigkeit des Mannes und der Dürftig-
keit seiner Erfolge hochkomisch ausnahm. Ein Rebus, der an allen Schau-
fenstern hing, sagte:

Ronge, zweiter Luther Du,
Streite, streite wacker zu!
Nicht durch Rock und Narrenglocken
Sollen uns die Pfaffen locken.
Aberglaube, fliehe fort!
Gleich dem Blitz trifft Ronge's Wort.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
oder auch ihre Gotteshäuſer einzuräumen. Im März 1845 trat zu Leipzig
ein Concil zuſammen um Bekenntniß und Verfaſſung der neuen Sekte feſt-
zuſtellen, und hier zeigte ſich alsbald die religiöſe Schwäche der Bewegung.
Der Deutſchkatholicismus krankte nicht nur an einem logiſchen Wider-
ſpruche, da er zugleich allgemeines und nationales Chriſtenthum ſein wollte,
ſondern auch an einer ſchweren ſittlichen Unwahrheit, denn er gab vor,
zwiſchen den Katholiken und Proteſtanten mitteninne zu ſtehen, während
er in Wirklichkeit weit über den evangeliſchen Glauben hinausging und
nur den extremen Sekten der Proteſtanten verwandt war. Erſchienen doch
in Königsberg zur Eröffnung des deutſchkatholiſchen Gottesdienſtes, freund-
lich eingeladen, ſogar die Führer der liberalen Judenſchaft, Jacoby, Falk-
ſon, Korſch. Auf dem Leipziger Concile errang Ronge mit ſeinem radicalen
Anhange den Sieg. Das Dogma wurde im Geiſte des platten Rationalis-
mus dermaßen vereinfacht, daß von chriſtlichem Inhalt wenig übrig blieb;
die Gemeinden erhielten eine faſt unbeſchränkte Selbſtändigkeit, ihrer viele
gewährten, allem kirchlichen Brauche zuwider, ſogar den Frauen das Stimm-
recht. So weit wollte der immerhin etwas ernſter geſtimmte Czerski doch
nicht gehen, den Glauben an die Göttlichkeit Chriſti gab er nicht auf; auch
der wackere Pater Theiner zog ſich bald zurück, entſetzt über Ronge’s windige
Phraſen; und es ließ ſich jetzt ſchon vorherſehen, daß dieſe gedankenloſe
Sektirerei an der gewaltigen Conſequenz der katholiſchen Kirche nothwendig
zerſchellen mußte.

Aber die fieberiſche politiſche Freiheitsſehnſucht des Zeitalters klammerte
ſich an jeden Strohhalm; Alles hieß ſie willkommen, was den alten Ge-
walten in Staat und Kirche irgend widerſtrebte. Ulrich von Hutten war
den Liberalen dieſer Tage die Lieblingsgeſtalt der deutſchen Geſchichte;
in ſeinem kühnen Freimuth, ſeinem rhetoriſchen Pathos, ſeiner ungebundenen
Lebensweiſe, ſeinen geſtaltloſen vaterländiſchen Träumen meinten ſie ſich
ſelber wiederzuerkennen. Und wie er einſt von der Reformation die Auf-
erſtehung deutſcher Macht und Herrlichkeit erhofft hatte, ſo wähnten jetzt
Unzählige, dieſer ſchleſiſche Caplan würde der nahenden politiſchen Revo-
lution eine Gaſſe brechen. Der philoſophiſche Radicalismus trat für einige
Zeit ganz in den Hintergrund, da ſich mit einem male die Ausſicht auf
große praktiſche Erfolge der geiſtigen Freiheit zu eröffnen ſchien. Viele
liberale Zeitungen verherrlichten den Führer der Deutſchkatholiken mit
einer Inbrunſt, die ſich neben der Nichtigkeit des Mannes und der Dürftig-
keit ſeiner Erfolge hochkomiſch ausnahm. Ein Rebus, der an allen Schau-
fenſtern hing, ſagte:

Ronge, zweiter Luther Du,
Streite, ſtreite wacker zu!
Nicht durch Rock und Narrenglocken
Sollen uns die Pfaffen locken.
Aberglaube, fliehe fort!
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[338/0352] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. oder auch ihre Gotteshäuſer einzuräumen. Im März 1845 trat zu Leipzig ein Concil zuſammen um Bekenntniß und Verfaſſung der neuen Sekte feſt- zuſtellen, und hier zeigte ſich alsbald die religiöſe Schwäche der Bewegung. Der Deutſchkatholicismus krankte nicht nur an einem logiſchen Wider- ſpruche, da er zugleich allgemeines und nationales Chriſtenthum ſein wollte, ſondern auch an einer ſchweren ſittlichen Unwahrheit, denn er gab vor, zwiſchen den Katholiken und Proteſtanten mitteninne zu ſtehen, während er in Wirklichkeit weit über den evangeliſchen Glauben hinausging und nur den extremen Sekten der Proteſtanten verwandt war. Erſchienen doch in Königsberg zur Eröffnung des deutſchkatholiſchen Gottesdienſtes, freund- lich eingeladen, ſogar die Führer der liberalen Judenſchaft, Jacoby, Falk- ſon, Korſch. Auf dem Leipziger Concile errang Ronge mit ſeinem radicalen Anhange den Sieg. Das Dogma wurde im Geiſte des platten Rationalis- mus dermaßen vereinfacht, daß von chriſtlichem Inhalt wenig übrig blieb; die Gemeinden erhielten eine faſt unbeſchränkte Selbſtändigkeit, ihrer viele gewährten, allem kirchlichen Brauche zuwider, ſogar den Frauen das Stimm- recht. So weit wollte der immerhin etwas ernſter geſtimmte Czerski doch nicht gehen, den Glauben an die Göttlichkeit Chriſti gab er nicht auf; auch der wackere Pater Theiner zog ſich bald zurück, entſetzt über Ronge’s windige Phraſen; und es ließ ſich jetzt ſchon vorherſehen, daß dieſe gedankenloſe Sektirerei an der gewaltigen Conſequenz der katholiſchen Kirche nothwendig zerſchellen mußte. Aber die fieberiſche politiſche Freiheitsſehnſucht des Zeitalters klammerte ſich an jeden Strohhalm; Alles hieß ſie willkommen, was den alten Ge- walten in Staat und Kirche irgend widerſtrebte. Ulrich von Hutten war den Liberalen dieſer Tage die Lieblingsgeſtalt der deutſchen Geſchichte; in ſeinem kühnen Freimuth, ſeinem rhetoriſchen Pathos, ſeiner ungebundenen Lebensweiſe, ſeinen geſtaltloſen vaterländiſchen Träumen meinten ſie ſich ſelber wiederzuerkennen. Und wie er einſt von der Reformation die Auf- erſtehung deutſcher Macht und Herrlichkeit erhofft hatte, ſo wähnten jetzt Unzählige, dieſer ſchleſiſche Caplan würde der nahenden politiſchen Revo- lution eine Gaſſe brechen. Der philoſophiſche Radicalismus trat für einige Zeit ganz in den Hintergrund, da ſich mit einem male die Ausſicht auf große praktiſche Erfolge der geiſtigen Freiheit zu eröffnen ſchien. Viele liberale Zeitungen verherrlichten den Führer der Deutſchkatholiken mit einer Inbrunſt, die ſich neben der Nichtigkeit des Mannes und der Dürftig- keit ſeiner Erfolge hochkomiſch ausnahm. Ein Rebus, der an allen Schau- fenſtern hing, ſagte: Ronge, zweiter Luther Du, Streite, ſtreite wacker zu! Nicht durch Rock und Narrenglocken Sollen uns die Pfaffen locken. Aberglaube, fliehe fort! Gleich dem Blitz trifft Ronge’s Wort.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/352>, abgerufen am 20.04.2024.