Trotzdem rief Ronge's Schreiben eine starke, freilich nicht nachhaltige Erregung hervor. Das Trierer Schauspiel erschien weiten Kreisen wie eine muthwillige Verhöhnung aller modernen Bildung; denn die Zeit wähnte sehr frei zu denken, und nur wenige helle Köpfe bemerkten schon, daß in diesem durch so mannichfache Gegensätze zerklüfteten Jahrhundert auch der rohe Autoritätsglaube hüben und drüben eine gewaltige Macht besaß, da die Einen ebenso blind auf die Zeitungen und die Schlagworte der Tagespolitik schwuren, wie die Anderen auf Heiligenbilder und Reliquien. In Schlesien zeigten die Ultramontanen seit Sedlnitzky's Sturz einen her- ausfordernden Hochmuth, der das ohnehin unzufriedene Volk reizte; der Breslauer Pöbel verhöhnte nicht selten die geistlichen Herren auf der Straße, selbst Fürstbischof Diepenbrock ward einmal von Studenten öffentlich be- schimpft. Auch die unklaren reformatorischen Gedanken regten sich wieder, die aus der katholischen Kirche Schlesiens niemals ganz verschwunden waren,*) gutmüthige Vorstellungen von einer geläuterten Kirche, welche nicht römisch und doch katholisch sein sollte. Nach wenigen Wochen schon gründete Ronge eine Gemeinde, die sich von Rom förmlich lossagte. Sie bestand zumeist aus kleinen Leuten der Mittelklassen; aber auch zwei Männer von geachtetem wissenschaftlichem Namen schlossen sich an, erst der Kirchenrechtslehrer Domherr Regenbrecht, dann der gelehrte, grundehrliche Pater Anton Theiner, Beide den Clericalen längst verhaßt als uner- schrockene Kämpfer wider den Cölibat und andere römische Mißbräuche. Unterdessen hatte auch Caplan Czerski in Schneidemühl, ein wegen heim- licher Ehe verurtheilter Priester, mit starkem Anhang die römische Kirche verlassen, und bald bildeten sich in zweiundzwanzig norddeutschen Städten Dissidentengemeinden, die den widerspruchsvollen Namen der Deutschkatho- liken annahmen. Im Süden war der Zulauf schwächer, da Oesterreich und Baiern die neue Sekte mit äußerster Härte verfolgten. Das gläubige Landvolk hielt sich überall fern. Mehr als 60,000 Bekenner zählte der Deutschkatholicismus niemals, und die volle Hälfte gehörte Ronge's schlesi- scher Heimath an.
Im Vatican war anfangs der Schrecken groß; denn wer mochte wissen, wohin ein Schisma auf diesem heißen Boden, in dem Vaterlande der einzigen siegreichen Ketzerei noch führen konnte? Der Clerus erhielt Befehl, mit weltkluger Mäßigung zu verfahren, und nur die abtrünnigen Priester wurden excommunicirt. Die Evangelischen hingegen hießen Ronge's Unternehmen willkommen; ihrer viele sahen ja das Wesen des Protestan- tismus allein in der Bekämpfung des Papstthums, und auch die Gläubigen lebten der Ueberzeugung, daß die evangelische Lehre die dem deutschen Ge- müthe entsprechende Form des Christenthums ist, sie hofften auf die kirchliche Wiedervereinigung der Nation. Fast in allen Städten, wo deutschkatholische Gemeinden entstanden, beeilten sich die Protestanten, ihnen die Rathhaussäle
*) s. o. III. 416 f.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 22
Ronge und der heilige Rock.
Trotzdem rief Ronge’s Schreiben eine ſtarke, freilich nicht nachhaltige Erregung hervor. Das Trierer Schauſpiel erſchien weiten Kreiſen wie eine muthwillige Verhöhnung aller modernen Bildung; denn die Zeit wähnte ſehr frei zu denken, und nur wenige helle Köpfe bemerkten ſchon, daß in dieſem durch ſo mannichfache Gegenſätze zerklüfteten Jahrhundert auch der rohe Autoritätsglaube hüben und drüben eine gewaltige Macht beſaß, da die Einen ebenſo blind auf die Zeitungen und die Schlagworte der Tagespolitik ſchwuren, wie die Anderen auf Heiligenbilder und Reliquien. In Schleſien zeigten die Ultramontanen ſeit Sedlnitzky’s Sturz einen her- ausfordernden Hochmuth, der das ohnehin unzufriedene Volk reizte; der Breslauer Pöbel verhöhnte nicht ſelten die geiſtlichen Herren auf der Straße, ſelbſt Fürſtbiſchof Diepenbrock ward einmal von Studenten öffentlich be- ſchimpft. Auch die unklaren reformatoriſchen Gedanken regten ſich wieder, die aus der katholiſchen Kirche Schleſiens niemals ganz verſchwunden waren,*) gutmüthige Vorſtellungen von einer geläuterten Kirche, welche nicht römiſch und doch katholiſch ſein ſollte. Nach wenigen Wochen ſchon gründete Ronge eine Gemeinde, die ſich von Rom förmlich losſagte. Sie beſtand zumeiſt aus kleinen Leuten der Mittelklaſſen; aber auch zwei Männer von geachtetem wiſſenſchaftlichem Namen ſchloſſen ſich an, erſt der Kirchenrechtslehrer Domherr Regenbrecht, dann der gelehrte, grundehrliche Pater Anton Theiner, Beide den Clericalen längſt verhaßt als uner- ſchrockene Kämpfer wider den Cölibat und andere römiſche Mißbräuche. Unterdeſſen hatte auch Caplan Czerski in Schneidemühl, ein wegen heim- licher Ehe verurtheilter Prieſter, mit ſtarkem Anhang die römiſche Kirche verlaſſen, und bald bildeten ſich in zweiundzwanzig norddeutſchen Städten Diſſidentengemeinden, die den widerſpruchsvollen Namen der Deutſchkatho- liken annahmen. Im Süden war der Zulauf ſchwächer, da Oeſterreich und Baiern die neue Sekte mit äußerſter Härte verfolgten. Das gläubige Landvolk hielt ſich überall fern. Mehr als 60,000 Bekenner zählte der Deutſchkatholicismus niemals, und die volle Hälfte gehörte Ronge’s ſchleſi- ſcher Heimath an.
Im Vatican war anfangs der Schrecken groß; denn wer mochte wiſſen, wohin ein Schisma auf dieſem heißen Boden, in dem Vaterlande der einzigen ſiegreichen Ketzerei noch führen konnte? Der Clerus erhielt Befehl, mit weltkluger Mäßigung zu verfahren, und nur die abtrünnigen Prieſter wurden excommunicirt. Die Evangeliſchen hingegen hießen Ronge’s Unternehmen willkommen; ihrer viele ſahen ja das Weſen des Proteſtan- tismus allein in der Bekämpfung des Papſtthums, und auch die Gläubigen lebten der Ueberzeugung, daß die evangeliſche Lehre die dem deutſchen Ge- müthe entſprechende Form des Chriſtenthums iſt, ſie hofften auf die kirchliche Wiedervereinigung der Nation. Faſt in allen Städten, wo deutſchkatholiſche Gemeinden entſtanden, beeilten ſich die Proteſtanten, ihnen die Rathhausſäle
*) ſ. o. III. 416 f.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 22
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Ronge und der heilige Rock.
Trotzdem rief Ronge’s Schreiben eine ſtarke, freilich nicht nachhaltige
Erregung hervor. Das Trierer Schauſpiel erſchien weiten Kreiſen wie eine
muthwillige Verhöhnung aller modernen Bildung; denn die Zeit wähnte
ſehr frei zu denken, und nur wenige helle Köpfe bemerkten ſchon, daß in
dieſem durch ſo mannichfache Gegenſätze zerklüfteten Jahrhundert auch der
rohe Autoritätsglaube hüben und drüben eine gewaltige Macht beſaß,
da die Einen ebenſo blind auf die Zeitungen und die Schlagworte der
Tagespolitik ſchwuren, wie die Anderen auf Heiligenbilder und Reliquien.
In Schleſien zeigten die Ultramontanen ſeit Sedlnitzky’s Sturz einen her-
ausfordernden Hochmuth, der das ohnehin unzufriedene Volk reizte; der
Breslauer Pöbel verhöhnte nicht ſelten die geiſtlichen Herren auf der Straße,
ſelbſt Fürſtbiſchof Diepenbrock ward einmal von Studenten öffentlich be-
ſchimpft. Auch die unklaren reformatoriſchen Gedanken regten ſich wieder,
die aus der katholiſchen Kirche Schleſiens niemals ganz verſchwunden
waren, *) gutmüthige Vorſtellungen von einer geläuterten Kirche, welche nicht
römiſch und doch katholiſch ſein ſollte. Nach wenigen Wochen ſchon gründete
Ronge eine Gemeinde, die ſich von Rom förmlich losſagte. Sie beſtand
zumeiſt aus kleinen Leuten der Mittelklaſſen; aber auch zwei Männer
von geachtetem wiſſenſchaftlichem Namen ſchloſſen ſich an, erſt der
Kirchenrechtslehrer Domherr Regenbrecht, dann der gelehrte, grundehrliche
Pater Anton Theiner, Beide den Clericalen längſt verhaßt als uner-
ſchrockene Kämpfer wider den Cölibat und andere römiſche Mißbräuche.
Unterdeſſen hatte auch Caplan Czerski in Schneidemühl, ein wegen heim-
licher Ehe verurtheilter Prieſter, mit ſtarkem Anhang die römiſche Kirche
verlaſſen, und bald bildeten ſich in zweiundzwanzig norddeutſchen Städten
Diſſidentengemeinden, die den widerſpruchsvollen Namen der Deutſchkatho-
liken annahmen. Im Süden war der Zulauf ſchwächer, da Oeſterreich
und Baiern die neue Sekte mit äußerſter Härte verfolgten. Das gläubige
Landvolk hielt ſich überall fern. Mehr als 60,000 Bekenner zählte der
Deutſchkatholicismus niemals, und die volle Hälfte gehörte Ronge’s ſchleſi-
ſcher Heimath an.
Im Vatican war anfangs der Schrecken groß; denn wer mochte
wiſſen, wohin ein Schisma auf dieſem heißen Boden, in dem Vaterlande
der einzigen ſiegreichen Ketzerei noch führen konnte? Der Clerus erhielt
Befehl, mit weltkluger Mäßigung zu verfahren, und nur die abtrünnigen
Prieſter wurden excommunicirt. Die Evangeliſchen hingegen hießen Ronge’s
Unternehmen willkommen; ihrer viele ſahen ja das Weſen des Proteſtan-
tismus allein in der Bekämpfung des Papſtthums, und auch die Gläubigen
lebten der Ueberzeugung, daß die evangeliſche Lehre die dem deutſchen Ge-
müthe entſprechende Form des Chriſtenthums iſt, ſie hofften auf die kirchliche
Wiedervereinigung der Nation. Faſt in allen Städten, wo deutſchkatholiſche
Gemeinden entſtanden, beeilten ſich die Proteſtanten, ihnen die Rathhausſäle
*) ſ. o. III. 416 f.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 22
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/351>, abgerufen am 23.11.2024.
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