-- dies Baiern, das eben jetzt wegen seiner ultramontanen Mißregierung fast von allen deutschen Höfen tief verabscheut wurde!
Die letzten Ziele der Clericalen enthüllte mit gewohnter Plumpheit der greise Clemens August Droste selbst in einem noch während seines Exils geschriebenen Buche "über den Frieden unter der Kirche und den Staaten". Er führte hier nur näher aus was er schon vor Jahren über "die Religions- freiheit der Katholiken" geschrieben hatte.*) Das neue Buch war ebenso stümperhaft wie das alte, aber bedeutsam durch den Namen seines Verfassers, mehr noch durch seine erschreckende massive Offenherzigkeit, so daß Mar- heineke und andere evangelische Theologen sich gedrungen fühlten sofort zu antworten. Hier wurde die römische Kirche kurzab für das Himmel- reich auf Erden erklärt und dem Staate nur ein Schutzrecht vergönnt, wie umgekehrt auch die Kirche befugt sein sollte den Staat zu beschützen. Daraus ergab sich denn eine rein revolutionäre Staatslehre. Wie die Jacobiner einst ihre Menschenrechte allem positiven Rechte entgegengesetzt hatten, so unterschied Droste die mit der Natur des Staates gegebenen, auch die Kirche verpflichtenden "Staatsgesetze" von den willkürlichen "Staaten- oder Landesgesetzen" der Regenten, denen die Kirche keinen Gehorsam schulde. Frecher war die Doctrin der Revolution seit den Tagen des Conventes nicht mehr verkündet worden; denn mochten die Einen betend ihre Hände falten und vor den Bildern der Heiligen knien, die Anderen um den Freiheitsbaum tanzen -- wer also ein erträumtes natürliches Recht über die Gesetze des lebendigen Staates stellte, zerstörte jedes Band der Treue und des Gehorsams im politischen Leben. Der Staat, so schloß Droste, muß der Kirche, der eigentlich die Herrschaft ge- bührt, mindestens die volle Gleichberechtigung gewähren, unbekümmert um die thörichte Unzufriedenheit der Protestanten, die von ihrem Luther nur gelernt haben, der Unsittlichkeit, dem Vernunftstolze, dem Zweifel zu fröhnen.
Mit diesem ehrlichen Glaubensbekenntniß trat der alte Kämpfe der alleinseligmachenden Kirche von der politischen Bühne ab. Seinen Bischofs- sitz sah er niemals wieder, aber eine Pilgerfahrt nach Rom mochte er sich in seinem hohen Alter nicht versagen; dort wohnte er bei einem frommen westphälischen Buchdrucker und lebte, ohne nach den glänzenden Ehrenbezeigungen des Vaticans viel zu fragen, ganz seiner mönchischen Andacht. Und seltsam, dieser Mann, der in Prosa nie einen lesbaren Satz schreiben konnte, erlebte doch dann und wann Augenblicke poetischer Begeisterung. In solchen Stunden dichtete er das von den Kindern beider Bekenntnisse oft gesungene Lied "Stell' himmelwärts, stell' himmelwärts gleich einer Sonnenuhr dein Herz"; und noch deutlicher sprach der knor- rige Westphälinger sein innerstes Wesen aus in den Versen:
*) s. o. III. 217.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
— dies Baiern, das eben jetzt wegen ſeiner ultramontanen Mißregierung faſt von allen deutſchen Höfen tief verabſcheut wurde!
Die letzten Ziele der Clericalen enthüllte mit gewohnter Plumpheit der greiſe Clemens Auguſt Droſte ſelbſt in einem noch während ſeines Exils geſchriebenen Buche „über den Frieden unter der Kirche und den Staaten“. Er führte hier nur näher aus was er ſchon vor Jahren über „die Religions- freiheit der Katholiken“ geſchrieben hatte.*) Das neue Buch war ebenſo ſtümperhaft wie das alte, aber bedeutſam durch den Namen ſeines Verfaſſers, mehr noch durch ſeine erſchreckende maſſive Offenherzigkeit, ſo daß Mar- heineke und andere evangeliſche Theologen ſich gedrungen fühlten ſofort zu antworten. Hier wurde die römiſche Kirche kurzab für das Himmel- reich auf Erden erklärt und dem Staate nur ein Schutzrecht vergönnt, wie umgekehrt auch die Kirche befugt ſein ſollte den Staat zu beſchützen. Daraus ergab ſich denn eine rein revolutionäre Staatslehre. Wie die Jacobiner einſt ihre Menſchenrechte allem poſitiven Rechte entgegengeſetzt hatten, ſo unterſchied Droſte die mit der Natur des Staates gegebenen, auch die Kirche verpflichtenden „Staatsgeſetze“ von den willkürlichen „Staaten- oder Landesgeſetzen“ der Regenten, denen die Kirche keinen Gehorſam ſchulde. Frecher war die Doctrin der Revolution ſeit den Tagen des Conventes nicht mehr verkündet worden; denn mochten die Einen betend ihre Hände falten und vor den Bildern der Heiligen knien, die Anderen um den Freiheitsbaum tanzen — wer alſo ein erträumtes natürliches Recht über die Geſetze des lebendigen Staates ſtellte, zerſtörte jedes Band der Treue und des Gehorſams im politiſchen Leben. Der Staat, ſo ſchloß Droſte, muß der Kirche, der eigentlich die Herrſchaft ge- bührt, mindeſtens die volle Gleichberechtigung gewähren, unbekümmert um die thörichte Unzufriedenheit der Proteſtanten, die von ihrem Luther nur gelernt haben, der Unſittlichkeit, dem Vernunftſtolze, dem Zweifel zu fröhnen.
Mit dieſem ehrlichen Glaubensbekenntniß trat der alte Kämpfe der alleinſeligmachenden Kirche von der politiſchen Bühne ab. Seinen Biſchofs- ſitz ſah er niemals wieder, aber eine Pilgerfahrt nach Rom mochte er ſich in ſeinem hohen Alter nicht verſagen; dort wohnte er bei einem frommen weſtphäliſchen Buchdrucker und lebte, ohne nach den glänzenden Ehrenbezeigungen des Vaticans viel zu fragen, ganz ſeiner mönchiſchen Andacht. Und ſeltſam, dieſer Mann, der in Proſa nie einen lesbaren Satz ſchreiben konnte, erlebte doch dann und wann Augenblicke poetiſcher Begeiſterung. In ſolchen Stunden dichtete er das von den Kindern beider Bekenntniſſe oft geſungene Lied „Stell’ himmelwärts, ſtell’ himmelwärts gleich einer Sonnenuhr dein Herz“; und noch deutlicher ſprach der knor- rige Weſtphälinger ſein innerſtes Weſen aus in den Verſen:
*) ſ. o. III. 217.
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— dies Baiern, das eben jetzt wegen ſeiner ultramontanen Mißregierung
faſt von allen deutſchen Höfen tief verabſcheut wurde!
Die letzten Ziele der Clericalen enthüllte mit gewohnter Plumpheit der
greiſe Clemens Auguſt Droſte ſelbſt in einem noch während ſeines Exils
geſchriebenen Buche „über den Frieden unter der Kirche und den Staaten“.
Er führte hier nur näher aus was er ſchon vor Jahren über „die Religions-
freiheit der Katholiken“ geſchrieben hatte. *) Das neue Buch war ebenſo
ſtümperhaft wie das alte, aber bedeutſam durch den Namen ſeines Verfaſſers,
mehr noch durch ſeine erſchreckende maſſive Offenherzigkeit, ſo daß Mar-
heineke und andere evangeliſche Theologen ſich gedrungen fühlten ſofort
zu antworten. Hier wurde die römiſche Kirche kurzab für das Himmel-
reich auf Erden erklärt und dem Staate nur ein Schutzrecht vergönnt,
wie umgekehrt auch die Kirche befugt ſein ſollte den Staat zu beſchützen.
Daraus ergab ſich denn eine rein revolutionäre Staatslehre. Wie die
Jacobiner einſt ihre Menſchenrechte allem poſitiven Rechte entgegengeſetzt
hatten, ſo unterſchied Droſte die mit der Natur des Staates gegebenen,
auch die Kirche verpflichtenden „Staatsgeſetze“ von den willkürlichen
„Staaten- oder Landesgeſetzen“ der Regenten, denen die Kirche keinen
Gehorſam ſchulde. Frecher war die Doctrin der Revolution ſeit den
Tagen des Conventes nicht mehr verkündet worden; denn mochten die
Einen betend ihre Hände falten und vor den Bildern der Heiligen knien,
die Anderen um den Freiheitsbaum tanzen — wer alſo ein erträumtes
natürliches Recht über die Geſetze des lebendigen Staates ſtellte, zerſtörte
jedes Band der Treue und des Gehorſams im politiſchen Leben. Der
Staat, ſo ſchloß Droſte, muß der Kirche, der eigentlich die Herrſchaft ge-
bührt, mindeſtens die volle Gleichberechtigung gewähren, unbekümmert um
die thörichte Unzufriedenheit der Proteſtanten, die von ihrem Luther nur
gelernt haben, der Unſittlichkeit, dem Vernunftſtolze, dem Zweifel zu
fröhnen.
Mit dieſem ehrlichen Glaubensbekenntniß trat der alte Kämpfe der
alleinſeligmachenden Kirche von der politiſchen Bühne ab. Seinen Biſchofs-
ſitz ſah er niemals wieder, aber eine Pilgerfahrt nach Rom mochte er
ſich in ſeinem hohen Alter nicht verſagen; dort wohnte er bei einem
frommen weſtphäliſchen Buchdrucker und lebte, ohne nach den glänzenden
Ehrenbezeigungen des Vaticans viel zu fragen, ganz ſeiner mönchiſchen
Andacht. Und ſeltſam, dieſer Mann, der in Proſa nie einen lesbaren
Satz ſchreiben konnte, erlebte doch dann und wann Augenblicke poetiſcher
Begeiſterung. In ſolchen Stunden dichtete er das von den Kindern beider
Bekenntniſſe oft geſungene Lied „Stell’ himmelwärts, ſtell’ himmelwärts
gleich einer Sonnenuhr dein Herz“; und noch deutlicher ſprach der knor-
rige Weſtphälinger ſein innerſtes Weſen aus in den Verſen:
*) ſ. o. III. 217.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/318>, abgerufen am 22.11.2024.
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