Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
-- dies Baiern, das eben jetzt wegen seiner ultramontanen Mißregierung
fast von allen deutschen Höfen tief verabscheut wurde!

Die letzten Ziele der Clericalen enthüllte mit gewohnter Plumpheit der
greise Clemens August Droste selbst in einem noch während seines Exils
geschriebenen Buche "über den Frieden unter der Kirche und den Staaten".
Er führte hier nur näher aus was er schon vor Jahren über "die Religions-
freiheit der Katholiken" geschrieben hatte.*) Das neue Buch war ebenso
stümperhaft wie das alte, aber bedeutsam durch den Namen seines Verfassers,
mehr noch durch seine erschreckende massive Offenherzigkeit, so daß Mar-
heineke und andere evangelische Theologen sich gedrungen fühlten sofort
zu antworten. Hier wurde die römische Kirche kurzab für das Himmel-
reich auf Erden erklärt und dem Staate nur ein Schutzrecht vergönnt,
wie umgekehrt auch die Kirche befugt sein sollte den Staat zu beschützen.
Daraus ergab sich denn eine rein revolutionäre Staatslehre. Wie die
Jacobiner einst ihre Menschenrechte allem positiven Rechte entgegengesetzt
hatten, so unterschied Droste die mit der Natur des Staates gegebenen,
auch die Kirche verpflichtenden "Staatsgesetze" von den willkürlichen
"Staaten- oder Landesgesetzen" der Regenten, denen die Kirche keinen
Gehorsam schulde. Frecher war die Doctrin der Revolution seit den
Tagen des Conventes nicht mehr verkündet worden; denn mochten die
Einen betend ihre Hände falten und vor den Bildern der Heiligen knien,
die Anderen um den Freiheitsbaum tanzen -- wer also ein erträumtes
natürliches Recht über die Gesetze des lebendigen Staates stellte, zerstörte
jedes Band der Treue und des Gehorsams im politischen Leben. Der
Staat, so schloß Droste, muß der Kirche, der eigentlich die Herrschaft ge-
bührt, mindestens die volle Gleichberechtigung gewähren, unbekümmert um
die thörichte Unzufriedenheit der Protestanten, die von ihrem Luther nur
gelernt haben, der Unsittlichkeit, dem Vernunftstolze, dem Zweifel zu
fröhnen.

Mit diesem ehrlichen Glaubensbekenntniß trat der alte Kämpfe der
alleinseligmachenden Kirche von der politischen Bühne ab. Seinen Bischofs-
sitz sah er niemals wieder, aber eine Pilgerfahrt nach Rom mochte er
sich in seinem hohen Alter nicht versagen; dort wohnte er bei einem
frommen westphälischen Buchdrucker und lebte, ohne nach den glänzenden
Ehrenbezeigungen des Vaticans viel zu fragen, ganz seiner mönchischen
Andacht. Und seltsam, dieser Mann, der in Prosa nie einen lesbaren
Satz schreiben konnte, erlebte doch dann und wann Augenblicke poetischer
Begeisterung. In solchen Stunden dichtete er das von den Kindern beider
Bekenntnisse oft gesungene Lied "Stell' himmelwärts, stell' himmelwärts
gleich einer Sonnenuhr dein Herz"; und noch deutlicher sprach der knor-
rige Westphälinger sein innerstes Wesen aus in den Versen:


*) s. o. III. 217.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
— dies Baiern, das eben jetzt wegen ſeiner ultramontanen Mißregierung
faſt von allen deutſchen Höfen tief verabſcheut wurde!

Die letzten Ziele der Clericalen enthüllte mit gewohnter Plumpheit der
greiſe Clemens Auguſt Droſte ſelbſt in einem noch während ſeines Exils
geſchriebenen Buche „über den Frieden unter der Kirche und den Staaten“.
Er führte hier nur näher aus was er ſchon vor Jahren über „die Religions-
freiheit der Katholiken“ geſchrieben hatte.*) Das neue Buch war ebenſo
ſtümperhaft wie das alte, aber bedeutſam durch den Namen ſeines Verfaſſers,
mehr noch durch ſeine erſchreckende maſſive Offenherzigkeit, ſo daß Mar-
heineke und andere evangeliſche Theologen ſich gedrungen fühlten ſofort
zu antworten. Hier wurde die römiſche Kirche kurzab für das Himmel-
reich auf Erden erklärt und dem Staate nur ein Schutzrecht vergönnt,
wie umgekehrt auch die Kirche befugt ſein ſollte den Staat zu beſchützen.
Daraus ergab ſich denn eine rein revolutionäre Staatslehre. Wie die
Jacobiner einſt ihre Menſchenrechte allem poſitiven Rechte entgegengeſetzt
hatten, ſo unterſchied Droſte die mit der Natur des Staates gegebenen,
auch die Kirche verpflichtenden „Staatsgeſetze“ von den willkürlichen
„Staaten- oder Landesgeſetzen“ der Regenten, denen die Kirche keinen
Gehorſam ſchulde. Frecher war die Doctrin der Revolution ſeit den
Tagen des Conventes nicht mehr verkündet worden; denn mochten die
Einen betend ihre Hände falten und vor den Bildern der Heiligen knien,
die Anderen um den Freiheitsbaum tanzen — wer alſo ein erträumtes
natürliches Recht über die Geſetze des lebendigen Staates ſtellte, zerſtörte
jedes Band der Treue und des Gehorſams im politiſchen Leben. Der
Staat, ſo ſchloß Droſte, muß der Kirche, der eigentlich die Herrſchaft ge-
bührt, mindeſtens die volle Gleichberechtigung gewähren, unbekümmert um
die thörichte Unzufriedenheit der Proteſtanten, die von ihrem Luther nur
gelernt haben, der Unſittlichkeit, dem Vernunftſtolze, dem Zweifel zu
fröhnen.

Mit dieſem ehrlichen Glaubensbekenntniß trat der alte Kämpfe der
alleinſeligmachenden Kirche von der politiſchen Bühne ab. Seinen Biſchofs-
ſitz ſah er niemals wieder, aber eine Pilgerfahrt nach Rom mochte er
ſich in ſeinem hohen Alter nicht verſagen; dort wohnte er bei einem
frommen weſtphäliſchen Buchdrucker und lebte, ohne nach den glänzenden
Ehrenbezeigungen des Vaticans viel zu fragen, ganz ſeiner mönchiſchen
Andacht. Und ſeltſam, dieſer Mann, der in Proſa nie einen lesbaren
Satz ſchreiben konnte, erlebte doch dann und wann Augenblicke poetiſcher
Begeiſterung. In ſolchen Stunden dichtete er das von den Kindern beider
Bekenntniſſe oft geſungene Lied „Stell’ himmelwärts, ſtell’ himmelwärts
gleich einer Sonnenuhr dein Herz“; und noch deutlicher ſprach der knor-
rige Weſtphälinger ſein innerſtes Weſen aus in den Verſen:


*) ſ. o. III. 217.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0318" n="304"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 4. Die Parteiung in der Kirche.</fw><lb/>
&#x2014; dies Baiern, das eben jetzt wegen &#x017F;einer ultramontanen Mißregierung<lb/>
fa&#x017F;t von allen deut&#x017F;chen Höfen tief verab&#x017F;cheut wurde!</p><lb/>
          <p>Die letzten Ziele der Clericalen enthüllte mit gewohnter Plumpheit der<lb/>
grei&#x017F;e Clemens Augu&#x017F;t Dro&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t in einem noch während &#x017F;eines Exils<lb/>
ge&#x017F;chriebenen Buche &#x201E;über den Frieden unter der Kirche und den Staaten&#x201C;.<lb/>
Er führte hier nur näher aus was er &#x017F;chon vor Jahren über &#x201E;die Religions-<lb/>
freiheit der Katholiken&#x201C; ge&#x017F;chrieben hatte.<note place="foot" n="*)">&#x017F;. o. <hi rendition="#aq">III.</hi> 217.</note> Das neue Buch war eben&#x017F;o<lb/>
&#x017F;tümperhaft wie das alte, aber bedeut&#x017F;am durch den Namen &#x017F;eines Verfa&#x017F;&#x017F;ers,<lb/>
mehr noch durch &#x017F;eine er&#x017F;chreckende ma&#x017F;&#x017F;ive Offenherzigkeit, &#x017F;o daß Mar-<lb/>
heineke und andere evangeli&#x017F;che Theologen &#x017F;ich gedrungen fühlten &#x017F;ofort<lb/>
zu antworten. Hier wurde die römi&#x017F;che Kirche kurzab für das Himmel-<lb/>
reich auf Erden erklärt und dem Staate nur ein Schutzrecht vergönnt,<lb/>
wie umgekehrt auch die Kirche befugt &#x017F;ein &#x017F;ollte den Staat zu be&#x017F;chützen.<lb/>
Daraus ergab &#x017F;ich denn eine rein revolutionäre Staatslehre. Wie die<lb/>
Jacobiner ein&#x017F;t ihre Men&#x017F;chenrechte allem po&#x017F;itiven Rechte entgegenge&#x017F;etzt<lb/>
hatten, &#x017F;o unter&#x017F;chied Dro&#x017F;te die mit der Natur des Staates gegebenen,<lb/>
auch die Kirche verpflichtenden &#x201E;Staatsge&#x017F;etze&#x201C; von den willkürlichen<lb/>
&#x201E;Staaten- oder Landesge&#x017F;etzen&#x201C; der Regenten, denen die Kirche keinen<lb/>
Gehor&#x017F;am &#x017F;chulde. Frecher war die Doctrin der Revolution &#x017F;eit den<lb/>
Tagen des Conventes nicht mehr verkündet worden; denn mochten die<lb/>
Einen betend ihre Hände falten und vor den Bildern der Heiligen knien,<lb/>
die Anderen um den Freiheitsbaum tanzen &#x2014; wer al&#x017F;o ein erträumtes<lb/>
natürliches Recht über die Ge&#x017F;etze des lebendigen Staates &#x017F;tellte, zer&#x017F;törte<lb/>
jedes Band der Treue und des Gehor&#x017F;ams im politi&#x017F;chen Leben. Der<lb/>
Staat, &#x017F;o &#x017F;chloß Dro&#x017F;te, muß der Kirche, der eigentlich die Herr&#x017F;chaft ge-<lb/>
bührt, minde&#x017F;tens die volle Gleichberechtigung gewähren, unbekümmert um<lb/>
die thörichte Unzufriedenheit der Prote&#x017F;tanten, die von ihrem Luther nur<lb/>
gelernt haben, der Un&#x017F;ittlichkeit, dem Vernunft&#x017F;tolze, dem Zweifel zu<lb/>
fröhnen.</p><lb/>
          <p>Mit die&#x017F;em ehrlichen Glaubensbekenntniß trat der alte Kämpfe der<lb/>
allein&#x017F;eligmachenden Kirche von der politi&#x017F;chen Bühne ab. Seinen Bi&#x017F;chofs-<lb/>
&#x017F;itz &#x017F;ah er niemals wieder, aber eine Pilgerfahrt nach Rom mochte er<lb/>
&#x017F;ich in &#x017F;einem hohen Alter nicht ver&#x017F;agen; dort wohnte er bei einem<lb/>
frommen we&#x017F;tphäli&#x017F;chen Buchdrucker und lebte, ohne nach den glänzenden<lb/>
Ehrenbezeigungen des Vaticans viel zu fragen, ganz &#x017F;einer mönchi&#x017F;chen<lb/>
Andacht. Und &#x017F;elt&#x017F;am, die&#x017F;er Mann, der in Pro&#x017F;a nie einen lesbaren<lb/>
Satz &#x017F;chreiben konnte, erlebte doch dann und wann Augenblicke poeti&#x017F;cher<lb/>
Begei&#x017F;terung. In &#x017F;olchen Stunden dichtete er das von den Kindern beider<lb/>
Bekenntni&#x017F;&#x017F;e oft ge&#x017F;ungene Lied &#x201E;Stell&#x2019; himmelwärts, &#x017F;tell&#x2019; himmelwärts<lb/>
gleich einer Sonnenuhr dein Herz&#x201C;; und noch deutlicher &#x017F;prach der knor-<lb/>
rige We&#x017F;tphälinger &#x017F;ein inner&#x017F;tes We&#x017F;en aus in den Ver&#x017F;en:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0318] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. — dies Baiern, das eben jetzt wegen ſeiner ultramontanen Mißregierung faſt von allen deutſchen Höfen tief verabſcheut wurde! Die letzten Ziele der Clericalen enthüllte mit gewohnter Plumpheit der greiſe Clemens Auguſt Droſte ſelbſt in einem noch während ſeines Exils geſchriebenen Buche „über den Frieden unter der Kirche und den Staaten“. Er führte hier nur näher aus was er ſchon vor Jahren über „die Religions- freiheit der Katholiken“ geſchrieben hatte. *) Das neue Buch war ebenſo ſtümperhaft wie das alte, aber bedeutſam durch den Namen ſeines Verfaſſers, mehr noch durch ſeine erſchreckende maſſive Offenherzigkeit, ſo daß Mar- heineke und andere evangeliſche Theologen ſich gedrungen fühlten ſofort zu antworten. Hier wurde die römiſche Kirche kurzab für das Himmel- reich auf Erden erklärt und dem Staate nur ein Schutzrecht vergönnt, wie umgekehrt auch die Kirche befugt ſein ſollte den Staat zu beſchützen. Daraus ergab ſich denn eine rein revolutionäre Staatslehre. Wie die Jacobiner einſt ihre Menſchenrechte allem poſitiven Rechte entgegengeſetzt hatten, ſo unterſchied Droſte die mit der Natur des Staates gegebenen, auch die Kirche verpflichtenden „Staatsgeſetze“ von den willkürlichen „Staaten- oder Landesgeſetzen“ der Regenten, denen die Kirche keinen Gehorſam ſchulde. Frecher war die Doctrin der Revolution ſeit den Tagen des Conventes nicht mehr verkündet worden; denn mochten die Einen betend ihre Hände falten und vor den Bildern der Heiligen knien, die Anderen um den Freiheitsbaum tanzen — wer alſo ein erträumtes natürliches Recht über die Geſetze des lebendigen Staates ſtellte, zerſtörte jedes Band der Treue und des Gehorſams im politiſchen Leben. Der Staat, ſo ſchloß Droſte, muß der Kirche, der eigentlich die Herrſchaft ge- bührt, mindeſtens die volle Gleichberechtigung gewähren, unbekümmert um die thörichte Unzufriedenheit der Proteſtanten, die von ihrem Luther nur gelernt haben, der Unſittlichkeit, dem Vernunftſtolze, dem Zweifel zu fröhnen. Mit dieſem ehrlichen Glaubensbekenntniß trat der alte Kämpfe der alleinſeligmachenden Kirche von der politiſchen Bühne ab. Seinen Biſchofs- ſitz ſah er niemals wieder, aber eine Pilgerfahrt nach Rom mochte er ſich in ſeinem hohen Alter nicht verſagen; dort wohnte er bei einem frommen weſtphäliſchen Buchdrucker und lebte, ohne nach den glänzenden Ehrenbezeigungen des Vaticans viel zu fragen, ganz ſeiner mönchiſchen Andacht. Und ſeltſam, dieſer Mann, der in Proſa nie einen lesbaren Satz ſchreiben konnte, erlebte doch dann und wann Augenblicke poetiſcher Begeiſterung. In ſolchen Stunden dichtete er das von den Kindern beider Bekenntniſſe oft geſungene Lied „Stell’ himmelwärts, ſtell’ himmelwärts gleich einer Sonnenuhr dein Herz“; und noch deutlicher ſprach der knor- rige Weſtphälinger ſein innerſtes Weſen aus in den Verſen: *) ſ. o. III. 217.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/318
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/318>, abgerufen am 22.11.2024.