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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Triumph der Ultramontanen.
köpfe, der convertirte Franciscaner Gaßer, bereiste die süddeutschen Höfe
und verkündete überall prahlerisch, am Berliner Hofe könne die römische
Kirche Alles durchsetzen. Die Clericalen haben aber mit den radicalen
Demokraten die Unersättlichkeit gemein, weil beide Parteien ein starres, dem
ewigen Werden der Geschichte widersprechendes und darum unmögliches
Princip vertreten. Noch immer nicht befriedigt forderten die Ultramontanen
alsbald neue Rechte: zunächst die vor Jahren verheißene Ausstattung der Kirche
mit liegenden Gründen. Auf dem rheinischen Landtage von 1843 mahnten
mehrere Redner stürmisch an dies Versprechen Hardenberg's, das auch Bun-
sen in den letzten Tagen seiner römischen Wirksamkeit leichtfertig wieder in
Erinnerung gebracht hatte; zum Glück war die alte Zusage jetzt unerfüllbar,
da die Krone ohne Zustimmung der Reichsstände das Domanium nicht mehr
schmälern durfte. Sodann verlangte man, daß an den beiden paritätischen
Universitäten die Hälfte der Professoren, sogar der Mediciner stets aus Katho-
liken bestehen müsse -- eine rein willkürliche und bei der geringen Anzahl
der vorhandenen katholischen Gelehrten völlig unausführbare Forderung.
Im letzten Hintergrunde stand endlich der Wunsch nach einer freien katho-
lischen -- das will sagen: ganz von der Kirche beherrschten -- Universität
belgischen Stiles; um die eigentliche Absicht zu bemänteln klagten die
Ultramontanen beweglich, daß Baiern zwei katholische Universitäten besitze,
das große Preußen keine einzige. Die Beschwerde entbehrte jedes Grundes,
da die beiden paritätischen Universitäten für die Bedürfnisse der katho-
lischen Theologie vollkommen ausreichten. Aber bei einiger Klugheit konnte
die Krone diesen immerhin wirksamen Anklagen leicht einen Riegel vor-
schieben, wenn sie die Münstersche Akademie, die von dem Fluche aller
Halbheit doch nicht loskam, zu einer katholischen Staatsuniversität aus-
gestaltete und neben der katholisch-theologischen Facultät dort noch drei
weltliche, allen Bekenntnissen zugängliche Facultäten einrichtete. Diese
Waffe, die sich ganz von selbst darbot, wurde leider nicht gebraucht;
offenbar fürchtete der König, daß die westphälischen Protestanten, die
ja fast die Hälfte der Provinz ausmachten, sich dann ihrerseits beschweren
würden.

Wie mächtig das Selbstgefühl der Ultramontanen gewachsen war,
das verkündete Görres 1842 in seiner Schrift: Kirche und Staat nach
Ablauf der Kölner Irrung. Das Büchlein klang wie das Jubelgeheul
eines die feindlichen Skalpe schwingenden Indianers. Der heißblütige
Alte, dessen Leidenschaft mit den Jahren nur gewachsen war, redete jetzt
gradezu von "dem rheinischen und westphälischen Adel katholischer Zunge"!
Kein Band der Volksgemeinschaft sollte zwischen den beiden Bekenntnissen
mehr bestehen. Zum Abschluß seiner zahllosen politischen Wandelungen
verherrlichte der Herausgeber des Rheinischen Mercurs nunmehr die rhein-
bündische Trias; er pries sein Baiern als den natürlichen Führer der kleinen
Staaten, als die ausgleichende Macht zwischen den beiden Großmächten

Triumph der Ultramontanen.
köpfe, der convertirte Franciscaner Gaßer, bereiſte die ſüddeutſchen Höfe
und verkündete überall prahleriſch, am Berliner Hofe könne die römiſche
Kirche Alles durchſetzen. Die Clericalen haben aber mit den radicalen
Demokraten die Unerſättlichkeit gemein, weil beide Parteien ein ſtarres, dem
ewigen Werden der Geſchichte widerſprechendes und darum unmögliches
Princip vertreten. Noch immer nicht befriedigt forderten die Ultramontanen
alsbald neue Rechte: zunächſt die vor Jahren verheißene Ausſtattung der Kirche
mit liegenden Gründen. Auf dem rheiniſchen Landtage von 1843 mahnten
mehrere Redner ſtürmiſch an dies Verſprechen Hardenberg’s, das auch Bun-
ſen in den letzten Tagen ſeiner römiſchen Wirkſamkeit leichtfertig wieder in
Erinnerung gebracht hatte; zum Glück war die alte Zuſage jetzt unerfüllbar,
da die Krone ohne Zuſtimmung der Reichsſtände das Domanium nicht mehr
ſchmälern durfte. Sodann verlangte man, daß an den beiden paritätiſchen
Univerſitäten die Hälfte der Profeſſoren, ſogar der Mediciner ſtets aus Katho-
liken beſtehen müſſe — eine rein willkürliche und bei der geringen Anzahl
der vorhandenen katholiſchen Gelehrten völlig unausführbare Forderung.
Im letzten Hintergrunde ſtand endlich der Wunſch nach einer freien katho-
liſchen — das will ſagen: ganz von der Kirche beherrſchten — Univerſität
belgiſchen Stiles; um die eigentliche Abſicht zu bemänteln klagten die
Ultramontanen beweglich, daß Baiern zwei katholiſche Univerſitäten beſitze,
das große Preußen keine einzige. Die Beſchwerde entbehrte jedes Grundes,
da die beiden paritätiſchen Univerſitäten für die Bedürfniſſe der katho-
liſchen Theologie vollkommen ausreichten. Aber bei einiger Klugheit konnte
die Krone dieſen immerhin wirkſamen Anklagen leicht einen Riegel vor-
ſchieben, wenn ſie die Münſterſche Akademie, die von dem Fluche aller
Halbheit doch nicht loskam, zu einer katholiſchen Staatsuniverſität aus-
geſtaltete und neben der katholiſch-theologiſchen Facultät dort noch drei
weltliche, allen Bekenntniſſen zugängliche Facultäten einrichtete. Dieſe
Waffe, die ſich ganz von ſelbſt darbot, wurde leider nicht gebraucht;
offenbar fürchtete der König, daß die weſtphäliſchen Proteſtanten, die
ja faſt die Hälfte der Provinz ausmachten, ſich dann ihrerſeits beſchweren
würden.

Wie mächtig das Selbſtgefühl der Ultramontanen gewachſen war,
das verkündete Görres 1842 in ſeiner Schrift: Kirche und Staat nach
Ablauf der Kölner Irrung. Das Büchlein klang wie das Jubelgeheul
eines die feindlichen Skalpe ſchwingenden Indianers. Der heißblütige
Alte, deſſen Leidenſchaft mit den Jahren nur gewachſen war, redete jetzt
gradezu von „dem rheiniſchen und weſtphäliſchen Adel katholiſcher Zunge“!
Kein Band der Volksgemeinſchaft ſollte zwiſchen den beiden Bekenntniſſen
mehr beſtehen. Zum Abſchluß ſeiner zahlloſen politiſchen Wandelungen
verherrlichte der Herausgeber des Rheiniſchen Mercurs nunmehr die rhein-
bündiſche Trias; er pries ſein Baiern als den natürlichen Führer der kleinen
Staaten, als die ausgleichende Macht zwiſchen den beiden Großmächten

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[303/0317] Triumph der Ultramontanen. köpfe, der convertirte Franciscaner Gaßer, bereiſte die ſüddeutſchen Höfe und verkündete überall prahleriſch, am Berliner Hofe könne die römiſche Kirche Alles durchſetzen. Die Clericalen haben aber mit den radicalen Demokraten die Unerſättlichkeit gemein, weil beide Parteien ein ſtarres, dem ewigen Werden der Geſchichte widerſprechendes und darum unmögliches Princip vertreten. Noch immer nicht befriedigt forderten die Ultramontanen alsbald neue Rechte: zunächſt die vor Jahren verheißene Ausſtattung der Kirche mit liegenden Gründen. Auf dem rheiniſchen Landtage von 1843 mahnten mehrere Redner ſtürmiſch an dies Verſprechen Hardenberg’s, das auch Bun- ſen in den letzten Tagen ſeiner römiſchen Wirkſamkeit leichtfertig wieder in Erinnerung gebracht hatte; zum Glück war die alte Zuſage jetzt unerfüllbar, da die Krone ohne Zuſtimmung der Reichsſtände das Domanium nicht mehr ſchmälern durfte. Sodann verlangte man, daß an den beiden paritätiſchen Univerſitäten die Hälfte der Profeſſoren, ſogar der Mediciner ſtets aus Katho- liken beſtehen müſſe — eine rein willkürliche und bei der geringen Anzahl der vorhandenen katholiſchen Gelehrten völlig unausführbare Forderung. Im letzten Hintergrunde ſtand endlich der Wunſch nach einer freien katho- liſchen — das will ſagen: ganz von der Kirche beherrſchten — Univerſität belgiſchen Stiles; um die eigentliche Abſicht zu bemänteln klagten die Ultramontanen beweglich, daß Baiern zwei katholiſche Univerſitäten beſitze, das große Preußen keine einzige. Die Beſchwerde entbehrte jedes Grundes, da die beiden paritätiſchen Univerſitäten für die Bedürfniſſe der katho- liſchen Theologie vollkommen ausreichten. Aber bei einiger Klugheit konnte die Krone dieſen immerhin wirkſamen Anklagen leicht einen Riegel vor- ſchieben, wenn ſie die Münſterſche Akademie, die von dem Fluche aller Halbheit doch nicht loskam, zu einer katholiſchen Staatsuniverſität aus- geſtaltete und neben der katholiſch-theologiſchen Facultät dort noch drei weltliche, allen Bekenntniſſen zugängliche Facultäten einrichtete. Dieſe Waffe, die ſich ganz von ſelbſt darbot, wurde leider nicht gebraucht; offenbar fürchtete der König, daß die weſtphäliſchen Proteſtanten, die ja faſt die Hälfte der Provinz ausmachten, ſich dann ihrerſeits beſchweren würden. Wie mächtig das Selbſtgefühl der Ultramontanen gewachſen war, das verkündete Görres 1842 in ſeiner Schrift: Kirche und Staat nach Ablauf der Kölner Irrung. Das Büchlein klang wie das Jubelgeheul eines die feindlichen Skalpe ſchwingenden Indianers. Der heißblütige Alte, deſſen Leidenſchaft mit den Jahren nur gewachſen war, redete jetzt gradezu von „dem rheiniſchen und weſtphäliſchen Adel katholiſcher Zunge“! Kein Band der Volksgemeinſchaft ſollte zwiſchen den beiden Bekenntniſſen mehr beſtehen. Zum Abſchluß ſeiner zahlloſen politiſchen Wandelungen verherrlichte der Herausgeber des Rheiniſchen Mercurs nunmehr die rhein- bündiſche Trias; er pries ſein Baiern als den natürlichen Führer der kleinen Staaten, als die ausgleichende Macht zwiſchen den beiden Großmächten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/317>, abgerufen am 24.04.2024.