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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Brühl, ob nicht der Papst selber, im Einverständniß mit der Krone, so-
fort einen zur Nachfolge berechtigten Coadjutor ernennen wolle -- ein
Ausweg, der dem Könige schon gleich nach seiner Thronbesteigung durch
den staatstreuen Bonner Clericalen Ferdinand Walter empfohlen worden
war. Gregor ging darauf ein: so wurde ja das verhaßte Kölner Dom-
capitel ganz zur Seite geschoben. Nunmehr begann man nach vatica-
nischem Brauche einander wechselseitig zu betasten und auszuforschen
wegen eines möglichen Candidaten. Nach mannichfachen Winkelzügen
nannte Lambruschini den Jesuitenhäuptling Reisach, sodann den vertrauten
Freund der Familie Droste, Professor Kellermann in Münster, endlich
den jungen Münchener Domherrn Windischmann, den Sohn des Bonner
Arztes, einen tüchtigen Orientalisten, der, mehr Gelehrter als Geistlicher,
doch zu der strengen Jesuitenpartei gehörte und in Görres' gelben Blättern
seine Feder tummelte. Alle drei erklärte Brühl für unmöglich; sein König
wünschte den edlen, hochgebildeten Domcapitular Diepenbrock in Regens-
burg; den aber wies die Curie zurück. Ueber die Personenfrage hätte
man sich doch einigen können, da beide Theile noch einen allerletzten
Candidaten in Bereitschaft hielten. Ganz unlösbar aber schien wieder
die Frage, ob Droste zurückkehren dürfe. Niemals! erklärte Brühl; nur
auf wenige Tage! sagten die Monsignoren, obwohl sie selbst zugestanden,
daß eine solche Rückkehr die Rheinländer aufregen, die Protestanten der
alten Provinzen erbittern mußte. Dazwischen hinein kamen Adressen
von den Getreuen am Rhein, die den heiligen Vater um Rückkehr ihres
Oberhirten anflehten. Auch Droste selber schrieb -- "in seiner eigenthüm-
lichen unhöflichen Weise", wie Capaccini sagte: -- an dem Purpur des
Cardinals lag ihm nichts, nur Genugthuung wollte er haben; denn es
stehe schlecht um die Kirche, wenn der Papst solche Unbill den Bischöfen
widerfahren lasse.

Brühl hielt sich tapfer und erfuhr aus endlosen Zerrungen und
Zettelungen, wie richtig die Römer das Wesen der Theokratie beurtheilten,
wenn sie kurzab zu sagen pflegten: mit Priestern kann man nicht ver-
handeln! Langsam, langsam zurückweichend gelangte die Curie nach Mo-
naten endlich zu dem Gegenvorschlage: Droste solle nur auf vierundzwanzig
Stunden nach Köln kommen und nicht einmal um den Coadjutor einzusetzen,
sondern lediglich um als envoye du pape dem ernannten Coadjutor nach-
träglich die Bischofsweihe zu ertheilen. Dabei wollte man unwiderruflich
bleiben. Dieser letzte Vorschlag bewies deutlich, daß es sich gar nicht
mehr um die Wahrung kirchlicher Rechte handelte, sondern um eine muth-
willige Verhöhnung der Krone Preußen. Niemand wußte dies besser
als der gelehrte Canonist Gregor; der aber stellte sich so verzweifelt an
und sprach sein ewiges "der Papst kann nicht" in so herzbrechendem Tone,
daß der ehrliche Preuße sich endlich ganz zerknirscht fühlte. Der geistliche
Despot, dessen nichtswürdige Regierung von allen seinen Unterthanen

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Brühl, ob nicht der Papſt ſelber, im Einverſtändniß mit der Krone, ſo-
fort einen zur Nachfolge berechtigten Coadjutor ernennen wolle — ein
Ausweg, der dem Könige ſchon gleich nach ſeiner Thronbeſteigung durch
den ſtaatstreuen Bonner Clericalen Ferdinand Walter empfohlen worden
war. Gregor ging darauf ein: ſo wurde ja das verhaßte Kölner Dom-
capitel ganz zur Seite geſchoben. Nunmehr begann man nach vatica-
niſchem Brauche einander wechſelſeitig zu betaſten und auszuforſchen
wegen eines möglichen Candidaten. Nach mannichfachen Winkelzügen
nannte Lambruschini den Jeſuitenhäuptling Reiſach, ſodann den vertrauten
Freund der Familie Droſte, Profeſſor Kellermann in Münſter, endlich
den jungen Münchener Domherrn Windiſchmann, den Sohn des Bonner
Arztes, einen tüchtigen Orientaliſten, der, mehr Gelehrter als Geiſtlicher,
doch zu der ſtrengen Jeſuitenpartei gehörte und in Görres’ gelben Blättern
ſeine Feder tummelte. Alle drei erklärte Brühl für unmöglich; ſein König
wünſchte den edlen, hochgebildeten Domcapitular Diepenbrock in Regens-
burg; den aber wies die Curie zurück. Ueber die Perſonenfrage hätte
man ſich doch einigen können, da beide Theile noch einen allerletzten
Candidaten in Bereitſchaft hielten. Ganz unlösbar aber ſchien wieder
die Frage, ob Droſte zurückkehren dürfe. Niemals! erklärte Brühl; nur
auf wenige Tage! ſagten die Monſignoren, obwohl ſie ſelbſt zugeſtanden,
daß eine ſolche Rückkehr die Rheinländer aufregen, die Proteſtanten der
alten Provinzen erbittern mußte. Dazwiſchen hinein kamen Adreſſen
von den Getreuen am Rhein, die den heiligen Vater um Rückkehr ihres
Oberhirten anflehten. Auch Droſte ſelber ſchrieb — „in ſeiner eigenthüm-
lichen unhöflichen Weiſe“, wie Capaccini ſagte: — an dem Purpur des
Cardinals lag ihm nichts, nur Genugthuung wollte er haben; denn es
ſtehe ſchlecht um die Kirche, wenn der Papſt ſolche Unbill den Biſchöfen
widerfahren laſſe.

Brühl hielt ſich tapfer und erfuhr aus endloſen Zerrungen und
Zettelungen, wie richtig die Römer das Weſen der Theokratie beurtheilten,
wenn ſie kurzab zu ſagen pflegten: mit Prieſtern kann man nicht ver-
handeln! Langſam, langſam zurückweichend gelangte die Curie nach Mo-
naten endlich zu dem Gegenvorſchlage: Droſte ſolle nur auf vierundzwanzig
Stunden nach Köln kommen und nicht einmal um den Coadjutor einzuſetzen,
ſondern lediglich um als envoyé du pape dem ernannten Coadjutor nach-
träglich die Biſchofsweihe zu ertheilen. Dabei wollte man unwiderruflich
bleiben. Dieſer letzte Vorſchlag bewies deutlich, daß es ſich gar nicht
mehr um die Wahrung kirchlicher Rechte handelte, ſondern um eine muth-
willige Verhöhnung der Krone Preußen. Niemand wußte dies beſſer
als der gelehrte Canoniſt Gregor; der aber ſtellte ſich ſo verzweifelt an
und ſprach ſein ewiges „der Papſt kann nicht“ in ſo herzbrechendem Tone,
daß der ehrliche Preuße ſich endlich ganz zerknirſcht fühlte. Der geiſtliche
Despot, deſſen nichtswürdige Regierung von allen ſeinen Unterthanen

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[284/0298] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. Brühl, ob nicht der Papſt ſelber, im Einverſtändniß mit der Krone, ſo- fort einen zur Nachfolge berechtigten Coadjutor ernennen wolle — ein Ausweg, der dem Könige ſchon gleich nach ſeiner Thronbeſteigung durch den ſtaatstreuen Bonner Clericalen Ferdinand Walter empfohlen worden war. Gregor ging darauf ein: ſo wurde ja das verhaßte Kölner Dom- capitel ganz zur Seite geſchoben. Nunmehr begann man nach vatica- niſchem Brauche einander wechſelſeitig zu betaſten und auszuforſchen wegen eines möglichen Candidaten. Nach mannichfachen Winkelzügen nannte Lambruschini den Jeſuitenhäuptling Reiſach, ſodann den vertrauten Freund der Familie Droſte, Profeſſor Kellermann in Münſter, endlich den jungen Münchener Domherrn Windiſchmann, den Sohn des Bonner Arztes, einen tüchtigen Orientaliſten, der, mehr Gelehrter als Geiſtlicher, doch zu der ſtrengen Jeſuitenpartei gehörte und in Görres’ gelben Blättern ſeine Feder tummelte. Alle drei erklärte Brühl für unmöglich; ſein König wünſchte den edlen, hochgebildeten Domcapitular Diepenbrock in Regens- burg; den aber wies die Curie zurück. Ueber die Perſonenfrage hätte man ſich doch einigen können, da beide Theile noch einen allerletzten Candidaten in Bereitſchaft hielten. Ganz unlösbar aber ſchien wieder die Frage, ob Droſte zurückkehren dürfe. Niemals! erklärte Brühl; nur auf wenige Tage! ſagten die Monſignoren, obwohl ſie ſelbſt zugeſtanden, daß eine ſolche Rückkehr die Rheinländer aufregen, die Proteſtanten der alten Provinzen erbittern mußte. Dazwiſchen hinein kamen Adreſſen von den Getreuen am Rhein, die den heiligen Vater um Rückkehr ihres Oberhirten anflehten. Auch Droſte ſelber ſchrieb — „in ſeiner eigenthüm- lichen unhöflichen Weiſe“, wie Capaccini ſagte: — an dem Purpur des Cardinals lag ihm nichts, nur Genugthuung wollte er haben; denn es ſtehe ſchlecht um die Kirche, wenn der Papſt ſolche Unbill den Biſchöfen widerfahren laſſe. Brühl hielt ſich tapfer und erfuhr aus endloſen Zerrungen und Zettelungen, wie richtig die Römer das Weſen der Theokratie beurtheilten, wenn ſie kurzab zu ſagen pflegten: mit Prieſtern kann man nicht ver- handeln! Langſam, langſam zurückweichend gelangte die Curie nach Mo- naten endlich zu dem Gegenvorſchlage: Droſte ſolle nur auf vierundzwanzig Stunden nach Köln kommen und nicht einmal um den Coadjutor einzuſetzen, ſondern lediglich um als envoyé du pape dem ernannten Coadjutor nach- träglich die Biſchofsweihe zu ertheilen. Dabei wollte man unwiderruflich bleiben. Dieſer letzte Vorſchlag bewies deutlich, daß es ſich gar nicht mehr um die Wahrung kirchlicher Rechte handelte, ſondern um eine muth- willige Verhöhnung der Krone Preußen. Niemand wußte dies beſſer als der gelehrte Canoniſt Gregor; der aber ſtellte ſich ſo verzweifelt an und ſprach ſein ewiges „der Papſt kann nicht“ in ſo herzbrechendem Tone, daß der ehrliche Preuße ſich endlich ganz zerknirſcht fühlte. Der geiſtliche Despot, deſſen nichtswürdige Regierung von allen ſeinen Unterthanen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/298>, abgerufen am 22.11.2024.