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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
und allerdings mußte Brühl selbst nach Einsicht der Akten eingestehen:
"der Mann war nicht wahr." Der mildere Cardinal Capaccini gab im
Vertrauen zu, daß Droste für die Verwaltung des Erzbisthums völlig
ungeeignet sei; doch auch er meinte: zuerst müsse der Vertriebene feierlich
wieder eingesetzt werden, späterhin könne er dann vielleicht Altershalber
abdanken und den Cardinalshut erhalten. Um Vorwände waren die
Monsignoren nicht verlegen. Bald sagten sie: das Domcapitel müsse für
die Preisgebung seines Oberhirten gezüchtigt werden; bald wieder: die
katholische Presse verlange diese Sühne; oder auch: der heilige Stuhl
schulde eine Genugthuung dem schwer beleidigten Episkopate, der aller-
dings überall, selbst in Amerika, den preußischen Kirchenstreit wachsam
verfolgte und dem Märtyrer zu Münster zahlreiche Trostbriefe sendete.
Die Absicht war klar: der ketzerische König sollte sich in den Staub werfen
vor dem ungehorsamen Bischof -- ganz wie es dieser selbst vor zwei Jahren
verlangt hatte. *) Erfolglos blieb auch eine Fahrt nach dem schattigen
Bergschlosse von Castel Gandolfo, wo der Papst seine Sommerfrische hielt.
Gregor lebte ganz in seinem mönchischen Gedankenkreise; er verstand von
Politik sogar noch weniger als Lambruschini, las nur eine Zeitung, den
streng clericalen Univers und glaubte Alles was darin stand. Er be-
handelte den Abgesandten mit väterlichem Wohlwollen und sprach dankbar
von der edlen Gesinnung des Königs; doch immer wieder brach der alte
Mönchshaß gegen das ungläubige Deutschland durch; immer wieder hieß
es: der Papst kann das nicht! Von "dem Papste" redete Gregor stets
wie von einem höheren Wesen, das mit seiner eigenen Person nichts ge-
mein hätte; und wenn deutsche Protestanten oder orthodoxe Russen ihm
versicherten, es gäbe nur ein Rom, dann pflegte er zu antworten: "Nun
liebe Kinder, kommt herein; warum bleibt Ihr draußen?" -- Nach drei
peinlichen Wochen reiste Brühl heim, ohne jedes Ergebniß, aber mit der
festen Ueberzeugung, daß man im Vatican selbst wünsche den westphälischen
Störenfried auf gute Art zu beseitigen. **)

Seine Ahnung trog ihn nicht. Bald nach ihm kehrte auch Wilhelm
Schadow von einer Romfahrt zurück, der berühmte Direktor der Düssel-
dorfer Kunstakademie, der unlängst zur katholischen Kirche übergetreten
war und, nach der Weise der Convertiten, die allerstrengste clericale Ge-
sinnung bethätigte. Schadow hatte in Rom mit Capaccini gesprochen und
erbot sich jetzt, nach den Weisungen des Cardinals vertraulich mit Droste
zu verhandeln, falls der König es gestatte. Friedrich Wilhelm genehmigte
den sonderbaren Antrag, der ihm durch General Gröben gemeldet wurde,
und fügte seinerseits die bestimmte Weisung hinzu: Droste dürfe nicht nach
Köln zurückkehren, sondern müsse sich's gefallen lassen, daß der Papst

*) s. o. IV. 706.
**) Brühl's Berichte, Rom 20. Aug. bis 5. Sept. 1840.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
und allerdings mußte Brühl ſelbſt nach Einſicht der Akten eingeſtehen:
„der Mann war nicht wahr.“ Der mildere Cardinal Capaccini gab im
Vertrauen zu, daß Droſte für die Verwaltung des Erzbisthums völlig
ungeeignet ſei; doch auch er meinte: zuerſt müſſe der Vertriebene feierlich
wieder eingeſetzt werden, ſpäterhin könne er dann vielleicht Altershalber
abdanken und den Cardinalshut erhalten. Um Vorwände waren die
Monſignoren nicht verlegen. Bald ſagten ſie: das Domcapitel müſſe für
die Preisgebung ſeines Oberhirten gezüchtigt werden; bald wieder: die
katholiſche Preſſe verlange dieſe Sühne; oder auch: der heilige Stuhl
ſchulde eine Genugthuung dem ſchwer beleidigten Epiſkopate, der aller-
dings überall, ſelbſt in Amerika, den preußiſchen Kirchenſtreit wachſam
verfolgte und dem Märtyrer zu Münſter zahlreiche Troſtbriefe ſendete.
Die Abſicht war klar: der ketzeriſche König ſollte ſich in den Staub werfen
vor dem ungehorſamen Biſchof — ganz wie es dieſer ſelbſt vor zwei Jahren
verlangt hatte. *) Erfolglos blieb auch eine Fahrt nach dem ſchattigen
Bergſchloſſe von Caſtel Gandolfo, wo der Papſt ſeine Sommerfriſche hielt.
Gregor lebte ganz in ſeinem mönchiſchen Gedankenkreiſe; er verſtand von
Politik ſogar noch weniger als Lambruschini, las nur eine Zeitung, den
ſtreng clericalen Univers und glaubte Alles was darin ſtand. Er be-
handelte den Abgeſandten mit väterlichem Wohlwollen und ſprach dankbar
von der edlen Geſinnung des Königs; doch immer wieder brach der alte
Mönchshaß gegen das ungläubige Deutſchland durch; immer wieder hieß
es: der Papſt kann das nicht! Von „dem Papſte“ redete Gregor ſtets
wie von einem höheren Weſen, das mit ſeiner eigenen Perſon nichts ge-
mein hätte; und wenn deutſche Proteſtanten oder orthodoxe Ruſſen ihm
verſicherten, es gäbe nur ein Rom, dann pflegte er zu antworten: „Nun
liebe Kinder, kommt herein; warum bleibt Ihr draußen?“ — Nach drei
peinlichen Wochen reiſte Brühl heim, ohne jedes Ergebniß, aber mit der
feſten Ueberzeugung, daß man im Vatican ſelbſt wünſche den weſtphäliſchen
Störenfried auf gute Art zu beſeitigen. **)

Seine Ahnung trog ihn nicht. Bald nach ihm kehrte auch Wilhelm
Schadow von einer Romfahrt zurück, der berühmte Direktor der Düſſel-
dorfer Kunſtakademie, der unlängſt zur katholiſchen Kirche übergetreten
war und, nach der Weiſe der Convertiten, die allerſtrengſte clericale Ge-
ſinnung bethätigte. Schadow hatte in Rom mit Capaccini geſprochen und
erbot ſich jetzt, nach den Weiſungen des Cardinals vertraulich mit Droſte
zu verhandeln, falls der König es geſtatte. Friedrich Wilhelm genehmigte
den ſonderbaren Antrag, der ihm durch General Gröben gemeldet wurde,
und fügte ſeinerſeits die beſtimmte Weiſung hinzu: Droſte dürfe nicht nach
Köln zurückkehren, ſondern müſſe ſich’s gefallen laſſen, daß der Papſt

*) ſ. o. IV. 706.
**) Brühl’s Berichte, Rom 20. Aug. bis 5. Sept. 1840.
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[280/0294] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. und allerdings mußte Brühl ſelbſt nach Einſicht der Akten eingeſtehen: „der Mann war nicht wahr.“ Der mildere Cardinal Capaccini gab im Vertrauen zu, daß Droſte für die Verwaltung des Erzbisthums völlig ungeeignet ſei; doch auch er meinte: zuerſt müſſe der Vertriebene feierlich wieder eingeſetzt werden, ſpäterhin könne er dann vielleicht Altershalber abdanken und den Cardinalshut erhalten. Um Vorwände waren die Monſignoren nicht verlegen. Bald ſagten ſie: das Domcapitel müſſe für die Preisgebung ſeines Oberhirten gezüchtigt werden; bald wieder: die katholiſche Preſſe verlange dieſe Sühne; oder auch: der heilige Stuhl ſchulde eine Genugthuung dem ſchwer beleidigten Epiſkopate, der aller- dings überall, ſelbſt in Amerika, den preußiſchen Kirchenſtreit wachſam verfolgte und dem Märtyrer zu Münſter zahlreiche Troſtbriefe ſendete. Die Abſicht war klar: der ketzeriſche König ſollte ſich in den Staub werfen vor dem ungehorſamen Biſchof — ganz wie es dieſer ſelbſt vor zwei Jahren verlangt hatte. *) Erfolglos blieb auch eine Fahrt nach dem ſchattigen Bergſchloſſe von Caſtel Gandolfo, wo der Papſt ſeine Sommerfriſche hielt. Gregor lebte ganz in ſeinem mönchiſchen Gedankenkreiſe; er verſtand von Politik ſogar noch weniger als Lambruschini, las nur eine Zeitung, den ſtreng clericalen Univers und glaubte Alles was darin ſtand. Er be- handelte den Abgeſandten mit väterlichem Wohlwollen und ſprach dankbar von der edlen Geſinnung des Königs; doch immer wieder brach der alte Mönchshaß gegen das ungläubige Deutſchland durch; immer wieder hieß es: der Papſt kann das nicht! Von „dem Papſte“ redete Gregor ſtets wie von einem höheren Weſen, das mit ſeiner eigenen Perſon nichts ge- mein hätte; und wenn deutſche Proteſtanten oder orthodoxe Ruſſen ihm verſicherten, es gäbe nur ein Rom, dann pflegte er zu antworten: „Nun liebe Kinder, kommt herein; warum bleibt Ihr draußen?“ — Nach drei peinlichen Wochen reiſte Brühl heim, ohne jedes Ergebniß, aber mit der feſten Ueberzeugung, daß man im Vatican ſelbſt wünſche den weſtphäliſchen Störenfried auf gute Art zu beſeitigen. **) Seine Ahnung trog ihn nicht. Bald nach ihm kehrte auch Wilhelm Schadow von einer Romfahrt zurück, der berühmte Direktor der Düſſel- dorfer Kunſtakademie, der unlängſt zur katholiſchen Kirche übergetreten war und, nach der Weiſe der Convertiten, die allerſtrengſte clericale Ge- ſinnung bethätigte. Schadow hatte in Rom mit Capaccini geſprochen und erbot ſich jetzt, nach den Weiſungen des Cardinals vertraulich mit Droſte zu verhandeln, falls der König es geſtatte. Friedrich Wilhelm genehmigte den ſonderbaren Antrag, der ihm durch General Gröben gemeldet wurde, und fügte ſeinerſeits die beſtimmte Weiſung hinzu: Droſte dürfe nicht nach Köln zurückkehren, ſondern müſſe ſich’s gefallen laſſen, daß der Papſt *) ſ. o. IV. 706. **) Brühl’s Berichte, Rom 20. Aug. bis 5. Sept. 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/294>, abgerufen am 23.11.2024.