lichen Pläne. Noch niemals seit dem Niedergange der alten Aufklärung war Deutschland an fruchtbaren religiösen Ideen so arm gewesen wie in diesem Jahrzehnt unablässigen kirchlichen Streites.
Tragisches Schicksal, daß Friedrich Wilhelm in solcher Zeit das Ideal seines christlichen Staates zu verwirklichen unternahm. Zuvörderst wünschte er die Versöhnung mit dem Papste. Schon längst hatte er sich ein holdes Phantasiebild von der römischen Kirche ersonnen, das die landläufigen Selbsttäuschungen der gläubigen Protestanten unseres Nordostens noch weit überbot. Er glaubte fest, seit den Westphälischen Friedensschlüssen würde die Parität der Bekenntnisse in Deutschland von allen Seiten ehr- lich anerkannt, und vergaß die allbekannte Thatsache, daß der römische Stuhl jene Friedensschlüsse wieder und wieder feierlich verdammt hatte. Bei dem hohen Stande der Volksbildung hielt er eine ernste Störung des confessionellen Friedens nicht mehr für möglich, obwohl die Curie soeben erst, bei dem Streite über die gemischten Ehen, unzweideutig be- wiesen hatte, daß sie die evangelischen Christen nach wie vor als unreine Ketzer ansah. Daß die römische Clerisei je wieder in die Verweltlichung früherer Zeiten zurückfallen könnte, schien ihm undenkbar; und doch weis- sagten die französischen Clericalen bereits -- was sich auch wörtlich er- füllen sollte: -- ihre von der Revolution ausgeplünderte Kirche würde jetzt in einem Jahrhundert mehr Reichthümer gewinnen, als sie vordem in sechzehnhundert Jahren erworben hätte. Auch die Mirakel, die Wallfahrten, die Ausstellung der Reliquien betrachtete der König nur als überlebte Mißbräuche, deren sich die römische Kirche bald ganz entledigen würde, obgleich sie augenscheinlich von Jahr zu Jahr mehr überhandnahmen. Vor den Bischöfen endlich hegte er eine tiefe, stille Verehrung; denn das ließ er sich nicht nehmen, daß dies heilige Amt durch die mystische Weihe der Handauflegung in grader Linie von den Aposteln selbst herstammte. Voll arglosen Vertrauens trat er also an den Bischofsstreit heran und beschloß, da in der That kein anderer Ausweg mehr blieb, mit dem Vatican unmittelbar zu verhandeln.
Als er den Thron bestieg, befand sich die volle Hälfte der preußischen Bisthümer in einem unsicheren Zustande, der nur durch das Einverständ- niß der weltlichen und der geistlichen Gewalt gebessert werden konnte. Droste-Vischering und Dunin waren noch aus ihren Diöcesen entfernt. In Trier hatte das Capitel den Domherrn Arnoldi zum Bischof gewählt, der alte König aber die unzweifelhaft gesetzwidrige Wahl nicht genehmigt. In Breslau endlich war Fürstbischof Sedlnitzky, weil er die Gesetze des Staates befolgt hatte, vom Papste zur Abdankung aufgefordert wor- den, und es stand der Krone noch frei, den treuen Prälaten gegen eine so willkürliche Zumuthung zu beschützen. Diese Fülle von Streitpunkten konnte dem Staate zum Vortheile gereichen, wenn er alle seine Karten vorsichtig in der Hand behielt und sich der alten Wahrheit erinnerte, daß
Der Zuſtand der preußiſchen Bisthümer.
lichen Pläne. Noch niemals ſeit dem Niedergange der alten Aufklärung war Deutſchland an fruchtbaren religiöſen Ideen ſo arm geweſen wie in dieſem Jahrzehnt unabläſſigen kirchlichen Streites.
Tragiſches Schickſal, daß Friedrich Wilhelm in ſolcher Zeit das Ideal ſeines chriſtlichen Staates zu verwirklichen unternahm. Zuvörderſt wünſchte er die Verſöhnung mit dem Papſte. Schon längſt hatte er ſich ein holdes Phantaſiebild von der römiſchen Kirche erſonnen, das die landläufigen Selbſttäuſchungen der gläubigen Proteſtanten unſeres Nordoſtens noch weit überbot. Er glaubte feſt, ſeit den Weſtphäliſchen Friedensſchlüſſen würde die Parität der Bekenntniſſe in Deutſchland von allen Seiten ehr- lich anerkannt, und vergaß die allbekannte Thatſache, daß der römiſche Stuhl jene Friedensſchlüſſe wieder und wieder feierlich verdammt hatte. Bei dem hohen Stande der Volksbildung hielt er eine ernſte Störung des confeſſionellen Friedens nicht mehr für möglich, obwohl die Curie ſoeben erſt, bei dem Streite über die gemiſchten Ehen, unzweideutig be- wieſen hatte, daß ſie die evangeliſchen Chriſten nach wie vor als unreine Ketzer anſah. Daß die römiſche Cleriſei je wieder in die Verweltlichung früherer Zeiten zurückfallen könnte, ſchien ihm undenkbar; und doch weis- ſagten die franzöſiſchen Clericalen bereits — was ſich auch wörtlich er- füllen ſollte: — ihre von der Revolution ausgeplünderte Kirche würde jetzt in einem Jahrhundert mehr Reichthümer gewinnen, als ſie vordem in ſechzehnhundert Jahren erworben hätte. Auch die Mirakel, die Wallfahrten, die Ausſtellung der Reliquien betrachtete der König nur als überlebte Mißbräuche, deren ſich die römiſche Kirche bald ganz entledigen würde, obgleich ſie augenſcheinlich von Jahr zu Jahr mehr überhandnahmen. Vor den Biſchöfen endlich hegte er eine tiefe, ſtille Verehrung; denn das ließ er ſich nicht nehmen, daß dies heilige Amt durch die myſtiſche Weihe der Handauflegung in grader Linie von den Apoſteln ſelbſt herſtammte. Voll argloſen Vertrauens trat er alſo an den Biſchofsſtreit heran und beſchloß, da in der That kein anderer Ausweg mehr blieb, mit dem Vatican unmittelbar zu verhandeln.
Als er den Thron beſtieg, befand ſich die volle Hälfte der preußiſchen Bisthümer in einem unſicheren Zuſtande, der nur durch das Einverſtänd- niß der weltlichen und der geiſtlichen Gewalt gebeſſert werden konnte. Droſte-Viſchering und Dunin waren noch aus ihren Diöceſen entfernt. In Trier hatte das Capitel den Domherrn Arnoldi zum Biſchof gewählt, der alte König aber die unzweifelhaft geſetzwidrige Wahl nicht genehmigt. In Breslau endlich war Fürſtbiſchof Sedlnitzky, weil er die Geſetze des Staates befolgt hatte, vom Papſte zur Abdankung aufgefordert wor- den, und es ſtand der Krone noch frei, den treuen Prälaten gegen eine ſo willkürliche Zumuthung zu beſchützen. Dieſe Fülle von Streitpunkten konnte dem Staate zum Vortheile gereichen, wenn er alle ſeine Karten vorſichtig in der Hand behielt und ſich der alten Wahrheit erinnerte, daß
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Der Zuſtand der preußiſchen Bisthümer.
lichen Pläne. Noch niemals ſeit dem Niedergange der alten Aufklärung
war Deutſchland an fruchtbaren religiöſen Ideen ſo arm geweſen wie in
dieſem Jahrzehnt unabläſſigen kirchlichen Streites.
Tragiſches Schickſal, daß Friedrich Wilhelm in ſolcher Zeit das Ideal
ſeines chriſtlichen Staates zu verwirklichen unternahm. Zuvörderſt wünſchte
er die Verſöhnung mit dem Papſte. Schon längſt hatte er ſich ein holdes
Phantaſiebild von der römiſchen Kirche erſonnen, das die landläufigen
Selbſttäuſchungen der gläubigen Proteſtanten unſeres Nordoſtens noch
weit überbot. Er glaubte feſt, ſeit den Weſtphäliſchen Friedensſchlüſſen
würde die Parität der Bekenntniſſe in Deutſchland von allen Seiten ehr-
lich anerkannt, und vergaß die allbekannte Thatſache, daß der römiſche
Stuhl jene Friedensſchlüſſe wieder und wieder feierlich verdammt hatte.
Bei dem hohen Stande der Volksbildung hielt er eine ernſte Störung
des confeſſionellen Friedens nicht mehr für möglich, obwohl die Curie
ſoeben erſt, bei dem Streite über die gemiſchten Ehen, unzweideutig be-
wieſen hatte, daß ſie die evangeliſchen Chriſten nach wie vor als unreine
Ketzer anſah. Daß die römiſche Cleriſei je wieder in die Verweltlichung
früherer Zeiten zurückfallen könnte, ſchien ihm undenkbar; und doch weis-
ſagten die franzöſiſchen Clericalen bereits — was ſich auch wörtlich er-
füllen ſollte: — ihre von der Revolution ausgeplünderte Kirche würde jetzt
in einem Jahrhundert mehr Reichthümer gewinnen, als ſie vordem in
ſechzehnhundert Jahren erworben hätte. Auch die Mirakel, die Wallfahrten,
die Ausſtellung der Reliquien betrachtete der König nur als überlebte
Mißbräuche, deren ſich die römiſche Kirche bald ganz entledigen würde,
obgleich ſie augenſcheinlich von Jahr zu Jahr mehr überhandnahmen. Vor
den Biſchöfen endlich hegte er eine tiefe, ſtille Verehrung; denn das ließ
er ſich nicht nehmen, daß dies heilige Amt durch die myſtiſche Weihe der
Handauflegung in grader Linie von den Apoſteln ſelbſt herſtammte. Voll
argloſen Vertrauens trat er alſo an den Biſchofsſtreit heran und beſchloß,
da in der That kein anderer Ausweg mehr blieb, mit dem Vatican
unmittelbar zu verhandeln.
Als er den Thron beſtieg, befand ſich die volle Hälfte der preußiſchen
Bisthümer in einem unſicheren Zuſtande, der nur durch das Einverſtänd-
niß der weltlichen und der geiſtlichen Gewalt gebeſſert werden konnte.
Droſte-Viſchering und Dunin waren noch aus ihren Diöceſen entfernt.
In Trier hatte das Capitel den Domherrn Arnoldi zum Biſchof gewählt,
der alte König aber die unzweifelhaft geſetzwidrige Wahl nicht genehmigt.
In Breslau endlich war Fürſtbiſchof Sedlnitzky, weil er die Geſetze
des Staates befolgt hatte, vom Papſte zur Abdankung aufgefordert wor-
den, und es ſtand der Krone noch frei, den treuen Prälaten gegen eine
ſo willkürliche Zumuthung zu beſchützen. Dieſe Fülle von Streitpunkten
konnte dem Staate zum Vortheile gereichen, wenn er alle ſeine Karten
vorſichtig in der Hand behielt und ſich der alten Wahrheit erinnerte, daß
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/291>, abgerufen am 22.11.2024.
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