konnte, so trat er einstweilen in den Ruhestand, und der tief gekränkte Mann wendete sich fortan mit seiner einseitigen Strenge ganz dem Ra- dicalismus zu. Die unüberlegte Härte der Regierung rächte sich grau- sam; in allen Zeitungen begannen die ergrimmten Volksschullehrer einen anonymen Federkrieg, der den Namen Eichhorn's ganz in Verruf brachte.
Auch die Gymnasiallehrer betrachteten das neue Regiment mit Miß- trauen, da die Literarische Zeitung den heidnischen Geist des humanistischen Unterrichts in thörichten Artikeln zu bekämpfen liebte. Die Besorgniß war freilich grundlos. Der König und sein Minister standen Beide viel zu hoch um die befreiende Macht der classischen Bildung zu verkennen; sie ließen sich weder durch jenen christlichen Uebereifer beirren noch durch die Plattheit der Nützlichkeitslehrer, die eben jetzt in einem Theile der libe- ralen Presse wieder sehr laut forderten, daß die deutsche Jugend nicht mehr zum selbständigen Denken erzogen, sondern durch das Einprägen mannich- faltiger Notizen für das praktische Leben abgerichtet werden sollte.
Die Gymnasien blieben ungestört bei ihrem altbewährten Lehrplane, und Eichhorn erweiterte ihn durch die dankenswerthe Wiedereinführung des Turnens. Nur der Religionsunterricht wurde gründlich umgestaltet. Er war seit dem Anfang des Jahrhunderts auf den meisten evangelischen Gym- nasien Preußens und der Nachbarlande ertheilt worden nach dem Lehr- buche des Hallenser Kanzlers Niemeyer, des gefeierten Pädagogen, der einst als Urenkel Francke's die Schulstiftungen seines Eltervaters lange Jahre hindurch geleitet, mehrere der ersten Beamten Preußens, Vincke, Bassewitz, Merckel, Bodelschwingh und viele andere namhafte Männer erzogen hatte. Das Lehrbuch zeigte alle Charakterzüge des alten Rationalismus, der jetzt zu Grabe ging: bürgerliche Ehrbarkeit, humane Milde, nüchterne Verstandes- dürre; und dieselbe Macht der Geschichte, welche vor Zeiten das Hallische Waisenhaus, das eigenste Werk des glaubensstarken Pietismus, in die Bahnen der Aufklärung hinübergeleitet hatte, mußte jetzt zu einem neuen Rückschlage führen. Dem wieder erstarkten religiösen Gefühle konnte Nie- meyer's moralisirende Trockenheit nicht mehr genügen. Eichhorn that nur seine Pflicht, er hielt Schritt mit den lebendigen Kräften der evan- gelischen Kirche, als er nach dem Erscheinen der achtzehnten Auflage das veraltete Lehrbuch aus den Schulen entfernen ließ. Umsonst bemühte sich Herm. Agathon Niemeyer, der Nachfolger des alten Kanzlers in dem Franckischen Familienamte, das Buch seines Vaters gegen den Minister zu vertheidigen. Auch andere Gymnasiallehrer, die sich einen Primaner ohne das Niemeyer'sche Lehrbuch gar nicht vorstellen konnten, betrachteten das Verbot als ein Anzeichen hereinbrechenden Geistesdrucks; und gereizt wie man war, verargte man dem Minister selbst nothwendige Maßregeln dis- ciplinarischer Strenge. Oberlehrer Witt, einer von Schön's literarischen Schildknappen, wurde überall in der Presse wie ein Glaubensheld verherr- licht, weil er sich weigerte aus der Redaktion der scharf oppositionellen Königs-
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Entlaſſung Dieſterweg’s. Die Gymnaſien.
konnte, ſo trat er einſtweilen in den Ruheſtand, und der tief gekränkte Mann wendete ſich fortan mit ſeiner einſeitigen Strenge ganz dem Ra- dicalismus zu. Die unüberlegte Härte der Regierung rächte ſich grau- ſam; in allen Zeitungen begannen die ergrimmten Volksſchullehrer einen anonymen Federkrieg, der den Namen Eichhorn’s ganz in Verruf brachte.
Auch die Gymnaſiallehrer betrachteten das neue Regiment mit Miß- trauen, da die Literariſche Zeitung den heidniſchen Geiſt des humaniſtiſchen Unterrichts in thörichten Artikeln zu bekämpfen liebte. Die Beſorgniß war freilich grundlos. Der König und ſein Miniſter ſtanden Beide viel zu hoch um die befreiende Macht der claſſiſchen Bildung zu verkennen; ſie ließen ſich weder durch jenen chriſtlichen Uebereifer beirren noch durch die Plattheit der Nützlichkeitslehrer, die eben jetzt in einem Theile der libe- ralen Preſſe wieder ſehr laut forderten, daß die deutſche Jugend nicht mehr zum ſelbſtändigen Denken erzogen, ſondern durch das Einprägen mannich- faltiger Notizen für das praktiſche Leben abgerichtet werden ſollte.
Die Gymnaſien blieben ungeſtört bei ihrem altbewährten Lehrplane, und Eichhorn erweiterte ihn durch die dankenswerthe Wiedereinführung des Turnens. Nur der Religionsunterricht wurde gründlich umgeſtaltet. Er war ſeit dem Anfang des Jahrhunderts auf den meiſten evangeliſchen Gym- naſien Preußens und der Nachbarlande ertheilt worden nach dem Lehr- buche des Hallenſer Kanzlers Niemeyer, des gefeierten Pädagogen, der einſt als Urenkel Francke’s die Schulſtiftungen ſeines Eltervaters lange Jahre hindurch geleitet, mehrere der erſten Beamten Preußens, Vincke, Baſſewitz, Merckel, Bodelſchwingh und viele andere namhafte Männer erzogen hatte. Das Lehrbuch zeigte alle Charakterzüge des alten Rationalismus, der jetzt zu Grabe ging: bürgerliche Ehrbarkeit, humane Milde, nüchterne Verſtandes- dürre; und dieſelbe Macht der Geſchichte, welche vor Zeiten das Halliſche Waiſenhaus, das eigenſte Werk des glaubensſtarken Pietismus, in die Bahnen der Aufklärung hinübergeleitet hatte, mußte jetzt zu einem neuen Rückſchlage führen. Dem wieder erſtarkten religiöſen Gefühle konnte Nie- meyer’s moraliſirende Trockenheit nicht mehr genügen. Eichhorn that nur ſeine Pflicht, er hielt Schritt mit den lebendigen Kräften der evan- geliſchen Kirche, als er nach dem Erſcheinen der achtzehnten Auflage das veraltete Lehrbuch aus den Schulen entfernen ließ. Umſonſt bemühte ſich Herm. Agathon Niemeyer, der Nachfolger des alten Kanzlers in dem Franckiſchen Familienamte, das Buch ſeines Vaters gegen den Miniſter zu vertheidigen. Auch andere Gymnaſiallehrer, die ſich einen Primaner ohne das Niemeyer’ſche Lehrbuch gar nicht vorſtellen konnten, betrachteten das Verbot als ein Anzeichen hereinbrechenden Geiſtesdrucks; und gereizt wie man war, verargte man dem Miniſter ſelbſt nothwendige Maßregeln dis- ciplinariſcher Strenge. Oberlehrer Witt, einer von Schön’s literariſchen Schildknappen, wurde überall in der Preſſe wie ein Glaubensheld verherr- licht, weil er ſich weigerte aus der Redaktion der ſcharf oppoſitionellen Königs-
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Entlaſſung Dieſterweg’s. Die Gymnaſien.
konnte, ſo trat er einſtweilen in den Ruheſtand, und der tief gekränkte
Mann wendete ſich fortan mit ſeiner einſeitigen Strenge ganz dem Ra-
dicalismus zu. Die unüberlegte Härte der Regierung rächte ſich grau-
ſam; in allen Zeitungen begannen die ergrimmten Volksſchullehrer einen
anonymen Federkrieg, der den Namen Eichhorn’s ganz in Verruf brachte.
Auch die Gymnaſiallehrer betrachteten das neue Regiment mit Miß-
trauen, da die Literariſche Zeitung den heidniſchen Geiſt des humaniſtiſchen
Unterrichts in thörichten Artikeln zu bekämpfen liebte. Die Beſorgniß war
freilich grundlos. Der König und ſein Miniſter ſtanden Beide viel zu
hoch um die befreiende Macht der claſſiſchen Bildung zu verkennen; ſie
ließen ſich weder durch jenen chriſtlichen Uebereifer beirren noch durch die
Plattheit der Nützlichkeitslehrer, die eben jetzt in einem Theile der libe-
ralen Preſſe wieder ſehr laut forderten, daß die deutſche Jugend nicht mehr
zum ſelbſtändigen Denken erzogen, ſondern durch das Einprägen mannich-
faltiger Notizen für das praktiſche Leben abgerichtet werden ſollte.
Die Gymnaſien blieben ungeſtört bei ihrem altbewährten Lehrplane,
und Eichhorn erweiterte ihn durch die dankenswerthe Wiedereinführung des
Turnens. Nur der Religionsunterricht wurde gründlich umgeſtaltet. Er war
ſeit dem Anfang des Jahrhunderts auf den meiſten evangeliſchen Gym-
naſien Preußens und der Nachbarlande ertheilt worden nach dem Lehr-
buche des Hallenſer Kanzlers Niemeyer, des gefeierten Pädagogen, der einſt
als Urenkel Francke’s die Schulſtiftungen ſeines Eltervaters lange Jahre
hindurch geleitet, mehrere der erſten Beamten Preußens, Vincke, Baſſewitz,
Merckel, Bodelſchwingh und viele andere namhafte Männer erzogen hatte.
Das Lehrbuch zeigte alle Charakterzüge des alten Rationalismus, der jetzt zu
Grabe ging: bürgerliche Ehrbarkeit, humane Milde, nüchterne Verſtandes-
dürre; und dieſelbe Macht der Geſchichte, welche vor Zeiten das Halliſche
Waiſenhaus, das eigenſte Werk des glaubensſtarken Pietismus, in die
Bahnen der Aufklärung hinübergeleitet hatte, mußte jetzt zu einem neuen
Rückſchlage führen. Dem wieder erſtarkten religiöſen Gefühle konnte Nie-
meyer’s moraliſirende Trockenheit nicht mehr genügen. Eichhorn that
nur ſeine Pflicht, er hielt Schritt mit den lebendigen Kräften der evan-
geliſchen Kirche, als er nach dem Erſcheinen der achtzehnten Auflage das
veraltete Lehrbuch aus den Schulen entfernen ließ. Umſonſt bemühte ſich
Herm. Agathon Niemeyer, der Nachfolger des alten Kanzlers in dem
Franckiſchen Familienamte, das Buch ſeines Vaters gegen den Miniſter zu
vertheidigen. Auch andere Gymnaſiallehrer, die ſich einen Primaner ohne
das Niemeyer’ſche Lehrbuch gar nicht vorſtellen konnten, betrachteten das
Verbot als ein Anzeichen hereinbrechenden Geiſtesdrucks; und gereizt wie
man war, verargte man dem Miniſter ſelbſt nothwendige Maßregeln dis-
ciplinariſcher Strenge. Oberlehrer Witt, einer von Schön’s literariſchen
Schildknappen, wurde überall in der Preſſe wie ein Glaubensheld verherr-
licht, weil er ſich weigerte aus der Redaktion der ſcharf oppoſitionellen Königs-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/257>, abgerufen am 25.11.2024.
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