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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
stehen glaubte und die Preußen für neue Ideale erziehen wollte, fast ohne
jede wirksame literarische Vertretung; und leider erwies ein plumper Lob-
redner dem Königthum eben jetzt einen schlimmen Dienst. Nachdem der
geistreiche Präsident von Hippel unlängst eine würdige und lehrreiche Bio-
graphie des verstorbenen Königs veröffentlicht hatte, ließ der Bischof Eylert
seine geschwätzigen "Beiträge zur Charakteristik Friedrich Wilhelm's III."
erscheinen. Es konnte nur Ekel erregen, wenn hier die schlichte Tüchtig-
keit, der so viel gerechter Dank gebührte, durch unterthänige Schmeichelei
verzerrt und dem wortkargen Fürsten lange salbungsvolle Predigten in
den Mund gelegt wurden. Fünf Bände hindurch war nur von Ihm und
Er die Rede, während der Herrgott, dessen Namen der Bischof stark miß-
brauchte, mit dem einfachen "er" vorlieb nehmen mußte. Alte treue Diener
des Entschlafenen mochten in diesem Wust von Anekdoten liebe Erin-
nerungen wiederfinden; auf die radicale Jugend aber wirkte das Buch
wie Gift, sie fühlte sich bestärkt in dem Wahne, daß monarchische Gesinnung
mit byzantinischem Sklavengeiste Hand in Hand gehe.

Da wurde die preußische Presse plötzlich durch die Thorheit eines
liberalen Wortführers in die alte Bedrängniß zurückgeschleudert. Der
junge Schwabe Georg Herwegh war zur Zeit der Held des Tages; die
feurig radicalen Gedichte eines Lebendigen fanden, überall vorboten, überall
begeisterte Leser. In einem dieser Lieder redete er den König von Preußen
persönlich an, um für das deutsche Volk zu flehen wie einst Platen für die
Polen, und bekundete den dunklen, ziellosen Thatendrang der Jugend also:

Und frage nicht wo Feinde sind,
Die Feinde kommen mit dem Wind.
Behüt' uns vor dem Frankenkind
Und vor dem Czaren, deinem Schwager.

Augenblicklich spielte Herwegh in der Schweiz den politischen Flüchtling.
Irgend eine Unbill war ihm freilich daheim nie widerfahren; zuchtlos
wie er von früh auf gewesen, hatte er sich vielmehr dem württembergischen
Waffendienste durch die Flucht entzogen. In der liberalen Welt stand
aber der Haß gegen die Söldlinge schon so fest, daß sie dem Poeten diese
Verletzung der allgemeinen Bürgerpflicht gar nicht verargte. Er selbst
sang prahlend:

Deserteur? Mit Stolz! Ich habe des Königes Fahne,
Die mich gepreßt, mit des Volks soldlosem Banner vertauscht.

Im Herbst 1842 unternahm er eine Triumphreise durch Deutschland;
überall, in Weimar, Jena, Leipzig, Dresden bereiteten ihm die Liberalen
einen glänzenden Empfang. Berauscht durch solche Huldigungen kam er
nach Berlin und erbat sich durch seinen Schweizer Freund, den geistreichen
Leibarzt Schönlein eine Audienz beim Könige. Friedrich Wilhelm schrieb
darüber nachher an General Dohna: "Ich habe mich acht Tage besonnen,
ob ich seinem Wunsche mich zu sehen entsprechen sollte;" ich that es weil

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
ſtehen glaubte und die Preußen für neue Ideale erziehen wollte, faſt ohne
jede wirkſame literariſche Vertretung; und leider erwies ein plumper Lob-
redner dem Königthum eben jetzt einen ſchlimmen Dienſt. Nachdem der
geiſtreiche Präſident von Hippel unlängſt eine würdige und lehrreiche Bio-
graphie des verſtorbenen Königs veröffentlicht hatte, ließ der Biſchof Eylert
ſeine geſchwätzigen „Beiträge zur Charakteriſtik Friedrich Wilhelm’s III.
erſcheinen. Es konnte nur Ekel erregen, wenn hier die ſchlichte Tüchtig-
keit, der ſo viel gerechter Dank gebührte, durch unterthänige Schmeichelei
verzerrt und dem wortkargen Fürſten lange ſalbungsvolle Predigten in
den Mund gelegt wurden. Fünf Bände hindurch war nur von Ihm und
Er die Rede, während der Herrgott, deſſen Namen der Biſchof ſtark miß-
brauchte, mit dem einfachen „er“ vorlieb nehmen mußte. Alte treue Diener
des Entſchlafenen mochten in dieſem Wuſt von Anekdoten liebe Erin-
nerungen wiederfinden; auf die radicale Jugend aber wirkte das Buch
wie Gift, ſie fühlte ſich beſtärkt in dem Wahne, daß monarchiſche Geſinnung
mit byzantiniſchem Sklavengeiſte Hand in Hand gehe.

Da wurde die preußiſche Preſſe plötzlich durch die Thorheit eines
liberalen Wortführers in die alte Bedrängniß zurückgeſchleudert. Der
junge Schwabe Georg Herwegh war zur Zeit der Held des Tages; die
feurig radicalen Gedichte eines Lebendigen fanden, überall vorboten, überall
begeiſterte Leſer. In einem dieſer Lieder redete er den König von Preußen
perſönlich an, um für das deutſche Volk zu flehen wie einſt Platen für die
Polen, und bekundete den dunklen, zielloſen Thatendrang der Jugend alſo:

Und frage nicht wo Feinde ſind,
Die Feinde kommen mit dem Wind.
Behüt’ uns vor dem Frankenkind
Und vor dem Czaren, deinem Schwager.

Augenblicklich ſpielte Herwegh in der Schweiz den politiſchen Flüchtling.
Irgend eine Unbill war ihm freilich daheim nie widerfahren; zuchtlos
wie er von früh auf geweſen, hatte er ſich vielmehr dem württembergiſchen
Waffendienſte durch die Flucht entzogen. In der liberalen Welt ſtand
aber der Haß gegen die Söldlinge ſchon ſo feſt, daß ſie dem Poeten dieſe
Verletzung der allgemeinen Bürgerpflicht gar nicht verargte. Er ſelbſt
ſang prahlend:

Deſerteur? Mit Stolz! Ich habe des Königes Fahne,
Die mich gepreßt, mit des Volks ſoldloſem Banner vertauſcht.

Im Herbſt 1842 unternahm er eine Triumphreiſe durch Deutſchland;
überall, in Weimar, Jena, Leipzig, Dresden bereiteten ihm die Liberalen
einen glänzenden Empfang. Berauſcht durch ſolche Huldigungen kam er
nach Berlin und erbat ſich durch ſeinen Schweizer Freund, den geiſtreichen
Leibarzt Schönlein eine Audienz beim Könige. Friedrich Wilhelm ſchrieb
darüber nachher an General Dohna: „Ich habe mich acht Tage beſonnen,
ob ich ſeinem Wunſche mich zu ſehen entſprechen ſollte;“ ich that es weil

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[204/0218] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. ſtehen glaubte und die Preußen für neue Ideale erziehen wollte, faſt ohne jede wirkſame literariſche Vertretung; und leider erwies ein plumper Lob- redner dem Königthum eben jetzt einen ſchlimmen Dienſt. Nachdem der geiſtreiche Präſident von Hippel unlängſt eine würdige und lehrreiche Bio- graphie des verſtorbenen Königs veröffentlicht hatte, ließ der Biſchof Eylert ſeine geſchwätzigen „Beiträge zur Charakteriſtik Friedrich Wilhelm’s III.“ erſcheinen. Es konnte nur Ekel erregen, wenn hier die ſchlichte Tüchtig- keit, der ſo viel gerechter Dank gebührte, durch unterthänige Schmeichelei verzerrt und dem wortkargen Fürſten lange ſalbungsvolle Predigten in den Mund gelegt wurden. Fünf Bände hindurch war nur von Ihm und Er die Rede, während der Herrgott, deſſen Namen der Biſchof ſtark miß- brauchte, mit dem einfachen „er“ vorlieb nehmen mußte. Alte treue Diener des Entſchlafenen mochten in dieſem Wuſt von Anekdoten liebe Erin- nerungen wiederfinden; auf die radicale Jugend aber wirkte das Buch wie Gift, ſie fühlte ſich beſtärkt in dem Wahne, daß monarchiſche Geſinnung mit byzantiniſchem Sklavengeiſte Hand in Hand gehe. Da wurde die preußiſche Preſſe plötzlich durch die Thorheit eines liberalen Wortführers in die alte Bedrängniß zurückgeſchleudert. Der junge Schwabe Georg Herwegh war zur Zeit der Held des Tages; die feurig radicalen Gedichte eines Lebendigen fanden, überall vorboten, überall begeiſterte Leſer. In einem dieſer Lieder redete er den König von Preußen perſönlich an, um für das deutſche Volk zu flehen wie einſt Platen für die Polen, und bekundete den dunklen, zielloſen Thatendrang der Jugend alſo: Und frage nicht wo Feinde ſind, Die Feinde kommen mit dem Wind. Behüt’ uns vor dem Frankenkind Und vor dem Czaren, deinem Schwager. Augenblicklich ſpielte Herwegh in der Schweiz den politiſchen Flüchtling. Irgend eine Unbill war ihm freilich daheim nie widerfahren; zuchtlos wie er von früh auf geweſen, hatte er ſich vielmehr dem württembergiſchen Waffendienſte durch die Flucht entzogen. In der liberalen Welt ſtand aber der Haß gegen die Söldlinge ſchon ſo feſt, daß ſie dem Poeten dieſe Verletzung der allgemeinen Bürgerpflicht gar nicht verargte. Er ſelbſt ſang prahlend: Deſerteur? Mit Stolz! Ich habe des Königes Fahne, Die mich gepreßt, mit des Volks ſoldloſem Banner vertauſcht. Im Herbſt 1842 unternahm er eine Triumphreiſe durch Deutſchland; überall, in Weimar, Jena, Leipzig, Dresden bereiteten ihm die Liberalen einen glänzenden Empfang. Berauſcht durch ſolche Huldigungen kam er nach Berlin und erbat ſich durch ſeinen Schweizer Freund, den geiſtreichen Leibarzt Schönlein eine Audienz beim Könige. Friedrich Wilhelm ſchrieb darüber nachher an General Dohna: „Ich habe mich acht Tage beſonnen, ob ich ſeinem Wunſche mich zu ſehen entſprechen ſollte;“ ich that es weil

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/218>, abgerufen am 29.03.2024.