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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Herwegh vor dem Könige.
ich ihn für einen wahren, begeisterten Republikaner hielt; hätte ich gewußt,
daß er Deserteur von einem württembergischen Infanterie-Regimente ist,
"so hätt' ich ihn natürlich nie gesehen." Vor dem Angesichte der Majestät
benahm sich der junge Schwabe linkisch, verlegen, demüthig. Der König
lobte sein poetisches Talent und bedauerte seine radicale Richtung; er
wünschte ihm einen Tag von Damascus -- "dann erst wird Ihr Wirken
außerordentlich groß sein" -- und schloß das kurze Gespräch mit den
gütigen Worten: wir wollen ehrliche Feinde sein. Zum Dank brachte die
Leipziger Allgemeine Zeitung einen gehässig entstellenden Bericht, worauf
Friedrich Wilhelm befahl, in der amtlichen Berichtigung solle bemerkt
werden: "Es verlautet, der König habe nach Lesung des Artikels gesagt:
Ich erkenne das Machwerk derjenigen Juden, über deren zudringliche
Freundschaft Herwegh klagte. -- Das ist nämlich wörtlich geschehen!"*) Er
ward noch unwilliger, als er Näheres über die Vergangenheit des Dichters
erfuhr, und äußerte bitter: Ein Gedicht in den Zeitungen "scheint mir
Herwegh zu verspotten wegen seines Nackenbeugens bei mir. Grand
bien lui fasse!
"**)

Mittlerweile war der Poet nach Königsberg gegangen, und hier
schaarte sich um ihn die gesammte Opposition. Bei dem großen Festmahle
spielte man die Marseillaise -- was bei den liberalen Feierlichkeiten dieser
Jahre schon ganz gewöhnlich war und den gedankenlosen Zuhörern kaum noch
auffiel.***) Ein Festgruß des jungen Dichters Wilhelm Jordan feierte
die Felsennacken der Männer Ostpreußens und sprach verächtlich von dem
weichlichen Berlin, wo Alles in tollem Veitstanz rase, wenn Fanny Elsler
ihre Sylphenbeine schwinge:

Der Eitelkeit und der Genußsucht Dämon
Besessen hält dies üppige Korinth.
Hier aber, Herwegh, hier ist Lacedämon,
Wir rasen nicht, weil wir Spartaner sind.

Die Phrase lag in der Luft, Alles überbot sich in heroischem Pathos. Ein
junger Mann, aus dem nachmals ein trefflicher Gelehrter geworden ist,
erwiderte auf Jacoby's Frage: "Sie sind Student?" -- feierlich: "Und
in des Worts verwegenster Bedeutung" -- worauf er die erhabene Zu-
rechtweisung erhielt: "Sagen Sie doch lieber: im Sinne der That." So-
gar der kluge Rechtsanwalt Crelinger, ein hagerer Herr mit großer Juden-
nase, dem man den feinen, verwöhnten Gelehrten sofort ansah, konnte
dem allgemeinen Rausche nicht widerstehen und redete so gewaltig von dem
Schwert an seiner Linken, daß seine Freunde selbst ihn nicht ohne Lächeln
betrachten konnten.

Der König war empört über "die Blutlieder" dieses Festes. Wie

*) Randbemerkung zu Thile's Bericht vom 28. Nov. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. Dec. 1842.
***) Bötticher's Bericht an Thile, 13. Dec. 1842.

Herwegh vor dem Könige.
ich ihn für einen wahren, begeiſterten Republikaner hielt; hätte ich gewußt,
daß er Deſerteur von einem württembergiſchen Infanterie-Regimente iſt,
„ſo hätt’ ich ihn natürlich nie geſehen.“ Vor dem Angeſichte der Majeſtät
benahm ſich der junge Schwabe linkiſch, verlegen, demüthig. Der König
lobte ſein poetiſches Talent und bedauerte ſeine radicale Richtung; er
wünſchte ihm einen Tag von Damascus — „dann erſt wird Ihr Wirken
außerordentlich groß ſein“ — und ſchloß das kurze Geſpräch mit den
gütigen Worten: wir wollen ehrliche Feinde ſein. Zum Dank brachte die
Leipziger Allgemeine Zeitung einen gehäſſig entſtellenden Bericht, worauf
Friedrich Wilhelm befahl, in der amtlichen Berichtigung ſolle bemerkt
werden: „Es verlautet, der König habe nach Leſung des Artikels geſagt:
Ich erkenne das Machwerk derjenigen Juden, über deren zudringliche
Freundſchaft Herwegh klagte. — Das iſt nämlich wörtlich geſchehen!“*) Er
ward noch unwilliger, als er Näheres über die Vergangenheit des Dichters
erfuhr, und äußerte bitter: Ein Gedicht in den Zeitungen „ſcheint mir
Herwegh zu verſpotten wegen ſeines Nackenbeugens bei mir. Grand
bien lui fasse!
**)

Mittlerweile war der Poet nach Königsberg gegangen, und hier
ſchaarte ſich um ihn die geſammte Oppoſition. Bei dem großen Feſtmahle
ſpielte man die Marſeillaiſe — was bei den liberalen Feierlichkeiten dieſer
Jahre ſchon ganz gewöhnlich war und den gedankenloſen Zuhörern kaum noch
auffiel.***) Ein Feſtgruß des jungen Dichters Wilhelm Jordan feierte
die Felſennacken der Männer Oſtpreußens und ſprach verächtlich von dem
weichlichen Berlin, wo Alles in tollem Veitstanz raſe, wenn Fanny Elsler
ihre Sylphenbeine ſchwinge:

Der Eitelkeit und der Genußſucht Dämon
Beſeſſen hält dies üppige Korinth.
Hier aber, Herwegh, hier iſt Lacedämon,
Wir raſen nicht, weil wir Spartaner ſind.

Die Phraſe lag in der Luft, Alles überbot ſich in heroiſchem Pathos. Ein
junger Mann, aus dem nachmals ein trefflicher Gelehrter geworden iſt,
erwiderte auf Jacoby’s Frage: „Sie ſind Student?“ — feierlich: „Und
in des Worts verwegenſter Bedeutung“ — worauf er die erhabene Zu-
rechtweiſung erhielt: „Sagen Sie doch lieber: im Sinne der That.“ So-
gar der kluge Rechtsanwalt Crelinger, ein hagerer Herr mit großer Juden-
naſe, dem man den feinen, verwöhnten Gelehrten ſofort anſah, konnte
dem allgemeinen Rauſche nicht widerſtehen und redete ſo gewaltig von dem
Schwert an ſeiner Linken, daß ſeine Freunde ſelbſt ihn nicht ohne Lächeln
betrachten konnten.

Der König war empört über „die Blutlieder“ dieſes Feſtes. Wie

*) Randbemerkung zu Thile’s Bericht vom 28. Nov. 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. Dec. 1842.
***) Bötticher’s Bericht an Thile, 13. Dec. 1842.
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[205/0219] Herwegh vor dem Könige. ich ihn für einen wahren, begeiſterten Republikaner hielt; hätte ich gewußt, daß er Deſerteur von einem württembergiſchen Infanterie-Regimente iſt, „ſo hätt’ ich ihn natürlich nie geſehen.“ Vor dem Angeſichte der Majeſtät benahm ſich der junge Schwabe linkiſch, verlegen, demüthig. Der König lobte ſein poetiſches Talent und bedauerte ſeine radicale Richtung; er wünſchte ihm einen Tag von Damascus — „dann erſt wird Ihr Wirken außerordentlich groß ſein“ — und ſchloß das kurze Geſpräch mit den gütigen Worten: wir wollen ehrliche Feinde ſein. Zum Dank brachte die Leipziger Allgemeine Zeitung einen gehäſſig entſtellenden Bericht, worauf Friedrich Wilhelm befahl, in der amtlichen Berichtigung ſolle bemerkt werden: „Es verlautet, der König habe nach Leſung des Artikels geſagt: Ich erkenne das Machwerk derjenigen Juden, über deren zudringliche Freundſchaft Herwegh klagte. — Das iſt nämlich wörtlich geſchehen!“ *) Er ward noch unwilliger, als er Näheres über die Vergangenheit des Dichters erfuhr, und äußerte bitter: Ein Gedicht in den Zeitungen „ſcheint mir Herwegh zu verſpotten wegen ſeines Nackenbeugens bei mir. Grand bien lui fasse!“ **) Mittlerweile war der Poet nach Königsberg gegangen, und hier ſchaarte ſich um ihn die geſammte Oppoſition. Bei dem großen Feſtmahle ſpielte man die Marſeillaiſe — was bei den liberalen Feierlichkeiten dieſer Jahre ſchon ganz gewöhnlich war und den gedankenloſen Zuhörern kaum noch auffiel. ***) Ein Feſtgruß des jungen Dichters Wilhelm Jordan feierte die Felſennacken der Männer Oſtpreußens und ſprach verächtlich von dem weichlichen Berlin, wo Alles in tollem Veitstanz raſe, wenn Fanny Elsler ihre Sylphenbeine ſchwinge: Der Eitelkeit und der Genußſucht Dämon Beſeſſen hält dies üppige Korinth. Hier aber, Herwegh, hier iſt Lacedämon, Wir raſen nicht, weil wir Spartaner ſind. Die Phraſe lag in der Luft, Alles überbot ſich in heroiſchem Pathos. Ein junger Mann, aus dem nachmals ein trefflicher Gelehrter geworden iſt, erwiderte auf Jacoby’s Frage: „Sie ſind Student?“ — feierlich: „Und in des Worts verwegenſter Bedeutung“ — worauf er die erhabene Zu- rechtweiſung erhielt: „Sagen Sie doch lieber: im Sinne der That.“ So- gar der kluge Rechtsanwalt Crelinger, ein hagerer Herr mit großer Juden- naſe, dem man den feinen, verwöhnten Gelehrten ſofort anſah, konnte dem allgemeinen Rauſche nicht widerſtehen und redete ſo gewaltig von dem Schwert an ſeiner Linken, daß ſeine Freunde ſelbſt ihn nicht ohne Lächeln betrachten konnten. Der König war empört über „die Blutlieder“ dieſes Feſtes. Wie *) Randbemerkung zu Thile’s Bericht vom 28. Nov. 1842. **) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. Dec. 1842. ***) Bötticher’s Bericht an Thile, 13. Dec. 1842.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/219>, abgerufen am 23.11.2024.