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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
schöner und stattlicher wiederaufgebaut, die Häfen erweitert, neue Verbin-
dungen mit dem linken Elbufer eingerichtet.

So erfüllte sich was Schenkendorf in der Trübsal der napoleonischen
Herrschaft vorhergesagt: man sah in jungen Ehren den Phönix Hamburg
wieder. Doch die Noth lehrt nicht blos beten, sie lehrt auch in sich gehen
und um sich blicken. Die politischen Gebrechen des unbehilflichen altvä-
terischen Gemeinwesens waren in den Schreckenstagen doch gar zu fühl-
bar geworden; bald nachher beschloß die angesehene Patriotische Gesellschaft,
auf den Antrag des Publicisten Wurm, des Doctors Kirchenpauer und
anderer jüngerer Bürger, den Senat um Trennung von Rechtspflege
und Verwaltung, um ein freieres Wahlverfahren in den städtischen Colle-
gien, endlich um Verbesserung des verwahrlosten Polizeiwesens zu bitten.
Der alte Bürgermeister Bartels aber und die Mehrzahl der Senatoren
erklärten diese bescheidenen Wünsche für jacobinisch, und da auch die Mehr-
zahl der Bürgerschaft, ganz dahingenommen von wirthschaftlichen Sorgen, für
politische Fragen jetzt keinen Sinn hatte, so kam von allen geplanten Re-
formen nur die eine zu Stande, daß die Juden fortan überall in der
Stadt, nicht wie bisher nur in bestimmten Stadtvierteln wohnen durften.
Nach wenigen Jahren sollten sich diese politischen Unterlassungssünden
schwer bestrafen.

Bei dem Wiederaufbau der Stadt half die gesammte Nation brüder-
lich mit. Schon während des Brandes eilten aus allen deutschen Nach-
barstaaten Truppen und Löschmannschaften herbei, und auch nachher kam
die beste Hilfe, wie billig, aus Deutschland, obgleich die gesammte gesittete
Welt, namentlich das mit dem großen Freihafen der Elbe durch so mannich-
fache Interessen verbundene Nordeuropa reiche Beiträge spendete. Vor-
räthe aller Art wurden elbabwärts gebracht, so daß die kleinen Leute in
Hamburg, die nur wenig verloren aber jetzt viel zu verdienen hatten, nach
dem Brande fast besser lebten denn zuvor; an baarem Gelde sendete das
noch immer arme Binnenland in wenigen Monaten mehr denn 1,6 Mill.
Mark Banco. Selbst im Süden, wo man die Hansestädte wegen ihrer
Handelspolitik wenig liebte, bekundete sich das Mitgefühl in manchen
rührenden Zügen; in Heidelberg bildeten sogar die Dienstmädchen einen
Hilfsverein. Und alle diese Werke der Barmherzigkeit verklärte der pa-
triotische Gedanke. Zahllose Gedichte und Aufrufe sprachen aus: durch
den Kölner Dom und den Wiederaufbau Hamburgs müßten die Deutschen
zeigen, daß sie als Landsleute in Freud und Leid zusammenstünden. Der
Naturdrang der nationalen Einheit wallte kräftig auf, und ganz im Sinne
seines Volkes sang Hoffmann von Fallersleben:

Ja in Hamburgs Feuerscheine
That uns Gott die Wahrheit kund,
Und des Neubaus erste Steine
Sind der neue deutsche Bund.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
ſchöner und ſtattlicher wiederaufgebaut, die Häfen erweitert, neue Verbin-
dungen mit dem linken Elbufer eingerichtet.

So erfüllte ſich was Schenkendorf in der Trübſal der napoleoniſchen
Herrſchaft vorhergeſagt: man ſah in jungen Ehren den Phönix Hamburg
wieder. Doch die Noth lehrt nicht blos beten, ſie lehrt auch in ſich gehen
und um ſich blicken. Die politiſchen Gebrechen des unbehilflichen altvä-
teriſchen Gemeinweſens waren in den Schreckenstagen doch gar zu fühl-
bar geworden; bald nachher beſchloß die angeſehene Patriotiſche Geſellſchaft,
auf den Antrag des Publiciſten Wurm, des Doctors Kirchenpauer und
anderer jüngerer Bürger, den Senat um Trennung von Rechtspflege
und Verwaltung, um ein freieres Wahlverfahren in den ſtädtiſchen Colle-
gien, endlich um Verbeſſerung des verwahrloſten Polizeiweſens zu bitten.
Der alte Bürgermeiſter Bartels aber und die Mehrzahl der Senatoren
erklärten dieſe beſcheidenen Wünſche für jacobiniſch, und da auch die Mehr-
zahl der Bürgerſchaft, ganz dahingenommen von wirthſchaftlichen Sorgen, für
politiſche Fragen jetzt keinen Sinn hatte, ſo kam von allen geplanten Re-
formen nur die eine zu Stande, daß die Juden fortan überall in der
Stadt, nicht wie bisher nur in beſtimmten Stadtvierteln wohnen durften.
Nach wenigen Jahren ſollten ſich dieſe politiſchen Unterlaſſungsſünden
ſchwer beſtrafen.

Bei dem Wiederaufbau der Stadt half die geſammte Nation brüder-
lich mit. Schon während des Brandes eilten aus allen deutſchen Nach-
barſtaaten Truppen und Löſchmannſchaften herbei, und auch nachher kam
die beſte Hilfe, wie billig, aus Deutſchland, obgleich die geſammte geſittete
Welt, namentlich das mit dem großen Freihafen der Elbe durch ſo mannich-
fache Intereſſen verbundene Nordeuropa reiche Beiträge ſpendete. Vor-
räthe aller Art wurden elbabwärts gebracht, ſo daß die kleinen Leute in
Hamburg, die nur wenig verloren aber jetzt viel zu verdienen hatten, nach
dem Brande faſt beſſer lebten denn zuvor; an baarem Gelde ſendete das
noch immer arme Binnenland in wenigen Monaten mehr denn 1,6 Mill.
Mark Banco. Selbſt im Süden, wo man die Hanſeſtädte wegen ihrer
Handelspolitik wenig liebte, bekundete ſich das Mitgefühl in manchen
rührenden Zügen; in Heidelberg bildeten ſogar die Dienſtmädchen einen
Hilfsverein. Und alle dieſe Werke der Barmherzigkeit verklärte der pa-
triotiſche Gedanke. Zahlloſe Gedichte und Aufrufe ſprachen aus: durch
den Kölner Dom und den Wiederaufbau Hamburgs müßten die Deutſchen
zeigen, daß ſie als Landsleute in Freud und Leid zuſammenſtünden. Der
Naturdrang der nationalen Einheit wallte kräftig auf, und ganz im Sinne
ſeines Volkes ſang Hoffmann von Fallersleben:

Ja in Hamburgs Feuerſcheine
That uns Gott die Wahrheit kund,
Und des Neubaus erſte Steine
Sind der neue deutſche Bund.

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[180/0194] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. ſchöner und ſtattlicher wiederaufgebaut, die Häfen erweitert, neue Verbin- dungen mit dem linken Elbufer eingerichtet. So erfüllte ſich was Schenkendorf in der Trübſal der napoleoniſchen Herrſchaft vorhergeſagt: man ſah in jungen Ehren den Phönix Hamburg wieder. Doch die Noth lehrt nicht blos beten, ſie lehrt auch in ſich gehen und um ſich blicken. Die politiſchen Gebrechen des unbehilflichen altvä- teriſchen Gemeinweſens waren in den Schreckenstagen doch gar zu fühl- bar geworden; bald nachher beſchloß die angeſehene Patriotiſche Geſellſchaft, auf den Antrag des Publiciſten Wurm, des Doctors Kirchenpauer und anderer jüngerer Bürger, den Senat um Trennung von Rechtspflege und Verwaltung, um ein freieres Wahlverfahren in den ſtädtiſchen Colle- gien, endlich um Verbeſſerung des verwahrloſten Polizeiweſens zu bitten. Der alte Bürgermeiſter Bartels aber und die Mehrzahl der Senatoren erklärten dieſe beſcheidenen Wünſche für jacobiniſch, und da auch die Mehr- zahl der Bürgerſchaft, ganz dahingenommen von wirthſchaftlichen Sorgen, für politiſche Fragen jetzt keinen Sinn hatte, ſo kam von allen geplanten Re- formen nur die eine zu Stande, daß die Juden fortan überall in der Stadt, nicht wie bisher nur in beſtimmten Stadtvierteln wohnen durften. Nach wenigen Jahren ſollten ſich dieſe politiſchen Unterlaſſungsſünden ſchwer beſtrafen. Bei dem Wiederaufbau der Stadt half die geſammte Nation brüder- lich mit. Schon während des Brandes eilten aus allen deutſchen Nach- barſtaaten Truppen und Löſchmannſchaften herbei, und auch nachher kam die beſte Hilfe, wie billig, aus Deutſchland, obgleich die geſammte geſittete Welt, namentlich das mit dem großen Freihafen der Elbe durch ſo mannich- fache Intereſſen verbundene Nordeuropa reiche Beiträge ſpendete. Vor- räthe aller Art wurden elbabwärts gebracht, ſo daß die kleinen Leute in Hamburg, die nur wenig verloren aber jetzt viel zu verdienen hatten, nach dem Brande faſt beſſer lebten denn zuvor; an baarem Gelde ſendete das noch immer arme Binnenland in wenigen Monaten mehr denn 1,6 Mill. Mark Banco. Selbſt im Süden, wo man die Hanſeſtädte wegen ihrer Handelspolitik wenig liebte, bekundete ſich das Mitgefühl in manchen rührenden Zügen; in Heidelberg bildeten ſogar die Dienſtmädchen einen Hilfsverein. Und alle dieſe Werke der Barmherzigkeit verklärte der pa- triotiſche Gedanke. Zahlloſe Gedichte und Aufrufe ſprachen aus: durch den Kölner Dom und den Wiederaufbau Hamburgs müßten die Deutſchen zeigen, daß ſie als Landsleute in Freud und Leid zuſammenſtünden. Der Naturdrang der nationalen Einheit wallte kräftig auf, und ganz im Sinne ſeines Volkes ſang Hoffmann von Fallersleben: Ja in Hamburgs Feuerſcheine That uns Gott die Wahrheit kund, Und des Neubaus erſte Steine Sind der neue deutſche Bund.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/194>, abgerufen am 28.03.2024.