Auch der König von Preußen nahm an dem Werke der Barmherzigkeit freudig theil. Er half durch seine Truppen die Ordnung aufrecht halten, schickte den Oberpräsidenten Flottwell hinüber um selbst nachzusehen wo Hilfe noth thäte, spendete, wie die meisten anderen deutschen Fürsten ein großes Geldgeschenk, ließ überall in seinem Staate eine Haus- und Kirchencollecte veranstalten, weil er glaubte, daß seine Preußen diese Noth "als gemein- same Noth empfinden würden", und da die vom Bundestage so oft ver- folgte Buchhandlung von Hoffmann und Campe durch den Brand schwer gelitten hatte, so erlaubte er, daß ihre Verlagswerke, die in Preußen erst kürzlich wieder in Bausch und Bogen verboten worden waren, fortan frei umlaufen durften. Diese Gnade rechnete man ihm hoch an, weil sie der liberalen Sache zu gute kam, und nur Wenige bedachten, welch' eine Willkür doch in solcher Gemüthlichkeit lag.
Vom Rhein reiste der König zu seinen treuen Neuenburgern, die ihm vor Kurzem jubelnd gehuldigt und dafür die altherkömmliche Zusage er- halten hatten, daß er die Landschaft nie veräußern, ihre Rechte allezeit wahren würde. Mit allem monarchischen Pomp empfing der Canton seinen Fürsten; die Glocken läuteten, auf den Triumphbogen wehten preu- ßische und neuenburgische, nur selten ein schweizerisches Banner. Die amtliche Welt dachte durchaus royalistisch, vom jüngsten Leutnant bis hin- auf zu Baron Chambrier, dem einflußreichsten Manne des Fürstenthums; auch die Massen bekundeten lebhafte Freude, denn die im Stillen ange- wachsene aber noch führerlose radicale Partei hielt sich scheu zurück. So em- pfing der König die allergünstigsten Eindrücke und sagte oft: auf keine meiner Unterthanen bin ich so stolz. Er ahnte nicht, wie bald das Schicksal ihn fragen sollte, ob er der Mann sei diesen Getreuen seinen Eid zu halten.--
Während aller dieser Reisen beschäftigte den König fortwährend die Ausbildung der seinem Herzen so theuren ständischen Institutionen. Be- glückt durch den friedlichen Verlauf der letzten Landtage, hatte er bereits im Frühjahr die Absicht ausgesprochen, die neu gebildeten ständischen Ausschüsse, die noch in keiner Provinz ihre Thätigkeit begonnen hatten, schon in diesem Jahre insgesammt als Vereinigte Ausschüsse nach Berlin zu berufen. Ein zwingender Grund lag freilich nicht vor; man wußte nicht einmal, womit sich die Ausschüsse beschäftigen sollten. Friedrich Wilhelm fühlte sich jedoch in der Stimmung eines glücklichen Vaters, der es nicht erwarten kann seinen wohlgerathenen Kindern eine frohe Ueberraschung zu bereiten. Als am 11. Juni das Staatsministerium mit der ständischen Commission zu gemeinsamer Besprechung zusammen- trat, da zeigte sich fast Jedermann rathlos. Niemand verstand recht, was diese Ausschüsse eigentlich bedeuteten. Sie waren, wie es die Ver- ordnung vom 22. Mai 1815 für die künftigen Reichsstände vorschrieb, "aus den Provinzialständen gewählt." Waren sie nun selber die damals verheißene Landesrepräsentation, oder sollten sie nur über Fragen, die der
Friedrich Wilhelm in Neuenburg.
Auch der König von Preußen nahm an dem Werke der Barmherzigkeit freudig theil. Er half durch ſeine Truppen die Ordnung aufrecht halten, ſchickte den Oberpräſidenten Flottwell hinüber um ſelbſt nachzuſehen wo Hilfe noth thäte, ſpendete, wie die meiſten anderen deutſchen Fürſten ein großes Geldgeſchenk, ließ überall in ſeinem Staate eine Haus- und Kirchencollecte veranſtalten, weil er glaubte, daß ſeine Preußen dieſe Noth „als gemein- ſame Noth empfinden würden“, und da die vom Bundestage ſo oft ver- folgte Buchhandlung von Hoffmann und Campe durch den Brand ſchwer gelitten hatte, ſo erlaubte er, daß ihre Verlagswerke, die in Preußen erſt kürzlich wieder in Bauſch und Bogen verboten worden waren, fortan frei umlaufen durften. Dieſe Gnade rechnete man ihm hoch an, weil ſie der liberalen Sache zu gute kam, und nur Wenige bedachten, welch’ eine Willkür doch in ſolcher Gemüthlichkeit lag.
Vom Rhein reiſte der König zu ſeinen treuen Neuenburgern, die ihm vor Kurzem jubelnd gehuldigt und dafür die altherkömmliche Zuſage er- halten hatten, daß er die Landſchaft nie veräußern, ihre Rechte allezeit wahren würde. Mit allem monarchiſchen Pomp empfing der Canton ſeinen Fürſten; die Glocken läuteten, auf den Triumphbogen wehten preu- ßiſche und neuenburgiſche, nur ſelten ein ſchweizeriſches Banner. Die amtliche Welt dachte durchaus royaliſtiſch, vom jüngſten Leutnant bis hin- auf zu Baron Chambrier, dem einflußreichſten Manne des Fürſtenthums; auch die Maſſen bekundeten lebhafte Freude, denn die im Stillen ange- wachſene aber noch führerloſe radicale Partei hielt ſich ſcheu zurück. So em- pfing der König die allergünſtigſten Eindrücke und ſagte oft: auf keine meiner Unterthanen bin ich ſo ſtolz. Er ahnte nicht, wie bald das Schickſal ihn fragen ſollte, ob er der Mann ſei dieſen Getreuen ſeinen Eid zu halten.—
Während aller dieſer Reiſen beſchäftigte den König fortwährend die Ausbildung der ſeinem Herzen ſo theuren ſtändiſchen Inſtitutionen. Be- glückt durch den friedlichen Verlauf der letzten Landtage, hatte er bereits im Frühjahr die Abſicht ausgeſprochen, die neu gebildeten ſtändiſchen Ausſchüſſe, die noch in keiner Provinz ihre Thätigkeit begonnen hatten, ſchon in dieſem Jahre insgeſammt als Vereinigte Ausſchüſſe nach Berlin zu berufen. Ein zwingender Grund lag freilich nicht vor; man wußte nicht einmal, womit ſich die Ausſchüſſe beſchäftigen ſollten. Friedrich Wilhelm fühlte ſich jedoch in der Stimmung eines glücklichen Vaters, der es nicht erwarten kann ſeinen wohlgerathenen Kindern eine frohe Ueberraſchung zu bereiten. Als am 11. Juni das Staatsminiſterium mit der ſtändiſchen Commiſſion zu gemeinſamer Beſprechung zuſammen- trat, da zeigte ſich faſt Jedermann rathlos. Niemand verſtand recht, was dieſe Ausſchüſſe eigentlich bedeuteten. Sie waren, wie es die Ver- ordnung vom 22. Mai 1815 für die künftigen Reichsſtände vorſchrieb, „aus den Provinzialſtänden gewählt.“ Waren ſie nun ſelber die damals verheißene Landesrepräſentation, oder ſollten ſie nur über Fragen, die der
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[181/0195]
Friedrich Wilhelm in Neuenburg.
Auch der König von Preußen nahm an dem Werke der Barmherzigkeit
freudig theil. Er half durch ſeine Truppen die Ordnung aufrecht halten,
ſchickte den Oberpräſidenten Flottwell hinüber um ſelbſt nachzuſehen wo
Hilfe noth thäte, ſpendete, wie die meiſten anderen deutſchen Fürſten ein großes
Geldgeſchenk, ließ überall in ſeinem Staate eine Haus- und Kirchencollecte
veranſtalten, weil er glaubte, daß ſeine Preußen dieſe Noth „als gemein-
ſame Noth empfinden würden“, und da die vom Bundestage ſo oft ver-
folgte Buchhandlung von Hoffmann und Campe durch den Brand ſchwer
gelitten hatte, ſo erlaubte er, daß ihre Verlagswerke, die in Preußen erſt
kürzlich wieder in Bauſch und Bogen verboten worden waren, fortan frei
umlaufen durften. Dieſe Gnade rechnete man ihm hoch an, weil ſie der
liberalen Sache zu gute kam, und nur Wenige bedachten, welch’ eine Willkür
doch in ſolcher Gemüthlichkeit lag.
Vom Rhein reiſte der König zu ſeinen treuen Neuenburgern, die ihm
vor Kurzem jubelnd gehuldigt und dafür die altherkömmliche Zuſage er-
halten hatten, daß er die Landſchaft nie veräußern, ihre Rechte allezeit
wahren würde. Mit allem monarchiſchen Pomp empfing der Canton
ſeinen Fürſten; die Glocken läuteten, auf den Triumphbogen wehten preu-
ßiſche und neuenburgiſche, nur ſelten ein ſchweizeriſches Banner. Die
amtliche Welt dachte durchaus royaliſtiſch, vom jüngſten Leutnant bis hin-
auf zu Baron Chambrier, dem einflußreichſten Manne des Fürſtenthums;
auch die Maſſen bekundeten lebhafte Freude, denn die im Stillen ange-
wachſene aber noch führerloſe radicale Partei hielt ſich ſcheu zurück. So em-
pfing der König die allergünſtigſten Eindrücke und ſagte oft: auf keine meiner
Unterthanen bin ich ſo ſtolz. Er ahnte nicht, wie bald das Schickſal ihn
fragen ſollte, ob er der Mann ſei dieſen Getreuen ſeinen Eid zu halten.—
Während aller dieſer Reiſen beſchäftigte den König fortwährend die
Ausbildung der ſeinem Herzen ſo theuren ſtändiſchen Inſtitutionen. Be-
glückt durch den friedlichen Verlauf der letzten Landtage, hatte er bereits
im Frühjahr die Abſicht ausgeſprochen, die neu gebildeten ſtändiſchen
Ausſchüſſe, die noch in keiner Provinz ihre Thätigkeit begonnen hatten,
ſchon in dieſem Jahre insgeſammt als Vereinigte Ausſchüſſe nach Berlin
zu berufen. Ein zwingender Grund lag freilich nicht vor; man wußte
nicht einmal, womit ſich die Ausſchüſſe beſchäftigen ſollten. Friedrich
Wilhelm fühlte ſich jedoch in der Stimmung eines glücklichen Vaters,
der es nicht erwarten kann ſeinen wohlgerathenen Kindern eine frohe
Ueberraſchung zu bereiten. Als am 11. Juni das Staatsminiſterium
mit der ſtändiſchen Commiſſion zu gemeinſamer Beſprechung zuſammen-
trat, da zeigte ſich faſt Jedermann rathlos. Niemand verſtand recht,
was dieſe Ausſchüſſe eigentlich bedeuteten. Sie waren, wie es die Ver-
ordnung vom 22. Mai 1815 für die künftigen Reichsſtände vorſchrieb,
„aus den Provinzialſtänden gewählt.“ Waren ſie nun ſelber die damals
verheißene Landesrepräſentation, oder ſollten ſie nur über Fragen, die der
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/195>, abgerufen am 23.11.2024.
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