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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Brand von Hamburg.
tausend hindurch getagt hatte. Am dritten Tage hatten sich die Bürger
an die Gefahr gewöhnt und, obwohl auch ihre älteste Kirche, St. Petri
noch in Trümmer fiel, doch die Hoffnung gewonnen, daß die Stadt nicht
ganz verloren sei; mit wachsender Zuversicht und zuletzt in trefflicher
Ordnung führten sie den Kampf zu Ende.

Wie immer wenn die Sterblichen vor der Macht der Elemente ihre
Kleinheit fühlen, traten alle edlen und alle gemeinen Kräfte der mensch-
lichen Natur zugleich zu Tage. Wenn die Pulverwagen durch die bren-
nenden Straßen fuhren, dann setzten sich manche wackere Bürger-Artil-
leristen freiwillig auf die Pulverfässer um sie mit ihrem Leibe gegen die
umherstiebenden Funken zu decken. Aber auch der berüchtigte Pöbel vom
Hamburger Berge und Massen wüsten Gesindels vom Lande her waren
zusammengeströmt; die Unholde umtanzten die Flammen mit viehischem
Gejohle, hielten ihre Saufgelage in den brennenden Häusern, raubten,
plünderten, zerstörten nach Herzenslust; und das Bürgermilitär, das sich
überhaupt in dieser ernsten Probe weit besser hielt als sonst auf den
Exercirplätzen, mußte mehrmals, mit den Linientruppen vereint, den
scheußlichen Banden Straßengefechte liefern. Selbst ruhige Männer
wurden krankhaft aufgeregt durch den finsteren Argwohn, der bei solchem
Unheil selten ausbleibt. Die Engländer stecken die Stadt an -- so hieß
es überall, denn die große Maschinenfabrik auf dem Grasbrook beschäf-
tigte viele englische Arbeiter, die den einheimischen längst verhaßt waren;
und manche Leute von englischem Aussehen, auch der junge Dichter Fried-
rich Hebbel sahen sich von der erhitzten Menge schwer bedroht. In der
langen Untersuchung nachher wurde jedoch kein einziger Fall von Brand-
stiftung nachgewiesen, auch die erste Ursache des Unglücks blieb immer
verborgen. Als die Gefahr überwunden war, da zeigte sich erst was
Deutschland an dem Reichthum und dem Bürgersinne seiner ersten Handels-
stadt besaß. Schon nach wenigen Tagen erklärte man den benachbarten
Regierungen zuversichtlich: für den Geldverlust könne die Stadt allein
aufkommen.*) Der Stolz der Kaufmannschaft, die neue Börse, war
unter der Hut beherzter Männer unversehrt geblieben inmitten der Trüm-
mer; die Bank hatte ihre Schätze gerettet und das Abschreiben nicht
einen Tag lang eingestellt, auch in den Häfen war die Arbeit nicht gänz-
lich unterbrochen worden. Salomon Heine, der reiche Oheim des Dichters
setzte durch, daß der Disconto nicht über vier vom Hundert steigen durfte;
zwanzig Firmen bildeten alsbald eine Darlehnsgesellschaft mit 12 Mil-
lionen Mark Banco Capital, und im August schon konnte die Stadt eine
große Anleihe zu 3 Procent aufnehmen. Nun wurden die weiten Trümmer-
felder abgeräumt, wobei man noch zehn Wochen nach dem großen Brande
in manchen Kellern fortschwelendes Feuer fand, die zerstörten Straßen

*) Thile's Bericht an den König, 16. Mai 1842.
12*

Brand von Hamburg.
tauſend hindurch getagt hatte. Am dritten Tage hatten ſich die Bürger
an die Gefahr gewöhnt und, obwohl auch ihre älteſte Kirche, St. Petri
noch in Trümmer fiel, doch die Hoffnung gewonnen, daß die Stadt nicht
ganz verloren ſei; mit wachſender Zuverſicht und zuletzt in trefflicher
Ordnung führten ſie den Kampf zu Ende.

Wie immer wenn die Sterblichen vor der Macht der Elemente ihre
Kleinheit fühlen, traten alle edlen und alle gemeinen Kräfte der menſch-
lichen Natur zugleich zu Tage. Wenn die Pulverwagen durch die bren-
nenden Straßen fuhren, dann ſetzten ſich manche wackere Bürger-Artil-
leriſten freiwillig auf die Pulverfäſſer um ſie mit ihrem Leibe gegen die
umherſtiebenden Funken zu decken. Aber auch der berüchtigte Pöbel vom
Hamburger Berge und Maſſen wüſten Geſindels vom Lande her waren
zuſammengeſtrömt; die Unholde umtanzten die Flammen mit viehiſchem
Gejohle, hielten ihre Saufgelage in den brennenden Häuſern, raubten,
plünderten, zerſtörten nach Herzensluſt; und das Bürgermilitär, das ſich
überhaupt in dieſer ernſten Probe weit beſſer hielt als ſonſt auf den
Exercirplätzen, mußte mehrmals, mit den Linientruppen vereint, den
ſcheußlichen Banden Straßengefechte liefern. Selbſt ruhige Männer
wurden krankhaft aufgeregt durch den finſteren Argwohn, der bei ſolchem
Unheil ſelten ausbleibt. Die Engländer ſtecken die Stadt an — ſo hieß
es überall, denn die große Maſchinenfabrik auf dem Grasbrook beſchäf-
tigte viele engliſche Arbeiter, die den einheimiſchen längſt verhaßt waren;
und manche Leute von engliſchem Ausſehen, auch der junge Dichter Fried-
rich Hebbel ſahen ſich von der erhitzten Menge ſchwer bedroht. In der
langen Unterſuchung nachher wurde jedoch kein einziger Fall von Brand-
ſtiftung nachgewieſen, auch die erſte Urſache des Unglücks blieb immer
verborgen. Als die Gefahr überwunden war, da zeigte ſich erſt was
Deutſchland an dem Reichthum und dem Bürgerſinne ſeiner erſten Handels-
ſtadt beſaß. Schon nach wenigen Tagen erklärte man den benachbarten
Regierungen zuverſichtlich: für den Geldverluſt könne die Stadt allein
aufkommen.*) Der Stolz der Kaufmannſchaft, die neue Börſe, war
unter der Hut beherzter Männer unverſehrt geblieben inmitten der Trüm-
mer; die Bank hatte ihre Schätze gerettet und das Abſchreiben nicht
einen Tag lang eingeſtellt, auch in den Häfen war die Arbeit nicht gänz-
lich unterbrochen worden. Salomon Heine, der reiche Oheim des Dichters
ſetzte durch, daß der Disconto nicht über vier vom Hundert ſteigen durfte;
zwanzig Firmen bildeten alsbald eine Darlehnsgeſellſchaft mit 12 Mil-
lionen Mark Banco Capital, und im Auguſt ſchon konnte die Stadt eine
große Anleihe zu 3 Procent aufnehmen. Nun wurden die weiten Trümmer-
felder abgeräumt, wobei man noch zehn Wochen nach dem großen Brande
in manchen Kellern fortſchwelendes Feuer fand, die zerſtörten Straßen

*) Thile’s Bericht an den König, 16. Mai 1842.
12*
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[179/0193] Brand von Hamburg. tauſend hindurch getagt hatte. Am dritten Tage hatten ſich die Bürger an die Gefahr gewöhnt und, obwohl auch ihre älteſte Kirche, St. Petri noch in Trümmer fiel, doch die Hoffnung gewonnen, daß die Stadt nicht ganz verloren ſei; mit wachſender Zuverſicht und zuletzt in trefflicher Ordnung führten ſie den Kampf zu Ende. Wie immer wenn die Sterblichen vor der Macht der Elemente ihre Kleinheit fühlen, traten alle edlen und alle gemeinen Kräfte der menſch- lichen Natur zugleich zu Tage. Wenn die Pulverwagen durch die bren- nenden Straßen fuhren, dann ſetzten ſich manche wackere Bürger-Artil- leriſten freiwillig auf die Pulverfäſſer um ſie mit ihrem Leibe gegen die umherſtiebenden Funken zu decken. Aber auch der berüchtigte Pöbel vom Hamburger Berge und Maſſen wüſten Geſindels vom Lande her waren zuſammengeſtrömt; die Unholde umtanzten die Flammen mit viehiſchem Gejohle, hielten ihre Saufgelage in den brennenden Häuſern, raubten, plünderten, zerſtörten nach Herzensluſt; und das Bürgermilitär, das ſich überhaupt in dieſer ernſten Probe weit beſſer hielt als ſonſt auf den Exercirplätzen, mußte mehrmals, mit den Linientruppen vereint, den ſcheußlichen Banden Straßengefechte liefern. Selbſt ruhige Männer wurden krankhaft aufgeregt durch den finſteren Argwohn, der bei ſolchem Unheil ſelten ausbleibt. Die Engländer ſtecken die Stadt an — ſo hieß es überall, denn die große Maſchinenfabrik auf dem Grasbrook beſchäf- tigte viele engliſche Arbeiter, die den einheimiſchen längſt verhaßt waren; und manche Leute von engliſchem Ausſehen, auch der junge Dichter Fried- rich Hebbel ſahen ſich von der erhitzten Menge ſchwer bedroht. In der langen Unterſuchung nachher wurde jedoch kein einziger Fall von Brand- ſtiftung nachgewieſen, auch die erſte Urſache des Unglücks blieb immer verborgen. Als die Gefahr überwunden war, da zeigte ſich erſt was Deutſchland an dem Reichthum und dem Bürgerſinne ſeiner erſten Handels- ſtadt beſaß. Schon nach wenigen Tagen erklärte man den benachbarten Regierungen zuverſichtlich: für den Geldverluſt könne die Stadt allein aufkommen. *) Der Stolz der Kaufmannſchaft, die neue Börſe, war unter der Hut beherzter Männer unverſehrt geblieben inmitten der Trüm- mer; die Bank hatte ihre Schätze gerettet und das Abſchreiben nicht einen Tag lang eingeſtellt, auch in den Häfen war die Arbeit nicht gänz- lich unterbrochen worden. Salomon Heine, der reiche Oheim des Dichters ſetzte durch, daß der Disconto nicht über vier vom Hundert ſteigen durfte; zwanzig Firmen bildeten alsbald eine Darlehnsgeſellſchaft mit 12 Mil- lionen Mark Banco Capital, und im Auguſt ſchon konnte die Stadt eine große Anleihe zu 3 Procent aufnehmen. Nun wurden die weiten Trümmer- felder abgeräumt, wobei man noch zehn Wochen nach dem großen Brande in manchen Kellern fortſchwelendes Feuer fand, die zerſtörten Straßen *) Thile’s Bericht an den König, 16. Mai 1842. 12*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/193>, abgerufen am 29.03.2024.