sein Amt mit einem Gefühle der Entsagung. Er war bereit, den Tadel für alle Mißgriffe und Mißerfolge seines königlichen Herrn ritterlich auf sich zu nehmen; aber der große staatsmännische Ehrgeiz, der seinem Zeit- alter die Richtung geben will, blieb ihm fremd, und für einen so selb- ständigen Willen war in diesen Jahren auch kein Raum.
Wie das neue System in Posen durch Arnim's plötzliche Abberufung gestört wurde, so kam auch die für Frankfurt geplante unternehmende Bundes- politik sogleich wieder in's Stocken, da Graf Maltzan nach kurzer Amtsfüh- rung tödlich erkrankte, und nunmehr der Bundesgesandte Heinrich von Bülow im Frühjahr 1842 das Auswärtige Amt übernahm. In Petersburg und Wien ward diese Ernennung mit Mißtrauen aufgenommen, da der Freund Lord Palmerston's dort für einen schlimmen Liberalen galt; in Berlin erwartete man von dem geistreichen Manne, der einst an der Begrün- dung des Zollvereins so rührig theilgenommen hatte, eine entschlossene nationale Handelspolitik. Gleich darauf starb der alte Ladenberg, und Graf Stolberg übernahm neben dem Hausministerium noch die Verwal- tung der Domänen. Also war nach zwei Jahren das Staatsministerium endlich ganz neu gestaltet. In ihren alten Stellen blieben nur noch: der kränkelnde Nagler, der sich, ärgerlich über die neue Zeit, ganz auf sein Postfach beschränkte, der ebenfalls stark gealterte Rother und der Justiz- minister Mühler. --
Der veränderte Charakter des Regiments offenbarte sich auch in der unruhigen Reiselust des neuen Herrschers, der gern unterwegs war so weit es die mangelhaften Verkehrsmittel irgend erlaubten. Auf die Huldigungsreisen folgte im Spätsommer 1841 ein längerer Aufenthalt in Schlesien. Den Breslauer Stadtbehörden ließ der König sagen, daß er von ihnen weder ein Fest noch einen feierlichen Empfang annehmen wolle, weil sie beim schlesischen Landtage die Berufung der Reichsstände befürwortet und also "offene Opposition" getrieben hätten. Die Breslauer antworteten ehrfurchtsvoll, das sei ihr gutes Recht gewesen, und als sie dann nochmals durch Abgesandte einluden ließ der Zürnende sich besänftigen. Er wurde glänzend empfangen, freute sich tiefbewegt des patriotischen Jubels seiner treuen Schlesier, die zugleich den hundertsten Jahrestag ihrer Vereinigung mit Preußen feierten, und bezauberte wieder alle Herzen, als er zum Ab- schied in begeisterter Rede der alten Stadt "noch tausend Jahre wie diese hundert" wünschte. Den Stadträthen aber sagte er in einer Audienz: was ihm eine fünfundzwanzigjährige Erfahrung als unzweckmäßig gezeigt das lasse er sich durch keine Macht der Erde abzwingen; sie sollten sich hüten der Zeit vorzugreifen; was kommen solle, komme doch. So verlangte er wieder unbedingtes Vertrauen auf Pläne, deren Sinn Niemand ent- räthseln konnte.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
ſein Amt mit einem Gefühle der Entſagung. Er war bereit, den Tadel für alle Mißgriffe und Mißerfolge ſeines königlichen Herrn ritterlich auf ſich zu nehmen; aber der große ſtaatsmänniſche Ehrgeiz, der ſeinem Zeit- alter die Richtung geben will, blieb ihm fremd, und für einen ſo ſelb- ſtändigen Willen war in dieſen Jahren auch kein Raum.
Wie das neue Syſtem in Poſen durch Arnim’s plötzliche Abberufung geſtört wurde, ſo kam auch die für Frankfurt geplante unternehmende Bundes- politik ſogleich wieder in’s Stocken, da Graf Maltzan nach kurzer Amtsfüh- rung tödlich erkrankte, und nunmehr der Bundesgeſandte Heinrich von Bülow im Frühjahr 1842 das Auswärtige Amt übernahm. In Petersburg und Wien ward dieſe Ernennung mit Mißtrauen aufgenommen, da der Freund Lord Palmerſton’s dort für einen ſchlimmen Liberalen galt; in Berlin erwartete man von dem geiſtreichen Manne, der einſt an der Begrün- dung des Zollvereins ſo rührig theilgenommen hatte, eine entſchloſſene nationale Handelspolitik. Gleich darauf ſtarb der alte Ladenberg, und Graf Stolberg übernahm neben dem Hausminiſterium noch die Verwal- tung der Domänen. Alſo war nach zwei Jahren das Staatsminiſterium endlich ganz neu geſtaltet. In ihren alten Stellen blieben nur noch: der kränkelnde Nagler, der ſich, ärgerlich über die neue Zeit, ganz auf ſein Poſtfach beſchränkte, der ebenfalls ſtark gealterte Rother und der Juſtiz- miniſter Mühler. —
Der veränderte Charakter des Regiments offenbarte ſich auch in der unruhigen Reiſeluſt des neuen Herrſchers, der gern unterwegs war ſo weit es die mangelhaften Verkehrsmittel irgend erlaubten. Auf die Huldigungsreiſen folgte im Spätſommer 1841 ein längerer Aufenthalt in Schleſien. Den Breslauer Stadtbehörden ließ der König ſagen, daß er von ihnen weder ein Feſt noch einen feierlichen Empfang annehmen wolle, weil ſie beim ſchleſiſchen Landtage die Berufung der Reichsſtände befürwortet und alſo „offene Oppoſition“ getrieben hätten. Die Breslauer antworteten ehrfurchtsvoll, das ſei ihr gutes Recht geweſen, und als ſie dann nochmals durch Abgeſandte einluden ließ der Zürnende ſich beſänftigen. Er wurde glänzend empfangen, freute ſich tiefbewegt des patriotiſchen Jubels ſeiner treuen Schleſier, die zugleich den hundertſten Jahrestag ihrer Vereinigung mit Preußen feierten, und bezauberte wieder alle Herzen, als er zum Ab- ſchied in begeiſterter Rede der alten Stadt „noch tauſend Jahre wie dieſe hundert“ wünſchte. Den Stadträthen aber ſagte er in einer Audienz: was ihm eine fünfundzwanzigjährige Erfahrung als unzweckmäßig gezeigt das laſſe er ſich durch keine Macht der Erde abzwingen; ſie ſollten ſich hüten der Zeit vorzugreifen; was kommen ſolle, komme doch. So verlangte er wieder unbedingtes Vertrauen auf Pläne, deren Sinn Niemand ent- räthſeln konnte.
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für alle Mißgriffe und Mißerfolge ſeines königlichen Herrn ritterlich auf
ſich zu nehmen; aber der große ſtaatsmänniſche Ehrgeiz, der ſeinem Zeit-
alter die Richtung geben will, blieb ihm fremd, und für einen ſo ſelb-
ſtändigen Willen war in dieſen Jahren auch kein Raum.
Wie das neue Syſtem in Poſen durch Arnim’s plötzliche Abberufung
geſtört wurde, ſo kam auch die für Frankfurt geplante unternehmende Bundes-
politik ſogleich wieder in’s Stocken, da Graf Maltzan nach kurzer Amtsfüh-
rung tödlich erkrankte, und nunmehr der Bundesgeſandte Heinrich von Bülow
im Frühjahr 1842 das Auswärtige Amt übernahm. In Petersburg und
Wien ward dieſe Ernennung mit Mißtrauen aufgenommen, da der
Freund Lord Palmerſton’s dort für einen ſchlimmen Liberalen galt; in
Berlin erwartete man von dem geiſtreichen Manne, der einſt an der Begrün-
dung des Zollvereins ſo rührig theilgenommen hatte, eine entſchloſſene
nationale Handelspolitik. Gleich darauf ſtarb der alte Ladenberg, und
Graf Stolberg übernahm neben dem Hausminiſterium noch die Verwal-
tung der Domänen. Alſo war nach zwei Jahren das Staatsminiſterium
endlich ganz neu geſtaltet. In ihren alten Stellen blieben nur noch: der
kränkelnde Nagler, der ſich, ärgerlich über die neue Zeit, ganz auf ſein
Poſtfach beſchränkte, der ebenfalls ſtark gealterte Rother und der Juſtiz-
miniſter Mühler. —
Der veränderte Charakter des Regiments offenbarte ſich auch in
der unruhigen Reiſeluſt des neuen Herrſchers, der gern unterwegs war
ſo weit es die mangelhaften Verkehrsmittel irgend erlaubten. Auf die
Huldigungsreiſen folgte im Spätſommer 1841 ein längerer Aufenthalt in
Schleſien. Den Breslauer Stadtbehörden ließ der König ſagen, daß er von
ihnen weder ein Feſt noch einen feierlichen Empfang annehmen wolle, weil
ſie beim ſchleſiſchen Landtage die Berufung der Reichsſtände befürwortet und
alſo „offene Oppoſition“ getrieben hätten. Die Breslauer antworteten
ehrfurchtsvoll, das ſei ihr gutes Recht geweſen, und als ſie dann nochmals
durch Abgeſandte einluden ließ der Zürnende ſich beſänftigen. Er wurde
glänzend empfangen, freute ſich tiefbewegt des patriotiſchen Jubels ſeiner
treuen Schleſier, die zugleich den hundertſten Jahrestag ihrer Vereinigung
mit Preußen feierten, und bezauberte wieder alle Herzen, als er zum Ab-
ſchied in begeiſterter Rede der alten Stadt „noch tauſend Jahre wie dieſe
hundert“ wünſchte. Den Stadträthen aber ſagte er in einer Audienz: was
ihm eine fünfundzwanzigjährige Erfahrung als unzweckmäßig gezeigt das
laſſe er ſich durch keine Macht der Erde abzwingen; ſie ſollten ſich hüten
der Zeit vorzugreifen; was kommen ſolle, komme doch. So verlangte er
wieder unbedingtes Vertrauen auf Pläne, deren Sinn Niemand ent-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/182>, abgerufen am 23.11.2024.
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