mußte selbst sein Nachfolger Bötticher anerkennen*), und in seinem streit- baren Wesen zeigten sich scharf ausgeprägt viele Charakterzüge des ost- preußischen Volksthums, nur leider nicht der schönste: die Wahrhaftigkeit. Er zog sich nach seinem stillen Arnau im Pregelthale zurück, gründete den landwirthschaftlichen Centralverein, dessen Vorsitz er übernahm, und war auch sonst vielfach für gemeinnützige Zwecke thätig. Noch lebhafter beschäftigte ihn die Sorge um den eigenen Nachruhm: unablässig bemühte er sich bald junge Gelehrte ganz mit seinem Geiste zu durchtränken, bald älteren Historikern jene kunstvollen Geschichtsdarstellungen zu übermitteln, die er sich zu seiner eigenen Verherrlichung ersonnen und dann so un- zählige mal wiedererzählt hatte, daß er schließlich selbst daran glaubte. Zu einer großen politischen Wirksamkeit gelangte er nie mehr, obgleich der König ihm die persönliche Freundschaft mit rührender Treue be- wahrte. --
An Rochow's Stelle wurde Graf Arnim aus Posen berufen. Man begrüßte ihn mit großen Erwartungen; man glaubte allgemein, der kräf- tige, noch nicht vierzigjährige Mann, der sich auch sofort mit jungen Räthen umgab, würde die gesammte Richtung des Cabinets bestimmen. Ein Neffe Stein's hatte Arnim seines aristokratischen Stolzes nie ein Hehl; er nannte es einen unschätzbaren Vorzug, daß sein Haus eine der Stätten sei, wo Recht gesprochen, wo das Unrecht gestraft, wo die Ord- nung geschützt würde. An den englischen Moden und Passionen, welche damals in die vornehme Welt Deutschlands und Oesterreichs einzudringen begannen, fand der Graf viel Freude; seine hohe, etwas steife, stets ele- gant gekleidete Gestalt erinnerte mehr an einen Lord als an den Sohn eines alten deutschen Kriegergeschlechtes; nicht ohne Herablassung schaute der blonde Kopf zwischen den mächtigen Vatermördern -- wie man die neuen Hemdkragen nannte -- auf die gewöhnlichen Sterblichen hernieder. Aber gleich seinem großen Oheim war er ganz durchdrungen von dem Grundsatze des Gleichgewichts der Rechte und der Pflichten; er verlangte, daß der preußische Adel sich seine Machtstellung durch politische Arbeit verdiene und wünschte dringend baldige Berufung eines Reichstags auf den vorhandenen ständischen Grundlagen. Dem Könige konnten solche Gedanken, schon weil sie so einfach und zweckmäßig waren, unmöglich zusagen; in seinem selbstherrlichen Stolze hatte er es indeß gar nicht für nöthig gehalten, sich mit dem neuen Minister, der ihm persönlich ge- fiel und ja doch nur Werkzeug sein sollte, im Voraus zu verständigen. Auch in ihren religiösen Anschauungen stimmten die Beiden nicht zu- sammen, da Arnim zwar ein gläubiger Christ, doch jeder Art des Pietis- mus feind war und die alte staatskirchliche Politik Altenstein's zwar be- hutsam weiterführen doch keineswegs aufgeben wollte. Arnim übernahm
*) Bötticher's Bericht an Thile, 2. Juni 1844.
Graf Arnim Miniſter des Inneren.
mußte ſelbſt ſein Nachfolger Bötticher anerkennen*), und in ſeinem ſtreit- baren Weſen zeigten ſich ſcharf ausgeprägt viele Charakterzüge des oſt- preußiſchen Volksthums, nur leider nicht der ſchönſte: die Wahrhaftigkeit. Er zog ſich nach ſeinem ſtillen Arnau im Pregelthale zurück, gründete den landwirthſchaftlichen Centralverein, deſſen Vorſitz er übernahm, und war auch ſonſt vielfach für gemeinnützige Zwecke thätig. Noch lebhafter beſchäftigte ihn die Sorge um den eigenen Nachruhm: unabläſſig bemühte er ſich bald junge Gelehrte ganz mit ſeinem Geiſte zu durchtränken, bald älteren Hiſtorikern jene kunſtvollen Geſchichtsdarſtellungen zu übermitteln, die er ſich zu ſeiner eigenen Verherrlichung erſonnen und dann ſo un- zählige mal wiedererzählt hatte, daß er ſchließlich ſelbſt daran glaubte. Zu einer großen politiſchen Wirkſamkeit gelangte er nie mehr, obgleich der König ihm die perſönliche Freundſchaft mit rührender Treue be- wahrte. —
An Rochow’s Stelle wurde Graf Arnim aus Poſen berufen. Man begrüßte ihn mit großen Erwartungen; man glaubte allgemein, der kräf- tige, noch nicht vierzigjährige Mann, der ſich auch ſofort mit jungen Räthen umgab, würde die geſammte Richtung des Cabinets beſtimmen. Ein Neffe Stein’s hatte Arnim ſeines ariſtokratiſchen Stolzes nie ein Hehl; er nannte es einen unſchätzbaren Vorzug, daß ſein Haus eine der Stätten ſei, wo Recht geſprochen, wo das Unrecht geſtraft, wo die Ord- nung geſchützt würde. An den engliſchen Moden und Paſſionen, welche damals in die vornehme Welt Deutſchlands und Oeſterreichs einzudringen begannen, fand der Graf viel Freude; ſeine hohe, etwas ſteife, ſtets ele- gant gekleidete Geſtalt erinnerte mehr an einen Lord als an den Sohn eines alten deutſchen Kriegergeſchlechtes; nicht ohne Herablaſſung ſchaute der blonde Kopf zwiſchen den mächtigen Vatermördern — wie man die neuen Hemdkragen nannte — auf die gewöhnlichen Sterblichen hernieder. Aber gleich ſeinem großen Oheim war er ganz durchdrungen von dem Grundſatze des Gleichgewichts der Rechte und der Pflichten; er verlangte, daß der preußiſche Adel ſich ſeine Machtſtellung durch politiſche Arbeit verdiene und wünſchte dringend baldige Berufung eines Reichstags auf den vorhandenen ſtändiſchen Grundlagen. Dem Könige konnten ſolche Gedanken, ſchon weil ſie ſo einfach und zweckmäßig waren, unmöglich zuſagen; in ſeinem ſelbſtherrlichen Stolze hatte er es indeß gar nicht für nöthig gehalten, ſich mit dem neuen Miniſter, der ihm perſönlich ge- fiel und ja doch nur Werkzeug ſein ſollte, im Voraus zu verſtändigen. Auch in ihren religiöſen Anſchauungen ſtimmten die Beiden nicht zu- ſammen, da Arnim zwar ein gläubiger Chriſt, doch jeder Art des Pietis- mus feind war und die alte ſtaatskirchliche Politik Altenſtein’s zwar be- hutſam weiterführen doch keineswegs aufgeben wollte. Arnim übernahm
*) Bötticher’s Bericht an Thile, 2. Juni 1844.
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Graf Arnim Miniſter des Inneren.
mußte ſelbſt ſein Nachfolger Bötticher anerkennen *), und in ſeinem ſtreit-
baren Weſen zeigten ſich ſcharf ausgeprägt viele Charakterzüge des oſt-
preußiſchen Volksthums, nur leider nicht der ſchönſte: die Wahrhaftigkeit.
Er zog ſich nach ſeinem ſtillen Arnau im Pregelthale zurück, gründete
den landwirthſchaftlichen Centralverein, deſſen Vorſitz er übernahm, und
war auch ſonſt vielfach für gemeinnützige Zwecke thätig. Noch lebhafter
beſchäftigte ihn die Sorge um den eigenen Nachruhm: unabläſſig bemühte
er ſich bald junge Gelehrte ganz mit ſeinem Geiſte zu durchtränken, bald
älteren Hiſtorikern jene kunſtvollen Geſchichtsdarſtellungen zu übermitteln,
die er ſich zu ſeiner eigenen Verherrlichung erſonnen und dann ſo un-
zählige mal wiedererzählt hatte, daß er ſchließlich ſelbſt daran glaubte.
Zu einer großen politiſchen Wirkſamkeit gelangte er nie mehr, obgleich
der König ihm die perſönliche Freundſchaft mit rührender Treue be-
wahrte. —
An Rochow’s Stelle wurde Graf Arnim aus Poſen berufen. Man
begrüßte ihn mit großen Erwartungen; man glaubte allgemein, der kräf-
tige, noch nicht vierzigjährige Mann, der ſich auch ſofort mit jungen
Räthen umgab, würde die geſammte Richtung des Cabinets beſtimmen.
Ein Neffe Stein’s hatte Arnim ſeines ariſtokratiſchen Stolzes nie ein
Hehl; er nannte es einen unſchätzbaren Vorzug, daß ſein Haus eine der
Stätten ſei, wo Recht geſprochen, wo das Unrecht geſtraft, wo die Ord-
nung geſchützt würde. An den engliſchen Moden und Paſſionen, welche
damals in die vornehme Welt Deutſchlands und Oeſterreichs einzudringen
begannen, fand der Graf viel Freude; ſeine hohe, etwas ſteife, ſtets ele-
gant gekleidete Geſtalt erinnerte mehr an einen Lord als an den Sohn
eines alten deutſchen Kriegergeſchlechtes; nicht ohne Herablaſſung ſchaute
der blonde Kopf zwiſchen den mächtigen Vatermördern — wie man die
neuen Hemdkragen nannte — auf die gewöhnlichen Sterblichen hernieder.
Aber gleich ſeinem großen Oheim war er ganz durchdrungen von dem
Grundſatze des Gleichgewichts der Rechte und der Pflichten; er verlangte,
daß der preußiſche Adel ſich ſeine Machtſtellung durch politiſche Arbeit
verdiene und wünſchte dringend baldige Berufung eines Reichstags auf
den vorhandenen ſtändiſchen Grundlagen. Dem Könige konnten ſolche
Gedanken, ſchon weil ſie ſo einfach und zweckmäßig waren, unmöglich
zuſagen; in ſeinem ſelbſtherrlichen Stolze hatte er es indeß gar nicht
für nöthig gehalten, ſich mit dem neuen Miniſter, der ihm perſönlich ge-
fiel und ja doch nur Werkzeug ſein ſollte, im Voraus zu verſtändigen.
Auch in ihren religiöſen Anſchauungen ſtimmten die Beiden nicht zu-
ſammen, da Arnim zwar ein gläubiger Chriſt, doch jeder Art des Pietis-
mus feind war und die alte ſtaatskirchliche Politik Altenſtein’s zwar be-
hutſam weiterführen doch keineswegs aufgeben wollte. Arnim übernahm
*) Bötticher’s Bericht an Thile, 2. Juni 1844.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/181>, abgerufen am 23.11.2024.
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