Von Schlesien eilte er nach Warschau um mit Kaiser Nikolaus zu- sammenzutreffen. Mehrmals hatte der Czar neuerdings dem Berliner Hofe heilig betheuern lassen, die Annäherung an England solle der älteren und engeren Freundschaft der drei Ostmächte keinen Abbruch thun; er bemühte sich auch seinen Gast liebenswürdig zu empfangen. Aber die harmlosen Tage waren längst vorbei, da die Berliner immer den Czaren meinten wenn sie von "dem Kaiser" schlechthin sprachen. Wie das wieder emporkommende, von Nikolaus selbst begünstigte Altmoskowiterthum gegen die culturbringenden Westler, die Deutschen einen barbarischen Ingrimm zeigte, so war auch in Preußen die russische Kriegsgenossenschaft jetzt gründlich vergessen; der Zorn der Ostpreußen über "die chinesische Mauer" der moskowitischen Nachbarn vereinigte sich mit dem alten Hasse der li- beralen Polenfreunde, im Hohne gegen Rußland fanden sich fast alle Parteien zusammen. Unwillkürlich wurden auch die beiden Herrscher mit berührt von der veränderten öffentlichen Meinung ihrer Völker. Nikolaus war etwas gealtert, aber noch immer fühlte er sich als Gottes auser- lesenes Werkzeug, zum Vernichtungskampfe gegen die Revolution fest entschlossen, und seit sein Thronfolger kürzlich eine hessische Prinzessin ge- heirathet hatte meinte er sich mehr denn je berufen über Deutschlands Ruhe zu wachen; die unberechenbare Neuerungslust Friedrich Wilhelm's blieb ihm verdächtig. Dem Künstlergemüthe des Königs widerstand die harte menschenverachtende russische Zucht; er langweilte sich bei den Ka- sernengesprächen dieses Schwagers, der im vollen Ernste sagte was un- schuldige Leute für eine boshafte Erdichtung hielten: nichts verdirbt ein Heer so sehr wie der Krieg. Die kurze Zusammenkunft brachte kein po- litisches Ergebniß, nicht einmal einen gründlichen Gedankenaustausch; immerhin erweckte sie dem Könige wieder alte theuere Jugenderinnerungen. Als er auf der Heimreise bei Kalisch das Denkmal für die Jahre 1813 und 1835 erblickte, dessen Inschrift den Segen Gottes für das preußisch- russische Bündniß erflehte, da schritt er tief bewegt die Stufen hinauf und schrieb mit dem Finger "Amen" unter die Zeilen -- was ihm die liberale Welt sehr übel nahm. Im November besuchte er sodann den Münchener Hof. Bald nachher verlobte sich der vielumworbene Kronprinz Max von Baiern mit der schönen Prinzessin Marie von Preußen, einer Tochter des älteren Prinzen Wilhelm; und die dem Könige so theuere Freundschaft des bairischen Hauses schien von Neuem gesichert.
Noch im selben Winter folgte die englische Reise. Um die doch recht bemerkbare Eifersucht des Czaren zu beschwichtigen, wurde dann der fünf- undzwanzigste Jahrestag seiner Ernennung zum Chef der brandenburgischen Kürassiere mit vielem Glanze gefeiert. Als Nikolaus die Abgesandten seines Regiments empfangen hatte, sagte er zu dem preußischen Gesandten nicht ohne Wehmuth: das seien damals doch die glücklichsten Zeiten seines Lebens gewesen, die Tage der jungen Liebe und des zwanglosen Verkehrs
Ruſſiſche Reiſe.
Von Schleſien eilte er nach Warſchau um mit Kaiſer Nikolaus zu- ſammenzutreffen. Mehrmals hatte der Czar neuerdings dem Berliner Hofe heilig betheuern laſſen, die Annäherung an England ſolle der älteren und engeren Freundſchaft der drei Oſtmächte keinen Abbruch thun; er bemühte ſich auch ſeinen Gaſt liebenswürdig zu empfangen. Aber die harmloſen Tage waren längſt vorbei, da die Berliner immer den Czaren meinten wenn ſie von „dem Kaiſer“ ſchlechthin ſprachen. Wie das wieder emporkommende, von Nikolaus ſelbſt begünſtigte Altmoskowiterthum gegen die culturbringenden Weſtler, die Deutſchen einen barbariſchen Ingrimm zeigte, ſo war auch in Preußen die ruſſiſche Kriegsgenoſſenſchaft jetzt gründlich vergeſſen; der Zorn der Oſtpreußen über „die chineſiſche Mauer“ der moskowitiſchen Nachbarn vereinigte ſich mit dem alten Haſſe der li- beralen Polenfreunde, im Hohne gegen Rußland fanden ſich faſt alle Parteien zuſammen. Unwillkürlich wurden auch die beiden Herrſcher mit berührt von der veränderten öffentlichen Meinung ihrer Völker. Nikolaus war etwas gealtert, aber noch immer fühlte er ſich als Gottes auser- leſenes Werkzeug, zum Vernichtungskampfe gegen die Revolution feſt entſchloſſen, und ſeit ſein Thronfolger kürzlich eine heſſiſche Prinzeſſin ge- heirathet hatte meinte er ſich mehr denn je berufen über Deutſchlands Ruhe zu wachen; die unberechenbare Neuerungsluſt Friedrich Wilhelm’s blieb ihm verdächtig. Dem Künſtlergemüthe des Königs widerſtand die harte menſchenverachtende ruſſiſche Zucht; er langweilte ſich bei den Ka- ſernengeſprächen dieſes Schwagers, der im vollen Ernſte ſagte was un- ſchuldige Leute für eine boshafte Erdichtung hielten: nichts verdirbt ein Heer ſo ſehr wie der Krieg. Die kurze Zuſammenkunft brachte kein po- litiſches Ergebniß, nicht einmal einen gründlichen Gedankenaustauſch; immerhin erweckte ſie dem Könige wieder alte theuere Jugenderinnerungen. Als er auf der Heimreiſe bei Kaliſch das Denkmal für die Jahre 1813 und 1835 erblickte, deſſen Inſchrift den Segen Gottes für das preußiſch- ruſſiſche Bündniß erflehte, da ſchritt er tief bewegt die Stufen hinauf und ſchrieb mit dem Finger „Amen“ unter die Zeilen — was ihm die liberale Welt ſehr übel nahm. Im November beſuchte er ſodann den Münchener Hof. Bald nachher verlobte ſich der vielumworbene Kronprinz Max von Baiern mit der ſchönen Prinzeſſin Marie von Preußen, einer Tochter des älteren Prinzen Wilhelm; und die dem Könige ſo theuere Freundſchaft des bairiſchen Hauſes ſchien von Neuem geſichert.
Noch im ſelben Winter folgte die engliſche Reiſe. Um die doch recht bemerkbare Eiferſucht des Czaren zu beſchwichtigen, wurde dann der fünf- undzwanzigſte Jahrestag ſeiner Ernennung zum Chef der brandenburgiſchen Küraſſiere mit vielem Glanze gefeiert. Als Nikolaus die Abgeſandten ſeines Regiments empfangen hatte, ſagte er zu dem preußiſchen Geſandten nicht ohne Wehmuth: das ſeien damals doch die glücklichſten Zeiten ſeines Lebens geweſen, die Tage der jungen Liebe und des zwangloſen Verkehrs
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Ruſſiſche Reiſe.
Von Schleſien eilte er nach Warſchau um mit Kaiſer Nikolaus zu-
ſammenzutreffen. Mehrmals hatte der Czar neuerdings dem Berliner
Hofe heilig betheuern laſſen, die Annäherung an England ſolle der älteren
und engeren Freundſchaft der drei Oſtmächte keinen Abbruch thun; er
bemühte ſich auch ſeinen Gaſt liebenswürdig zu empfangen. Aber die
harmloſen Tage waren längſt vorbei, da die Berliner immer den Czaren
meinten wenn ſie von „dem Kaiſer“ ſchlechthin ſprachen. Wie das wieder
emporkommende, von Nikolaus ſelbſt begünſtigte Altmoskowiterthum gegen
die culturbringenden Weſtler, die Deutſchen einen barbariſchen Ingrimm
zeigte, ſo war auch in Preußen die ruſſiſche Kriegsgenoſſenſchaft jetzt
gründlich vergeſſen; der Zorn der Oſtpreußen über „die chineſiſche Mauer“
der moskowitiſchen Nachbarn vereinigte ſich mit dem alten Haſſe der li-
beralen Polenfreunde, im Hohne gegen Rußland fanden ſich faſt alle
Parteien zuſammen. Unwillkürlich wurden auch die beiden Herrſcher mit
berührt von der veränderten öffentlichen Meinung ihrer Völker. Nikolaus
war etwas gealtert, aber noch immer fühlte er ſich als Gottes auser-
leſenes Werkzeug, zum Vernichtungskampfe gegen die Revolution feſt
entſchloſſen, und ſeit ſein Thronfolger kürzlich eine heſſiſche Prinzeſſin ge-
heirathet hatte meinte er ſich mehr denn je berufen über Deutſchlands
Ruhe zu wachen; die unberechenbare Neuerungsluſt Friedrich Wilhelm’s
blieb ihm verdächtig. Dem Künſtlergemüthe des Königs widerſtand die
harte menſchenverachtende ruſſiſche Zucht; er langweilte ſich bei den Ka-
ſernengeſprächen dieſes Schwagers, der im vollen Ernſte ſagte was un-
ſchuldige Leute für eine boshafte Erdichtung hielten: nichts verdirbt ein
Heer ſo ſehr wie der Krieg. Die kurze Zuſammenkunft brachte kein po-
litiſches Ergebniß, nicht einmal einen gründlichen Gedankenaustauſch;
immerhin erweckte ſie dem Könige wieder alte theuere Jugenderinnerungen.
Als er auf der Heimreiſe bei Kaliſch das Denkmal für die Jahre 1813
und 1835 erblickte, deſſen Inſchrift den Segen Gottes für das preußiſch-
ruſſiſche Bündniß erflehte, da ſchritt er tief bewegt die Stufen hinauf und
ſchrieb mit dem Finger „Amen“ unter die Zeilen — was ihm die liberale
Welt ſehr übel nahm. Im November beſuchte er ſodann den Münchener
Hof. Bald nachher verlobte ſich der vielumworbene Kronprinz Max von
Baiern mit der ſchönen Prinzeſſin Marie von Preußen, einer Tochter des
älteren Prinzen Wilhelm; und die dem Könige ſo theuere Freundſchaft
des bairiſchen Hauſes ſchien von Neuem geſichert.
Noch im ſelben Winter folgte die engliſche Reiſe. Um die doch recht
bemerkbare Eiferſucht des Czaren zu beſchwichtigen, wurde dann der fünf-
undzwanzigſte Jahrestag ſeiner Ernennung zum Chef der brandenburgiſchen
Küraſſiere mit vielem Glanze gefeiert. Als Nikolaus die Abgeſandten ſeines
Regiments empfangen hatte, ſagte er zu dem preußiſchen Geſandten nicht
ohne Wehmuth: das ſeien damals doch die glücklichſten Zeiten ſeines
Lebens geweſen, die Tage der jungen Liebe und des zwangloſen Verkehrs
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/183>, abgerufen am 23.11.2024.
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