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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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XX. Preußen und das Bundeskriegswesen 1831.
schehenen zu gewinnen. Wer die neue oder gar den unübersehbaren Stoff der neuesten
Geschichte behandelt, verrichtet seine schwerste Arbeit, bevor er zu schreiben anfängt, un-
bemerkt von der Mehrzahl der Leser; er muß den Wust seiner Aktenstücke so lange durch-
denken, bis er das Große von dem Kleinen zu unterscheiden vermag und genau weiß,
was aus dem Durcheinander diplomatischer Einfälle, Ränke und Seifenblasen der histo-
rischen Mittheilung würdig sei. Versuchen wir den rechten Abstand von dem Bilde zu
gewinnen, so erscheint der Verlauf jener Verhandlungen über einen möglichen Bundes-
krieg ziemlich einfach, ihr historisches Ergebniß nicht sehr erheblich.

Die deutsche Kriegsverfassung vom Jahre 1821 war ein unter Oesterreichs stiller
Beihilfe errungener Triumph der Mittelstaaten; sie gewährte der Eitelkeit der kleinen
Höfe die Genugthuung, daß sie selbst auf dem Papiere mehr Bundestruppen stellten als
jede der beiden Großmächte: vier Corps mit 120,000 Mann, während Oesterreich nur
drei Corps mit 97,000 Mann, Preußen auch nur drei mit 80,000 Mann zu stellen
hatte. An die Spitze dieses Bundesheeres sollte in Kriegszeiten ein vom Bundestage
ernannter Bundesfeldherr treten, der, wie die Stimmen in Frankfurt standen, nur ein
Oesterreicher oder vielleicht ein kleiner Prinz, aber unmöglich ein Preuße sein konnte. An
die förmliche Beseitigung dieser aberwitzigen Vorschriften dachte Niemand, am wenigsten
der preußische Hof; denn schon seit dem Anfang der Zwanzigerjahre befolgte Graf Bern-
storff den wohlerwogenen Grundsatz, daß alle gemeinnützigen Maßregeln für Deutsch-
lands Sicherheit und Wohlfahrt nicht durch den Bund, sondern durch Verabredungen
der Einzelstaaten bewirkt werden müßten. Aber auch an die Ausführung der Kriegs-
verfassung ließ sich nicht denken; vielmehr bestand an allen Höfen der stillschweigende
Entschluß, im Kriegsfalle nach den Umständen zu handeln und über jene leeren Para-
graphen hinwegzusehen. Jedermann wußte, daß Preußen durch jede Bedrohung des
Bundesgebiets in seinem eigenen Dasein gefährdet und mithin gezwungen wurde, seine
gesammten neun Armeecorps, das Dreifache seines Bundescontingents, auf den deutschen
Kriegsschauplatz zu werfen, während Oesterreich und die Kleinstaaten vielleicht nicht ein-
mal das Wenige leisten konnten, was ihnen das Bundesgesetz vorschrieb.

Als nun die Juli-Revolution den Deutschen Bund mit Krieg bedrohte, da hielten sich
die kleinen Höfe gegenüber den geheimen Lockungen der französischen Diplomatie allesammt
ganz untadelhaft, die einen weil sie deutsch dachten, die anderen weil sie die Revolution
haßten. Viel mehr als löbliche Gesinnungen hatten sie dem Vaterlande freilich nicht
zu bieten. Südlich von Mainz und Würzburg gab es keine Festung, weil der Bundes-
tag sich über die oberländischen Bundesfestungen nicht hatte einigen können; das weite
Gebiet vom Böhmerwalde bis zum Oberrhein lag jedem Angriff offen, und die süddeut-
schen Truppen waren durch die Sparsamkeit der Landtage so arg verwahrlost, daß sie
damals unzweifelhaft noch weniger geleistet hätten als in dem Mainfeldzuge von 1866.
Mit dem österreichischen Heere stand es kaum besser; die Rüstungen dort schritten sehr
langsam vor, und bei der unheimlichen Gährung in Italien ließ sich schwer absehen, wie
viele Truppen die Hofburg für den Schutz des deutschen Südwestens übrig behalten
würde. In solcher Lage waren die süddeutschen Höfe gern bereit, sich nöthigenfalls durch
Preußen retten zu lassen; sie besprachen sich vertraulich mit den preußischen Gesandten
über mögliche gemeinsame Rüstungen. Preußen versuchte nun zunächst den Wiener Hof
vorwärts zu treiben; dort herrschte jedoch eine tiefe Entmuthigung, die erst im Herbst
1831, nach dem Falle Warschaus, einer frischeren Stimmung weichen sollte. Metternich
versprach, den Fürsten Schönburg, den Gesandten in Stuttgart, zu näheren Verhand-
lungen an die süddeutschen Höfe zu senden; aber Schönburg blieb seit dem November
1830 monatelang unthätig in Wien.

Da beschloß man zu Berlin, den Vortritt zu übernehmen, und sendete im December
den General v. Röder in die Hofburg. Im Januar 1831 überreichte der General seine
militärischen Vorschläge (politische Aufträge hatte er nicht). Preußen erklärte sich bereit,
gegebenen Falles mit seiner ganzen Macht in den Krieg einzutreten, und verlangte, daß

XX. Preußen und das Bundeskriegsweſen 1831.
ſchehenen zu gewinnen. Wer die neue oder gar den unüberſehbaren Stoff der neueſten
Geſchichte behandelt, verrichtet ſeine ſchwerſte Arbeit, bevor er zu ſchreiben anfängt, un-
bemerkt von der Mehrzahl der Leſer; er muß den Wuſt ſeiner Aktenſtücke ſo lange durch-
denken, bis er das Große von dem Kleinen zu unterſcheiden vermag und genau weiß,
was aus dem Durcheinander diplomatiſcher Einfälle, Ränke und Seifenblaſen der hiſto-
riſchen Mittheilung würdig ſei. Verſuchen wir den rechten Abſtand von dem Bilde zu
gewinnen, ſo erſcheint der Verlauf jener Verhandlungen über einen möglichen Bundes-
krieg ziemlich einfach, ihr hiſtoriſches Ergebniß nicht ſehr erheblich.

Die deutſche Kriegsverfaſſung vom Jahre 1821 war ein unter Oeſterreichs ſtiller
Beihilfe errungener Triumph der Mittelſtaaten; ſie gewährte der Eitelkeit der kleinen
Höfe die Genugthuung, daß ſie ſelbſt auf dem Papiere mehr Bundestruppen ſtellten als
jede der beiden Großmächte: vier Corps mit 120,000 Mann, während Oeſterreich nur
drei Corps mit 97,000 Mann, Preußen auch nur drei mit 80,000 Mann zu ſtellen
hatte. An die Spitze dieſes Bundesheeres ſollte in Kriegszeiten ein vom Bundestage
ernannter Bundesfeldherr treten, der, wie die Stimmen in Frankfurt ſtanden, nur ein
Oeſterreicher oder vielleicht ein kleiner Prinz, aber unmöglich ein Preuße ſein konnte. An
die förmliche Beſeitigung dieſer aberwitzigen Vorſchriften dachte Niemand, am wenigſten
der preußiſche Hof; denn ſchon ſeit dem Anfang der Zwanzigerjahre befolgte Graf Bern-
ſtorff den wohlerwogenen Grundſatz, daß alle gemeinnützigen Maßregeln für Deutſch-
lands Sicherheit und Wohlfahrt nicht durch den Bund, ſondern durch Verabredungen
der Einzelſtaaten bewirkt werden müßten. Aber auch an die Ausführung der Kriegs-
verfaſſung ließ ſich nicht denken; vielmehr beſtand an allen Höfen der ſtillſchweigende
Entſchluß, im Kriegsfalle nach den Umſtänden zu handeln und über jene leeren Para-
graphen hinwegzuſehen. Jedermann wußte, daß Preußen durch jede Bedrohung des
Bundesgebiets in ſeinem eigenen Daſein gefährdet und mithin gezwungen wurde, ſeine
geſammten neun Armeecorps, das Dreifache ſeines Bundescontingents, auf den deutſchen
Kriegsſchauplatz zu werfen, während Oeſterreich und die Kleinſtaaten vielleicht nicht ein-
mal das Wenige leiſten konnten, was ihnen das Bundesgeſetz vorſchrieb.

Als nun die Juli-Revolution den Deutſchen Bund mit Krieg bedrohte, da hielten ſich
die kleinen Höfe gegenüber den geheimen Lockungen der franzöſiſchen Diplomatie alleſammt
ganz untadelhaft, die einen weil ſie deutſch dachten, die anderen weil ſie die Revolution
haßten. Viel mehr als löbliche Geſinnungen hatten ſie dem Vaterlande freilich nicht
zu bieten. Südlich von Mainz und Würzburg gab es keine Feſtung, weil der Bundes-
tag ſich über die oberländiſchen Bundesfeſtungen nicht hatte einigen können; das weite
Gebiet vom Böhmerwalde bis zum Oberrhein lag jedem Angriff offen, und die ſüddeut-
ſchen Truppen waren durch die Sparſamkeit der Landtage ſo arg verwahrloſt, daß ſie
damals unzweifelhaft noch weniger geleiſtet hätten als in dem Mainfeldzuge von 1866.
Mit dem öſterreichiſchen Heere ſtand es kaum beſſer; die Rüſtungen dort ſchritten ſehr
langſam vor, und bei der unheimlichen Gährung in Italien ließ ſich ſchwer abſehen, wie
viele Truppen die Hofburg für den Schutz des deutſchen Südweſtens übrig behalten
würde. In ſolcher Lage waren die ſüddeutſchen Höfe gern bereit, ſich nöthigenfalls durch
Preußen retten zu laſſen; ſie beſprachen ſich vertraulich mit den preußiſchen Geſandten
über mögliche gemeinſame Rüſtungen. Preußen verſuchte nun zunächſt den Wiener Hof
vorwärts zu treiben; dort herrſchte jedoch eine tiefe Entmuthigung, die erſt im Herbſt
1831, nach dem Falle Warſchaus, einer friſcheren Stimmung weichen ſollte. Metternich
verſprach, den Fürſten Schönburg, den Geſandten in Stuttgart, zu näheren Verhand-
lungen an die ſüddeutſchen Höfe zu ſenden; aber Schönburg blieb ſeit dem November
1830 monatelang unthätig in Wien.

Da beſchloß man zu Berlin, den Vortritt zu übernehmen, und ſendete im December
den General v. Röder in die Hofburg. Im Januar 1831 überreichte der General ſeine
militäriſchen Vorſchläge (politiſche Aufträge hatte er nicht). Preußen erklärte ſich bereit,
gegebenen Falles mit ſeiner ganzen Macht in den Krieg einzutreten, und verlangte, daß

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[741/0755] XX. Preußen und das Bundeskriegsweſen 1831. ſchehenen zu gewinnen. Wer die neue oder gar den unüberſehbaren Stoff der neueſten Geſchichte behandelt, verrichtet ſeine ſchwerſte Arbeit, bevor er zu ſchreiben anfängt, un- bemerkt von der Mehrzahl der Leſer; er muß den Wuſt ſeiner Aktenſtücke ſo lange durch- denken, bis er das Große von dem Kleinen zu unterſcheiden vermag und genau weiß, was aus dem Durcheinander diplomatiſcher Einfälle, Ränke und Seifenblaſen der hiſto- riſchen Mittheilung würdig ſei. Verſuchen wir den rechten Abſtand von dem Bilde zu gewinnen, ſo erſcheint der Verlauf jener Verhandlungen über einen möglichen Bundes- krieg ziemlich einfach, ihr hiſtoriſches Ergebniß nicht ſehr erheblich. Die deutſche Kriegsverfaſſung vom Jahre 1821 war ein unter Oeſterreichs ſtiller Beihilfe errungener Triumph der Mittelſtaaten; ſie gewährte der Eitelkeit der kleinen Höfe die Genugthuung, daß ſie ſelbſt auf dem Papiere mehr Bundestruppen ſtellten als jede der beiden Großmächte: vier Corps mit 120,000 Mann, während Oeſterreich nur drei Corps mit 97,000 Mann, Preußen auch nur drei mit 80,000 Mann zu ſtellen hatte. An die Spitze dieſes Bundesheeres ſollte in Kriegszeiten ein vom Bundestage ernannter Bundesfeldherr treten, der, wie die Stimmen in Frankfurt ſtanden, nur ein Oeſterreicher oder vielleicht ein kleiner Prinz, aber unmöglich ein Preuße ſein konnte. An die förmliche Beſeitigung dieſer aberwitzigen Vorſchriften dachte Niemand, am wenigſten der preußiſche Hof; denn ſchon ſeit dem Anfang der Zwanzigerjahre befolgte Graf Bern- ſtorff den wohlerwogenen Grundſatz, daß alle gemeinnützigen Maßregeln für Deutſch- lands Sicherheit und Wohlfahrt nicht durch den Bund, ſondern durch Verabredungen der Einzelſtaaten bewirkt werden müßten. Aber auch an die Ausführung der Kriegs- verfaſſung ließ ſich nicht denken; vielmehr beſtand an allen Höfen der ſtillſchweigende Entſchluß, im Kriegsfalle nach den Umſtänden zu handeln und über jene leeren Para- graphen hinwegzuſehen. Jedermann wußte, daß Preußen durch jede Bedrohung des Bundesgebiets in ſeinem eigenen Daſein gefährdet und mithin gezwungen wurde, ſeine geſammten neun Armeecorps, das Dreifache ſeines Bundescontingents, auf den deutſchen Kriegsſchauplatz zu werfen, während Oeſterreich und die Kleinſtaaten vielleicht nicht ein- mal das Wenige leiſten konnten, was ihnen das Bundesgeſetz vorſchrieb. Als nun die Juli-Revolution den Deutſchen Bund mit Krieg bedrohte, da hielten ſich die kleinen Höfe gegenüber den geheimen Lockungen der franzöſiſchen Diplomatie alleſammt ganz untadelhaft, die einen weil ſie deutſch dachten, die anderen weil ſie die Revolution haßten. Viel mehr als löbliche Geſinnungen hatten ſie dem Vaterlande freilich nicht zu bieten. Südlich von Mainz und Würzburg gab es keine Feſtung, weil der Bundes- tag ſich über die oberländiſchen Bundesfeſtungen nicht hatte einigen können; das weite Gebiet vom Böhmerwalde bis zum Oberrhein lag jedem Angriff offen, und die ſüddeut- ſchen Truppen waren durch die Sparſamkeit der Landtage ſo arg verwahrloſt, daß ſie damals unzweifelhaft noch weniger geleiſtet hätten als in dem Mainfeldzuge von 1866. Mit dem öſterreichiſchen Heere ſtand es kaum beſſer; die Rüſtungen dort ſchritten ſehr langſam vor, und bei der unheimlichen Gährung in Italien ließ ſich ſchwer abſehen, wie viele Truppen die Hofburg für den Schutz des deutſchen Südweſtens übrig behalten würde. In ſolcher Lage waren die ſüddeutſchen Höfe gern bereit, ſich nöthigenfalls durch Preußen retten zu laſſen; ſie beſprachen ſich vertraulich mit den preußiſchen Geſandten über mögliche gemeinſame Rüſtungen. Preußen verſuchte nun zunächſt den Wiener Hof vorwärts zu treiben; dort herrſchte jedoch eine tiefe Entmuthigung, die erſt im Herbſt 1831, nach dem Falle Warſchaus, einer friſcheren Stimmung weichen ſollte. Metternich verſprach, den Fürſten Schönburg, den Geſandten in Stuttgart, zu näheren Verhand- lungen an die ſüddeutſchen Höfe zu ſenden; aber Schönburg blieb ſeit dem November 1830 monatelang unthätig in Wien. Da beſchloß man zu Berlin, den Vortritt zu übernehmen, und ſendete im December den General v. Röder in die Hofburg. Im Januar 1831 überreichte der General ſeine militäriſchen Vorſchläge (politiſche Aufträge hatte er nicht). Preußen erklärte ſich bereit, gegebenen Falles mit ſeiner ganzen Macht in den Krieg einzutreten, und verlangte, daß

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 741. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/755>, abgerufen am 29.03.2024.